Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.427/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_427/2009

Urteil vom 14. Dezember 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Hanspeter Kümin,

gegen

Y.________ AG,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dominik Vock.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; fristlose Kündigung; Revision,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 15.
Juni 2009.

Sachverhalt:

A.
X.________ (Arbeitnehmer) arbeitete seit dem 1. Januar 1993 bei der Y.________
AG (Arbeitgeberin). Nachdem diese den Arbeitnehmer am 18. Oktober 1995 fristlos
entlassen hatte, schloss sie mit ihm am 9./14. November 1995 einen
Aufhebungsvertrag.

B.
Am 22. April 2005 klagte der Arbeitnehmer (Kläger) beim Bezirksgericht
Kreuzlingen gegen die Arbeitgeberin (Beklagte) auf Zahlung von Fr. 38'989.50
zuzüglich 5 % Zins seit dem 27. Oktober 1995. Der Kläger machte damit
verschiedene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend und begründete diese
damit, er sei beim Abschluss des Aufhebungsvertrages nicht urteilsfähig
gewesen, weshalb dieser nichtig sei.
Mit Urteil vom 20. November 2006 wies das Bezirksgericht die Klage ab. Zur
Begründung führte es in E. 6 an:
"Der Kläger hat die vorliegende Klage erst zehn Jahre später eingeleitet. Es
ist weder für das Gericht noch für einen Experten möglich, abschliessend
beurteilen zu können, ob die angeblich im Zeitpunkt des Abschlusses des
Aufhebungsvertrages vorhandene psychische Störung des Klägers eine
Urteilsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes zur Folge gehabt habe oder nicht.
Ausgewiesen ist einerseits, dass weder die Beklagte noch der klägerische
Rechtsvertreter irgendwelche Anzeichen diesbezüglich wahrgenommen haben. Zudem
war der Kläger damals anwaltlich vertreten, mit anderen Worten wurde er
begleitet und beraten und es wurde, wie bereits ausgeführt, ein
Aufhebungsvertrag abgeschlossen, der gestützt auf Art. 335 OR und der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung gültig und auch vernünftig ist. Da gestützt
auf die Akten eine Urteilsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes nicht ausgewiesen
ist und das Gericht in antizipierter Beweiswürdigung davon ausgeht, dass es dem
Kläger nicht mehr möglich sein wird, die Urteilsfähigkeit im Zeitpunkt des
Abschlusses des Aufhebungsvertrages nachzuweisen, muss davon ausgegangen
werden, dass der Kläger trotz allfälliger psychischer Krankheit urteilsfähig
gewesen ist."
Der Kläger erhob gegen dieses Urteil Berufung, auf welche das Obergericht des
Kantons Thurgau am 25. Januar 2007 wegen Verspätung nicht eintrat. Am 22. Mai
2007 wies es ein Wiedererwägungsgesuch des Klägers ab.
Mit seinem Revisionsbegehren vom 21. Mai 2008 ersuchte der Kläger das
Bezirksgericht Kreuzlingen, sein Urteil vom 20. November 2006 aufzuheben und
das Verfahren wieder aufzunehmen. Als neue Beweismittel reichte er ein
Gutachten der Deutschen Rentenversicherung C.________ vom 13. Dezember 2007,
einen Befundbericht von Dr. med. A.________ vom 5. März 2007 und ein Schreiben
seines damaligen Rechtsvertreters, Rechtsanwalt B.________, vom 7. November
1995 ein. Auf dieses Schreiben, das dessen Mandatsniederlegung vor Abschluss
der Vereinbarung belege, sei der Kläger während des Klageverfahrens nicht
gestossen, da es nicht sortiert, resp. der Krankheitskorrespondenz zugeordnet
gewesen sei. Erst im Zusammenhang mit den Abklärungen durch den am 27. Dezember
2007 beauftragten Anwalt habe sich der Kläger entschieden, auch die
unsortierten Aktenmappen aus der damaligen Zeit zu durchsuchen, wobei er Anfang
März 2008 auf das besagte Schreiben gestossen sei.
Das Bezirksgericht wies das Revisionsbegehren am 10. November 2008 ab. Einen
dagegen erhobenen Rekurs des Klägers wies das Obergericht des Kantons Thurgau
mit Beschluss vom 15. Juni 2009 ab.

C.
Der Kläger (Beschwerdeführer) erhebt Beschwerde in Zivilsachen mit den
Begehren, den Beschluss des Obergerichts vom 15. Juni 2009 aufzuheben und das
Bezirksgericht anzuweisen, das Revisionsverfahren an Hand zu nehmen. Eventuell
sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen, damit es im Sinne der
Weisungen des Bundesgerichts einen neuen Entscheid fasse.
Die Beklagte (Beschwerdegegnerin) beantragt, auf die Beschwerde sei nicht
einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen. Das Obergericht schliesst auf
Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen kann grundsätzlich eingetreten werden, da sie
unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42
BGG) von der mit ihren Anträgen unterliegenden Partei (Art. 76 Abs. 1 BGG)
eingereicht wurde und sich gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz
(Art. 75 BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer arbeitsrechtlichen
Zivilstreitigkeit mit einem Streitwert von mindestens Fr. 15'000.-- (Art. 74
Abs. 1 lit. a BGG) richtet.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, gegen das Willkürverbot
gemäss Art. 9 BV verstossen zu haben.

2.2 Nach der Rechtsprechung ist ein Entscheid nicht schon willkürlich, wenn
eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre,
sondern erst, wenn er offensichtlich unhaltbar ist. Dies trifft namentlich zu,
wenn er zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt (BGE 131 I 57 E. 2;
127 I 54 E. 2b; 124 IV 86 E. 2a).

3.
3.1 Gemäss § 246 Abs. 2 lit. a des thurgauischen Gesetzes über die
Zivilrechtspflege vom 6. Juli 1988 (ZPO/TG) ist die Revision innerhalb von zehn
Jahren seit der Eröffnung des Erkenntnisses und binnen drei Monaten seit
Bekanntwerden des Revisionsgrundes zulässig, wenn der Gesuchsteller erhebliche
Tatsachen oder Beweismittel entdeckt hat, deren Geltendmachung vor Eintritt der
Rechtskraft des angefochtenen Erkenntnisses selbst unter Aufwendung der
erforderlichen Sorgfalt nicht möglich gewesen wäre.

3.2 Das Obergericht kam zum Ergebnis, das Schreiben vom 7. November 1995 bzw.
die darin erwähnte Mandatsniederlegung stelle keinen Revisionsgrund dar, weil
der Beschwerdeführer diesen Punkt ohne Weiteres vor dem rechtskräftigen
Abschluss des ursprünglichen Verfahrens hätte geltend machen können.

3.3 Der Beschwerdeführer gibt diese Feststellung als unzutreffend bzw.
willkürlich aus und bringt vor, entgegen der Annahme des Obergerichts habe er
im Forderungsprozess nicht gewusst, dass er bei der Unterzeichnung des
Aufhebungsvertrages nicht anwaltlich vertreten gewesen sei. Er habe vor der
Unterzeichnung dieses Vertrages seinem Anwalt sinngemäss mitgeteilt, er wolle
nicht mehr weitermachen, was dieser als Einigung aufgefasst habe. Das
Obergericht habe nicht beachtet, dass dieses Verhalten auf den damaligen
Schuldwahn des Beschwerdeführers zurückzuführen gewesen sei. Insofern sei
verständlich, dass der Beschwerdeführer, bevor er auf das Schreiben vom 7.
November 1995 gestossen sei, nichts von der darin erwähnten Mandatsniederlegung
gewusst habe.

3.4 Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers kann daraus, dass er im
Zeitpunkt des Verzichts auf eine anwaltliche Vertretung möglicherweise unter
einem "Schuldwahn" litt, nicht abgeleitet werden, dass er sich im
Klageverfahren nicht mehr daran bzw. an die Umstände der Vertragsunterzeichnung
erinnern konnte. Dies ist nicht glaubhaft, zumal er im Revisionsverfahren
ausführte, wie er seinem Anwalt die Mandatsbeendigung mitgeteilt hatte. Zudem
hätten den Beschwerdeführer im Klageverfahren bereits Zweifel an der damaligen
anwaltlichen Vertretung veranlassen müssen, diese Frage durch zumutbare
Nachforschungen abzuklären (vgl. BARBARA MERZ, Die Praxis zur thurgauischen
Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2007, N. 5 zu § 246 ZPO/TG). Dabei war dem
Beschwerdeführer zuzumuten, auch die ungeordneten Unterlagen aus der Zeit des
Vertragsabschlusses durchzusehen, wie er dies später auch tat. Unter diesen
Umständen ist das Obergericht nicht in Willkür verfallen, wenn es annahm, dem
Beschwerdeführer sei unter Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt möglich
gewesen, die fehlende anwaltliche Vertretung bereits im Klageverfahren geltend
zu machen.

3.5 Aus der Begründung des Entscheids des Obergerichts geht hervor, dass es die
Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der nachträglichen Kenntnisnahme der
Mandatsbeendigung als nicht glaubhaft erachtete. Damit war erkennbar, von
welchen Überlegungen es sich hat leiten lassen, weshalb es seine
Begründungspflicht entgegen der Annahme des Beschwerdeführers in diesem
Zusammenhang nicht verletzte (BGE 133 I 270 E. 3.1 S. 277; 129 I 232 E. 3.2 S.
236; mit Hinweisen).

4.
4.1 Das Obergericht kam zum Ergebnis, die beiden vom Beschwerdeführer neu
eingereichten ärztlichen Gutachten seien keine Noven im Sinne von § 264 Ziff. 2
lit. a ZPO/TG. Er versuche damit nachzuweisen, dass er zur Zeit des Abschlusses
des Aufhebungsvertrages psychisch krank und deshalb nicht urteilsfähig gewesen
sei. Diese Behauptung habe der Beschwerdeführer bereits im Klageverfahren
vorgebracht, in welchem er die Einholung eines entsprechenden Gutachtens
beantragt habe. Diesen Antrag habe das Bezirksgericht in antizipierter
Beweiswürdigung abgelehnt. Der Beschwerdeführer habe diese Beweiswürdigung
verspätet angefochten. Das Revisionsverfahren diene nicht dazu, das
Berufungsverfahren nachzuholen oder formelle Fehler, wie die verpasste
Berufungsfrist, zu heilen.

4.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, diese Gutachten seien als neue
Beweismittel zu qualifizieren, weil damit neue Tatsachen in einem neuen
Gutachten gewürdigt würden. So stütze sich das Gutachten von Dr. A.________ auf
Arztberichte, welche im Forderungsprozess noch nicht vollständig vorgelegen
hätten.

4.3 Mit dieser Argumentation lässt der Beschwerdeführer ausser Acht, dass die
mit den nachträglich eingereichten Gutachten zu beweisende Tatsache der
Urteilsunfähigkeit im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung nicht neu ist. Zudem
kann nach der vom Beschwerdeführer selbst als massgeblich angerufenen
Rechtsprechung eine Revision nicht durch die nachträgliche Einreichung eines
Gutachtens zu einer bereits im Prozess aufgestellten Behauptung erwirkt werden,
wenn ein Antrag auf Begutachtung in vorweggenommener Würdigung des
mutmasslichen Ergebnisses abgelehnt wurde (BGE 92 II 68 E. 3 S. 71). Diese
Konstellation liegt jedoch gemäss der zutreffenden Annahme des Obergerichts
vor, weshalb es nicht in Willkür verfallen ist, wenn es die nachträglich
erstellten ärztlichen Gutachten nicht als neue Beweismittel gemäss § 264 Ziff.
2 lit. a ZPO/TG betrachtete.

5.
Zusätzlich zum Argument, dass die vom Beschwerdeführer nachträglich
eingereichten Dokumente nicht als neue Beweismittel im Sinne von § 246 Ziff. 2
lit. a ZPO/TG zu qualifizieren seien, führte das Obergericht an, der Entscheid
des Bezirksgerichts vom 20. November 2006 wäre nicht anders ausgefallen, wenn
es von der nachträglich geltend gemachten Mandatsbeendigung gewusst hätte.
Zudem hätten die nachträglich eingereichten Gutachten nicht dazu getaugt, die
geltend gemachte Urteilsunfähigkeit des Beschwerdeführers zu beweisen. Diesen
Eventualbegründungen kommt neben der genannten Hauptbegründung keine
entscheiderhebliche Bedeutung zu, weshalb auf die Kritik des Beschwerdeführers
an den Eventualbegründungen mangels Beschwer nicht einzutreten ist.

6.
6.1 Nach der thurgauischen Zivilprozessordnung findet über die Frage der
Zulässigkeit der Revision eine mündliche Parteiverhandlung statt, wenn sich das
Revisionsgesuch nicht von vornherein als unstatthaft herausstellt (§ 249 Abs. 1
ZPO/TG). Gemäss der Lehre kann dies bejaht werden, wenn sich allein schon aus
den im Revisionsgesuch enthaltenen Angaben und/oder den eingereichten Akten
ergibt, dass kein Revisionsgrund vorliegt (MERZ, a.a.O., N. 2 zu § 249 ZPO/TG).

6.2 Das Obergericht nahm an, ein Revisionsgrund sei offensichtlich nicht
gegeben, weshalb das Bezirksgericht gemäss § 249 Abs. 1 ZPO/TG auf eine
mündliche Parteiverhandlung habe verzichten können.

6.3 Der Beschwerdeführer rügt dem Sinne nach, diese Annahme sei unhaltbar, weil
sowohl das Bezirks- als auch das Obergericht bezüglich der geltend gemachten
Noven über die prozessformale Ebene hinaus die Beweiskraft der eingereichten
Dokumente geprüft hätten. Diese Prüfung gehöre jedoch in die spätere Phase des
Revisionsverfahrens.

6.4 Der Beschwerdeführer lässt ausser Acht, dass den Eventualerwägungen des
Obergerichts zum Beweiswert der nachträglich eingereichten Beweismittel neben
der Hauptbegründung keine entscheidrelevante Bedeutung zukommt (vgl. E. 5).
Inwiefern die Hauptbegründung, wonach sich schon aus den im Revisionsgesuch
enthaltenen Angaben ergebe, dass aus prozessualen Gründen kein Revisionsgrund
vorliege, unhaltbar sein soll, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch
nicht ersichtlich. Damit ist eine willkürliche Anwendung von § 249 Abs. 1 ZPO/
TG zu verneinen.

7.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG; Art. 65 Abs. 4
lit. c BGG kommt nicht zur Anwendung, weil der Streitwert Fr. 30'000.--
übersteigt).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Dezember 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Gelzer