Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.828/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_828/2009

Urteil vom 14. Januar 2010
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterinnen Hohl, Präsidentin, Escher,
Bundesrichter L. Meyer, Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Z.________,
Verfahrensbeteiligten.

Gegenstand
Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz,
Kammer IV, vom 4. November 2009.

Sachverhalt:

A.
Der im 84. Altersjahr stehende X.________ wurde im Verlauf des Jahres 2009
mehrmals mittels FFE in die Psychiatrische Klinik A.________ eingewiesen,
jeweils hauptsächlich mit der Begründung einer starken Selbstgefährdung wegen
zunehmender Immobilität. Sodann war er wegen verschiedenen Stürzen mehrmals im
Spital B.________ hospitalisiert, allein in den Monaten Juli bis Oktober sieben
Mal.

B.
Am 20. Oktober 2009 wurde X.________ durch PD Dr. Z.________, Chefarzt am
Spital B.________, erneut mittels FFE in die Psychiatrische Klinik A.________
eingewiesen. Dagegen erhob dieser am 21. Oktober 2009 beim Verwaltungsgericht
des Kantons Schwyz Beschwerde.

Mit Entscheid vom 4. November 2009 (Versand 10. November 2009) wies das
Verwaltungsgericht die Beschwerde ab, wobei es die Gemeinde C.________ anwies,
raschmöglichst die Verlegung von X.________ in ein geeignetes Alters- und
Pflegeheim vorzunehmen. Ferner ersuchte es die Gemeinde, vormundschaftliche
Massnahmen zu prüfen und anzuordnen.

C.
Gegen diesen Entscheid hat X.________ am 24. November 2009 eine Beschwerde mit
den Begehren um dessen Aufhebung, um Aufhebung der Verfügung, ihn in ein Heim
zu verlegen, sowie um Eliminierung der vom Spital B.________ gelieferten
Beschuldigungen, die im Widerspruch zu den aus der Psychiatrie gelieferten
Daten stünden. Am 8. Dezember 2009 hat X.________ eine "Beschwerde 2. Teil"
verfasst mit dem Antrag um Aufhebung der Verfügung, wonach er nicht in seiner
Wohnung leben könne. Diese beiden Schreiben hat der Beschwerdeführer am 10.
Dezember 2009 der Post übergeben.

Mit Vernehmlassung vom 16. Dezember 2009 hat das Verwaltungsgericht die Anträge
gestellt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie
abzuweisen. Es hat darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 3. Dezember
2009 aus der Psychiatrischen Klinik A.________ entlassen und von der Gemeinde
C.________ in das Pflegezentrum D.________ verlegt worden sei.
Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1
BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE), gegen den die
Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG).

1.2 Die Legitimation zur Beschwerde setzt unter anderem ein aktuelles und
praktisches sowie rechtlich geschütztes Interesse voraus (Art. 76 Abs. 1 lit. b
BGG; vgl. auch Art. 397d Abs. 1 ZGB); dieses fehlt in der Regel, wenn ein
Beschwerdeführer bereits aus der Anstalt entlassen ist (Urteil 5A_66/2008 vom
7. März 2008, E. 1.2 und E. 2.2.3).

Vorliegend befindet sich der Beschwerdeführer zwar nicht mehr in der
Psychiatrischen Klinik A.________. Indes ist der primäre Inhalt des
angefochtenen Entscheides, dass das Verwaltungsgericht die Wohnsitzgemeinde
verbindlich angewiesen hat, den Beschwerdeführer in einem Alters- und
Pflegeheim zu platzieren, welcher Anweisung die Gemeinde nachgekommen ist,
indem sie den Beschwerdeführer im vorgeschlagenen Heim untergebracht hat. Für
die Eintretensfrage kann nicht entscheidend sein, wenn das Verwaltungsgericht
in zweiter Linie eine vorübergehende Zurückbehaltung in der Psychiatrischen
Klinik A.________ angeordnet hat, weil eine Rückkehr nach Hause bis zur
Platzierung im Pflegeheim nicht mehr zu verantworten war; umso weniger kann
dies entscheidend sein, als das Verwaltungsgericht selbst befunden hat, die
gerontopsychiatrische Abteilung der Psychiatrischen Klinik A.________ sei nicht
die geeignete Institution für den Beschwerdeführer (im Einzelnen E. 2).

Insofern tut im Übrigen auch die vom Verwaltungsgericht in der Vernehmlassung
angesprochene Kontroverse zur Frage der Verlegung und
Beschwerdegegenstandslosigkeit (siehe dazu BGE 122 I 18 E. 2f S. 35 bzw.
GEISER, Basler Kommentar, 3. Aufl., Rz. 32 zu Art. 397a ZGB) nichts zur Sache,
zumal sich das Verwaltungsgericht nicht nur materiell zur geeigneten Form der
Unterbringung geäussert hat, sondern der Beschwerdeführer nunmehr sogar in der
vom Verwaltungsgericht konkret genannten Institution untergebracht ist (im
Einzelnen E. 2).

1.3 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann namentlich eine Verletzung von
Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG); diesbezüglich wendet das
Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Demgegenüber
ist das Bundesgericht an die kantonalen Sachverhaltsfeststellungen
grundsätzlich gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG); diesbezüglich kann einzig eine
willkürliche Sachverhaltsfeststellung oder eine anderweitige
entscheidwesentliche Verfassungsverletzung gerügt werden (Art. 97 Abs. 1 BGG;
BGE 133 III 249 E. 1.2.2; 133 III 393 E. 7.1 S. 398), wofür das strenge
Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG).

2.
Das Verwaltungsgericht hat auf die Anhäufung von Stürzen, die Hilflosigkeit,
die Gebrechlichkeit und die in den Berichten und von den involvierten
Fachpersonen übereinstimmend zum Ausdruck gebrachte Pflegebedürftigkeit des
Beschwerdeführers hingewiesen. Die Gebrechlichkeit sei auch bei der
gerichtlichen Anhörung offenkundig geworden; er habe sich beim Gericht
entschuldigt, dass er sich nicht aus dem Rollstuhl erheben könne, um das
Gericht stehend zu begrüssen bzw. zu verabschieden. Der Beschwerdeführer habe
auch bestätigt, dass er nicht in der Lage sei, aus eigener Kraft wieder
aufzustehen, wenn er stürze. Dr. V.________ habe bei der gerichtlichen
Befragung bestätigt, dass der Beschwerdeführer bei sämtlichen alltäglichen
Lebensverrichtungen (mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme) regelmässig und in
hohem Mass auf Dritthilfe angewiesen sei. Er sei nachts und tagsüber auf
Einlagen angewiesen und könne infolge seiner körperlichen Immobilität das WC
nicht aufsuchen.

Ausgehend von diesem Befund hat das Verwaltungsgericht erwogen, der
Beschwerdeführer sei zwar körperlich gebrechlich, geistig aber ein hellwacher
Greis, bei dem auch Schalk und Humor festzustellen seien. Er sei zwar durchaus
eigensinnig, dickköpfig und schwer belehrbar, aber von einer Geistesschwäche
oder gar Geisteskrankheit könne klarerweise nicht gesprochen werden. Ebenso
wenig liege eine Suchterkrankung vor. Hingegen sei ein Schwächezustand gegeben,
der eine schwere Verwahrlosung im Sinn von Art. 397a ZGB begründe. In den
Intervallen zwischen den Spital- und Klinikaufenthalten habe der
Beschwerdeführer allein in seiner Wohnung innerhalb einer Fabrikliegenschaft
gelebt. Nachbarn, die ihm Hilfe leisten könnten, gebe es keine, und der
Beschwerdeführer verweigere beharrlich Unterstützungsdienste, die einen
Heimeintritt hinausschieben könnten (Spitex, Mahlzeitendienst, Alarmuhr, etc.).
Die Gebrechlichkeit sei aber heute schon so weit fortgeschritten, dass selbst
mit solchen Unterstützungsdiensten ein Wohnen zu Hause nicht mehr möglich und
deshalb eine Unterbringung in einer geeigneten Institution für die
erforderliche persönliche Fürsorge (Pflege, Unterstützung in den alltäglichen
Lebensverrichtungen) unabdingbar sei.

Die Gerontopsychiatrie der Psychiatrischen Klinik A.________, wo sich der
Beschwerdeführer befinde, sei eine gerontopsychiatrische Akutinstitution und
damit nicht die geeignete Institution. Da eine Entlassung nach Hause aber nicht
mehr zu verantworten sei und ein geeignetes Alters- und Pflegeheim zuerst
gesucht und gefunden werden müsse, sei die Beschwerde abzuweisen und die
Wohnortsgemeinde verbindlich aufzufordern, den Beschwerdeführer in ein
geeignetes Alters- und Pflegeheim zu verlegen. Das Pflegezentrum D.________
verfüge über eine Wohngruppe für psychosoziale Betreuung, die nicht voll belegt
sei; dort könnte sich allenfalls auch der Beschwerdeführer zurecht finden. Im
Übrigen sei die Vormundschaftsbehörde zu ersuchen, vormundschaftliche
Massnahmen zu prüfen, da der Beschwerdeführer auch in den administrativen
Belangen überfordert sei.

3.
In seiner Beschwerde vom 28. November 2009 macht der Beschwerdeführer geltend,
sein Ziel sei es, als Senior gemütlich zu leben und gut zu essen, an Spiel und
Sport als ein passiver Teilnehmer teilzunehmen und eventuell auch berufliche
Aktivitäten wie Fussball-Instruktor. Alles müsse ohne Zwang erfolgen; er
akzeptiere keine Vorschriften, da er sonst seine Überzeugungen nicht umsetzen
könne. In seiner "Beschwerde 2. Teil" vom 8. Dezember 2009 bringt er zudem vor,
die "Beweis-Behauptungen" seien erlogen. Er habe im angefochtenen Entscheid des
Verwaltungsgerichts alles unterstrichen, was unwahr sei und das Ziel verfolge,
ihn als schwächlich, störrisch und streitsüchtig darzustellen.

4.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die kantonalen
Sachverhaltsfeststellungen wendet, ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten:
Nach dem in E. 1.3 Gesagten sind diese für das Bundesgericht verbindlich,
soweit nicht substanziierte Verfassungsrügen erhoben werden. Mit dem blossen
Unterstreichen von Ausdrücken und Passagen im angefochtenen Entscheid und der
Behauptung, diese stellten Lügen dar, ist keine Willkür darzutun. Vielmehr
müsste der Beschwerdeführer aufzeigen, inwiefern das Verwaltungsgericht den
Sinn und die Tragweite eines Beweismittels (vorliegend insbesondere die
übereinstimmenden Aussagen und Berichte der beteiligten Fachpersonen) sowie die
persönliche Anhörung offensichtlich nicht erkannt, ohne vernünftigen Grund ein
entscheidendes Beweismittel ausser Acht gelassen oder aus den vorhandenen
Beweismitteln einen unhaltbaren Schluss gezogen haben soll (BGE 129 I 8 E. 2.1
S. 9).

5.
Das Recht wendet das Bundesgericht hingegen von Amtes wegen an und die
Beschwerdeanträge sind klar, weshalb auf die Beschwerde insoweit einzutreten
ist.

Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Sowohl für die Einweisung als auch die
Zurückbehaltung in einer Anstalt sind die Prinzipien der Verhältnismässigkeit
und der Subsidiarität zu berücksichtigen; vorausgesetzt ist mit anderen Worten,
dass der Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen Schwächezustände
persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm nur in einer Anstalt gewährt werden kann
(BGE 114 II 213 E. 5 S. 217 f.). Zu berücksichtigen ist ferner die Belastung,
welche die Person für ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a Abs. 2 ZGB).

Vorliegend geht es um den Tatbestand der schweren Verwahrlosung. Nach den für
das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen ist der
Beschwerdeführer stark sturzgefährdet. Dabei handelt es sich nicht um eine
abstrakte, sondern um eine ganz konkrete Gefahr, musste doch der
Beschwerdeführer wegen Stürzen innert weniger Monate mehrmals hospitalisiert
werden. Insbesondere war auch die vorliegende FFE wegen eines Sturzes
angeordnet worden; die ex-Frau hatte den Beschwerdeführer am 13. Oktober 2009
nackt auf dem Boden liegend angetroffen und er konnte sich weder an den Sturz
erinnern noch daran, warum er ohne Kleidung am Boden lag. Der Beschwerdeführer
räumte nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts selbst ein, dass er sich
nicht mehr aus eigener Kraft aufrichten kann. Er würde in seiner Wohnung, wo er
im Übrigen 34 Treppenstufen bewältigen muss, bei erneuten Stürzen unter
Umständen so lange hilflos liegen bleiben, bis jede Hilfe zu spät käme, sind
doch zum einen keine Nachbarn in Hörweite und lehnt der Beschwerdeführer zum
anderen jede fremde Hilfe (Spitex, Mahlzeitendienst, Alarmuhr) vehement ab.
Inzwischen könnte er aber nach den verbindlichen Schilderungen des
Verwaltungsgerichtes selbst mit solchen Hilfestellungen nicht mehr in seiner
Wohnung leben, weil er mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme für sämtliche
alltäglichen Verrichtungen, z.B. auch den Gang auf das WC, auf Dritthilfe
angewiesen ist.

Bei dieser tatbestandsmässigen Ausgangslage ist die persönliche Fürsorge,
welcher der Beschwerdeführer bedarf, zu Hause nicht mehr gewährleistet:
Abgesehen davon, dass er dort jegliche Hilfsinstrumente verweigert, würden
Massnahmen wie Spitex oder Mahlzeitendienst beispielsweise beim Aufsuchen des
WC oder bei einem Sturz nicht mehr ausreichen. Es hält insofern vor Bundesrecht
stand, wenn das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht von einer starken
Selbstgefährdung ausgegangen ist. Liegt damit einer der in Art. 397a Abs. 1 ZGB
umschriebenen Schwächezustände vor, sind die materiellen Voraussetzungen für
die Verfügung einer FFE gegeben. Dass es sich beim Pflegezentrum D.________
nicht um eine geeignete Anstalt im Sinne des Gesetzes handeln würde, macht der
Beschwerdeführer nicht geltend, und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern er
dort nicht die Pflege erhalten sollte, die seinem Schwächezustand entspricht.
Indem einerseits eine Rückkehr nach Hause aufgrund der
Sachverhaltsfeststellungen gegenwärtig nicht zu verantworten ist und das
Verwaltungsgericht andererseits die gerontopsychiatrische Abteilung der
Psychiatrischen Klinik A.________ als überqualifiziert bezeichnet hat, sind mit
der angeordneten Unterbringung auch die Prinzipien der Subsidiarität und der
Verhältnismässigkeit gewahrt.

6.
Weil die Unterbringung nach dem Gesagten bereits aufgrund der schweren
Selbstgefährdung unabdingbar ist, kann offen bleiben, inwiefern auch eine
Drittgefährdung vorliegen könnte (verbale Drohungen, Ausfälligkeiten und
Aggressionen gemäss Krankengeschichte des Spitals B.________; demgegenüber
Aussage aus der Psychiatrischen Klinik A.________, der Patient vertrete seine
Anliegen vehement und könne laut werden, sei aber nie bedrohlich gewesen). Die
in diesem Zusammenhang gemachten Ausführungen bzw. Bestreitungen durch den
Beschwerdeführer sind mithin nicht entscheidrelevant und es kann offen bleiben,
ob und inwieweit eine Drittgefährdung vorliegt.

7.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit auf sie
eingetreten werden kann. Es rechtfertigt sich, im vorliegenden Fall keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz,
Kammer IV, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Januar 2010
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli