Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.578/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_578/2009

Urteil vom 12. Oktober 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter L. Meyer, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber von Roten.

Parteien
F.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch die Rechtsanwälte Dominique Erhart und Dr. Oscar Olano,

gegen

1. X.________,
2. Y.________,
Beschwerdegegnerinnen,
beide vertreten durch Advokat Dr. Reto Krummenacher,

Gegenstand
Ausschlagung einer Erbschaft,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Einzelrichter
in Zivilsachen, vom 14. Mai 2009.

Sachverhalt:

A.
E.________, Jahrgang xxxx, war Bürger von G.________ (Kanton Graubünden) und
hatte seinen Wohnsitz in B.________ (Kanton Basel-Landschaft), bevor er nach
Italien auswanderte. Am 7. Oktober 2008 starb E.________ (fortan: Erblasser)
mit letztem Wohnsitz in I.________ (Italien).

B.
X.________ war die Ehefrau des Erblassers und erklärte mit Schreiben vom 18./
22. Dezember 2008 an den Kreispräsidenten H.________ und an das Erbschaftsamt
K.________ die Ausschlagung der Erbschaft. Eine gleich lautende Erklärung
richtete die Mutter des Erblassers, Y.________, am 29./30. Dezember 2008 an den
Kreispräsidenten H.________. Wegen örtlicher Unzuständigkeit wies der
Kreispräsident die Ausschlagungserklärungen zurück (Entscheid vom 6. März
2009). X.________ und Y.________ legten dagegen Rekurs ein. Das Kantonsgericht
von Graubünden hiess die Rekurse gut, hob den angefochtenen Entscheid auf und
wies die Sache im Sinne der Erwägungen an den Kreispräsidenten zurück. Gemäss
E. 6 S. 15 wurde der Kreispräsident angewiesen, die Erbausschlagungen mit dem
Datum vom 18./22. Dezember 2008 (X.________) bzw. vom 29./30. Dezember 2008
(Y.________) zu protokollieren und entsprechende Bestätigungen auszustellen
(Urteil vom 14. Mai 2009).

C.
Die F.________ AG ist von Gläubigern des Erblassers beauftragt, deren
Forderungen insbesondere gegenüber dem Nachlass und gegenüber allen
gesetzlichen und testamentarischen Erben, namentlich gegenüber der Witwe des
Erblassers geltend zu machen. Die F.________ AG (hiernach: Beschwerdeführerin)
hat in Italien die Sicherstellung von Vermögenswerten bis zum Betrag von 15.3
Mio. ? erwirkt und wehrt sich in der Schweiz gegen die behördliche
Entgegennahme der Ausschlagungserklärungen von X.________ und Y.________ (im
Folgenden: Beschwerdegegnerinnen). Dem Bundesgericht beantragt sie zur
Hauptsache, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 14. Mai 2009
aufzuheben und die internationale Zuständigkeit des Kreispräsidenten H.________
zu verneinen. Es sind die kantonsgerichtlichen Akten, hingegen keine
Vernehmlassungen eingeholt worden.

D.
Ihrer Beschwerde vom 4. September 2009 hat die Beschwerdeführerin ein Gesuch um
vorsorgliche Massnahmen nachgereicht, das beim Bundesgericht per Fax am
Freitag, den 9. Oktober 2009 um ca. 15.30 Uhr, und per Express am Montag, den
12. Oktober 2009, eingetroffen ist. Sie teilt darin mit, dass gemäss
Veröffentlichung im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) Nr. xxx vom xxxx
2009 über den Schuldner "E.________, ausgeschlagene Hinterlassenschaft" der
Konkurs am xxxx 2009 eröffnet und am xxxx 2009 eingestellt wurde und dass den
Gläubigern eine Frist bis zum xxxx 2009 läuft, um die Durchführung des
Konkurses zu verlangen und für die Deckung der Kosten einen Vorschuss von Fr.
4'000.-- zu leisten. Die Beschwerdeführerin ersucht das Bundesgericht, das
Konkursamt des Bezirks P.________ anzuweisen, die genannte Frist bis mindestens
vierzehn Tage nach Zustellung des bundesgerichtlichen Entscheids über die
Beschwerde zu sistieren. Es sind keine Vernehmlassungen zum Gesuch eingeholt
worden.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein blosser Rückweisungsentscheid, der aber als Endentscheid
gilt, zumal dem Kreispräsidenten, an den die Sache zurückgewiesen wurde,
keinerlei Beurteilungsspielraum verbleibt und nur mehr der Vollzug der
kantonsgerichtlichen Anweisungen obliegt (Art. 90 BGG; vgl. BGE 135 V 141 E.
1.1 S. 143). Das angefochtene Urteil ist kantonal letztinstanzlich (Art. 75
Abs. 1 BGG). Es betrifft die Protokollierung der Ausschlagungserklärung als Akt
der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Art. 570 ZGB; vgl. BGE 114 II 220 E. 1 S.
222) und damit eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 2 lit. b BGG). Mit ihren Begehren
verfolgt die Beschwerdeführerin letztlich und überwiegend einen
wirtschaftlichen Zweck (vgl. E. 2.1 hiernach), so dass von einer
vermögensrechtlichen Angelegenheit auszugehen ist (vgl. BGE 118 II 528 E. 2c S.
531), deren Streitwert das Kantonsgericht mit mindestens Fr. 30'000.-- und die
Beschwerdeführerin mit über 15 Mio. Fr. angeben (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
Von daher gesehen kann auf die Beschwerde eingetreten werden.

2.
Gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Zivilsachen berechtigt, wer vor
der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b).

2.1 Die Beschwerdeführerin hat keine Möglichkeit erhalten, am kantonalen
Verfahren teilzunehmen. Sie macht geltend, als Beauftragte mehrerer Gläubiger
des Erblassers habe sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung
des angefochtenen Entscheids, damit sichergestellt sei, dass die Vermögenswerte
im Nachlass des Erblassers weiterhin und uneingeschränkt für die Schulden des
Erblassers hafteten und dieses Substrat nicht - wie bereits geschehen - durch
die Beschwerdegegnerinnen der Haftung entzogen würde. Es solle verhindert
werden, dass die Beschwerdegegnerinnen einerseits die Ausschlagung erklärten
und andererseits die Vermögenswerte, die auf einen Erwerb vom Erblasser
zurückgingen, der Haftung gegenüber den Gläubigern des Erblassers entzogen
würden (S. 17 f. Ziff. 29-30 der Beschwerdeschrift).

2.2 Das angefochtene Urteil weist den Kreispräsidenten an, gemäss Art. 570 Abs.
3 ZGB "über die Ausschlagungen ein Protokoll zu führen", d.h. die Erklärungen
der Beschwerdegegnerinnen, die Erbschaft auszuschlagen, mit dem jeweiligen
Datum zu protokollieren. Das Protokoll im Sinne von Art. 570 Abs. 3 ZGB schafft
lediglich den Beweis für die Abgabe und den Zeitpunkt der
Ausschlagungserklärung und hat keinerlei Rechtskraftwirkung zwischen den
(ausschlagenden) Erben und den Gläubigern des Erblassers. Selbst wenn eine
Ausschlagungserklärung zurückgewiesen wird, bleibt es dem betroffenen Erben mit
anderen Worten unbenommen, sich auf die erklärte Ausschlagung zu berufen,
sollte er für Erbschaftsschulden belangt werden, und ungeachtet der
Protokollierung der Ausschlagungserklärung steht den Gläubigern des Erblassers
die Möglichkeit offen, gegen einen Erben vorzugehen, der die Ausschlagung
erklärt hat (für einen Anwendungsfall: BGE 133 III 1; vgl. zum Ganzen: ESCHER/
ESCHER, Zürcher Kommentar, 1960, N. 16, TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, 1964,
N. 5, und SCHWANDER, Basler Kommentar, 2007, N. 14, je zu Art. 570 ZGB;
PITTELOUD-NGUYEN, La répudiation d'une succession, Diss. Fribourg 2008, S. 39,
mit weiteren Hinweisen).

2.3 Dass die Beschwerdegegnerinnen ihre Ausschlagungserklärungen im
festgestellten Zeitpunkt abgegeben haben, bestreitet die Beschwerdeführerin
nicht. Sie wendet sich ausschliesslich gegen die Protokollierung durch
schweizerische Behörden (S. 29 ff. Ziff. 39-52 der Beschwerdeschrift). Da der
Protokollierung indessen keine weitergehenden Rechtskraftwirkungen im
Verhältnis zwischen den Beschwerdeparteien zukommt, besteht an der Beurteilung
der Frage nach der Zuständigkeit für die Protokollierung kein schutzwürdiges
Interesse (vgl. BGE 131 I 153 E. 1.2 S. 157; 131 II 649 E. 3.1 S. 651). Denn
die Verneinung der Zuständigkeit könnte den von der Beschwerdeführerin
angegebenen Zweck (E. 2.1 soeben) nicht erreichen, d.h. nicht verhindern, dass
die Vermögenswerte, die auf einen Erwerb vom Erblasser zurückgehen, der Haftung
gegenüber den Gläubigern des Erblassers entzogen werden. Hierfür sind andere
gesetzliche Rechtsbehelfe zu ergreifen, wie sie sich für das schweizerische
Recht z.B. in Art. 579 ZGB finden. Welches rechtlich geschützte Interesse ihr
zustehen könnte, vermag die Beschwerdeführerin mit ihren Vorbringen insgesamt
nicht darzutun (vgl. zur Begründungspflicht betreffend Beschwerdeberechtigung:
BGE 135 III 46 E. 4 S. 47 f.).

2.4 Gegen die Verneinung der Beschwerdeberechtigung im vorliegenden Fall kann
nicht eingewendet werden, die Gläubiger seien berechtigt, gegen die behördliche
Einräumung einer weiteren Frist zur Ausschlagung Beschwerde zu führen (vgl.
ESCHER/ESCHER, a.a.O., N. 2 zu Art. 576 ZGB). Das Bundesgericht hat die
Beschwerdeberechtigung der Erbschaftsgläubiger und damit das rechtlich
geschützte Interesse nach Art. 88 des Bundesrechtspflegegesetzes von 1943 (BS 3
531) bejaht, weil in der Beurteilung der wichtigen Gründe, die gemäss Art. 576
ZGB die Verlängerung oder die Einräumung einer neuen Ausschlagungsfrist
gestatten, insbesondere auch die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen
sind (vgl. Urteil 5P.183/1989 vom 6. Oktober 1989 E. 1c). Im Unterschied dazu
hat die Behörde gemäss Art. 570 ZGB lediglich die Aufgabe, die
Ausschlagungserklärungen zu protokollieren, deren Gültigkeit aber nicht zu
prüfen, geschweige denn die Interessen der Gläubiger gegen diejenigen der Erben
abzuwägen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 12. Februar 1975 E. 3, in: SJ 98/
1976 S. 33 ff.). Beurkundet wird - wie erwähnt (E. 2.2 soeben) - die Tatsache
ihrer Abgabe und nicht die Wirksamkeit der Ausschlagungserklärung, so dass
Gläubiger an einer Anfechtung der Protokollierung allenfalls ein tatsächliches,
hingegen kein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 76 Abs. 1 lit.
b BGG haben.

2.5 Aus den dargelegten Gründen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Bei
diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, auf welcher Grundlage die
Beschwerdeführerin in ihrem eigenen Namen als Partei vor Bundesgericht auftritt
und Rechte einer unbestimmten Anzahl nicht namentlich aufgezählter Gläubiger
des Erblassers wahrnimmt. Anhand der kantonsgerichtlichen Akten und der
Beschwerdebeilagen lässt sich die Frage nicht abschliessend beantworten. Soweit
die Beschwerdeführerin eine Übertragung der Vertretungsbefugnis durch Beschluss
einer Gläubigergemeinschaft behauptet (S. 19 f. Ziff. 29 der
Beschwerdeschrift), muss mit Blick auf allfällige weitere Verfahren darauf
hingewiesen werden, dass eine gewillkürte Prozessstandschaft, d.h. eine
rechtsgeschäftlich eingeräumte Befugnis, einen Prozess in eigenem Namen als
Partei anstelle des materiell Berechtigten zu führen, nach schweizerischem
Verfahrensrecht grundsätzlich unzulässig ist (vgl. BGE 78 II 265 E. 3a S. 274/
275; statt vieler: HOHL, Procédure civile, T. I: Introduction et théorie
générale, Bern 2001, N. 456-458 S. 101).

3.
Mit dem bundesgerichtlichen Entscheid (Art. 61 BGG) ist das Interesse der
Beschwerdeführerin an der Beurteilung des kurz zuvor eingereichten Gesuchs um
Erlass einer vorsorglichen Massnahme weggefallen. Denn die verlangte Massnahme
wäre ohnehin nur bis zum Entscheid über die Beschwerde aufrecht erhalten
geblieben und mit Blick auf deren offensichtliche Unzulässigkeit im Übrigen
auch nicht angeordnet worden (Art. 103 f. BGG; vgl. BIRCHMEIER,
Bundesrechtspflege, Zürich 1950, S. 404 Ziff. 2c und 4b). Da der
bundesgerichtliche Nichteintretensentscheid den Parteien sofort im Dispositiv
(vorab per Fax) mitgeteilt wurde, bleibt der Beschwerdeführerin ausreichend
Zeit, innert angesetzter Frist sämtliche Vorkehren im Konkurs der
ausgeschlagenen Hinterlassenschaft zu treffen. Eine gesonderte Entscheidung zum
Massnahmengesuch erübrigt sich.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen, da in der Sache
keine Vernehmlassungen eingeholt wurden (vgl. Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 10'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden,
Einzelrichter in Zivilsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Oktober 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl von Roten