Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.104/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_104/2009/don

Urteil vom 19. März 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Catherine Weisser,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Köppel.

Gegenstand
Kinderunterhalt,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, II. Zivilkammer,
vom 12. Januar 2009.

Sachverhalt:

A.
X.________ und Y.________ sind die nicht verheirateten Eltern des Kindes
A.________ (geb. 1994).

B.
Mit Entscheid vom 25. September 2008 bzw. 12. Januar 2009 wies sowohl das
Kreisgericht Werdenberg-Sargans als auch das Kantonsgericht St. Gallen die von
der Mutter in eigenem Namen gegen den Vater erhobene Klage auf Leistung von
Kindesunterhalt wegen fehlender Aktivlegitimation ab.

C.
Gegen den Entscheid des Kantonsgerichts hat die Mutter am 12. Februar 2008
Beschwerde in Zivilsachen eingereicht mit dem Begehren um dessen Aufhebung und
um Anweisung der Gerichte des Kantons St. Gallen, die gestellten Klagebegehren
materiell zu beurteilen. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in einer
Zivilsache. Das erstinstanzliche Gericht hat den Streitwert auf über Fr.
200'000.-- beziffert. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist somit einzutreten
(Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 lit. b, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

2.
Das Kantonsgericht hat erwogen, der Unterhaltsanspruch stehe dem Kind zu und
sei in dessen Namen geltend zu machen. Einzig im Scheidungs- und
Eheschutzverfahren sei eine Prozessstandschaft durch den betreuenden Elternteil
möglich; ausserhalb dieser Verfahren sei eine Prozessstandschaft aber
ausgeschlossen und entsprechend sei die Unterhaltsklage mangels
Aktivlegitimation der Mutter abzuweisen.
Die Mutter macht geltend, die Verneinung der Möglichkeit einer
Prozessstandschaft verletze die Art. 296 ff. ZGB und stelle eine materielle
Rechtsverweigerung im Sinn von Art. 9 BV, eine Ungleichbehandlung gemäss Art. 8
BV sowie überspitzten Formalismus dar und verletzte das rechtliche Gehör. Sie
verweist in erster Linie auf BGE 84 II 244, ferner auf BGE 98 V 216, 122 IV
207, 107 II 10 und 109 II 371.

2.1 Was die vier letztgenannten Entscheide angeht, so beschlagen diese entweder
völlig andere Themen (BGE 98 V 216 betrifft eine Kinderrente gemäss Art. 35
IVG, welche a priori den Eltern und nicht dem Kind zusteht; BGE 122 IV 207
äussert sich zum Strafantragsrecht im Zusammenhang mit Art. 217 StGB) oder den
Spezialfall der Scheidung, den auch das Kantonsgericht anerkannt hat und auf
den in E. 2.2 zurückzukommen sein wird.
Was BGE 84 II 244 anbelangt, so hat das Bundesgericht seinerzeit unter der
Herrschaft des alten Kindesrechts im Zusammenhang mit einer
Erbschaftsangelegenheit entschieden, dass der Inhaber der elterlichen Gewalt
Vermögensrechte des Kindes in eigenem Namen wahren könne, weil ihm in dieser
Funktion (gestützt auf Art. 290 Abs. 1 aZGB) die Verwaltung des Kindesvermögens
obliege. Vorliegend geht es aber nicht um die Verwaltung des Kindesvermögens,
sondern um die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, und diese bemessen sich
nicht nach dem alten, sondern nach dem revidierten, seit 1. Januar 1978 in
Kraft stehenden Kindesrecht.

2.2 Zwei Bestimmungen sind im interessierenden Kontext relevant: Das Kind kann
gegen den Vater oder die Mutter oder gegen beide klagen auf Leistung des
Unterhalts für die Zukunft und für ein Jahr vor Klageerhebung (Art. 279 ZGB).
Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht dem Kind zu und wird, solange das
Kind unmündig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den
Inhaber der Obhut erfüllt (Art. 289 Abs. 1 ZGB).
Nebst der Schuldnerschaft bzw. Passivlegitimation regeln die beiden zitierten
Bestimmungen drei Fragen, nämlich wer Gläubiger der Unterhaltsforderung ist,
wer diese gerichtlich geltend machen und an wen befreiend erfüllt werden kann.
Mit Bezug auf die im Streit liegende zweite Frage der Klagelegitimation erklärt
Art. 279 ZGB das Kind als zur prozessualen Durchsetzung des Unterhaltsrechts -
dessen Träger es im Übrigen ist - aktivlegitimiert. Das Kind ist denn auch ab
seiner Geburt parteifähig, wobei der gesetzliche Vertreter für das Kind
handelt, solange dieses noch nicht selbst prozessfähig ist (HEGNAUER, Berner
Kommentar, N. 21 ff. zu Art. 279/280 ZGB; Hegnauer, Grundriss des Kindesrechts,
5. Aufl., Bern 1999, Rz. 21.02 f.; STETTLER, in: Schweizerisches Privatrecht,
Band III/2, S. 336 f.; Hausheer/Spycher, Handbuch des Unterhaltsrechts, Bern
1997, Rz. 06.10 ff., insb. 06.12; BREITSCHMID, Basler Kommentar, N. 7 zu Art.
279 ZGB, erwähnt zwar BGE 84 II 244 noch als Zitat, was irreführend ist, macht
aber hierzu keine weiteren Ausführungen bzw. hält im Übrigen ebenfalls fest,
dass Kläger das Kind sei).
Das Gesagte bedeutet nicht, dass eine Prozessstandschaft im Bereich des
Kindesunterhalts von vornherein nie möglich wäre; indes bedarf es für dieses
von der Grundkonzeption gemäss Art. 279/289 ZGB abweichende Vorgehen einer lex
specialis, wie sie mit Art. 133 Abs. 1 und Art. 176 Abs. 3 ZGB für die
Ehescheidung und den Eheschutz sowie kraft Verweises in Art. 137 ZGB auch für
die vorsorglichen Massnahmen während des Scheidungsverfahrens besteht. Dieser
Ausnahmeregelung bedarf es, weil das Kind in den betreffenden Verfahren nicht
Partei ist, aber seine Rechte und Belange trotzdem in die Entscheidung
miteinzubeziehen sind. In den genannten Verfahren kann der Ehegatte im
Grundsatz nur für die Unterhaltsbeiträge von Kindern, deren gesetzlicher
Vertreter er ist, d.h. für die Rechte unmündiger Kinder als
Prozessstandschafter auftreten (vgl. BGE 107 II 465 E. 6b S. 473; 109 II 371 E.
4 S. 372 f.; 129 III 55 E. 3.1.3 S. 58). Indes enthält Art. 133 Abs. 1 Satz 2
ZGB aus Gründen der Zweckmässigkeit und Prozessökonomie den (im Zusammenhang
mit der Herabsetzung des Mündigkeitsalters auf 18 Jahre bereits im früheren
Art. 156 aZGB eingefügten) Vorbehalt, dass der Unterhaltsbeitrag auch über die
Mündigkeit hinaus festgelegt werden darf; hier kann sich die Prozessstandschaft
ausnahmsweise sogar auf Mündigenunterhalt erstrecken (vgl. BGE 129 III 55 E.
3.1.4 S. 58 f.). Auch in anderer Hinsicht sind dem Familienrecht
Prozessstandschaften und ähnliche Erscheinungen nicht fremd; so erklärt Art.
261 Abs. 1 ZGB nebst dem Kind zugleich die Mutter als legitimiert, auf
Feststellung des Kindesverhältnisses zwischen dem Kind und dem Vater zu klagen,
und was den Kindesunterhalt anbelangt, sieht Art. 289 Abs. 1 ZGB gewissermassen
eine "Standschaft" für die Entgegennahme der Erfüllungshandlungen vor.
Dass ausserhalb der gesetzlich vorgesehenen Spezialfälle jedenfalls im Bereich
des Familienrechts keine Prozessstandschaft möglich ist, folgt aus dem
Grundsatz, dass zur Sache legitimiert ist, wer am streitigen Recht materiell
zuständig ist, und aus dem prozessualen Effekt, dass dem Prozesstandschafter
Parteistellung zukommt mit der Folge, dass damit Rechtsträgerschaft und
Aktivlegitimation auseinanderfallen (vgl. Kummer, Grundriss des
Zivilprozessrechts, 4. Aufl., Bern 1984, S. 66 f.); hierfür bedarf es wie
gesagt einer speziellen Grundlage. Was den Kindesunterhalt anbelangt, kann die
ausserhalb von Scheidungs- und Eheschutzverfahren fehlende Möglichkeit der
Prozessstandschaft zugegebenermassen gewisse Erschwernisse zur Folge haben,
etwa dort, wo mehrere Kinder klagen müssen und diese keine Streitgenossenschaft
bilden können (vgl. Anwendungsfall in 5C.18/2000, E. 3, nicht publ. in BGE 126
III 353). Solche - im vorliegenden Fall aber nicht gegebenen - Auswirkungen
müssen angesichts der klaren gesetzlichen Ausgangslage hingenommen werden.
Nicht nachvollziehbar ist schliesslich die Befürchtung der Beschwerdeführerin,
insbesondere kleine, noch nicht urteilsfähige Kinder würden einem unhaltbaren
seelischen Druck ausgesetzt, wenn der gesetzliche Vertreter in deren Namen
klagen müsste.

2.3 Die Rüge der angeblichen Gehörsverletzung wird nicht begründet, weshalb auf
diese nicht eingetreten werden kann (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).
Die weiteren Verfassungsrügen (Rechtsgleichheitsgebot, Willkürverbot, Verbot
des überspitzten Formalismus) gehen in der mit voller Kognition vorgenommenen
Auslegung der massgeblichen zivilrechtlichen Normen auf und sind damit
konsumiert.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass das Kantonsgericht mit der Verneinung der
Aktivlegitimation der Mutter kein Bundesrecht verletzt hat und die Beschwerde
in Zivilsachen abzuweisen ist, soweit auf sie eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind somit der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG). Der Gegenpartei ist kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, II.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. März 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli