Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.69/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_69/2009

Urteil vom 8. April 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Hurni.

Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Erich Rüegg und Alain Bieger,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Philipp Habegger und Elena Rappold.

Gegenstand
Internationales Schiedsgericht;
Art. 190 Abs. 2 lit. d und e IPRG,

Beschwerde gegen den Entscheid des Schiedsgerichts der Zürcher Handelskammer
vom 19. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG mit Sitz in Baden (Beschwerdeführerin) und die Y.________ mit
Sitz in Taipei City, Taiwan, (Beschwerdegegnerin) schlossen am 12. Februar 1997
einen Beratungsvertrag im Hinblick auf den Abschluss einer Vereinbarung
zwischen der Beschwerdeführerin und der Z.________ Ltd. über den Betrieb und
Unterhalt eines Elektrizitätswerks. Die Beschwerdeführerin lehnte es in der
Folge ab, die Beschwerdegegnerin für ihre erbrachten Beratungsdienstleistungen
zu entschädigen.

B.
B.a Am 15. September 2004 leitete die Beschwerdegegnerin ein Schiedsverfahren
vor der Zürcher Handelskammer ein mit dem Antrag, die Beschwerdeführerin sei
zur Zahlung von 10 % des von der Z.________ Ltd. an die Beschwerdeführerin
bezahlten Betrages, mindestens jedoch von Fr. 5'400'000.-- zu verurteilen. Die
Beschwerdeführerin bestritt die Zuständigkeit des Einzelschiedsrichters und
beantragte im Übrigen die Abweisung der Klage. Sie erhob dabei diverse Einwände
gegen die Gültigkeit des Beratungsvertrages.
B.b Mit Zwischenentscheid vom 28. Juni 2005 bejahte der Einzelschiedsrichter
seine Zuständigkeit. Mit einem weiteren Zwischenentscheid vom 23. Februar 2007
stellte er zudem fest, dass der Beratungsvertrag vom 12. Februar 1997 gültig
und wirksam sei.
B.c In der Folge entdeckte die Beschwerdeführerin neue Beweismittel. Sie
glaubte, damit beweisen zu können, dass es sich beim Beratungsvertrag um ein
Schmiergeldversprechen handle und dieser daher nichtig sei. Am 28. Januar 2008
gelangte die Beschwerdeführerin diesbezüglich mit einem Revisionsgesuch an das
Bundesgericht. Mit Urteil 4A_42/2008 vom 14. März 2008 wies das Bundesgericht
das Revisionsgesuch ab, soweit es darauf eintrat.
B.d Am 17. Juni 2008 erliess der Einzelschiedsrichter einen Zwischen- und
Teilentscheid, in dem er unter anderem entschied, welche Zahlungen der
Z.________ Ltd. an die Beschwerdeführerin für die Berechnung der
prozentmässigen Beteiligung der Beschwerdegegnerin berücksichtigt werden
müssen.
B.e Mit Endentscheid ("Final Award") vom 19. Dezember 2008 verurteilte der
Einzelschiedsrichter die Beschwerdeführerin schliesslich zur Zahlung von Fr.
14'168'385.30 nebst Zins mit unterschiedlichen Fälligkeiten.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 2. Februar 2009 beantragt die
Beschwerdeführerin dem Bundesgericht, es sei der Endentscheid des
Schiedsgerichts aufzuheben und die Schiedssache zur Abweisung der Schiedsklage
und zur neuen Kostenverlegung, eventuell zur neuen Entscheidung an das
Schiedsgericht zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Nichteintreten auf
die Beschwerde, eventualiter auf deren Abweisung. Der Einzelschiedsrichter
schliesst sinngemäss auf Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG ergeht der Entscheid des Bundesgerichts in einer
Amtssprache, in der Regel in jener des angefochtenen Entscheids. Wurde dieser
in einer anderen Sprache redigiert, verwendet das Bundesgericht die von den
Parteien gewählte Amtssprache. Der angefochtene Entscheid ist in englischer
Sprache redigiert. Da es sich dabei nicht um eine Amtssprache handelt und sich
die Parteien vor Bundesgericht der deutschen Sprache bedienen, ergeht der
Entscheid des Bundesgerichts auf Deutsch.

2.
2.1 Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Beschwerde in
Zivilsachen unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG gegen
Schiedsentscheide zulässig (Art. 77 Abs. 1 BGG). Der Sitz des Schiedsgerichts
befindet sich vorliegend in Zürich. Die Beschwerdegegnerin hatte beim Abschluss
der Schiedsvereinbarung ihren Sitz in Taiwan, mithin nicht in der Schweiz. Da
die Parteien die Bestimmungen des 12. Kapitels des IPRG nicht schriftlich
ausgeschlossen haben, gelangen diese zur Anwendung (Art. 176 Abs. 1 und 2
IPRG).

2.2 Der Einzelschiedsrichter hat einen Endentscheid gefällt, der vor
Bundesgericht aus allen in Art. 190 Abs. 2 IPRG genannten Gründen angefochten
werden kann. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Entscheid
direkt berührt. Sie hat damit ein rechtlich geschütztes Interesse an dessen
Aufhebung (Art. 76 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde ist form- und fristgerecht (Art.
42 Abs. 1 BGG; Art. 100 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG)
eingegangen, weshalb darauf einzutreten ist.

2.3 Die Beschwerde in Zivilsachen gegen internationale Schiedsentscheide (Art.
77 Abs. 1 BGG) ist grundsätzlich rein kassatorischer Natur, d.h. sie kann nur
zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen (vgl. Art. 77 Abs. 2 BGG, der
die Anwendbarkeit von Art. 107 Abs. 2 BGG ausschliesst). Soweit die
Beschwerdeführerin mehr verlangt, kann darauf nicht eingetreten werden.

3.
Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen den materiellrechtlichen Ordre
public (Art. 190 Abs. 2 lit. e IPRG). Ihrer Ansicht nach stellt der
Beratungsvertrag mit der Beschwerdegegnerin ein widerrechtliches bzw.
sittenwidriges Schmiergeldversprechen dar. Der angefochtene Schiedsentscheid,
der von der Gültigkeit dieses Beratungsvertrags ausgeht, sei folglich mit dem
Ordre public unvereinbar. Zur Begründung ihrer Ansicht stützt sich die
Beschwerdeführerin auf Beweismittel, die sie im Schiedsverfahren nicht
rechtzeitig vorgebracht hat. Wie sie selbst zutreffend festhält, hat das
Bundesgericht mit Urteil 4A_42/2009 vom 14. März 2008 entschieden, dass diese
Beweismittel im schiedsgerichtlichen Verfahren aufgrund der verspäteten Eingabe
zu Recht unberücksichtigt blieben. Die Beschwerdeführerin rügt denn auch nicht
mehr, dass das Schiedsgericht die Beweismittel zu Unrecht nicht berücksichtigt
habe; sie ist jedoch der Auffassung, dass sie die neuen Beweismittel im
bundesgerichtlichen Verfahren gestützt auf Art. 99 BGG vorbringen dürfe.

3.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 77 i.V.m. 105 Abs. 1 BGG). Im Bereich der
internationalen Schiedsgerichtsbarkeit kann es die Sachverhaltsfeststellungen
des Schiedsgerichts weder auf Rüge hin überprüfen (Art. 77 Abs. 2 i.V.m. Art.
97 BGG) noch von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen (Art. 77 Abs. 2 i.V.m.
Art. 105 Abs. 2 BGG). Allerdings kann das Bundesgericht die tatsächlichen
Feststellungen des angefochtenen Schiedsentscheids überprüfen, wenn gegenüber
diesen Sachverhaltsfeststellungen zulässige Rügen im Sinne von Art. 190 Abs. 2
IPRG vorgebracht oder ausnahmsweise Noven berücksichtigt werden (BGE 133 III
139 E. 5 S. 141; 129 III 727 E. 5.2.2 S. 733; je mit Hinweisen). Wer sich auf
eine Ausnahme von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen
Feststellungen des Schiedsgerichts beruft und den Sachverhalt gestützt darauf
berichtigt oder ergänzt wissen will, hat mit Aktenhinweisen darzulegen, dass
entsprechende Sachbehauptungen bereits im Verfahren vor dem Schiedsgericht
prozesskonform aufgestellt worden sind (vgl. BGE 115 II 484 E. 2a S. 486; 111
II 471 E. 1c S. 473; je mit Hinweisen). Noven können gestützt auf Art. 99 BGG
zudem einzig insoweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz
dazu Anlass gibt.

3.2 Die Gültigkeit des Beratungsvertrags war bereits vor dem Schiedsgericht
umstritten, weshalb nicht erst der angefochtene Entscheid Anlass zu den neuen
Vorbringen geben kann. Die Beschwerdeführerin ist jedoch der Auffassung, dass
gemäss einer neueren Lehrmeinung die behauptete Nichtigkeit eines
Rechtsverhältnisses auch noch im bundesgerichtlichen Verfahren von Amtes wegen
zu prüfen sei. Dabei seien auch neue Tatsachen zu berücksichtigen. Die
Beschwerdeführerin verkennt freilich, dass die einzige Textstelle, auf die sie
sich beruft (MEYER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, N. 32 zu Art.
99 BGG), sich lediglich auf die Nichtigkeit öffentlichrechtlicher Verfügungen
bezieht. Inwieweit diese Auffassung zutreffend ist, braucht hier nicht
entschieden zu werden, da jedenfalls bezüglich der Frage der Nichtigkeit
privatrechtlicher Verträge kein Anlass besteht, vom Wortlaut des Art. 99 BGG
abzuweichen. Die neuen Beweismittel sind damit unzulässig. Da die für das
Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Schiedsgerichts
keine Hinweise enthalten, die auf ein Schmiergeldversprechen schliessen
liessen, erweist sich die Beschwerde des Verstosses gegen den
materiellrechtlichen Ordre public als unbegründet.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt weiter, das Schiedsgericht habe den Grundsatz des
rechtlichen Gehörs (Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG) verletzt, indem es diverse von
ihr prozesskonform vorgebrachte Beweismittel im Zwischen- und Teilentscheid vom
17. Juni 2008 nicht berücksichtigt habe. Dem halten sowohl die
Beschwerdegegnerin wie auch der Einzelschiedsrichter entgegen, dass die
Beschwerdeführerin die Gehörsrüge verwirkt habe, indem sie nicht sofort vor dem
Schiedsgericht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt habe.

4.1 Die Partei, die sich durch eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs oder
einen anderen Verfahrensmangel für benachteiligt hält, verwirkt ihre Rügen,
wenn sie diese nicht rechtzeitig im Schiedsverfahren vorbringt und nicht alle
zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um sich Gleichbehandlung und rechtliches
Gehör zu verschaffen (BGE 119 II 386 E. 1a S. 388). Es widerspricht Treu und
Glauben, einen Verfahrensmangel erst im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zu
rügen, obgleich im Schiedsverfahren die Möglichkeit bestanden hätte, dem
Schiedsgericht die Gelegenheit zur Behebung dieses Mangels zu geben (BGE 119 II
386 E. 1a S. 388; Urteil 4P.72/2001 vom 10. September 2001 E. 4c; JERMINI, Die
Anfechtung der Schiedssprüche im internationalen Privatrecht, Diss. Zürich
1997, S. 221 f.; SCHNEIDER, Basler Kommentar, N. 70 ff. zu Art. 182 IPRG).
Treuwidrig und rechtsmissbräuchlich handelt insbesondere die Partei, welche
Rügegründe gleichsam in Reserve hält, um diese bei ungünstigem Prozessverlauf
und voraussehbarem Prozessverlust nachzuschieben (vgl. BGE 126 III 249 E. 3c S.
254).

4.2 Weder aus den tatsächlichen Feststellungen des Schiedsgerichts noch aus der
Beschwerdeschrift geht hervor, dass die Beschwerdeführerin gegen die
Nichtzulassung der Beweismittel protestiert hätte. Sie kann nur auf
schriftliche Rügen in zwei Schreiben vom 14. Juli 2008 und vom 17. Oktober 2008
verweisen, die aber erst nach dem Zwischen- und Teilentscheid vom 17. Juni 2008
vorgebracht wurden. Die Beschwerdeführerin hatte vor Ausfällung des Entscheids
vom 17. Juni 2008 mehrmals Gelegenheit, ihre Rüge der Verletzung des
rechtlichen Gehörs vorzubringen. Indem sie dies unterlassen und sich erst nach
erfolgtem Entscheid darauf berufen hat, hat sie diese Rüge verwirkt.

5.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten
ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 40'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 50'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Schiedsgericht der Zürcher
Handelskammer schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. April 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Hurni