Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.285/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_285/2009

Urteil vom 21. August 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesricher Meyer L., Bundesrichter Marazzi,
Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
A.X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Baumann,

gegen

Obergericht des Kantons Aargau.

Gegenstand
Anerkennung einer ausländischen Adoption,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 3. Kammer,
vom 23. März 2009.

Sachverhalt:

A.
Mit öffentlicher Urkunde über eine Kindesannahme vom 28. Juni 1957 nahm
B.X.________ sein Pflegekind A.Y.________ (Beschwerdeführer) als sein Kind im
Sinn von aArt. 264 ff. ZGB an. Seine Ehefrau C.X.-Z.________ erteilte ihre
Zustimmung.

Mit Schreiben vom 18. September 1965 teilte der Sozialdienst Kehl/D
B.X.________ im Zusammenhang mit dem Einbürgerungsgesuch für den
Beschwerdeführer mit, der Adoptivvertrag sei zufolge eines Formfehlers
unwirksam. Es sei daher unumgänglich, in Deutschland einen neuen Vertrag
abzuschliessen. Mit Urkunde des Notariats Kehl/D über den Kindesannahmevertrag
vom 3. Dezember 1965 nahmen die Eheleute B.________ und C.X.________ den
Beschwerdeführer als gemeinschaftliches eheliches Kind an Kindes statt an.

B.
Am 18. Januar 2007 verstarb C.X.________. Mit Schreiben vom 31. Januar 2008
teilte die Aufsichtsbehörde dem Willensvollstrecker mit, die Kindesannahme vom
3. Dezember 1965 werde in der Schweiz nicht anerkannt.

Mit Verfügung vom 30. Januar 2009 wies das Departement Volkswirtschaft und
Inneres das Begehren des Beschwerdeführers um Anerkennung der Adoption vom 3.
Dezember 1965 ab.

Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am
23. September 2009 ab.

C.
Gegen dieses Urteil hat der Beschwerdeführer am 24. April 2009 eine Beschwerde
in Zivilsachen erhoben mit dem Begehren um dessen Aufhebung und Anerkennung
sowie Vollstreckung der Adoption durch C.X.________ in der Schweiz,
insbesondere durch Eintrag in den schweizerischen Zivilstandsregistern. Mit
Vernehmlassung vom 1. Juli 2009 hat sich das Obergericht zu den Noven im
Zusammenhang mit der Streichung auf dem Original des Familienscheines vom 29.
Oktober 1965 geäussert. Das Bundesamt für Justiz hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid (Art. 75 Abs. 1
und Art. 90 BGG). Im Streit liegt ein mit einem Anerkennungsbegehren
verbundenes Gesuch um Eintragung einer Abstammung kraft Adoption, mithin eine
Gestaltungsklage betreffend den Personenstand (Art. 39 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB; Art.
7 Abs. 2 lit. m ZStV); in diesem Zusammenhang ist die Beschwerde in Zivilsachen
gegeben (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 und 2 BGG).

2.
Umstritten ist die Anerkennungsfähigkeit der am 3. Dezember 1965 in Kehl/D
erfolgten Adoption.

2.1 Diese Adoption erfolgte vor Inkrafttreten des IPRG am 1. Januar 1989.
Aufgrund der intertemporalrechtlichen Bestimmung von Art. 196 Abs. 2 IPRG,
wonach sich die Wirkung früherer, aber auf Dauer angelegter Sachverhalte oder
Rechtsvorgänge nach Inkrafttreten der IPRG nach dem neuen Recht richtet,
bemisst sich auch die Anerkennung einer ausländischen Adoption in der Schweiz
nach dem IPRG, selbst wenn sie früher stattgefunden hat (VOLKEN, Zürcher
Kommentar, N. 18 und 33 zu Art. 196-199; GEISER/JAMETTI GREINER, Basler
Kommentar, N. 31 zu Art. 196; DUTOIT, Commentaire LDIP, N. 2 zu Art. 196-199).
Ohnehin würde sich nach dem damaligen internationalen Privatrecht (vgl. dazu
BAECHLER, Das neue materielle und internationale Adoptionsrecht der Schweiz,
in: Zeitschrift für Zivilstandswesen 1972, S. 327) nichts anderes als das
nachfolgend für die Rechtslage gemäss IPRG Dargestellte ergeben, dass nämlich
Anknüpfungspunkt nur die Staatsangehörigkeit des Adoptierenden, nicht aber des
Adoptierten sein kann.

Art. 78 Abs. 1 IPRG regelt die (in Art. 25 f. IPRG in allgemeiner Weise
geordnete) Anerkennungszuständigkeit für Adoptionen und beantwortet die Frage,
von welcher ausländischen Behörde die Entscheidung ausgegangen sein muss, damit
sie in der Schweiz Wirkung erlangen und anerkannt werden kann (vgl. BGE 120 II
87 E. 4 S. 90; BGE 134 III 467 E. 4.1 S. 471). Dieser Bestimmung zufolge werden
ausländische Adoptionen in der Schweiz anerkannt, wenn sie im Staat des
Wohnsitzes oder im Heimatstaat der adoptierenden Person oder der adoptierenden
Ehegatten ausgesprochen worden sind. Ausserhalb dieser Konstellationen wird
eine im Ausland vollzogene Adoption durch Ehegatten mit Wohnsitz in der Schweiz
nicht anerkannt; vielmehr müsste sie diesfalls in der Schweiz "wiederholt"
werden (RASELLI/HAUSAMMANN/MÖCKLI/URWYLER, Ausländische Kinder sowie andere
Angehörige, in: Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, N. 16.106).

Die Wirkungen der Anerkennung gehen dahin, dass der ersuchte Staat die Geltung
fremder Rechtsakte auf seinem Hoheitsgebiet duldet (BGE 120 II 83 E. 3a/cc S.
86). Eine im Ausland ergangene Entscheidung kann in der Schweiz grundsätzlich
keine weitergehenden Wirkungen entfalten als im Urteilsstaat; die Anerkennung
kann nur Wirkungen erstrecken, nicht aber neue schaffen (BGE 129 III 626 E.
5.2.3 S. 635). Die Anerkennung einer ausländischen Adoption begründet deshalb
kein neues Kindesverhältnis, sondern erstreckt die Wirkungen dieses Rechtsaktes
auf die Schweiz (BGE 134 III 467 E. 3.3 S. 370).

2.2 Der Beschwerdeführer behauptet insbesondere, C.X.________ habe im Zeitpunkt
der Adoption noch die deutsche Staatsbürgerschaft besessen, weshalb diese im
Heimatstaat eines adoptierenden Elternteils erfolgt und deshalb gemäss Art. 78
IPRG in der Schweiz anerkennungsfähig sei.

Das Obergericht hat diesbezüglich erwogen, am 3. Dezember 1965 hätten beide
Elternteile die schweizerische Staatsbürgerschaft besessen. Weil das
Doppelbürgerrecht in der Schweiz erst seit dem 1. Januar 1992 ohne
Einschränkungen erlaubt sei, müsse davon ausgegangen werden, dass C.X.________
mit ihrer Einbürgerung auf ihr deutsches Bürgerrecht habe verzichten müssen.

2.3 Dieser Schluss kann so nicht gezogen werden. Massgeblich für das Schicksal
des deutschen Bürgerrechts ist nicht das schweizerische, sondern das deutsche
Recht, und im Übrigen ist nicht allein die damalige deutsche Rechtslage
entscheidend, sondern enthält die Frage, ob C.X.________ im Zeitpunkt der
Adoption die deutsche Staatsbürgerschaft noch besass, auch eine Tatkomponente:

Zunächst steht fest, dass die im Jahr 1924 im damals zu Deutschland gehörenden
Schlesien als Z.________ geborene C.X.________ ursprünglich deutsche
Staatsbürgerin war. Sodann ist bekannt, dass sie in der Schweiz nicht ein
ordentliches Einbürgerungsverfahren durchlief, welches seinerzeit in der Regel
tatsächlich eine Verzichtserklärung auf das bisherige Bürgerrecht bedingte,
sondern dass sie das Schweizer Bürgerrecht aufgrund der bis Ende 1991
bestehenden Gesetzeslage (vgl. Revision des BüG vom 23. März 1990, AS 1991
1034; zur vorangehenden Gesetzeslage BBl 1987 III 293,295) automatisch durch
die am 22. Dezember 1951 erfolgte Heirat mit dem Schweizer Bürger B.X.________
erwarb.

Ob dieser automatische Erwerb nach dem damaligen deutschen Recht zwingend zum
Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft führte, ist nicht bekannt. Aber selbst
aus dem Wissen um einen allfälligen Rechtsverlust nach der damaligen
Gesetzeslage in Deutschland liessen sich noch keine verbindlichen Schlüsse
ziehen: Offensichtlich konnten die schweizerischen Behörden nicht über das
deutsche Bürgerrecht disponieren; vielmehr lag es an den deutschen Stellen,
über dessen Bestand zu befinden. Eine Aberkennung hätte aber zunächst
vorausgesetzt, dass die deutschen Behörden von der Heirat und dem damit
verbundenen Erwerb des Schweizer Bürgerrechts erfahren haben, was nicht
zwingend ist. Sodann ist denkbar, dass die Behörden zwar davon erfahren, aber
C.X.________ das deutsche Bürgerrecht z.B. aus Billigkeitserwägungen belassen
haben.

Ob C.X.________ ihr deutsches Staatsbürgerrecht im Zeitpunkt der Adoption im
Dezember 1965 noch besass oder nicht, stellt ein entscheidrelevantes
Sachverhaltselement dar, ohne das es dem Bundesgericht nicht möglich ist, die
sich im Zusammenhang mit dem Anerkennungs- und Vollstreckungsbegehren
stellenden, insbesondere die im Zusammenhang mit Art. 78 IPRG stehenden
Rechtsfragen adäquat zu beantworten. Zumal es möglich sein sollte, die zu
dieser Feststellung notwendigen Unterlagen beizubringen, ist die Sache zur
Vervollständigung des Sachverhaltes an das Obergericht zurückzuweisen.

2.4 Bei dieser Sachlage werden die weiteren Rügen des Beschwerdeführers,
insbesondere diejenige im Zusammenhang mit dem Vertrauensgrundsatz, vorderhand
gegenstandslos.

3.
Der Beschwerdeführer ist im Grundsatz durchgedrungen, weshalb er seitens des
Kantons Aargau zu entschädigen ist (Art. 68 Abs. 2 BGG). Dem Kanton sind keine
Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 68 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen wird das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 23. März 2009 aufgehoben und die Sache zur
Sachverhaltsergänzung und neuen Entscheidung im Sinn der Erwägungen an das
Obergericht zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. August 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli