Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.461/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_461/2009

Urteil vom 31. August 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Herbert Trachsler,

gegen

Y.________ AG in Nachlassliquidation,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Alain A. Gloor,

Betreibungsamt Z.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Zustellung des Zahlungsbefehls, Arbeitnehmerprivileg,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern,
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als obere kantonale Aufsichtsbehörde,
vom 15. Juni 2009.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ war vom 1. Januar 2007 bis zu seiner Freistellung im Oktober
2008 angestellter Geschäftsführer (CEO) der Y.________ AG und vom Februar 2007
bis Oktober 2008 deren Verwaltungsratspräsident. Zudem war er seit Februar 2007
Vizepräsident und Delegierter der Y.________ Holding AG, die sämtliche Aktien
der Y.________ AG hielt.
A.b Am 24. Oktober 2008 ersuchte die Y.________ AG um Nachlassstundung. Sie
bezahlte X.________ für die Dauer seiner Freistellung, d.h. ab November 2008,
keinen Lohn mehr. Sein Begehren um Auszahlung desselben wies das Amtsgericht
A.________ mit Entscheid vom 6. März 2009 ab. Demgegenüber bewilligte der
Amtsgerichtspräsident B.________ von A.________ die anbegehrte Nachlassstundung
am 13. März 2009 und setzte die C.________ AG, D.________, als Sachwalterin
ein.
A.c Am 17. März 2009 stellte X.________ beim Betreibungsamt Z.________ ein
Betreibungsbegehren über Fr. 167'492.-- für ausstehende Lohnzahlungen von
November 2008 bis Februar 2009 (Betreibung Nr. 1). Das Betreibungsamt wies
dieses Begehren zurück (Entscheid vom 20. März 2009).
A.d In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde wies das
Amtsgerichtspräsidium A.________ mit Entscheid vom 27. April 2009 das
Betreibungsamt Z.________ an, das Betreibungsbegehren entgegenzunehmen und zu
protokollieren. Das weitergehende Begehren auf Zustellung des Zahlungsbefehls
gemäss Art. 297 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG wies es mangels Privilegierung der
Lohnforderung ab.

B.
Das von X.________ am 5. Mai 2009 ergriffene Rechtsmittel blieb erfolglos; die
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern
als obere kantonale Aufsichtsbehörde wies dessen Beschwerde als unbegründet ab
(Entscheid vom 15. Juni 2009).

C.
Mit "Beschwerde in SchKG-Sachen" gelangt X.________ (nachfolgend
Beschwerdeführer) an das Bundesgericht und beantragt, das Betreibungsamt
Z.________ sei anzuweisen, den Zahlungsbefehl in der Betreibung Nr. 1 für eine
privilegierte Forderung gemäss Art. 297 Abs. 2 Ziff. 1 SchKG der Y.________ AG
(nachfolgend Beschwerdegegnerin) zuzustellen und die weiteren gesetzlichen
Schritte vorzunehmen; eventualiter sei das Verfahren zur Ergänzung des
Sachverhalts und zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es
wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
1.1 Der angefochtene Entscheid ist ein letztinstanzlicher Endentscheid einer
oberen kantonalen Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen,
gegen den unabhängig vom Streitwert die Beschwerde in Zivilsachen ergriffen
werden kann (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. b, Art. 75 und Art. 90
BGG). Die unrichtige Bezeichnung der Eingabe schadet nicht.

1.2 In seiner Beschwerde kann der Beschwerdeführer alle Rügen gemäss Art. 95 f.
BGG vorbringen. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG), was heisst, dass es unter Berücksichtigung der Begründungspflicht
der Beschwerde (Art. 42 Abs. 2 BGG) die geltend gemachten Rechtsverletzungen
mit freier Kognition prüft (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Hingegen ist es an
den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG).
Zulässig ist einzig die Rüge, eine Tatsachenfeststellung beruhe auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG oder eine Tatsache sei offensichtlich
unrichtig festgestellt worden (Art. 97 Abs. 1 BGG), wobei "offensichtlich
unrichtig" mit "willkürlich" gleichzusetzen ist (BGE 133 III 393 E. 7.1 S. 398
mit Hinweisen).
Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 20a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG,
Art. 8 BV, § 2 Ziff. 3 KV LU sowie §§ 57, 60 und 61 ZPO LU rügt, enthält seine
Beschwerdeschrift keinerlei Ausführungen, welche Rechte er aus den fraglichen
Bestimmungen für sich ableitet, geschweige denn, inwiefern das Obergericht
diese falsch bzw. willkürlich angewendet haben soll. Diesbezüglich kommt er
seiner Begründungspflicht nicht nach; auf diese Rügen ist nicht einzutreten.

2.
2.1 Während einer Nachlassstundung im Sinne von Art. 293 ff. SchKG kann gegen
den Schuldner eine Betreibung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden (Art.
297 Abs. 1 SchKG). Von dieser Einschränkung ausgenommen sind gemäss Art. 297
Abs. 2 Ziff. 1 SchKG Betreibungen auf Pfändung für Forderungen der ersten
Klasse im Sinn von Art. 219 Abs. 4 SchKG.
Wie der Beschwerdeführer somit zutreffend ausführt, können Forderungen von
Arbeitnehmern aus einem Arbeitsverhältnis, die in den letzten sechs Monaten vor
der Bewilligung der Nachlassstundung entstanden oder fällig geworden sind,
trotz Nachlassstundung betrieben werden. Ebenso hält der Beschwerdeführer
zutreffend fest, dass eine Forderung nur dann privilegiert im Sinn von Art. 219
Abs. 4 SchKG ist, wenn zwischen dem Gläubiger als Arbeitnehmer und dem
Schuldner als Arbeitgeber ein arbeitsrechtliches Subordinationsverhältnis
bestand.
Vorliegend umstritten ist einzig, ob sich der Beschwerdeführer während der
Dauer seines Arbeitsverhältnisses in einem Unterordnungsverhältnis zur
Beschwerdegegnerin befand, sodass er seine ausstehenden Lohnforderungen trotz
Nachlassstundung betreiben kann.
2.2
2.2.1 Zusammengefasst erwog das Obergericht, die formelle Organstellung des
Beschwerdeführers bei der Beschwerdegegnerin reiche für sich alleine nicht aus,
um die Privilegierung seiner Lohnforderung zu verweigern; er habe aber bei der
Ausübung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer und Verwaltungsrat über einen
erheblichen Entscheidungsspielraum und Möglichkeiten zur Einflussnahme verfügt,
weshalb das behauptete tatsächliche Unterordnungsverhältnis zu verneinen sei.
2.2.2 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht einerseits eine unrichtige und
unvollständige Ermittlung des Sachverhaltes (Verletzung von Art. 9 BV), indem
dieses offenkundige Tatsachen nicht zur Kenntnis genommen und zu Unrecht kein
Unterordnungsverhältnis festgestellt habe, sowie andererseits die Verletzung
von Art. 297 Abs. 2 i.V.m. Art. 219 SchKG vor.

2.3 Entgegen der Auffassung des Obergerichts und des Beschwerdeführers hat das
Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung die Privilegierung stets
abgelehnt, wenn der Tätige (z.B. als Mitglied des Verwaltungsrates der
konkursiten Gesellschaft) gesetzliche Organstellung hatte, weil es diesfalls an
der Unterordnung (Weisungsgebundenheit) im Sinn von Art. 321d OR fehlt, an
welche das Privileg von Art. 219 Abs. 4 SchKG geknüpft ist (BGE 118 III 46 E.
2a S. 48, E. 2c S. 50, E. 3b S. 52; Urteile 5C.49/1989 vom 8. September 1989,
E. 3; 5P.341/1999 vom 24. Januar 2000 E. 3c/bb; 5C.266/2004, E. 1.1 und 1.2;
5C.83/2005 vom 18. Juli 2005, E. 3.2; 5A_802/2008 vom 6. März 2009, E. 3.1). In
diesem Zusammenhang hat das Bundesgericht betont, dass es nicht darauf ankommt,
ob das Organ die im Gesetz umschriebene Funktion tatsächlich wahrgenommen hat
oder ob es untätig geblieben ist bzw. als Strohmann bloss die Anordnungen
anderer ausgeführt hat (BGE 118 III 46 E.3b S. 52; Urteil 5C.83/2005 vom 18.
Juli 2005, E. 3.2); mithin sind die Forderungen gesetzlicher Organe in keinem
Fall der ersten Klasse zuzuordnen. Bei faktischen Organen (Geschäftsführern,
Direktoren, u.ä.) kommt es auf die tatsächliche Stellung an; ist diese durch
grosse Unabhängigkeit und Entscheidbefugnisse in Bezug auf das
Gesamtunternehmen gekennzeichnet, ist die Forderung unabhängig von der
Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien ebenfalls nicht
privilegiert (BGE 52 III 145 E. 4 S. 147 f.; 118 III 48 E. 2a S. 48 f.; Urteile
5C.94/1989 vom 8. September 1989, E. 3 und 4; 5P.341/1999 vom 24. Januar 2000,
E. 3c/bb). Eine Privilegierung der Lohnforderung hat das Bundesgericht
demgegenüber zugelassen, wenn der Gläubiger zwar einmal Organstellung bei der
zwischenzeitlich konkursiten Arbeitgeberfirma hatte, er jedoch (beispielsweise
nach Aufgabe des Verwaltungsratsmandats) seine Tätigkeit für die Firma als
Arbeitnehmer fortsetzte und im Zeitraum, für welchen er Lohnforderungen stellt,
tatsächlich ein Unterordnungsverhältnis bestand (Urteil 5A_802/2008 vom 6. März
2009, E. 3.2.2).
Geht es - wie hier - um eine Forderung für die Freistellungszeit, ist nach der
Rechtsprechung massgebend, ob die bis dahin entstandenen Forderungen
privilegiert (gewesen) wären oder nicht, weil der auf die Freistellungszeit
entfallende (Lohn-)Anspruch seine Grundlage im bisherigen Vertragsverhältnis
hat und weder Kündigung noch Freistellung das Rechtsverhältnis zwischen den
Parteien auf eine neue Basis stellen (Urteile 5C.266/2004 vom 16. März 2005, E.
2.3; 5A_802/2008 vom 6. März 2008, E. 3.2). Daher wird der auf die
Freistellungszeit entfallende Anspruch desjenigen, der vor seiner Abberufung
bzw. Kündigung und Freistellung gesetzliche Organstellung innehatte, von
vornherein vom Arbeitnehmerprivileg nach Art. 219 Abs. 4 SchKG ausgeschlossen
(Urteil 5C.266/2004 vom 16. März 2005, E. 2.3).
Bei dieser Ausgangslage kann offen bleiben, ob das Obergericht den Sachverhalt
unvollständig oder unrichtig feststellt hat. Selbst wenn man für das Urteil den
vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt annimmt, kommt seine auf die
Freistellungszeit entfallende Forderung aufgrund der bis zum Zeitpunkt der
Freistellung bestandenen Organstellung als VR-Präsident der Beschwerdegegnerin
nicht in den Genuss des Arbeitnehmerprivilegs.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Ausgangsgemäss wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66
Abs. 1 BGG). Den Beschwerdegegnern ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand
entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern,
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission, als obere kantonale Aufsichtsbehörde,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. August 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli