Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.325/2009
Zurück zum Index I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2009
Retour à l'indice I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 2009


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_325/2009

Urteil vom 19. August 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
X.________ AG,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Dudli,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner.

Gegenstand
Arbeitsvertrag; Kündigung; Gratifikation,

Beschwerde gegen den Entscheid des Arbeitsgerichts St. Gallen vom 27. Februar
2009.
Sachverhalt:

A.
A.________ (Beschwerdegegner) arbeitete seit dem 1. Januar 2000 als
Verantwortlicher für Informationstechnologie bei der X.________ AG
(Beschwerdeführerin). Das Arbeitsverhältnis dauerte bis Ende Juli 2008. Ziff.
5.3 des Arbeitsvertrags lautet wie folgt:

"Gratifikation/13. Monatslohn
- je nach Leistung und Geschäftsgang max. 1 Monatsgehalt. Eine solche
Auszahlung stellt stets eine freiwillige Leistung der Firma dar und begründet
keinerlei Ansprüche des AN, auch wenn die Zahlungen während mehrerer
aufeinanderfolgender Jahre ausgerichtet wurden

- bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses in den ersten 6 Monaten besteht kein
Anspruch auf pro rata Zahlung.

- Die Jahresgratifikation wird um einen Drittel gekürzt, wenn bei deren
Fälligkeit der AN in gekündigtem Arbeitsverhältnis steht."

Dem Beschwerdegegner wurde seit Beginn des Arbeitsverhältnisses bis und mit
2006 jährlich ein Monatslohn als Gratifikation ausbezahlt. Vom 5. Juni 2007 bis
zum 4. Dezember 2007 war der Beschwerdegegner zufolge Krankheit arbeitsunfähig.
Nach seiner Genesung wurde er wegen Kündigung des Arbeitsverhältnisses bis zu
dessen Beendigung freigestellt. Für das Jahr 2007 erhielt der Beschwerdegegner
im November dieses Jahres noch einen halben Monatslohn als "freiwillige
Gratifikation". Im Jahr 2008 erfolgte keine Zahlung mehr unter diesem Titel.

B.
Mit Eingabe vom 18. November 2008 klagte der Beschwerdegegner vor dem
Arbeitsgericht St. Gallen auf Zahlung von Fr. 6'240.-- (Fr. 2'880.-- als Anteil
des 13. Monatslohnes 2007 und Fr. 3'360.-- pro rata 13. Monatslohn 2008) nebst
Zins. Mit Entscheid vom 27. Februar 2009 verpflichtete das Arbeitsgericht die
Beschwerdeführerin zur Zahlung von Fr. 3'200.-- brutto nebst Zins an den
Beschwerdegegner.

C.
Die Beschwerdeführerin hat den Entscheid des Arbeitsgerichts mit Beschwerde in
Zivilsachen und mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde beim Bundesgericht
angefochten. Sie beantragt mit beiden Rechtsmitteln, den Entscheid des
Präsidenten des Arbeitsgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell
sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ihrem Gesuch um aufschiebende
Wirkung hat das Bundesgericht entsprochen. Der Beschwerdegegner schliesst auf
Nichteintreten auf die eingereichten Rechtsmittel, eventuell auf deren
Abweisung.

D.
Nach Fristansetzung zur Vernehmlassung meldete sich das Kreisgericht St.
Gallen, 3. Zivilkammer, mit der Mitteilung, diese Instanz sei als ordentliches
Zivilgericht seit dem 1. Juni 2009 an Stelle des auf dieses Datum abgeschafften
Arbeitsgerichts für die in dessen Zuständigkeitsbereich fallende Verfahren
zuständig. Das Kreisgericht verzichtete auf Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Wie die Beschwerdeführerin zutreffend erkennt, wird vorliegend der für die
Beschwerde in Zivilsachen erforderliche Streitwert von Fr. 15'000.-- (Art. 74
Abs. 1 lit. a BGG) nicht erreicht. Die Beschwerdeführerin macht indessen
geltend, es stelle sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, so dass
die Beschwerde in Zivilsachen zulässig sei (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG).

1.1 Der Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 74 Abs. 2
lit a BGG) ist sehr restriktiv auszulegen. Soweit es bei der aufgeworfenen
Frage lediglich um die Anwendung von Grundsätzen der Rechtsprechung auf einen
konkreten Fall geht, handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung (BGE 134 III 115 E. 1.2 S. 117; 133 III 493 E. 1.1
und 1.2 S. 495 f.). Die Voraussetzung von Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG ist
hingegen erfüllt, wenn ein allgemeines Interesse besteht, dass eine umstrittene
Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und
Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit Rechtssicherheit
herzustellen (BGE 133 III 645 E. 2.4 S. 648 f.).

1.2 Die Beschwerdeführerin legt selbst dar, die Vorinstanz habe sie zur
Ausrichtung der Gratifikation verpflichtet, weil diese nach Auffassung der
Vorinstanz gemäss Arbeitsvertrag an die Leistung des Arbeitnehmers und den
Geschäftsgang gebunden, die Freiwilligkeit der Ausrichtung mithin insoweit
eingeschränkt gewesen sei. In der Tat stellte die Vorinstanz auf die Aussagen
von B.________, des Vertreters der Beschwerdeführerin, vor Gericht ab, wonach
sich die Arbeitgeberin aus kaufmännischer Vorsicht die Möglichkeit habe offen
halten wollen, die Gratifikation zu kürzen oder zu streichen, wobei er sich
aber zuvor seinen eigenen Lohn reduzieren würde. Daraus schloss die Vorinstanz,
die Beschwerdeführerin habe mit dem Freiwilligkeitsvorbehalt lediglich
beabsichtigt, sich die Möglichkeit offen zu lassen, bei schlechtem
Geschäftsgang die Gratifikation ausnahmsweise zu kürzen oder gar gänzlich von
deren Auszahlung abzusehen, nicht jedoch aus reinem Gutdünken oder aus
"unsachgerechten Gründen". Die Vorinstanz hat somit die Streitsache danach
entschieden, was die Beschwerdeführerin im zu beurteilenden Einzelfall mit der
streitigen Klausel tatsächlich hat zum Ausdruck bringen wollen. Eine
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist nicht gegeben.

2.
2.1 Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen zulässig (Art. 113 BGG). Das setzt voraus, dass die vor
Bundesgericht erhobenen Rügen mit keinem kantonalen Rechtsmittel hätten geltend
gemacht werden können. Gemäss Art. 254 lit. c der bei Erlass des angefochtenen
Entscheides in Kraft stehenden Fassung des Zivilprozessgesetzes vom 20.
Dezember 1990 (ZPO/SG; sGS 961.2) kann indessen mit
Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Kantonsgericht geltend gemacht werden, ein
Arbeitsgericht habe bei Ausübung der Befugnisse willkürlich gehandelt (vgl.
LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St.
Gallen, 1999, N. 5a zu Art. 254 ZPO/SG, die insoweit von einer eigentlichen
kantonalen Willkürbeschwerde sprechen und in N. 5b ausdrücklich festhalten, die
Willkür könne sich auf die Rechtsanwendung oder die Feststellung des
Sachverhalts beziehen). Die Beschwerdeführerin rügt vor Bundesgericht die
Verletzung des Willkürverbots bei der Anwendung von Art. 18 OR und von Art.
322d OR. Diese Rügen hätte sie nach dem Gesagten mit der
Rechtsverweigerungsbeschwerde erheben können. Insoweit erweist sich der
angefochtene Entscheid nicht als letztinstanzlich. Die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde steht dafür nicht zur Verfügung.

2.2 Darüber hinaus wird die Verfassungsbeschwerde auch den gemäss Art. 117 BGG
geltenden formellen Anforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht gerecht. Danach
ist darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte oder unbestrittenen
Rechtsgrundsätze inwiefern verletzt worden sein sollen (BGE 134 V 138 E. 2.1 S.
143; 133 III 439 E. 3.2 S. 444 mit Hinweis). Denn das Bundesgericht prüft im
Verfassungsbeschwerdeverfahren nur klar und detailliert erhobene Rügen. Auf
ungenügend begründete Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen
Entscheid tritt es nicht ein (vgl. BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261 f. mit
Hinweisen).

2.3 In der subsidiären Verfassungsbeschwerde wirft die Beschwerdeführerin dem
Arbeitsgericht eine willkürliche Anwendung von Art. 18 OR vor. Sie stützt sich
zur Begründung indessen einzig auf den Wortlaut der Gratifikationsvereinbarung
und übergeht, dass die Vorinstanz deren Bedeutung in Würdigung der Aussage von
B.________ aufgrund ihres tatsächlichen Willens ermittelt hat. Inwiefern das
Arbeitsgericht auf der Grundlage dieses Sachverhalts Bundesrecht willkürlich
angewandt haben soll, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Dasselbe gilt mit
Bezug auf die Rüge, das Arbeitsgericht habe Art. 322d OR ohne Angabe von
Gründen in Abweichung vom Gesetzeswortlaut und vom Willen des Gesetzgebers und
damit in Verletzung von Art. 9 BV ausgelegt. Inwiefern dies mit Blick auf den
festgestellten Willen der Beschwerdeführerin der Fall sein soll, geht aus der
Begründung der Beschwerde nicht hervor. Somit erwiese sich die subsidiäre
Verfassungsbeschwerde, wäre sie denn zulässig, als nicht hinreichend begründet.

3.
Nach dem Gesagten kann weder auf die Beschwerde in Zivilsachen noch auf die
subsidiäre Verfassungsbeschwerde eingetreten werden. Bei diesem
Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin als vor Bundesgericht
unterliegende Partei kosten- und entschädigungspflichtig, wobei nach Art. 65
Abs. 4 lit. c BGG in Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis nur eine
reduzierte Gerichtsgebühr in Ansatz kommt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.

2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kreisgericht St. Gallen, 3.
Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. August 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Luczak