Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.525/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_525/2009

Urteil vom 18. September 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Vormundschaftsrat des Kantons A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fürsorgerische Freiheitsentziehung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Appel-
lationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 10. Juni
2009.

Sachverhalt:

A.
A.a Die 1984 geborene Z.________ leidet an einer mentalen Retardierung. Sie
wurde am 7. Oktober 2004 unter eine kombinierte Vertretungs- und
Verwaltungsbeistandschaft gestellt.
A.b Z.________ wuchs in der elterlichen Wohnung zurückgezogen und sozial
isoliert auf. Da sie an Unterernährung und Vitamin D-Mangel litt,
Verhaltensauffälligkeiten zeigte und mangelhaft gepflegt war, entzog ihr der
Vormundschaftsrat auf Antrag der Vormundschaftsbehörde fürsorgerisch die
Freiheit und ordnete ihre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik zwecks
psychiatrischer Behandlung und insbesondere Anordnung eines psychiatrischen
Gutachtens an. Das von Dr. S.________, Arzt an den Universitären
Psychiatrischen Untersuchungskliniken A.________, erstellte Gutachten liegt
seit dem 23. September 2008 vor; es diagnostiziert bei Z.________ unter anderem
eine leichte Intelligenzminderung mit emotionaler und sozialer Unreife (ICD-10
F70) und schlägt eine zeitlich begrenzte Unterbringung in einem heilpädagogisch
geführten Heim vor.

B.
Mit Entscheid vom 10. Dezember 2008 ordnete der Vormundschaftsrat auf Antrag
der Vormundschaftsbehörde die Einweisung von Z.________ in das Wohnheim
B.________ an. Gegen diesen Entscheid rekurrierte die Mutter der Betroffenen,
X.________, an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als
Verwaltungsgericht (nachfolgend: Verwaltungsgericht). Der Präsident der
angerufenen Instanz hörte Z.________ am 3. Juni 2009 im Heim in C.________ an.
An seiner Sitzung vom 10. Juni 2009 befragte das Verwaltungsgericht die Eltern
der Eingewiesenen. Ferner hörte es die Vertreterin der Vormundschaftsbehörde
und die Rechtsvertreterin der Eingewiesenen sowie den Sachverständigen, Dr.
S.________, an. In seinem Urteil vom gleichen Tag wies das Verwaltungsgericht
den Rekurs der Mutter ab.

C.
Die Mutter der Eingewiesenen gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen vom 6.
August 2009 an das Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung und die Unterbringung im Wohnheim
B.________ sowie die Prüfung einer Platzierung in einem räumlich und thematisch
geeigneten Wohnheim. Es ist sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid (Art. 75 Abs. 1
BGG) betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung, gegen den die Beschwerde in
Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die fristgerecht
(Art. 100 Abs. 1 BGG) erhobene Beschwerde ist damit grundsätzlich gegeben.

1.2 Artikel 397d Abs. 1 ZGB verleiht jemandem, der einer von der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffenen Person nahesteht, das Recht,
die fürsorgerische Freiheitsentziehung gerichtlich überprüfen zu lassen. Ob
sich aus dieser Bestimmung das erforderliche rechtlich geschützte Interesse der
Beschwerdeführerin (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG) an der Aufhebung oder Abänderung
des angefochtenen Entscheids ableiten lässt, kann hier offen gelassen werden,
zumal der Beschwerde in der Sache ohnehin kein Erfolg beschieden sein kann.

2.
Nachdem die Tochter der Beschwerdeführerin mit Entscheid vom 21. Mai 2008
zwecks Begutachtung in die Universitären Psychiatrischen Kliniken A.________
eingewiesen worden war und das erstellte Gutachten vom 23. September 2008 die
Überweisung der Tochter in ein heilpädagogisch geführtes Heim vorgeschlagen
hatte, wurde am 10. Dezember 2008 die entsprechende Überweisung angeordnet. Das
Verwaltungsgericht hat im Rahmen des Rekurses der Beschwerdeführerin gegen
diesen Entscheid auch die Voraussetzungen der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung überprüft. Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der
Beschwerde in Zivilsachen gegen die angeordnete fürsorgerische
Freiheitsentziehung als solche und die Wahl der Anstalt, die sie als ungeeignet
erachtet, zumal sie wegen ihres angeschlagenen Gesundheitszustands nicht in der
Lage sei, ihre Tochter im weit entfernten Heim zu besuchen.

2.1 Eine mündige oder entmündigte Person darf wegen Geisteskrankheit,
Geistesschwäche, Trunksucht, anderen Suchterkrankungen oder schwerer
Verwahrlosung in einer geeigneten Anstalt untergebracht oder zurückbehalten
werden, wenn ihr die nötige persönliche Fürsorge nicht anders erwiesen werden
kann (Art. 397a Abs. 1 ZGB). Die Zurückbehaltung in einer Anstalt kann nur
unter den in Art. 397a Abs. 1 ZGB aufgeführten Voraussetzungen erfolgen. Wie
bei der Einweisung in eine Anstalt ist somit auch bei der Zurückbehaltung des
oder der Betroffenen als der anderen Form des Freiheitsentzuges das Prinzip der
Verhältnismässigkeit zu berücksichtigen; vorausgesetzt ist mit anderen Worten,
dass der oder die Betroffene infolge der im Gesetz umschriebenen
Schwächezustände persönlicher Fürsorge bedarf, die ihm bzw. ihr nur in einer
Anstalt gewährt werden kann (BGE 114 II 213 E. 5). Zu berücksichtigen ist
ferner die Belastung, welche die Person für ihre Umgebung bedeutet (Art. 397a
Abs. 2 ZGB). Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 397a Abs. 3 ZGB muss
denn auch die von der fürsorgerischen Freiheitsentziehung betroffene Person
entlassen werden, sobald ihr Zustand es erlaubt (BGE 134 III 289 E. 4).

2.2 Die Tochter der Beschwerdeführerin wuchs in der elterlichen Wohnung
zurückgezogen und sozial isoliert auf. Sie litt laut den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts an Unterernährung und Vitamin D-Mangel, zeigte
Verhaltensauffälligkeiten und war mangelhaft gepflegt, weshalb der
Vormundschaftsrat auf Antrag der Vormundschaftsbehörde die fürsorgerische
Freiheitsentziehung von Z.________ und die Unterbringung in einer
psychiatrischen Klinik zwecks psychiatrischer Behandlung und insbesondere
Anordnung eines psychiatrischen Gutachtens anordnete. Nach dem von der ersten
Instanz eingeholten und auch vom Obergericht berücksichtigten Gutachten von Dr.
S.________ vom 23. September 2008 besteht bei der Tochter der
Beschwerdeführerin unter anderem eine leichte Intelligenzminderung mit
emotionaler und sozialer Unreife (ICD-10 F70), welche vor allem kongenital
bedingt, aber durch ein ungünstiges familiäres Milieu akzentuiert ist. Aufgrund
erheblicher kognitiv-mnestischer Einschränkungen könne die Patientin, so der
Gutachter, zwar beschränkt ausgebildet werden; sie sei aber nicht arbeitsfähig,
weshalb keine Möglichkeit beruflicher Eingliederung bestehe. Der Gutachter
bejaht indes eine begrenzte soziale Eingliederungsfähigkeit, wenn auch die
Patientin innerhalb einer Gruppe gesunder Gleichalteriger angesichts ihrer
offensichtlichen Verhaltensauffälligkeiten und kognitiv-mnestischen Defizite
kaum nachhaltigen freundschaftlichen Kontakt finden dürfte. Als realistisch zu
bezeichnen sei dagegen, dass sie ihre sozialen Fähigkeiten innerhalb einer
angepassten Peergroup ausbaue und positive Beziehungserfahrungen sammle. Der
Gutachter schlägt eine zeitlich begrenzte Unterbringung in einem
heilpädagogisch geführten Heim vor. Die Unterbringung soll ein soziales
Nachreifen ermöglichen, da die Eingewiesene bislang keine Gelegenheit gehabt
habe, altersgemässe Bindungen zu knüpfen und sich in sozial adäquatem Handeln
zu üben. Der Sachverständige erachtet eine zeitlich begrenzte Kontaktsperre zu
den Eltern als notwendig (Schreiben vom 30. Oktober 2008). Die Platzierung soll
aufgrund der räumlichen Distanz den Abnabelungsprozess der Tochter vom
Elternhaus begünstigen, wobei Kontakte zu ihrer Mutter erst nach Einleben und
wenn nötig in Begleitung einer zuständigen Bezugsperson der Institution
erfolgen sollen. Anlässlich der Verhandlung des Verwaltungsgerichts betonte der
Sachverständige überdies, die Tochter der Beschwerdeführerin weise einen sehr
grossen Entwicklungsrückstand auf und das Umfeld zu Hause sei ihr abträglich.
Nach den weiteren Ausführungen bedarf die Tochter der Beschwerdeführerin nach
wie vor intensiver Betreuung. Das Verwaltungsgericht weist sodann darauf hin,
dass die Beschwerdeführerin mit der Versorgung ihrer Tochter überfordert ist,
und erwähnt in diesem Zusammenhang namentlich den Umstand, dass die Tochter,
seit ihrem Aufenthalt in der Klinik mehr Nahrung zu sich genommen habe als zu
Hause.

2.3 Aufgrund der geschilderten tatsächlichen Gegebenheiten ergibt sich, dass
die Tochter der Beschwerdeführerin an einem Schwächezustand im Sinn von Art.
397a Abs. 1 ZGB leidet. Sie ist aufgrund ihres Intelligenzgrades nicht in der
Lage, einer Arbeit nachzugehen oder auch nur auf sich allein gestellt in einer
eigenen Wohnung zu leben. Sie bedarf der Fürsorge, die ihr angesichts der
geschilderten familiären Verhältnisse zurzeit wenigstens nicht durch das
Elternhaus gewährt werden kann. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang
insbesondere auf die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die
Beschwerdeführerin mit der Betreuung ihrer Tochter überfordert ist, was bei der
Frage, ob eine fürsorgerische Freiheitsentziehung anzuordnen ist, besonders
berücksichtigt werden muss (Art. 397a Abs. 2 ZGB). Aufgrund der tatsächlichen
Feststellungen ist das Verwaltungsgericht somit zu Recht davon ausgegangen, die
erforderliche Fürsorge könne der Tochter der Beschwerdeführerin nur in einer
Anstalt gewährt werden. Das gewählte Heim B.________ in C.________ entspricht
dem Betreuungsbedürfnis der Tochter der Beschwerdeführerin und fördert mit
seiner räumlichen Distanz insbesondere auch den Abnabelungsprozess vom
Elternhaus sowie eine soziale Integration der Tochter im realisierbaren Rahmen.
Der Entscheid des Verwaltungsgerichts, die fürsorgerische Freiheitsentziehung
aufrecht zu erhalten und die Tochter in das Wohnheim B.________ überführen zu
lassen, verstösst daher nicht gegen Bundesrecht.

2.4 Die Beschwerdeführerin beschränkt sich in ihrer Eingabe im Wesentlichen,
die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides zu bestreiten
und ihnen ihre eigenen Tatsachenbehauptungen entgegenzuhalten. Auf diese
appellatorische Kritik ist nicht einzutreten. Soweit sie sich gegen die Wahl
des Heimes richtet, zeigt sie nicht auf, inwiefern dieses das
Betreuungsbedürfnis ihrer Tochter nicht abdecken könnte, und das angefochtene
Urteil daher zu Unrecht von einer geeigneten Anstalt ausgegangen ist. Sie hält
das gewählte Heim vielmehr deshalb als ungeeignet, da sie ihre Tochter
angeblich nicht besuchen kann. Diesbezüglich wird auf E. 3 hiernach verwiesen.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin ersucht in der Beschwerde das Bundesgericht
"wenigstens im Sinn des Rechts auf Familie zu bewirken", dass ihre Tochter in
ein in der Nähe ihres Wohnortes gelegenes Heim umplatziert werde, damit sie die
Tochter wenigstens ab und zu besuchen könne. Sie verweist in diesem
Zusammenhang auf ihre angeschlagene psychische und physische Gesundheit, welche
tatsächlichen Umstände sie mit einem ins Recht gelegten Arztzeugnis vom 6.
August 2009 belegen will. Mit ihren Vorbringen rügt die Beschwerdeführerin
sinngemäss, mit der Wahl der weit vom Wohnort entfernten Anstalt habe das
Verwaltungsgericht ihren Anspruch auf Achtung des Familienlebens verletzt.
3.2
3.2.1 Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens ergibt sich einerseits aus
Art. 8 Ziff. 1 EMRK, wird anderseits aber auch durch Art. 13 Abs. 1 BV
gewährleistet. Die Beschwerdeführerin hat bis zur Anordnung der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung mit ihrer Tochter zusammen in der Familienwohnung in
A.________ gelebt, sodass im vorliegenden Fall von einer Familie im Sinn von
Art. 8 Ziff. 1 bzw. 13 Abs. 1 BV ausgegangen werden kann. Artikel 13 Abs. 1 BV
und Art. 8 Ziff. 1 EMRK umfassen auch den Anspruch auf Achtung des
Familienlebens in Sonderstatusverhältnissen, an deren jeweils unterschiedlichen
Zielen und Zwecken insbesondere die Verhältnismässigkeit eines Eingriffs zu
prüfen ist (vgl. dazu: STEFAN BREITENMOSER, in Die schweizerische
Bundesverfassung, Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 28 zu Art. 13 EMRK). So hatte
die Europäische Kommission für Menschenrechte namentlich zu beurteilen, ob eine
Unterbringung eines Häftlings in einer 3000 Meilen weit vom Familienwohnort
entfernten Haftanstalt mit Art. 8 Ziff. 1 EMRK zu vereinbaren ist (vgl. Urteil
EKMR i.S. X gegen Grossbritannien vom 10. Juli 1974, in: CD 46/1974 S. 112).
3.2.2 Ob durch die Anordnung einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung und der
damit verbundenen Unterbringung in einer Anstalt ein Sonderstatusverhältnis
geschaffen wird, in dessen Rahmen eine allfällige Verletzung des Anspruchs auf
Familienleben zu prüfen ist, kann hier offenbleiben: Die Beschwerdeführerin
begründet eine behauptete Verletzung ihres Anspruchs nicht ausschliesslich mit
der sehr grossen räumlichen Distanz zwischen Familienwohnort und dem Ort der
Unterbringung, sondern macht vielmehr geltend, ihre gesundheitliche Verfassung
verunmögliche eine lange Reise und damit jeglichen Besuch der Tochter. Die
Beschwerdeführerin hat ihren angeschlagenen Gesundheitszustand indes im
Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zur Sprache gebracht.
Erstmals vor Bundesgericht vorgetragen ist dieses tatsächliche Vorbringen neu
und unzulässig (Art. 99 BGG). Insoweit ist auf die Beschwerde nicht
einzutreten.

4.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Den
Umständen entsprechend wird von der Erhebung von Gerichtskosten abgesehen (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt als Verwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. September 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Zbinden