Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.347/2009
Zurück zum Index II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2009
Retour à l'indice II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_347/2009

Urteil vom 6. August 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
z.Zt. Psychiatrische Klinik A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Adriano Marti,
Beschwerdeführer,

gegen

Vormundschaftsbehörde A.________,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Auflagen im Zusammenhang mit der Entlassung aus der fürsorgerischen
Freiheitsentziehung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
25. März 2009.

Sachverhalt:

A.
X.________, geb. 1982, wurde aufgrund einer chronisch
paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit Beschluss der
Vormundschaftsbehörde B.________ vom 2. April 2008 im Rahmen einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung (FFE) in die psychiatrische Klinik
A.________ eingewiesen.

Am 13. Mai 2008 beantragte X.________ bei der Vormundschaftsbehörde die
Entlassung. Am 20. Mai 2008 gelangte er an das Vize-Gerichtspräsidium
Kreuzlingen, das auf seine Eingabe mit Verfügung vom 28. Mai 2009 nicht
eintrat, weil die Vormundschaftsbehörde zu entscheiden habe. Das Obergericht
des Kantons Thurgau wies den hiergegen eingereichten Rekurs am 9. Juni 2008
ebenso ab wie das Bundesgericht am 14. Juli 2008 die dagegen erhobene
Beschwerde in Zivilsachen (5A_379/2008).

B.
Am 29. Mai 2008 verfügte die Vormundschaftsbehörde den vorläufigen Entzug der
Handlungsfähigkeit. Auf Empfehlung der Fachkommission Psychiatrie wurde die FFE
mit Beschluss vom 5. Juni 2008 wieder aufgehoben, wobei die gleichentags
erfolgte Entlassung aus der Klinik mit verschiedenen Auflagen verbunden wurde
(regelmässige weitere Betreuung durch die externen psychiatrischen Dienste,
regelmässige von der Klinik verordnete Medikamenteneinnahme, Durchführung einer
psychiatrischen Begutachtung durch das EPD C.________, Erarbeitung einer
geregelten Tagesstruktur).

Gegen diese beiden Beschlüsse erhob X.________ am 11. Juni 2008 beim
Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau (DJS) eine
Vormundschaftsbeschwerde und beantragte, dass er ohne Auflagen zu entlassen
sei; zudem sei ihm die Handlungsfähigkeit wieder zuzuerkennen.

Mit Beschluss vom 29. September 2008 verfügte die Vormundschaftsbehörde die
Aufhebung des vorläufigen Entzuges der Handlungsfähigkeit. Die provisorisch
eingerichtete Vormundschaft werde wieder in die bereits früher bestehende
Vertretungs- und Verwaltungsbeistandschaft überführt. Die mit der Entlassung
aus der FFE verfügten Auflagen würden als aufgehoben gelten bzw. es werde
X.________ überlassen, ob und in welchem Rahmen er davon Gebrauch zu machen
gedenke. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass er noch immer völlig
krankheitsuneinsichtig sei, dass sich aber die Aufrechterhaltung der
provisorischen Vormundschaft nicht rechtfertige; es sei indes eine Frage der
Zeit, bis sich eine erneute Prüfung von weitergehenden behördlichen Massnahmen
aufdränge.

Aufgrund dieser Verfügung schrieb das DJS die Vormundschaftsbeschwerde am 1.
Oktober 2008 als gegenstandslos ab (Ziff. 1). Es wurden keine Kosten erhoben
(Ziff. 2), aber Adriano Marti nicht als unentgeltlicher Rechtsvertreter ernannt
(Ziff. 3), da er nicht im Anwaltsregister des Kantons Thurgau eingetragen sei
und auch keine Gründe für ein besonderes Vertrauensverhältnis vorgebracht
worden seien, und es wurde X.________ auch kein Ersatz für ausseramtliche
Kosten zugesprochen, weil keine komplizierten Sach- oder Rechtsfragen gegeben
seien (Ziff. 4).

C.
Mit Eingabe vom 22. Oktober 2008 verlangte X.________ beim Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau, der Entscheid vom 1. Oktober 2008 sei aufzuheben, Adriano
Marti sei als unentgeltlicher Rechtsvertreter zu bestätigen, es sei ihm eine
Prozessentschädigung zuzusprechen, es sei festzustellen, dass Art. 5 EMRK und
Art. 397a ff. ZGB verletzt worden seien, und es sei auch für das
verwaltungsgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.

In seinem Urteil vom 25. März 2009 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde
- unter Aufhebung von Ziff. 4 des Entscheides des DJS - gut, soweit es darauf
eintrat. Es entschädigte den Beschwerdeführer für ausserrechtlichen Aufwand mit
Fr. 2'216.-- und gewährte für denjenigen Teil der Beschwerde, auf welchen es
nicht eintrat, die unentgeltliche Rechtspflege. Für das Beschwerdeverfahren
verpflichtete es das DJS, X.________ mit Fr. 1'250.-- für die ausserrechtlichen
Kosten zu entschädigen; sodann ernannte es Adriano Marti für denjenigen Teil
der Beschwerde, auf welchen nicht eingetreten wurde, zum unentgeltlichen
Rechtsbeistand und entschädigte ihn mit Fr. 460.--.

D.
Gegen dieses Urteil hat X.________ am 19. Mai 2009 Beschwerde in Zivilsachen
eingereicht mit den Begehren um dessen Aufhebung, soweit das Verwaltungsgericht
einen Nichteintretensentscheid gefällt hatte, sowie um Feststellung, dass das
FFE-Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde B.________ und die im Zusammenhang
damit verfügten Auflagen Art. 5 EMRK, Art. 31 BV und Art. 397a ff. ZGB verletzt
hätten. Sodann wird auch für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche
Rechtspflege ersucht. Mit Vernehmlassung vom 2. Juni 2009 verlangt das
Verwaltungsgericht die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Die Vormundschaftsbehörde B.________ hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 75 Abs. 1
und Art. 90 BGG) im Zusammenhang mit einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung
(Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen ist somit
grundsätzlich gegeben.

Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann eine Verletzung von Bundesrecht gerügt
werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch
das Verfassungsrecht gehört. Gerügt werden kann ferner eine Verletzung des
Völkerrechts (Art. 95 lit. b BGG).

2.
Verfahrensgegenstand bildet das Begehren des Beschwerdeführers um Feststellung,
dass die Vormundschaftsbehörde das Verfahren verzögert und damit verschiedene
verfassungsmässige Rechte verletzt habe, indem sie rund 100 Tage mit ihrem
Entscheid zugewartet habe.

2.1 Das Verwaltungsgericht verneinte das aktuelle und praktische bzw.
schutzwürdige Feststellungsinteresse mit der Begründung, die
Vormundschaftsbehörde habe inzwischen entschieden und der Beschwerdeführer sei
am 27. Oktober 2008 bereits wieder in die Klinik A.________ eingewiesen und
aufgrund des vormundschaftlichen Entscheides vom 18. November 2008 dort
zurückbehalten worden. Sodann sei das Obergericht in seinem Entscheid vom 9.
Juni 2008 bereits auf die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen im
Zusammenhang mit seiner Entlassung eingegangen.

2.2 Der Beschwerdeführer bringt hiergegen vor, es habe sich um seine 7.
Hospitalisation gehandelt und er sei inzwischen schon wieder eingewiesen
worden. Damit stehe fest, dass die Vormundschaftsbehörde in der Vergangenheit
wiederholt habe tätig werden müssen und dies wohl auch in Zukunft der Fall sein
werde. Entsprechend bestehe ein aktuelles und praktisches Interesse an der
Feststellung der seinerzeitigen Verfahrensverzögerung, weil diese sonst nicht
gerichtlich beurteilt werden könnte, was Art. 5 Abs. 4 EMRK verletze.
Vorliegend seien weitreichende Auflagen der Vormundschaftsbehörde im
Zusammenhang mit dem FFE-Entlassungsgesuch über 100 Tage in Kraft geblieben und
eine Stellungnahme sei erst am 10. September 2008 erfolgt. In diesem
Zusammenhang habe das Verwaltungsgericht übrigens auch sein rechtliches Gehör
verletzt, weil es zu diesen Punkten nicht Stellung genommen habe.

2.3 Wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgehalten hat, ist ein blosses
Feststellungsbegehren dort unzulässig, wo auf Leistung oder Gestaltung geklagt
werden kann; im Bereich der FFE-Verfahren lässt sich ersteres nach der
Entlassung als Form der Genugtuung einklagen (Art. 429a Abs. 1 ZGB i.V.m. Art.
48 Abs. 2 OR; BGE 118 II 254 E. 1c S. 258), weshalb insoweit die isolierte
Feststellung von Verfassungsverletzungen unzulässig ist (Urteil 5A_312/2007, E.
1.4) und die Begehren des Beschwerdeführers an sich bereits daran scheitern
müssten. Insbesondere wird aber das Feststellungsinteresse auch ungenügend
dargetan bzw. begründet: Es trifft zwar zu, dass auf das Erfordernis des
aktuellen und praktischen Interesses, das nach der Entlassung aus der
fürsorgerischen Freiheitsentziehung grundsätzlich entfällt (Urteil 5P.363/2002,
E. 1.2), ausnahmsweise verzichtet wird, wenn sich die streitigen Probleme
jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen, aber infolge
nur vorübergehend geltender Anordnungen kaum je rechtzeitig gerichtlich
überprüft werden könnten (betreffend FFE: Urteil 5C.11/2003, E. 1.2; allgemein
bzw. betreffend Haft: BGE 124 I 231 E. 1b S. 233). Mit seinem Argument, das
Interesse ergebe sich vorliegend bereits aus der Tatsache der mehrmaligen und
wohl auch zukünftig sich wiederholenden Einweisung, überspielt der
Beschwerdeführer aber, dass er bereits am 5. Juni 2008 definitiv wieder aus der
Klinik entlassen wurde und einzig die damit verbundenen Auflagen, von deren
fehlender Notwendigkeit er ausgeht, bis zum 29. September 2008 in Kraft
blieben. Er müsste deshalb wenn schon darlegen, inwiefern diese oder ähnliche
Auflagen mehrfach verfügt wurden und auch in Zukunft wieder zur Diskussion
stehen dürften, ohne dass sie je gerichtlich überprüft werden könnten.

2.4 Nach dem Gesagten erübrigt es sich, auf die Fragen einzugehen, welchen
Verfahrenszeitraum der vom Parlament verabschiedete Art. 450e Abs. 5 nZGB
vorgeben wird und ob diese sich an die gerichtliche Behörde wendende Bestimmung
auch auf das Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde zu übertragen wäre;
abgesehen davon können zukünftige Gesetzesbestimmungen ohnehin nicht Gegenstand
der Überprüfung gemäss Art. 95 lit. a BGG sein.

2.5 Zu der in E. 2.2 erwähnten, in der Beschwerde beiläufig erhobenen
Gehörsrüge im Zusammenhang mit der Entscheidbegründung ist Folgendes
festzuhalten: Die Begründungspflicht ist ein Teilgehalt des verfassungsmässigen
Anspruches auf rechtliches Gehörs. Danach muss die Begründung eines Entscheides
so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten
kann. in diesem Sinn müssen nur, aber immerhin kurz die Überlegungen genannt
werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf welche sich ihr
Entscheid stützt, wobei es nicht nötig, dass sich die Behörde mit jeder
tatsächlichen Behauptung und mit jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzt
(BGE 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 133 III 439 E. 3.3 S. 455; 134 I 83 E. 4.1 S.
88). Der angefochtene Entscheid vermag diesen Anforderungen in jeder Hinsicht
zu genügen und der Beschwerdeführer zeigt mit seiner Eingabe an das
Bundesgericht, dass er sich über Inhalt und Tragweite des Entscheides ein Bild
machen konnte und diesen umfassend anzufechten vermochte. Die Gehörsrüge ist
demnach, soweit sie überhaupt als genügend erhoben gelten kann, jedenfalls
unbegründet.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde in Zivilsachen abzuweisen ist.
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, musste sie als von Anfang an
aussichtslos gelten, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der
unentgeltlichen Rechtspflege mangelt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das betreffende
Gesuch abzuweisen ist. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. August 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli