Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.524/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_524/2009

Urteil vom 2. September 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter L. Meier, von Werdt,
Gerichtsschreiber Zbinden.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Burges,

gegen

Psychiatrische Klinik Y.________, Aerztliche Leitung.

Gegenstand
Zwangsmedikation (fürsorgerische Freiheitsentziehung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 3. August 2009.

Sachverhalt:

A.
X.________, geboren 1962, leidet an einer chronisch-paranoiden Schizophrenie
(F20.0) und war deswegen erstmals in der Zeit vom 18. November bis 20. Dezember
2006 auf freiwilliger Basis in der Psychiatrischen Privatklinik Sanatorium
Y.________ untergebracht. Ein weiterer (freiwilliger) Aufenthalt im Sanatorium
erfolgte krisenbedingt vom 20. Februar bis 22. Februar 2007. Am 12. Juni 2009
wurde X.________ fürsorgerisch die Freiheit entzogen und gestützt darauf die
Einweisung in die vorgenannte Privatklinik verfügt. Die Einweisung ist
rechtskräftig.

B.
Mit Verfügung vom 26. Juni 2009, mitgeteilt am 30. Juni 2009, ordnete die
ärztliche Leitung der Psychiatrischen Privatklinik Sanatorium Y.________ die
zwangsweise Behandlung von X.________ mit Clozapin (antipsychotisch wirkendes
Neuroleptikum) mit einer Zieldosis von 300-600 mg/Tag bzw. mit Olanzapin mit
einer Dosierung von 10-20 mg/Tag an, worauf X.________ am 9. Juli 2009 den
Einzelrichter betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung am Bezirksgericht
Z.________ darum ersuchte, die Verfügung vom 26. Juni 2009 aufzuheben. Mit
Urteil vom 14. Juli 2009 wies der Einzelrichter das Gesuch ab. Die gegen dieses
Urteil am 15. Juli 2009 eingereichte Berufung blieb erfolglos (Beschluss vom 3.
August 2009).

C.
X.________ gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen vom 12. August 2009 an das
Bundesgericht mit dem Begehren, es sei der Beschluss des Obergerichts vom 3.
August 2009 aufzuheben und es sei zu verbieten, ihm zwangsweise Medikamente zu
verabreichen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht der Beschwerdeführer
um unentgeltliche Rechtspflege. Die ärztliche Leitung der Klinik hat sich am
17. August 2009 vernehmen lassen, ohne einen Antrag zu stellen. Das Obergericht
hat auf Vernehmlassung verzichtet.

D.
Der Beschwerde ist mit Verfügung vom 24. August 2009 aufschiebende Wirkung
zuerkannt worden.

E.
Der Beschwerdeführer hat am 23. August 2009 seine Beschwerde ergänzt. Der
Anwalt des Beschwerdeführers hat am 25. August 2009 repliziert.

Erwägungen:

1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzliches (Art. 75 Abs. 1 BGG) Urteil
betreffend Anordnung einer Zwangsmassnahme im Zusammenhang mit einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung, die mit Beschwerde in Zivilsachen dem
Bundesgericht unterbreitet werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG;
Urteil 5A_396/2007 vom 23. Juli 2007 E. 1.1).

1.2 Der angefochtene Beschluss ist dem Vertreter des Beschwerdeführers am 4.
August 2009, mithin während der Gerichtsferien zugestellt worden (Art. 46 Abs.
1 lit. b BGG). Die Beschwerdefrist begann demnach am 16. August 2009 zu laufen
(5A_634/2008 vom 9. Februar 2009 E. 1 nicht publ. in BGE 135 III 324), womit
die Beschwerdeergänzung vom 23. August 2009 als rechtzeitig erfolgt zu den
Akten zu nehmen ist. Darauf ist soweit erforderlich zurückzukommen.

2.
2.1 Das Obergericht führt zu den für die Behandlung vorgesehenen Medikamenten
aus, die erste Instanz erwäge zutreffend, dass die zwangsweise medikamentöse
Behandlung einer Verhältnismässigkeitsprüfung bedürfe. Die Gutachterin führe
aus, die Behandlung der schizophrenen Erkrankung mit Clozapin in ansteigender
Dosis sei grundsätzlich geeignet, zeige aber etwas mehr Nebenwirkungen als das
vom Beschwerdeführer früher freiwillig eingenommene Leponex. Die Vorinstanz
hält im Weiteren dafür, die Zwangsmedikation müsse mit dem vorgeschlagenen
Medikament durchgeführt werden, da es keine grosse Auswahl an hierfür
geeigneten Mitteln gebe. Der Berufungsinstanz sei es verwehrt, auf die konkrete
medikamentöse Behandlung eines Patienten bzw. auf die Wahl des Medikaments
Einfluss zu nehmen, da dies in die Kompetenz der Ärzte falle.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe in der Berufungsschrift beantragt,
dass sich die Gutachterin zu den Indikationen, Kontraindikationen von Clozapin
und Olanzapin und den Gefahren und Nebenwirkungen, die für ihn persönlich von
diesen Arzneimitteln ausgehen, äussere und sich dazu vernehmen lasse, inwiefern
ein nachhaltiger Heilungserfolg erwartet werden kann. Die Vorinstanz habe
diesem für die erforderliche Prüfung der Verhältnismässigkeit des Eingriffs in
seine persönliche Freiheit wesentlichen Beweisantrag nicht stattgegeben und
damit Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt.

2.2 Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern ihm Art. 6 Ziff. 1 EMRK mit
Bezug auf das Recht, Beweisanträge zu stellen, einen weitergehenden Schutz
gewährt als Art. 29 Abs. 2 BV. Die Rüge des Beschwerdeführers ist somit allein
im Lichte der Verfassungsbestimmung zu prüfen.

2.3 Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung, andererseits
stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines
Entscheides dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu
gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine
Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern, Beweise
beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen
gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken
oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist,
den Entscheid zu beeinflussen (BGE 106 Ia 161 E. 2b; 127 I 54 E. 2b; 133 I 270
E. 3.1 S. 277).

2.4 Obwohl sich die Gutachterin im erstinstanzlichen Verfahren nur sehr
oberflächlich zu etwaigen Nebenwirkungen der geplanten Zwangsbehandlung
äusserte, hat das Obergericht dem Beweisantrag des Beschwerdeführers nicht
stattgegeben. Es fragt sich als Erstes, ob es damit einem erheblichen Antrag
nicht entsprochen hat.
2.4.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die medikamentöse
Zwangsbehandlung einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit des
Beschwerdeführers dar und betrifft die Menschenwürde zentral. Nebst der
erforderlichen gesetzlichen Grundlage, die vorliegend mit den §§ 24 ff. des
Zürcher Patientinnen- und Patientengesetzes vom 5. April 2004 gegeben ist,
verlangt der Eingriff eine vollständige und umfassende Interessenabwägung. Zu
berücksichtigen sind dabei die öffentlichen Interessen, die Notwendigkeit der
Behandlung, die Auswirkungen einer Nichtbehandlung, die Prüfung von
Alternativen sowie die Beurteilung von Selbst- und Fremdgefährdung (BGE 130 I
16 E. 4 und 5). In diese Interessenabwägung miteinzubeziehen sind nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung insbesondere auch längerfristige
Nebenwirkungen einer zwangsweise vorgesehenen Neuroleptika-Behandlung (BGE 130
I 16 E. 5.3 S. 21). Der Antrag des Beschwerdeführers, die Gutachterin solle
sich zu den Gefahren und Nebenwirkungen äussern, die für ihn persönlich von
diesen Arzneimitteln ausgehen, erweist sich demnach als für die
bundesgerichtlich geforderte Interessenabwägung notwendig und damit als
erheblich.
2.4.2 Das Obergericht ist der Ansicht, dass die Behandlung und die Wahl des
Medikamentes Sache der Ärzte sei. Das trifft an sich zu, ändert aber nichts an
der Pflicht der Gerichte, die verlangte Interessenabwägung, insbesondere auch
bezüglich der längerfristigen Nebenwirkung einer geplanten Zwangsmedikation,
vorzunehmen. Mit seinem Hinweis, in der Klinik hätten regelmässige und
laborchemische Überwachung bezüglich der Verträglichkeit des Medikaments zu
erfolgen, hat das Obergericht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht die
Bedeutung beigemessen, die ihr tatsächlich zukommt, nämlich die möglichen oder
zu erwartenden Nebenwirkungen in seine Interessenabwägung miteinzubeziehen. Der
Beweisantrag des Beschwerdeführers erfolgte mit dem Ziel, der Vorinstanz die
nötigen tatsächlichen Grundlagen für die durchzuführende Interessenabwägung zu
verschaffen. Indem das Obergericht dem erheblichen Beweisantrag des
Beschwerdeführers keine Beachtung schenkte, hat es Art. 29 Abs. 2 BV verletzt.

3.
Da nicht alle für die Beurteilung der Zulässigkeit der angeordneten
Zwangsbehandlung erforderlichen Tatsachenelemente zusammengetragen worden sind,
kann zum heutigen Zeitpunkt nicht abschliessend über deren Zulässigkeit
befunden werden. Die Beschwerde ist gutzuheissen und der angefochtene Beschluss
ohne Prüfung der weiteren Rügen aufzuheben. Das Obergericht wird nunmehr dem
Beweisantrag zu entsprechen und alsdann die Interessenabwägung nach dem in BGE
130 I 16 E. 5 aufgezeigten Beurteilungsraster, namentlich auch mit Bezug auf
mögliche Alternativen, vorzunehmen haben.

4.
Im vorliegenden Fall ist der angefochtene Beschluss wegen eines ausschliesslich
vom Kanton Zürich zu verantwortenden Mangels aufgehoben worden. Dem Kanton
Zürich dürfen keine Gerichtskosten auferlegt werden, da das Obergericht in
seinem Wirkungskreis gehandelt hat (Art. 66 Abs. 3 BGG). Angesichts des ihm
anzulastenden Mangels hat der Kanton Zürich jedoch den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1
BGG).

5.
Mit der vorliegenden Kosten- und Entschädigungsregelung wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, vom 3. August 2009 wird aufgehoben. Die Sache wird im
Sinn der Erwägungen an das Obergericht zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird als gegenstandslos
abgeschrieben.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 800.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. September 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Zbinden