Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.165/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_165/2009

Urteil vom 10. Juni 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter L. Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber Rapp.

Parteien
A.________ (B.________),
Beschwerdeführerin,

gegen

Bezirksgericht Weinfelden,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Änderung des Vornamens,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 26.
Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
Im Rahmen eines Verfahrens betreffend Änderung des Scheidungsurteils vor dem
Bezirksgericht Weinfelden stellte B.________ als Nebenpunkt ein Gesuch um
Änderung seines Vornamens in A.________. A.________ (nachfolgend:
Beschwerdeführerin) wurde vom Bezirksgericht mit Schreiben vom 3. Dezember 2008
empfohlen, das Gesuch zurückzuziehen und nach vollzogener Geschlechtsumwandlung
das Verfahren betreffend Personenstands- und Vornamensänderung in der Schweiz
durchzuführen und nach Abschluss des Verfahrens um Vornamensänderung in
Deutschland beim Zivilstandsamt um Anerkennung des weiblichen Vornamens zu
ersuchen. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 zog die Beschwerdeführerin ihr
Gesuch "unter dem Vorbehalt einer Verfassungsklage" zurück. Mit Verfügung vom
30. Dezember 2008/7. Januar 2009 schrieb der Präsident des Bezirksgerichts das
Gesuch um Änderung des Vornamens zufolge Rückzug des Begehrens ab.

B.
Mit als Verfassungsbeschwerde bezeichneter Eingabe vom 7. Januar 2009
rekurrierte die Beschwerdeführerin beim Obergericht des Kantons Thurgau und
beantragte, es sei festzustellen, dass sie angesichts ihrer diagnostizierten
Transsexualität durch die fehlende Gesetzesgrundlage in der Schweiz und durch
die Ablehnung des Gesuchs um Änderung des Vornamens in ihren Grundrechten
benachteiligt und verletzt werde. Ferner beantragte sie, es sei ihrem Gesuch um
Änderung ihres Vornamens stattzugeben. Ausserdem ersuchte sie um unentgeltliche
Prozessführung.

Mit Entscheid vom 26. Januar 2009 wies das Obergericht den Rekurs ab, soweit es
darauf eintrat, und trat auf das Gesuch um Namensänderung nicht ein.

C.
Mit als Verfassungsbeschwerde bezeichneter Eingabe vom 7. März 2009 beantragt
die Beschwerdeführerin dem Bundesgericht die Feststellung der Verletzung
verschiedener verfassungsmässiger Rechte durch die Ablehnung des Gesuchs um
Änderung des Vornamens. Ferner ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege.

Sodann reicht die Beschwerdeführerin mit neuer Eingabe vom 28. Mai 2009 u.a.
den Entscheid des Departements für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau
vom 14. April 2009 ein, mit welchem ihr bewilligt wurde, den Vornamen
A.________ zu führen. In dieser Eingabe macht sie geltend, dass die Frage der
Vornamensänderung vor der geschlechtsangleichenden Operation als erledigt
angesehen werde, die Diskriminierung durch die fehlende medizinische Behandlung
der sekundären männlichen Geschlechsmerkmale vor dem vorgesehenen
Operationstermin jedoch verstärkt werde.

Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid in Zivilsachen,
welcher einen Endentscheid darstellt und eine nicht vermögensrechtliche
Angelegenheit betrifft (Art. 72 Abs. 1, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

Sind die Voraussetzungen einer Beschwerde in Zivilsachen somit insoweit
gegeben, ist die Beschwerdeschrift trotz der Bezeichnung als
"Verfassungsbeschwerde" als Beschwerde in Zivilsachen entgegenzunehmen.

2.
Eine Beschwerde vor Bundesgericht hat unter anderem die Begehren sowie deren
Begründung mit Angabe der Beweismittel zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). In
der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene
Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG).

3.
3.1 Das Obergericht erwog, dass auf das im Rekursverfahren neu gestellte
Feststellungsbegehren der Beschwerdeführerin (s. oben, Sachverhalt Bst. B)
nicht eingetreten werden könne, da in zweitinstanzlichen Verfahren neue Anträge
gemäss § 146 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. Juli 1988 über die Zivilrechtspflege
(Zivilprozessordnung, ZPO/TG; RB 271) grundsätzlich unzulässig seien.

Im Übrigen liess das Obergericht offen, ob die erste Instanz das Begehren der
Beschwerdeführerin trotz angebrachten Vorbehalts zu Recht zufolge Rückzugs als
gegenstandslos abgeschrieben hatte. Es betrachtete die Zivilgerichte für die
Behandlung eines Gesuchs um Vornamensänderung im Vorfeld einer operativen
Geschlechtsanpassung als sachlich nicht zuständig und führte aus, die erste
Instanz hätte auf den Antrag der Beschwerdeführerin nicht eintreten dürfen.
Vielmehr habe darüber gemäss Art. 30 Abs. 1 ZGB die Regierung des
Wohnsitzkantons des Betroffenen zu entscheiden.

3.2 Beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbständigen Begründungen,
die je für sich den Ausgang des Rechtsstreits besiegeln, so hat der
Beschwerdeführer darzulegen, dass jede von ihnen Recht verletzt; andernfalls
kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden (BGE 133 IV 119 E. 6.3 S. 120
f.).

Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, das Obergericht hätte auf ihre
Feststellungsbegehren eintreten müssen. Auch bringt sie nicht vor, das
Obergericht habe die Zivilgerichte zu Unrecht als nicht zuständig betrachtet.
Insofern wendet sie sich nicht gegen die Begründung im vorinstanzlichen
Entscheid.

Vielmehr stellt sie vor Bundesgericht erneut ein allgemeines Begehren auf
Feststellung von Verfassungsverletzungen (s. oben, Sachverhalt Bst. C). Eine
solche Rechtsschrift entspricht formal und inhaltlich keinem vor Bundesgericht
zulässigen Rechtsmittel, zumal die Beschwerdeführerin kein besonderes
Rechtsschutzinteresse i.S.v. Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG geltend macht, welches
ausnahmsweise eine Prüfung ihrer Feststellungsbegehren zulassen würde, so wenn
sich die gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte und eine
rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre
(Urteil 5A_781/2008 vom 5. Dezember 2008 E. 1.2 mit Hinweisen).

Insofern ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

4.
Soweit die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht geltend macht, ihr sei die
unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale Verfahren zu bewilligen, verkennt
sie offensichtlich, dass das Obergericht ihr Gesuch nicht abgelehnt hat,
sondern ausgeführt hat, aufgrund ihrer gerichtskundig engen finanziellen
Verhältnisse werde auf die Erhebung einer Verfahrensgebühr verzichtet, womit
sich auch die Behandlung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege erübrige.
Somit geht auch ihre Rüge betreffend die unentgeltliche Rechtspflege im
kantonalen Verfahren an der obergerichtlichen Argumentation vorbei und ist auf
sie nicht einzutreten.

5.
Insgesamt ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Wie die vorstehenden
Ausführungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden
sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen
Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das betreffende Gesuch der
Beschwerdeführerin abzuweisen ist. Gemäss dem Ausgang des Verfahrens sind die
Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juni 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Rapp