Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.282/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_282/2009

Urteil vom 29. Mai 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Heike E. Canonica,

gegen

Vormundschaftsbehörde A.________,
Z.________, Amtsvormundschaft B.________,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Heimeinweisung, Sistierung des Verfahrens,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, vom 18. März 2009.

Sachverhalt:

A.
X.________ (1951) ist die Mutter von Y.________ (1983), welche mit Beschluss
des Bezirksrates B.________ vom 30. Oktober 2002 gestützt auf Art. 369 ZGB
entmündigt wurde.

Die Tochter lebte während längerer Zeit mit ihrer Mutter in der gleichen
Wohnung in A.________. Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 ordnete die
Amtsvormundin an, dass die Tochter fortan in einer professionell betreuten
Wohnform leben solle, und sie wurde darauf in der Wohngruppe C.________ in
A.________ platziert.

B.
Mit Eingabe vom 2. Oktober 2008 beschwerte sich die Mutter bei der
Vormundschaftsbehörde A.________ gegen den angeordneten Wechsel der
Wohnverhältnisse. Am 8. Oktober 2008 hörte der Sekretär der
Vormundschaftsbehörde die Tochter an. Mit Beschluss vom 13. Oktober 2008 wies
die Vormundschaftsbehörde die Beschwerde ab mit der Begründung, die Neuregelung
der Wohnsituation sei dringend nötig. Um zu verhindern, dass die Tochter in
eine schwierige Situation hineingerate, sei sodann einer allfälligen Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

Mit Eingabe vom 27. Oktober 2008 verlangte die Mutter vom Bezirksrat B.________
die Aufhebung dieses Beschlusses. Mit weiterer Eingabe vom 4. November 2008
verlangte sie die vorsorgliche Rückplatzierung der Tochter und die sofortige
Aufhebung der Kontaktsperre.

Am 7. November 2008 führte die Bezirksratsschreiberin Telefongespräche mit dem
direkten Vorgesetzten der Tochter in der Institution S.________, wo sie
halbtags in geschütztem Rahmen arbeitet, sowie einer weiteren dortigen
Bezugsperson. Mit Schreiben vom 10. November 2008 hielt die Amtsvormundin fest,
eine Rückkehr in die Wohnung der Mutter müsse wegen deren krankhaften
Einflusses als sehr schädlich für die Tochter angesehen werden. Gleichentags
wurde die Bezirksratsschreiberin vom Vorgesetzen der Institution S.________
telefonisch orientiert, die Tochter sei sehr aufgeregt zur Arbeit erschienen;
sie habe berichtet, dass sie der Mutter gesagt habe, es gefalle ihr in der
Wohngruppe C.________ und sie wolle dort bleiben, worauf die Mutter
ausserordentlich heftig und ungehalten reagiert habe. Die Tochter sei ausser
sich gewesen und habe das Gefühl gehabt, wenn sie sich für die Wohngruppe
entscheide, verliere sie die Liebe der Mutter. Darauf wurde die Tochter am 12.
November 2008 von einer Delegation des Bezirksrats in der Wohngruppe C.________
angehört. Dabei wurde festgestellt, dass es ihr nach ihren eigenen Angaben gut
geht und es ihr im C.________ gefällt; sie habe sich entschieden, dort zu
bleiben, was aber nicht gegen ihre Mutter gerichtet sei.

C.
Parallel zum vorstehend geschilderten Beschwerdeverfahren der Mutter erhob die
Tochter am 17. Oktober 2008 bei der Vormundschaftsbehörde A.________ Einsprache
gegen den Entscheid der Amtsvormundin. Sie habe starkes Heimweh und möchte
trotz ihres Wohlbefindens in der Wohngruppe C.________ lieber wieder zu ihrer
Mutter in die Wohnung ziehen.

Mit Verfügung vom 6. November 2008 beauftragte die Vormundschaftsbehörde
A.________ den kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst in D.________ mit der
Begutachtung der Tochter. Dabei sollten insbesondere die Fragen beantwortet
werden, was der wirkliche Wunsch der Tochter betreffend Selbständigkeit und
Aufenthaltsort sei und welche Massnahmen erforderlich seien, um ihre Integrität
der Persönlichkeit, ihr Wohl und ihre Entwicklung sicherzustellen, und unter
welchen Rahmenbedingungen Kontakte mit der Mutter stattfinden könnten.

D.
Mit Zwischenverfügung vom 13. November 2008 entschied der Bezirksrat
B.________, dass das parallele Beschwerdeverfahren der Mutter sistiert werde,
bis die Vormundschaftsbehörde A.________ gestützt auf das Gutachten über die
Beschwerde der Tochter entschieden habe. Gleichzeitig wies der Bezirksrat das
Gesuch der Mutter um vorsorgliche Massnahmen (sofortige Rückplatzierung der
Tochter und Aufhebung der Kontaktsperre) vom 4. November 2008 ab.

Gegen die Sistierung des Beschwerdeverfahrens und gegen die Abweisung der
vorsorglichen Massnahmen erhob die Mutter Rekurs, den das Obergericht des
Kantons Zürich mit Beschluss vom 18. März 2009 abwies, soweit es darauf
eintrat. Das Obergericht wies aus materiellen Gründen auch das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ab.

E.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 22. April 2009 verlangt die Mutter die
Aufhebung des obergerichtlichen Beschlusses und die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das obergerichtliche Verfahren, die Aufhebung
des Zwischenentscheides des Bezirksrates B.________ wegen Rechtsverzögerung,
Vorbefasstheit der Ratsschreiberin, Missachtung des rechtlichen Gehörs in Bezug
auf die Protokollierungspflicht etc., die Aufhebung des Entscheides der
Vormundschaftsbehörde wegen formeller Rechtsverweigerung, Verletzung des
Akteneinsichtsrechts, der Begründungspflicht, fehlender Sachverhaltsermittlung
etc., die Aufhebung des Entscheides der Amtsvormundin wegen formeller
Rechtsverweigerung, Verletzung des Anhörungsrechts, der Begründungspflicht,
fehlender Sachverhaltsermittlung etc., die vollständige Aufhebung der
Kontaktregelung zwischen Mutter und Tochter sowie die Erteilung der
unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Es wurden
keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Soweit sich die Beschwerde in Zivilsachen gegen die Verfügungen und Entscheide
der Vormundin, der Vormundschaftsbehörde und des Bezirksrates wendet (S. 7 -
13), allgemein das Vorgehen der Amtsvormundin und der Vormundschaftsbehörde
kritisiert (S. 13 - 15) und eine angebliche Befangenheit der
Bezirksratsschreiberin geltend gemacht wird (S. 8) ist darauf nicht
einzutreten, weil nur der Entscheid der letzten kantonalen Instanz
Anfechtungsobjekt sein kann (Art. 75 Abs. 1 BGG); dies trifft einzig für den
Beschluss des Obergerichts vom 18. März 2009 zu.

Dieser beschlägt eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), ist aber nicht ein das
Verfahren abschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG), sondern ein
Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde in Zivilsachen - abgesehen vom hier
nicht gegebenen Ausnahmefall gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG - nur zulässig
ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93
Abs. 1 lit. a BGG). Für den Begriff des nicht wieder gutzumachenden Nachteils
ist Art. 87 Abs. 2 OG und die hierzu ergangene Rechtsprechung heranzuziehen
(BGE 133 III 629 E. 2.3 S. 632). Danach ist bei einer Beschwerde gegen die
Suspendierung eines Verfahrens vom Erfordernis eines weiteren, nicht wieder
gutzumachenden Nachteils abzusehen, wenn - wie vorliegend - eine
ungerechtfertigte Verfahrensverzögerung bzw. Rechtsverweigerung geltend gemacht
wird (BGE 120 III 144 E. 1b S. 144; zum Ganzen: BGE 135 III 127 E. 1.3 S. 129).
Dies steht letztlich in Zusammenhang mit Art. 94 BGG, wonach bei
unrechtmässiger Rechtsverzögerung und Rechtsverweigerung jederzeit Beschwerde
geführt werden kann.

Die Beschwerde ist folglich im Grundsatz zulässig, soweit sie sich gegen den
Beschluss des Obergerichts vom 18. März 2009 richtet.

2.
Mit Beschwerde in Zivilsachen kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht,
Völkerrecht und kantonalen verfassungsmässigen Rechten geltend gemacht werden
(Art. 95 BGG). Kantonales Recht ist - unter Vorbehalt von Art. 95 lit. c und d
BGG - demgegenüber nicht bzw. nur im Zusammenhang mit der Verletzung
verfassungsmässiger Rechte überprüfbar.

Was die Rechtsanwendung im Sinn von Art. 95 BGG anbelangt, so kann sie vom
Bundesgericht im Rahmen rechtsgenüglicher Vorbringen (Art. 42 Abs. 2 i.V.m.
Art. 95 f. BGG) grundsätzlich mit freier Kognition überprüft werden (Art. 106
Abs. 1 BGG). Demgegenüber gilt mit Bezug auf verfassungsmässige Rechte das
strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG), wie es für die frühere
staatsrechtliche Beschwerde gegolten hat (BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Das
heisst, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene Rügen prüft,
die soweit möglich zu belegen sind, während es auf ungenügend begründete Rügen
und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE
125 I 492 E. 1b S. 495; 130 I 258 E. 1.3 S. 262; 133 III 393 E. 7.1 S. 398).

Was schliesslich die Rüge willkürlicher Sachverhaltsfeststellung anbelangt, ist
neben der Erheblichkeit der gerügten Feststellungen für den Ausgang des
Verfahrens im Einzelnen darzulegen, inwiefern diese offensichtlich unhaltbar
sein, d.h. mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf
einem offenkundigen Versehen beruhen oder sich sachlich in keiner Weise
rechtfertigen lassen sollen (BGE 133 III 393 E. 7.1 S. 398).

3.
Das Obergericht hat erwogen, die Sistierung sei im vorliegenden Fall geboten
und richtig, hänge doch der Ausgang des Beschwerdeverfahrens der Mutter
wesentlich vom Ergebnis der Begutachtung der Tochter ab. Ergebe sich nämlich,
dass es für das zukünftige Wohl der Tochter am besten sei, wenn sie in der
Wohngruppe C.________ lebe, so werde die Mutter, wie deren Rechtsvertreterin in
den Schlussbemerkungen selbst festhalte, diese Situation akzeptieren müssen. Im
gegenteiligen Fall einer Rückkehr der Tochter in eine gemeinsame Wohnung wäre
dem Anliegen der Mutter Rechnung getragen, so dass ihr eigenes
Beschwerdeverfahren unnötig würde.

Mit Bezug auf die Kontaktsperre hat das Obergericht ausgeführt, die
Amtsvormundin habe die Kontakte zwischen Mutter und Tochter wegen deren
leichten Beeinflussbarkeit eingeschränkt. Seit dem 3. November 2008 seien
wöchentlich telefonische Kontakte möglich. Zudem sei für den 14. November 2008
ein Treffen im Rahmen einer Einladung zu einem Mittagessen in der Wohngruppe
C.________ vorgesehen gewesen. Im Übrigen habe die Amtsvormundin die Frage der
Kontakte in ihrem Entscheid vom 1. Oktober 2008 gar nicht geregelt und
entsprechend sei diese Frage auch nicht Gegenstand der Beschwerde an den
Bezirksrat gewesen. Die Mutter habe sich wenn schon direkt an die Amtsvormundin
zu wenden und diese habe im Rahmen ihrer Aufgaben gemäss Art. 406 Abs. 1 ZGB
allfällige Anordnungen zu treffen.

4.
Die Verfahrenssistierung beruht auf kantonalem Prozessrecht und das Obergericht
hat sich ausführlich dazu geäussert, weshalb die Sistierung des
Beschwerdeverfahrens der Mutter vorliegend angezeigt war.

Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, erschöpft sich in der Behauptung,
ein Gutachten sei für den Verfahrensabschluss unnötig, und in der
diesbezüglichen Begründung: "Erhellende, sachverhaltsmässige Erkenntnisse
müssen für die Verfahrensbeendigung auf Grund von wesentlichen, unheilbaren
Verfahrensfehlern nicht mehr beigebracht werden. Durch die offensichtlichen
Verfahrensfehler ist das Verfahren längst spruchreif, weshalb eine
Suspendierung lediglich einer unzulässigen Rechtsverzögerung gleichkommt."
Damit ist indes nicht im Ansatz dargetan, welches verfassungsmässige Recht das
Obergericht mit der auf kantonalem Recht gründenden Verfahrenssistierung
verletzt haben soll.

Im Übrigen erschöpft sich die Beschwerde in allgemeinen
Sachverhaltsschilderungen, in appellatorischer Kritik und in der Anrufung einer
ganzen Palette von Grundrechten, die jedoch in keinen oder nur in losen
Zusammenhang mit konkreten Einzelerwägungen des obergerichtlichen Beschlusses
gestellt werden. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, dass und inwiefern das
Obergericht das rechtliche Gehör verletzt haben soll. Damit stösst aber auch
die mit der angeblichen Gehörsverletzung verknüpfte Behauptung ins Leere, der
Rekurs an das Obergericht sei nicht aussichtslos gewesen und insofern sei die
unentgeltliche Rechtspflege zu Unrecht verweigert worden. Nicht ersichtlich ist
schliesslich, weshalb angeblich ein aufsichtsrechtliches Einschreiten des
Obergerichts erforderlich gewesen sein soll; aus den Sachverhaltsfeststellungen
des Obergerichts ergibt sich umgekehrt vielmehr, dass eine geeignete
Platzierung der Tochter unumgänglich war und dass sie in der Wohngruppe
C.________ gut aufgehoben ist.

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde in Zivilsachen abzuweisen ist,
soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann. Wie die vorstehenden
Erwägungen zeigen, muss sie als von Anfang an aussichtslos gelten, womit es
auch für das bundesgerichtliche Verfahren an den materiellen Voraussetzungen
der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und folglich das
entsprechende Gesuch abzuweisen ist. Beim genannten Verfahrensausgang sind die
Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Mai 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli