Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.306/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_306/2009

Urteil vom 25. Juni 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Esther Küng,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Heidi Frick-Moccetti,

Gegenstand
Rückführungsverfahren, Passherausgabe,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 21. April 2009.

Sachverhalt:

A.
Z.________ ist der am xxxx 2007 geborene gemeinsame Sohn von Y.________ (1963)
und X.________ (1969). In Verletzung der Verfügung des Court of Common Pleas of
Centre County, Pennsylvania, vom 20. Dezember 2007 brachte die Mutter den Sohn
Z.________ anfangs 2008 nach einer für die Zeitspanne von zwei Wochen erlaubten
Ausreise in die Schweiz nicht in die USA zurück.

Darauf stellte der Vater ein Gesuch um Rückführung des Kindes gemäss dem Haager
Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführungen (HKÜ, SR 0.211.230.02). Mit Urteil vom 16. April 2009
verpflichtete das Bundesgericht die Mutter zur Rückgabe des Kindes unter
gewissen Bedingungen (Garantien seitens der USA), die zur Zeit in Schwebe sind.

B.
Im Anschluss an dieses Urteil sandte das Obergericht des Kantons Zürich mit
Beschluss vom 21. April 2009 sowohl den Pass der Mutter als auch den Schweizer
Pass des Kindes an deren Rechtsvertreterin zurück.

Mit Bezug auf den Kinderpass erhob X.________ (Beschwerdeführer) gegen diesen
Beschluss am 4. Mai 2009 Beschwerde in Zivilsachen. Er verlangt, der Schweizer
Pass von Z.________ sei Y.________ (Beschwerdegegnerin) erst herauszugeben,
wenn die von den USA verlangten Garantien nicht erhältlich seien, wenn
Z.________ erfolgreich in die USA zurückgeführt sei oder wenn eine schriftliche
Zustimmung beider Parteien zur Herausgabe des Passes vorliege; eventuell sei
die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

Mit Präsidialverfügung vom 6. Mai 2009 wurde die Rechtsvertreterin der
Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 104 BGG angewiesen, den Reisepass von
Z.________ beim Bundesgericht zu deponieren. Am 7. Mai 2009 übermachte die
Beschwerdegegnerin den Pass dem Bundesgericht.
In ihrer Vernehmlassung vom 11. Mai 2009 verlangt die Beschwerdegegnerin, das
Gesuch sei abzuweisen bzw. als gegenstandslos zu erklären. Das Obergericht hat
auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Beide Parteien verlangen die unentgeltliche Rechtspflege.

Der Fall wurde heute an einer öffentlichen Sitzung beraten.

Erwägungen:

1.
Beim angefochtenen Akt handelt es sich um einen kantonal letztinstanzlichen
Endentscheid (Art. 75 Abs. 1 sowie Art. 90 BGG), der in Ausführung des Haager
Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführungen (HKÜ, SR 0.211.230.02) ergangen ist, das seinerseits in
unmittelbarem Zusammenhang mit der Respektierung und Durchsetzung ausländischen
Zivilrechts steht (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG; BGE 133 III 584). Auf die
Beschwerde in Zivilsachen ist somit einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, bereits das Bezirksgericht Meilen habe die
Hinterlegung der Pässe der Beschwerdegegnerin und des Sohnes verfügt; die
erstinstanzliche Anweisung, dass die Pässe nach dem Urteil der Zentralbehörde
zu übermachen seien, erweise sich aber (abgesehen davon, dass die Anordnung
infolge der Rechtsmittel nie Gültigkeit erlangt habe) wegen fehlender
Verfügungsmacht der Zentralbehörde als ungeeignet. Auch nach Rechtskraft des
Rückführungsurteils dürfe der Pass aber nicht einfach herausgegeben werden,
weil sonst die während des Verfahrens angeordnete Sicherungsvorkehr
nachträglich wertlos werde, da zwischen Rückführungsurteil und tatsächlicher
Rückreise mehrere Wochen verstreichen würden. Ihren eigenen Reisepass brauche
die Beschwerdegegnerin für die bei der Botschaft beantragten Garantien bzw. für
das neue Visum, weshalb dieser zu Recht herausgegeben worden sei. Demgegenüber
sei sie auf den schweizerischen Kinderpass nicht angewiesen, umso weniger als
Z.________ aufgrund der amerikanischen Gesetzgebung ohnehin nur mit seinem
amerikanischen Pass einreisen dürfe, der zur Zeit beim amerikanischen Konsulat
in Zürich hinterlegt sei.

Die Beschwerdegegnerin macht in ihrer Vernehmlassung geltend, es bestehe keine
Gefahr des Untertauchens. Ihren eigenen Pass habe sie in Kopie - zusammen mit
dem Visumsantrag - der amerikanischen Passbehörde eingereicht. Zudem sei sie
mittellos, was einem Untertauchen entgegenstehe. Im Übrigen habe der
Beschwerdeführer fast täglich Skype-Kontakt mit ihr bzw. mit seinem Sohn. Wie
er selbst festhalte, sei der Schweizer Pass von Z.________ für die Rückreise
entbehrlich, weshalb er zu Recht zurückgegeben worden sei.

3.
Die Hinterlegung des Reisepasses des Kindes beim Gericht oder einer anderen
geeigneten Behörde ist eine zulässige und verbreitete Sicherungsmassnahme im
Zusammenhang mit dem Haager Rückführungsverfahren. Die Rechtsgrundlagen hierzu
sind Art. 2 HKÜ und - der sich formell an die Zentralbehörde wendende, mutatis
mutandis aber sogar verstärkt für die Gerichte geltende - Art. 7 Abs. 2 lit. b
und h HKÜ. Unbestritten ist die Zulässigkeit der Sicherungsmassnahme während
der Hängigkeit des Rückführungsverfahrens (aus der Literatur: Pirrung, in: J.
von Staudingers Kommentar zum BGB, 12. Aufl., Berlin 1994, N. 658 Vorbem zu
Art. 19 EGBGB; Schmid, Neuere Entwicklungen im Bereich der internationalen
Kindesentführungen, in: AJP 2002, S. 1337; aus der Rechtsprechung: Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 25. September 2005, in: ZR 2007, S.
34). Die potentielle Gefahr der Vereitelung der Rückführung ist aber nach
Abschluss des materiellen Verfahrens nicht kleiner als während dessen
Hängigkeit, im Gegenteil, steht doch mit dem rechtskräftigen Rückführungsurteil
die Rückführungsverpflichtung definitiv fest. Die fortgesetzte Hinterlegung des
Reisepasses bis zum Vollzug der Rückführung ist deshalb eine zweckmässige
Massnahme, die nicht nur im Geist des HKÜ steht, sondern durch den Wortlaut von
Art. 7 Abs. 2 lit. h HKÜ, der von geeigneten Vorkehrungen zur Gewährleistung
der sicheren Rückgabe spricht, direkt abgedeckt ist (vgl. auch Pirrung, a.a.O.,
N. 664).

4.
Es bleibt zu prüfen, ob die Einbehaltung des schweizerischen Reisepasses des
Kindes im vorliegenden Einzelfall notwendig, geeignet und verhältnismässig ist.
Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass der Reisepass von Z.________
bereits während des Rückführungsverfahrens bei den Behörden hinterlegt war und
diese Massnahme bislang nicht auf Widerstand gestossen ist.

Unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit ergibt sich, dass die
Beschwerdegegnerin in der Vernehmlassung im Rückführungsverfahren vor
Bundesgericht auf einmal sehr starke generelle Bedenken gegen eine Rückkehr in
die USA äusserte, dass sie in der Zwischenzeit aber bei der amerikanischen
Botschaft das Gesuch für die verlangten Garantien bzw. einen anderen Visumstyp
im Sinn des bundesgerichtlichen Rückführungsentscheides deponiert hat, was auf
Kooperation schliessen lässt. Es bestehen denn auch keine konkreten
Anhaltspunkte für ein Untertauchen bzw. einen Wegzug in ein anderes Land.
Andererseits kann vom Beschwerdeführer nicht verlangt werden, dass er
gewissermassen eine konkrete Fluchtgefahr der Gegenseite nachweist; vielmehr
sind im Rahmen eines HKÜ-Verfahrens per se gewisse Sicherungsmassnahmen
angezeigt.

Mit Bezug auf die Eignung ist festzuhalten, dass zum einen die
Rückgabeverpflichtung unter der Strafandrohung von Art. 292 StGB steht und zum
anderen spätestens seit der Verwirklichung des Schengen-Raumes die Hinterlegung
von Reisepapieren keine absolute Gewähr bietet, dass das rückzuführende Kind
nicht in ein anderes Land verbracht wird; nichtsdestoweniger bleibt aber die
Massnahme insofern zweckmässig, als ohne Reisepass jedenfalls ein dauerhaftes
Verbleiben bzw. Niederlassen in einem Drittstaat erschwert ist.

Hinsichtlich der Verhältnismässigkeit der Massnahme kann festgehalten werden,
dass es um das Einbehalten der Reisepapiere für die beschränkte Zeit bis zur
Rückführung geht und im vorliegenden Fall Mutter wie Kind durch die Massnahme
kaum beschwert sind: Die Beschwerdegegnerin hält in der vorliegenden
Vernehmlassung selbst fest, dass sie nicht gedenke, in ein anderes Land zu
reisen, und für die Einreise in die USA ist nach der unbestrittenen Darstellung
des Beschwerdeführers lediglich der amerikanische Pass von Z.________
erforderlich bzw. gemäss US-amerikanischer Gesetzgebung überhaupt erlaubt.

Vor diesem Hintergrund erweist es sich als zweckmässig und verhältnismässig,
den Schweizer Pass von Z.________ in dahingehender Gutheissung der Beschwerde
einstweilen einzubehalten, sei es durch das Obergericht selbst, sei es durch
eine vom Obergericht bezeichnete Behörde (erstinstanzliches Gericht,
Vollstreckungsbehörde, etc.). Im Rückführungsfall kann der Pass beispielsweise
durch die Flughafenpolizei ausgehändigt werden (vgl. Hauser/Urwyler,
Kindesentführungen, in: Rechtshilfe und Vollstreckung, Bern 2004, S. 77).
Sofort und direkt herauszugeben ist er selbstredend, wenn seitens der USA keine
Garantien erhältlich sind, weil diesfalls die Rückführungsverpflichtung gemäss
dem Bundesgerichtsurteil vom 16. April 2009 dahinfällt. Sodann kann der Pass
jederzeit mit dem Einverständnis des Beschwerdeführers an die
Beschwerdegegnerin ausgehändigt werden. Vorbehalten bleiben ferner weitere
Herausgabegesuche infolge veränderter Situation.

5.
Zufolge offensichtlicher Prozessbedürftigkeit sind die beidseitigen Gesuche um
unentgeltliche Rechtspflege gutzuheissen (Art. 64 Abs. 1 BGG) und die Parteien
durch die sie jeweils vertretende Rechtsanwältin zu verbeiständen (Art. 64 Abs.
2 BGG). Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Gerichtskosten
gesprochen und beide Rechtsanwältinnen aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird Ziff. 1 des Beschlusses des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 21. April 2009 mit Bezug auf den Schweizer Pass von
Z.________ aufgehoben.

2.
Der Schweizer Pass von Z.________ wird dem Obergericht des Kantons Zürich
übermacht zur weiteren Aufbewahrung und Herausgabe im Sinn der Erwägungen.

3.
Die beidseitigen Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden gutgeheissen und
die Parteien werden durch die sie jeweils vertretende Rechtsanwältin
verbeiständet.

Esther Küng, Baden, und Dr. Heidi Frick-Moccetti, Zürich, werden demzufolge aus
der Gerichtskasse mit je Fr. 1'000.-- entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Juni 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli