Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.696/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_696/2009

Urteil vom 3. März 2010
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.

Parteien
G.________ AG,
Beschwerdeführerin,

gegen

S.________,
Beschwerdegegner,
Betreibungsamt B.________,
verfahrensbeteiligtes Amt,

Gegenstand
Pfändung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts St. Gallen, obere kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung, vom
6. Oktober 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Das Betreibungsamt B.________ verfügte am 15. Juni 2009 eine
Einkommenspfändung über S.________, wobei mit Pfändungsurkunde Nr. xxxxx vom
27. Juli 2009 dessen Existenzminimum auf Fr. 3'382.-- festgesetzt wurde.
A.b Auf Beschwerde der Gläubigerin G.________ AG hin, setzte das Kreisgericht
B.________ als untere Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung mit Entscheid vom
14. September 2009 das Existenzminimum für die Zeit ab dem 1. Februar 2010 auf
Fr. 3'092.-- fest und wies im Übrigen die Beschwerde ab.
A.c Diesen Entscheid zog die G.________ AG an das Kantonsgericht St. Gallen als
obere kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung weiter. Mit Entscheid vom
6. Oktober 2009 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf
eintrat.

B.
Die G.________ AG (fortan: Beschwerdeführerin) ist mit Beschwerde in
Zivilsachen vom 17. Oktober 2009 an das Bundesgericht gelangt. Sie verlangt
sinngemäss in Gutheissung ihrer Beschwerde die Aufhebung des
kantonsgerichtlichen Urteils und die Neufestsetzung des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums bzw. der pfändbaren Quote von S.________ (fortan:
Beschwerdegegner). Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung. Es wurde kein weiterer
Schriftenwechsel angeordnet. Die Beschwerdeführerin hat gleichwohl eine
Replikschrift eingereicht, die dem Beschwerdegegner zur Kenntnis mitgeteilt
wurde. Der Beschwerdegegner hat seinerseits weitere Unterlagen eingereicht.

Erwägungen:

1.
Gegenstand des angefochtenen Beschwerdeentscheides ist die Festsetzung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums des Beschwerdegegners anlässlich der
verfügten Einkommenspfändung vom 15. Juni 2009.

1.1 Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der
Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 19 SchKG).
Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1
BGG). Beschwerdeentscheide der kantonalen Aufsichtsbehörden über Verfügungen
der Vollstreckungsorgane gemäss Art. 17 SchKG - wie hier die verfügte
Einkommenspfändung und das in diesem Zusammenhang festgesetzte Existenzminimum
- sind Endentscheide im Sinn von Art. 90 BGG (BGE 135 I 187 E. 1.2 S. 189; 133
III 350 E. 1.2 S. 351). Der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde ist
unabhängig von einer gesetzlichen Streitwertgrenze anfechtbar (Art. 74 Abs. 2
lit. c BGG). Die fristgerecht erhobene Beschwerde in Zivilsachen ist somit
zulässig (Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG).

1.2 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann unter anderem die Verletzung von
Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der
Begriffsbestimmung des Bundesgerichtsgesetzes auch das Verfassungsrecht gehört
(BGE 134 III 379 E. 1.2 Abs. 4 S. 382).

1.3 Die Beschwerdeschrift hat ein Rechtsbegehren zu enthalten (Art. 42 Abs. 1
BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist ein reformatorisches Rechtsmittel (Art.
107 Abs. 2 BGG). Daher darf sich die Beschwerdeführerin grundsätzlich nicht
darauf beschränken, die Aufhebung des angefochtenen Entscheides zu beantragen,
sondern muss einen Antrag in der Sache stellen (vgl. BGE 134 III 379 E. 1.3 S.
383). Vorliegend lautet der Antrag lediglich auf Aufhebung des angefochtenen
Urteils und Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. Damit wird die
anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführerin der reformatorischen Natur der
Beschwerde nicht gerecht. Aus der Begründung ihrer Beschwerde ergibt sich
immerhin, dass sie die Reduktion des beschwerdegegnerischen
betreibungsrechtlichen Existenzminimums um den gewährten Zuschlag zum
Grundbetrag von Fr. 200.-- für die Hundehaltungskosten verlangt bzw. eine
Erhöhung der pfändbaren Quote um diesen Betrag beantragt, weshalb auf Grund
praxisgemässer Auslegung (BGE 135 I 119 E. 4 S. 122; 134 V 208 E. 1 S. 210) das
Antragserfordernis als gewahrt betrachtet werden kann.

2.
Streitig ist im Rahmen der Berechnung des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums des Beschwerdegegners einzig der im kantonalen Verfahren
zugebilligte Zuschlag zum monatlichen Grundbetrag von Fr. 200.-- für die
Haltung des "Therapiehundes".

2.1 Das Kantonsgericht St. Gallen führt in seinem Entscheid vom 6. Oktober 2009
aus, die Vorinstanz habe mit Entscheid vom 14. September 2009 festgehalten,
dass der Zuschlag zum Grundbetrag von Fr. 200.-- für die - gemäss Arztzeugnis
attestierte - Haltung eines Hundes zu therapeutischen Zwecken in früheren
Entscheiden anerkannt und für den Unterhalt des Tieres unter Einschluss von
Futter, Steuern und Tierarztkosten ausgewiesen sei. Zwar vertrete die
Beschwerdeführerin die Ansicht, die Bewilligung des Therapiehundes sei
missbräuchlich erfolgt bzw. das Arztzeugnis stelle lediglich ein
Gefälligkeitszeugnis dar. Jedoch obliege es dem Kantonsgericht als
Aufsichtsbehörde nicht, den materiellen Inhalt eines ärztlichen Zeugnisses auf
dessen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Überdies lägen keine Anhaltspunkte für
ein Gefälligkeitszeugnis vor.

2.2 Die Beschwerdeführerin rügt sinngemäss eine Verletzung von Art. 93 Abs. 1
SchKG und macht insbesondere geltend, beim Hund des Beschwerdegegners handle es
sich nicht um einen Therapiehund. Vielmehr sei dieser Hund als Kampfhund zu
qualifizieren. Die krankheitsbedingte Erweiterung des beschwerdegegnerischen
Existenzminimums um zusätzliche Fr. 200.-- für die Haltung eines Hundes bzw.
für die Fütterung, Impfung, Verarztung sowie Bahn- und Taxikosten für die
Mitnahme des Hundes zum Arzt seien missbräuchlich. Diese Kosten seien im
vorliegenden Pfändungsverfahren nicht zu berücksichtigen.

3.
Erwerbseinkommen kann soweit gepfändet werden, als es nach dem Ermessen des
Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie nicht unbedingt
notwendig ist (Art. 93 Abs. 1 SchKG). Mit Beschwerde gemäss Art. 19 Abs. 1
SchKG kann gerügt werden, dass bei der Ausübung des im Gesetz eingeräumten
Ermessens sachfremde Kriterien berücksichtigt oder rechtserhebliche Umstände
ausser Acht gelassen worden sind (BGE 128 III 337 E. 3a mit Hinweisen).

3.1 Bei der Berechnung des Existenzminimums ist der tatsächliche, objektive
Notbedarf des Schuldners und seiner Familie, nicht etwa der standesgemässe oder
gar gewohnte Lebensaufwand zu berücksichtigen. Nur so ist es möglich, sowohl
den Interessen des Schuldners wie des Gläubigers Rechnung zu tragen (vgl. BGE
119 III 70 E. 3b S. 73; Georges Vonder Mühll, in: Kommentar zum Bundesgesetz
über Schuldbetreibung und Konkurs, 1998, N. 21 zu Art. 93 SchKG). Der
Grundsatz, dass der von einer Lohnpfändung betroffene Schuldner seine
Lebenshaltung einschränken und mit dem zugestandenen Existenzminimum auskommen
muss, gilt auch in Bezug auf die Freizeitgestaltung, ist doch nach der
Rechtsprechung anerkannt, dass zum Grundbetrag ein bescheidener Betrag für
kulturelle Bedürfnisse und für die Freizeitbetätigung gehört (BGE 128 III 337
E. 3c S. 338; 81 III 96 E. 3 S. 98; Urteil 5A_272/2008 vom 12. August 2008 E.
2.4, in: Praxis 2009 Nr. 22 S. 128 f.; vgl. auch Georges Vonder Mühll, a.a.O.,
N. 24 zu Art. 93 SchKG).

3.2 Die kantonalen Behörden sind vorliegend von einem monatlichen Grundbetrag
von Fr. 1'230.-- ausgegangen. Wie ausgeführt, sind in diesem Betrag die
durchschnittlichen Auslagen u.a. für Kulturelles bzw. Freizeit inbegriffen. Aus
den Sachverhaltsfeststellungen und den Verfahrensakten geht hervor, dass der
Beschwerdegegner zwar krank, jedoch nicht invalid im Sinn des Bundesgesetzes
vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) ist. Den
krankheitsbedingten Mehrkosten ist mit der Gewährung eines Zuschlags zum
Grundbetrag von Fr. 200.-- (für Arztbesuche bzw. Taxifahrten hiezu) Rechnung
getragen worden. Dieser Zuschlag ist vor Bundesgericht nicht mehr streitig.
Auch wurden dem Beschwerdegegner weitere Zuschläge für die
Krankenversicherungsprämie, die Franchise und den Selbstbehalt zugebilligt.
Weshalb zusätzlich zu diesem grosszügigen, jedoch im Ermessen der kantonalen
Behörden liegenden Zuschlag von Fr. 200.-- weitere Fr. 200.-- für die
Hundehaltungskosten hinzugerechnet werden sollten, ist nicht ersichtlich. Wie
die Beschwerdeführerin zu Recht bemerkt, handelt es sich bei dem vom
Beschwerdegegner verlangten Zuschlag für die Haltung und Pflege des
"Therapiehundes" um einen in der Existenzminimumsberechnung im Rahmen des
Grundbetrags bereits berücksichtigten Betrag. Denn allein die nicht näher
begründete Ansicht des Arztes Dr. med D.________ des Inselspitals Bern, wonach
ein Hund für die psychische Stabilität und die Aktivitäten des Patienten
indiziert sei, qualifiziert den Hund des Beschwerdegegners nicht als
Therapiehund und berechtigt noch nicht zu einem entsprechenden Zuschlag zum
monatlichen Grundbetrag. Zwar ist eine positive Auswirkung der Hundehaltung auf
das physische und psychische Wohlbefinden des Beschwerdegegners nicht
auszuschliessen, jedoch kann eine solche Wirkung auch bei anderen Schuldnern,
beispielsweise bei älteren alleinstehenden Personen beobachtet werden, ohne
dass bei diesen entsprechende Kosten im betreibungsrechtlichen Existenzminimum
zu berücksichtigen wären. Das Gesagte gilt auch in Bezug auf andere Auslagen
für die Freizeitgestaltung und das individuelle Wohlbefinden, insbesondere für
die Kosten für sportliche Aktivitäten (vgl. zum Ganzen BGE 128 III 337 E. 3c S.
338 mit Hinweisen). Festzuhalten ist schliesslich, dass der Beschwerdegegner
auch die Anforderungen für ein Hilfsmittel "Hund" gemäss Ziff. 11.02 des
Anhangs zur Verordnung vom 29. November 1976 über die Abgabe von Hilfsmitteln
durch die Invalidenversicherung (HVI; SR 831.232.51) nicht erfüllt. Der
krankheitsbedingte Zuschlag von Fr. 200.-- für die Hundehaltungskosten ist
somit zu streichen.

3.3 Von der kantonalen Berechnung des Existenzminimums ist somit die Position
Hundehaltungskosten von Fr. 200.-- abzuziehen. Damit beläuft sich das
Existenzminimum auf Fr. 3'182.-- (Grundbetrag: Fr. 1'230.--; krankheitsbedingte
Erweiterung: Fr. 200.--; Miete: Fr. 1'390.--; Krankenversicherung: Fr. 270.--;
Franchise/Selbstbehalt: Fr. 92.--) und ab 1. Februar 2010 auf Fr. 2'892.--
(Grundbetrag: Fr. 1'230.--; krankheitsbedingte Erweiterung: Fr. 200.--; Miete:
Fr. 1'100.--; Krankenversicherung: Fr. 270.--; Franchise/Selbstbehalt: Fr.
92.--). Demzufolge ist das monatliche Nettoeinkommen des Beschwerdegegners,
soweit es den Betrag von Fr. 3'182.-- bzw. ab 1. Februar 2010 den Betrag von
Fr. 2'892.-- übersteigt, zu pfänden.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt zusätzlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Sie habe im kantonalen Verfahren verschiedene Beweisanträge gestellt, die
kommentarlos übergangen worden seien.

Da bereits die Rüge der Verletzung von Art. 93 Abs. 1 SchKG begründet ist,
erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit diesem weiteren Vorbringen.

5.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und das Urteil des
Kantonsgerichts St. Gallen aufzuheben. Das Betreibungsamt B.________ ist
anzuweisen, die Pfändungsurkunde vom 27. Juli 2009 entsprechend zu korrigieren
und den Betroffenen zuzustellen.

6.
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdegegner kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG),
schuldet hingegen der anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführerin keine
Parteientschädigung (vgl. BGE 135 III 127 E. 4 S. 136).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen,
obere kantonale Aufsichtsbehörde für Schuld- betreibung, vom 6. Oktober 2009
aufgehoben.

2.
Das betreibungsrechtliche Existenzminimum wird auf monatlich Fr. 3'182.-- bzw.
ab 1. Februar 2010 auf Fr. 2'892.-- festgesetzt. Das Betreibungsamt B.________
wird angewiesen, die Pfändungsurkunde vom 27. Juli 2009 entsprechend zu
korrigieren und den Betroffenen zuzustellen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem verfahrensbeteiligten Amt und dem
Kantonsgericht St. Gallen, obere kantonale Aufsichtsbehörde für
Schuldbetreibung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. März 2010
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl von Roten