Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.627/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_627/2009

Urteil vom 4. Dezember 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter L. Meyer, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber Levante.

Parteien
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt,
Beschwerdeführerin,

gegen

Bank Y.________,
Beschwerdegegnerin,
Betreibungsamt Basel-Stadt,
verfahrensbeteiligtes Amt.

Gegenstand
Pfändung nach Feststellung neuen Vermögens,

Beschwerde gegen das Urteil der kantonalen Aufsichtsbehörde über das
Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt vom 19. Mai 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Im Konkurs über X.________ erhielt die Bank Y.________ einen Verlustschein
im Betrag von Fr. 197'715.65. Gestützt auf den Konkursverlustschein leitete die
Bank beim Betreibungsamt der Stadt-Basel die Betreibung ein, worauf X.________
Rechtsvorschlag erhob mit der Begründung, sie sei nicht zu neuem Vermögen
gekommen. Am 26. August 2008 stellte das Zivilgericht Basel-Stadt fest, dass
X.________ mit Bezug auf die Betreibung Nr. 1 vom 14. April 2008 im Umfang von
Fr. 13'400.-- zu neuem Vermögen gekommen ist, und verweigerte im gleichen
Umfang den Rechtsvorschlag in der erwähnten Betreibung; im diesen Betrag
übersteigenden Umfang wurde der Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens
bewilligt. Gestützt auf dieses Urteil (sowie nach Rückzug des ordentlichen
Rechtsvorschlages) verlangte die Bank die Fortsetzung der Betreibung im Umfang
von Fr. 13'400.--.
A.b Am 26. Februar 2009 vollzog das Betreibungsamt gegenüber X.________ in der
von der Bank eingeleiteten Betreibung die Pfändung. Dabei wurde das
Existenzminimum der Schuldnerin auf Fr. 4'553.-- festgesetzt und ihr darüber
liegendes Einkommen im Umfang von monatlich Fr. 3'140.-- gepfändet
(Pfändungsurkunde vom 7. April 2009).

B.
Gegen die Pfändung erhob X.________ Beschwerde und verlangte, die Lohnpfändung
sei auf monatlich Fr. 1'116.-- herabzusetzen, im Wesentlichen mit der
Begründung, die Pfändung des festgestellten neuen Vermögens von Fr. 13'400.--
sei anteilsmässig auf das Lohnpfändungsjahr zu verteilen. Die Aufsichtsbehörde
über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt wies die Beschwerde mit Urteil
vom 19. Mai 2009 ab.

C.
Mit Eingabe vom 21. September 2009 (Postaufgabe) hat X.________ Beschwerde in
Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht, das
Urteil der kantonalen Aufsichtsbehörde sei aufzuheben und die Lohnpfändung auf
monatlich Fr. 1'116.-- festzusetzen. Weiter ersucht sie um unentgeltliche
Rechtspflege.

Die kantonale Aufsichtsbehörde hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Bank
Y.________ (Beschwerdegegnerin) beantragt die Abweisung der Beschwerde

Erwägungen:

1.
1.1 Entscheide in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen unterliegen der
Beschwerde in Zivilsachen (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Beschwerdeentscheide der
kantonalen Aufsichtsbehörden über eine Verfügung eines Vollstreckungsorganes
gemäss Art. 17 SchKG - wie die Pfändung - stellen einen Endentscheid im Sinne
von Art. 90 BGG dar (BGE 133 III 350 E. 1.2 S. 351). Die Beschwerde in
Zivilsachen ist grundsätzlich zulässig.

1.2 Die (einzige) kantonale Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und
Konkursamt wird durch drei Präsidenten des Zivilgerichts, d.h. des unteren
Gerichts des Kantons Basel-Stadt gebildet (§ 5 EG SchKG/ BS; vgl. I. Teil des
GOG/BS). Dass das angefochtene Urteil nicht vom oberen kantonalen Gericht
ausgeht, ändert an der Zulässigkeit der Beschwerde in Zivilsachen nichts, da
die Frist zur Anpassung an die Anforderungen des BGG noch nicht abgelaufen ist
(Art. 75 Abs. 2, Art. 130 Abs. 2 BGG).

1.3 Die Beschwerdeführerin verlangt die Herabsetzung der pfändbaren Lohnquote
pro Monat. Die Beschwerdeführerin hat ein nach Art. 93 Abs. 1 SchKG geschütztes
Interesse und ist zur Beschwerde in Zivilsachen berechtigt (Art. 76 Abs. 1 lit.
b BGG).

1.4 In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der
angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Mit der Beschwerde kann
u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG).

2.
Die Aufsichtsbehörde hat im Wesentlichen erwogen, dass in der gestützt auf den
Konkursverlustschein eingeleiteten Betreibung, in welcher der Richter (gemäss
Art. 265a Abs. 3 SchKG) den Rechtsvorschlag teilweise nicht bewilligt und neues
Vermögen festgestellt hat, die Gläubigerin das Recht habe, im betreffenden
Umfang das Betreibungsverfahren weiterzuführen. Die nachfolgende
Einkommenspfändung habe das Betreibungsamt zu Recht nach den üblichen Regeln
vorgenommen, unabhängig davon, ob es sich um eine Konkursforderung handle oder
nicht. Das Vorgehen des Betreibungsamtes und das auf über Fr. 4'500.--
festgesetzte Existenzminimum nach Art. 93 Abs. 1 SchKG seien nicht zu
beanstanden.

Die Beschwerdeführerin hält demgegenüber fest, in der vorliegenden Betreibung
könne sie trotz Feststellung neuen Vermögens in der nachfolgenden Pfändung
nicht auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum gesetzt werden. Der
angefochtene Entscheid verletze Art. 265 SchKG, weil der in dieser Bestimmung
festgelegte Schutz des Konkursiten bzw. der Zweck der wirtschaftlichen Erholung
zunichte gemacht werde.

3.
Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die gegenüber der Beschwerdeführerin
vollzogene Pfändung in einer gestützt auf den Konkursverlustschein
eingeleiteten Betreibung, welche nach (teilweiser) Verweigerung des
Rechtsvorschlages und Feststellung neuen Vermögens fortgesetzt wurde.
Unbestritten ist, dass das Betreibungsamt dem Begehren um Fortsetzung der
Betreibung für Fr. 13'400.--, d.h. im Umfang, in dem der Richter neues Vermögen
der Beschwerdeführerin festgestellt hat, Folge zu leisten hatte. Einziger
Streitpunkt ist, welche rechtlichen Regeln für die nachfolgende Pfändung
massgebend sind bzw. ob das Betreibungsamt das pfändbare Einkommen der
Beschwerdeführerin einzig nach Art. 93 SchKG festzusetzen hat.

3.1 Die Beschwerdeführerin führt zu Recht aus, dass nach Beendigung des
Konkurses eine Forderung erst wieder geltend gemacht werden kann, wenn der
Schuldner zu neuem Vermögen gekommen ist (Art. 265 Abs. 2 SchKG). Mit dieser
Einschränkung der Geltendmachung der Konkursforderungen - welche das Gesetz
bereits vor der Teilrevision von 1994 vorsah - soll dem Schuldner die
Möglichkeit gegeben werden, sich wirtschaftlich und finanziell zu erholen (BGE
109 III 93 E. 1 S. 94; 133 III 620 E. 3.1 S. 622; 135 III 424 E. 2.1 S. 425;
vgl. FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht,
Bd. II, 1993, § 53 Rz 6 ff.). Es trifft daher zu, dass die Beschwerdeführerin
als ehemalige Konkursitin Anspruch auf eine standesgemässe Lebensführung hat,
welche es ihr erlaubt, eine neue Existenz aufzubauen (BGE 135 III 424 E. 2.1 S.
425). Die Beschwerdeführerin übergeht allerdings, dass als "neues Vermögen" im
Sinne von Art. 265 Abs. 2 SchKG der Überschuss der nach Schluss des Konkurses
erworbenen Aktiven über die neuen Passiven gilt, und darunter auch der zur
Führung eines standesgemässen Lebens übersteigende Arbeitserwerb fällt (BGE 135
III 424 E. 2.1 S. 425; FRITZSCHE/WALDER, a.a.O., § 53 Rz 16). Der
Erholungszweck wird bei der Ermittlung des Überschusses gewährleistet.
Vorliegend hat der Richter das Vorhandensein von neuem Vermögen der
Beschwerdeführerin verbindlich festgestellt.

3.2 Wenn der Richter den Rechtsvorschlag des Schuldners, wonach er nicht zu
neuem Vermögen gekommen sei, nicht bewilligt, wird der Umfang des neuen
Vermögens festgestellt (Art. 265a Abs. 3 SchKG) und der Gläubiger kann die
Betreibung entsprechend fortsetzen (vgl. BGE 79 Ia 113 E. 4 S. 116; GILLIÉRON,
Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite,
2001, N. 7 a.E. zu Art. 265a SchKG). Die gerichtliche Feststellung neuen
Vermögens beschränkt umfangmässig die Haftung des Schuldners im Rahmen der
hängigen Betreibung. Im Rahmen dieser Beschränkung der Betreibung hat der
Schuldner jedoch mit seinem ganzen Vermögen einzustehen. Deshalb hat das
Betreibungsamt die Pfändung nach Art. 92 ff. SchKG - wie nach Eingang eines
anderen Fortsetzungsbegehrens - vorzunehmen (JEANDIN, in: Commentaire romand,
Poursuite et faillite, 2005, N. 28 zu Art. 265 SchKG, N. 27 zu Art. 265a SchKG;
NÄF, in: Kurzkommentar SchKG, 2009, N. 7 zu Art. 265a SchKG; FRITZSCHE/WALDER,
a.a.O., § 53 Rz 16 a.E. und Fn 39; FÜRSTENBERGER, Einrede des mangelnden und
Feststellung neuen Vermögens nach revidiertem Schuldbetreibungs- und
Konkursgesetz, Basel 1999, S. 30 f., 93, 149, 156 f.).

3.3 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin stellt Art. 265 SchKG für
die nachfolgende Pfändung keine zusätzlichen Vorschriften, wie ein
"Existenzminimum zweiter Ordnung" auf (FÜRSTENBERGER, a.a.O., mit Hinw.),
sondern es handelt sich bei der Feststellung neuen Vermögens und der
nachfolgenden Pfändung um verschiedene Vorgänge (vgl. BGE 99 Ia 19 E. 3c S. 20;
JEANDIN, a.a.O., N. 28 zu Art. 265 SchKG). Daran hat das neue Recht
grundsätzlich nichts geändert. Durch die Einführung der wirtschaftlichen
Betrachtungsweise (Art. 265 Abs. 2 a.E. SchKG) und das neu geregelte Verfahren
zur Feststellung neuen Vermögens (vgl. Art. 265a SchKG) sollte vielmehr die
Position des Gläubigers gestärkt werden (vgl. BBl. 1991 III 157 ff.). Es
bestehen keine Anhaltspunkte, dass das neue Recht den Schuldner im Fall, dass
er zwar zu neuem Vermögen gekommen ist und die Betreibung nur in diesem
begrenzten Umfang fortgesetzt werden kann, in einer nachfolgenden Pfändung
zusätzlich schonen wollte. Die Prüfung der Pfändbarkeitsvoraussetzungen durch
das Betreibungsamt ist nur dort beschränkt, wo - anders als im konkreten Fall -
der Richter nach Art. 265a Abs. 3 zweiter Satz SchKG sogar Vermögenswerte
Dritter, über die der Schuldner wirtschaftlich verfügt, direkt als pfändbar
erklärt (GASSER, Nachlassverfahren, Insolvenzerklärung und Feststellung neuen
Vermögens, ZBJV 1996 S. 22 f.). Wenn die Vorinstanz demnach festgehalten hat,
die Pfändung in der Betreibung für eine Konkursverlustscheinforderung
unterscheide sich nach Verweigerung des Rechtsvorschlages betreffend fehlenden
neuen Vermögens nicht von der Pfändung für eine andere Forderung, und das
Betreibungsamt habe nur Art. 92 ff. SchKG zu beachten, stellt dies keine
Verletzung von Bundesrecht dar.

3.4 Die Beschwerdeführerin stellt die Wirksamkeit der gesetzlichen Regelung in
Frage. Obwohl sie sich wirtschaftlich erholt habe, könne die Beschwerdegegnerin
als Gläubigerin der Konkursforderung dennoch wieder - wenn auch umfangmässig
beschränkt - von neuem auf ihr Einkommen zugreifen und ihr nur das Notwendigste
belassen. Die Beschwerdeführerin übernimmt damit die Kritik der Lehre, welche
von einem unbefriedigenden Rechtszustand spricht, weil die blosse Einschränkung
der Geltendmachung der Konkursverlustscheinsforderungen keinen hinreichenden
Anreiz gebe, einen wirtschaftlichen Neuanfang anzustreben (MEIER, Die
dogmatische Situation des Vollstreckungsrechts aus der Sicht des
schweizerischen Rechts, in: Zeitschrift für Zivilprozess, Köln, 2008 S. 447
f.). Deshalb werden Vorschläge für die Regelung einer Restschuldbefreiung
gemacht (MEIER, a.a.O., S. 451 ff.) oder sei de lege ferenda zu überlegen, ob
im SchKG für die nachfolgende Pfändung nicht direkt eine spezielle
Existenzminimumsordnung zu Gunsten des Konkursiten aufgenommen werden könnte
(FÜRSTENBERGER, a.a.O., S. 31 f.). Diese Kritik und Vorschläge ändern nichts
daran, dass nach geltendem Recht der Gläubiger, dessen Forderung vor
Konkurseröffnung entstanden ist, in dem Umfang, in welchem der Richter neues
Vermögen festgestellt hat, in der nachfolgenden Pfändung gegen den Schuldner
wie ein Gläubiger zu behandeln ist, dessen Forderung erst nach der
Konkurseröffnung entstanden ist. In beiden Fällen kann der Schuldner gemäss
Art. 93 SchKG bis zum Existenzminimum gepfändet werden.

3.5 Nach dem Dargelegten hat die Aufsichtsbehörde mit dem angefochtenen
Entscheid weder Art. 265 f. noch Art. 93 Abs. 1 SchKG verletzt, wenn sie die
angefochtene Pfändung bestätigt hat. Die Beschwerde ist unbegründet.

4.
Aus diesen Gründen ist der Beschwerde kein Erfolg beschieden. Bei diesem
Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1
BGG). Eine Parteientschädigung an die Beschwerdegegnerin ist vorliegend nicht
gerechtfertigt (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Voraussetzungen zur Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege sind gegeben (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Rechtsanwalt Daniel Altermatt wird als unentgeltlicher Anwalt der
Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.--
ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Betreibungsamt Basel-Stadt und der
Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 4. Dezember 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Escher Levante