Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.100/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
5A_100/2009

Urteil vom 25. Mai 2009
II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Möckli.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Hans Ulrich Burri,

gegen

A.________,
B.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Fürsprecher Jürg Roth.

Gegenstand
Informationsrecht der ehemaligen Pflegeeltern,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern, Appellationshof, 1. Zivilkammer,
vom 24. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
Y.________ ist die etwa 8 1/2-jährige Tochter von X.________. Ab dem 10.
Lebensmonat verbrachte sie rund sieben Jahre bei den Pflegeeltern A.________
und B.________. Seit gut einem Jahr lebt sie wieder bei ihrer Mutter.

B.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2008 verpflichtete die Vormundschaftskommission Thun
die Mutter, die früheren Pflegeeltern vierteljährlich schriftlich über die
Kinderbelange und die Entwicklung von Y.________ zu informieren und eine
aktuelle Foto beizulegen. Sodann wurde der Amtsbeiständin der Auftrag erteilt,
in einem Jahr die Einräumung eines Besuchsrechts zugunsten der früheren
Pflegeeltern zu prüfen.

Mit Entscheiden vom 7. Oktober bzw. 24. Dezember 2008 wiesen sowohl der
Regierungsstatthalter von Thun als auch das Obergericht des Kantons Bern die
dagegen erhobenen Rechtsmittel der Mutter ab.

C.
Gegen den Entscheid des Obergerichts hat die Mutter am 9. Februar 2009 eine
Beschwerde in Zivilsachen eingereicht. Mit Vernehmlassung vom 29. April 2009
haben die Pflegeeltern auf Abweisung der Beschwerde geschlossen. Das
Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt in verschiedener Hinsicht eine willkürliche
Sachverhaltsfeststellung, indem sie den Sachverhalt aus eigener Sicht
schildert. Tatsächlich hat das Obergericht aber überhaupt keinen oder
jedenfalls keinen tauglichen Sachverhalt festgestellt; darauf wird
zurückzukommen sein.

Sodann macht die Beschwerdeführerin geltend, das Obergericht habe Bundesrecht,
namentlich Art. 275a Abs. 1 sowie Art. 307 Abs. 3 ZGB, falsch angewandt. Ein
Informationsrecht der Pflegeeltern, die ein künstliches (nicht biologisches)
und meist bezahltes Betreuungsverhältnis gehabt hätten, lasse sich nicht auf
die betreffenden Bestimmungen abstützen. Diese zielten vielmehr auf das
Kindeswohl; Y.________ wolle aber nicht, dass sie für die früheren Pflegeeltern
fotografiert werde und dass diese regelmässig über sie informiert würden.

2.
Das Obergericht hat erwogen, in der Lehre sei umstritten, ob sich ein
Informationsrecht von Drittpersonen, namentlich von Pflegeeltern, auf Art. 275a
ZGB stützen lasse; die Frage könne jedoch offen gelassen werden, weil sich die
Vormundschaftsbehörde auf Art. 307 Abs. 3 ZGB berufen habe (dazu E. 2.1).

In der Folge scheint das Obergericht das Informationsrecht der Pflegeeltern
allerdings doch auf Art. 275a ZGB zu gründen, wobei der angefochtene Entscheid
diesbezüglich diffus bleibt (dazu E. 2.2).

Im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) wird sodann
zu prüfen sein, ob und inwieweit sich das den Pflegeeltern zugestandene
Informations- und Auskunftsrecht allenfalls auf Art. 274a ZGB stützen liesse
(dazu E. 2.3).

2.1 Sofern das Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht selbst für
Abhilfe schaffen, trifft die Vormundschaftsbehörde gestützt auf Art. 307 Abs. 1
ZGB die geeigneten Massnahmen. In diesem Zusammenhang kann die Behörde gemäss
Art. 307 Abs. 3 ZGB den Eltern Weisungen für die Pflege, Erziehung oder
Ausbildung der Kinder erteilen und bei Bedarf eine geeignete Person oder Stelle
bestimmen, welcher diesbezüglich Einblick und Auskunft zu geben ist.

Dem angefochtenen Entscheid lassen sich keine Sachverhaltsfeststellungen
dahingehend entnehmen, dass das Kindeswohl akut gefährdet wäre, und noch
weniger, dass die ehemaligen Pflegeeltern mit der Überwachung von behördlich
erteilten Weisungen beauftragt wären und hierfür einer bestimmten
Informationsbasis bedürften, so dass Art. 307 Abs. 3 ZGB im vorliegenden Fall
als Rechtsrundlage ausser Betracht fällt.

2.2 Der im Zusammenhang mit der Revision des Scheidungsrechts eingefügte Art.
275a ZGB gibt den Eltern ohne elterliche Sorge verschiedene Informations- und
Auskunftsrechte. Anlass dieser Bestimmung war die Überlegung, dass sich das
Elternsein nicht auf ein Besuchsrecht und die Zahlpflicht für den Unterhalt des
Kindes beschränken soll (BBl 1996 I 160). Dass nebst den Eltern weitere
Personen informations- und auskunftsberechtigt sein sollten, hat die
Expertenkommission abgeleht (vgl. DOLDER, Die Informations- und Anhörungsrechte
des nichtsorgeberechtigten Elternteils nach Art. 275a ZGB, Diss. St. Gallen
2002, S. 103).

Angesichts des aus den Materialien ersichtlichen Hintergrundes der
Gesetzesnovelle kann es bei einer sehr jungen, erst seit 1. Januar 2000 in
Kraft stehenden Gesetzesbestimmung nicht angehen, über den klaren Wortlaut
hinaus weiteren Personen Informations- und Auskunftsrechte einzuräumen. Gegen
eine solche freie Rechtsfindung wendet sich auch die Lehre (DOLDER, a.a.O., S.
103; einer Ausdehnung namentlich auf Stiefeltern nicht von vornherein abgeneigt
allerdings SCHWENZER, Basler Kommentar, N. 3 zu Art. 275a ZGB).

2.3 Gestützt auf Art. 274a Abs. 1 ZGB kann bei Vorliegen besonderer
Verhältnisse anderen Personen als den Eltern ein Besuchsrecht eingeräumt
werden, sofern dies dem Wohl des Kindes dient. Nebst den gesetzlich besonders
erwähnten Verwandten - der Gesetzgeber hat hier primär an die Grosseltern
gedacht (vgl. HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 4 ff. zu Art. 274a ZGB) - können
insbesondere auch ehemalige Pflegeeltern zum Kreis der Besuchsberechtigten
gehören (HEGNAUER, a.a.O., N. 14 zu Art. 274a ZGB; SCHWENZER, a.a.O., N. 3 zu
Art. 274a ZGB).

Vorliegend geht es zwar nicht direkt um die Gewährung von Besuchen; Hintergrund
der getroffenen Anordnungen scheint aber die Vorbereitung eines später
allenfalls einzuräumenden Besuchsrechts der Pflegeeltern zu sein. Vor diesem
Hintergrund scheint es nicht von vornherein undenkbar, die getroffenen
Anordnungen auf Art. 274a ZGB abzustützen. Indes ist zu beachten, dass ein
allfälliges Besuchsrecht von Drittpersonen anders als der persönliche Verkehr
zwischen Eltern und Kind seine Rechtfertigung allein aus dem Interesse des
Kindes ableitet. Das Besuchsrecht anderer Personen muss deshalb - wie der
Gesetzestext explizit festhält - dem Wohl des Kindes dienen, sich mithin
positiv für dieses auswirken. Von vornherein gebricht es an dieser
Voraussetzung, wenn nachteilige Wirkungen auf das Kind oder unzumutbare
Belastungen für den Inhaber der Obhut zu befürchten sind (HEGNAUER, a.a.O., N.
15 zu Art. 274a ZGB).

Ob das Kindeswohl die vorliegend getroffenen Massnahmen erfordert bzw. bei
fehlendem behördlichen Einschreiten Nachteile für die Entwicklung von
Y.________ zu befürchten sind, lässt sich auf der Basis des angefochtenen
Entscheides nicht beantworten. Das Obergericht hat einzig die Feststellung ex
negativo getroffen, dass in der "Anordnung einer vierteljährlichen,
schriftlichen Information gegenüber den Appellaten über die Kinderbelange und
die Entwicklung von Y.________, unter Beilage eines aktuellen Photos, keine
Gefährdung des Kindeswohls zu erblicken" sei. Damit hat es aber die
Fragestellung umgekehrt. Die rechtsrelevante Frage ist, ob das Kindeswohl die
getroffenen Massnahmen gebietet, und nicht, ob es diesen entgegensteht.

Das Obergericht hat ferner auf ein kinderpsychologisches Gutachten vom 15.
Dezember 2006 verwiesen, "wonach den Appellaten grundsätzlich ein Besuchsrecht
im Sinne von Art. 274a ZGB zusteht". Abgesehen davon, dass es vorliegend noch
nicht um das Besuchsrecht selbst, sondern um Informationen für die Vorbereitung
eines allenfalls möglichen späteren Besuchsrechts geht, hat ein
kinderpsychologisches Gutachten nicht Rechtsfragen zu beantworten, sondern die
Grundlagen zu liefern, welche dem Gericht die Beantwortung der relevanten
rechtlichen Fragen ermöglichen. Was die Inhalte des Gutachtens und was
demzufolge die Grundlagen für die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen
sind, wird im angefochtenen Entscheid nicht dargestellt.

3.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die letzte
kantonale Instanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Enthält der
angefochtene Entscheid entgegen der Vorschrift von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG
zu den rechtsrelevanten Fragen keine Sachverhaltsfeststellungen - das
Obergericht beschränkt sich auf eine kurze Wiedergabe der Parteistandpunkte und
die beiden in E. 2.2. genannten Sachverhaltssplitter -, so muss dieser gestützt
auf Art. 112 Abs. 3 BGG aufgehoben und zur Erstellung des rechtserheblichen
Sachverhaltes sowie zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen
werden.

4.
Die Beschwerdeführerin ist mit ihrem Anliegen im Grundsatz durchgedrungen (auch
angesichts des mutmasslichen Ausgangs des weiteren kantonalen Verfahrens), so
dass die Beschwerdegegner kosten- und entschädigungspflichtig werden (Art. 66
Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Zufolge prozessualer Bedürftigkeit ist das Gesuch der Beschwerdeführerin um
unentgeltliche Rechtspflege gutzuheissen, und es ist ihr Fürsprecher Hans
Ulrich Burri als unentgeltlicher Rechtsanwalt beizuordnen (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG). Zufolge der grundsätzlichen Entschädigungspflicht der Beschwerdegegner
ist die Beschwerdeführerin bzw. ihr Anwalt allerdings nur bei
Nichteinbringlichkeit der Entschädigung bei der Gegenpartei direkt aus der
Bundesgerichtskasse zu entschädigen (vgl. BGE 122 I 322 E. 2d S. 326 f.).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In dahingehender Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Obergerichts
des Kantons Bern vom 24. Dezember 2008 aufgehoben und die Sache zur Erstellung
des rechtsrelevanten Sachverhalts sowie zum neuen Entscheid in der Sache an das
Obergericht zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdegegnern auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegner haben die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.

4.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird
gutgeheissen und es wird ihr Fürsprecher Hans Ulrich Burri als unentgeltlicher
Rechtsanwalt beigeordnet.

Bei Nichteinbringlichkeit der Parteientschädigung gemäss Ziff. 3 wird
Fürsprecher Hans Ulrich Burri aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'000.--
entschädigt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Appellationshof, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Mai 2009
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Hohl Möckli