Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.287/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_287/2009

Urteil vom 24. August 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

Parteien
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Harry Nötzli,

gegen

B.________,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Rolf Stephani.

Gegenstand
Vertragsauslegung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
vom 2. April 2009.
Sachverhalt:

A.
A.________ (Beschwerdeführer) und B.________ (Beschwerdegegnerin) haben am 22.
Juni 1968 geheiratet. Am 25. Februar 1993 schlossen sie einen Ehevertrag und
wechselten für die Zukunft vom ordentlichen Güterstand der
Errungenschaftsbeteiligung zum Güterstand der Gütertrennung. Zur Ausgleichung
des Anspruches auf hälftige Beteiligung an der Errungenschaft übertrug der
Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin diverse Fahrzeuge zu Eigentum und
verpflichtete sich zu einer Ausgleichszahlung von Fr. 5'000'000.--, welche
gestundet wurde. Im Sommer 1995 zog der Beschwerdeführer aus der ehelichen
Liegenschaft aus. Nachdem die Beschwerdegegnerin ein Eheschutzverfahren
anhängig gemacht hatte, welches mit einem Vergleich endete, sowie zwei
Ehescheidungsbegehren, welche sie nicht weiterverfolgte, reichte der
Beschwerdeführer am 12. Dezember 1997 ein Begehren um Erlass vorsorglicher
Massnahmen für die Dauer des Ehescheidungsverfahrens beziehungsweise von
Eheschutzmassnahmen ein, mit welchem er unter Anderem ab 1. Dezember 1997 einen
Unterhaltsbeitrag von Fr. 4'000.-- monatlich verlangte.

B.
Am 14. April 1998, zwei Wochen nach Zustellung der Vorladung auf den 8. Mai
1998, unterzeichneten die Parteien ohne Mitwirkung ihrer Rechtsvertreter eine
Vereinbarung, in der sich die Beschwerdegegnerin verpflichtete, dem
Beschwerdeführer bis zu seinem Ableben monatlich Fr. 3'000.-- zu bezahlen, und
zwar auch dann, wenn die Ehe auf Begehren der Beschwerdegegnerin geschieden
werden sollte. Bei einer Scheidung auf Verlangen des Ehemannes sollte die
Zahlung dagegen aufhören (Ziff. 1). Die Beschwerdegegnerin verzichtete auf ihre
Forderung von Fr. 5'000'000.-- gemäss Ehevertrag, wogegen die "gemäss
Ehevertrag vom 25. Februar 1993 vereinbarte Abtretung" der Erbansprüche an der
zukünftigen Erbschaft der Mutter des Beschwerdeführers bestehen bleiben sollte
(Ziff. 2). Die Parteien verzichteten gegenseitig auf jegliche weitere
Forderungen (Ziff. 3), vereinbarten, dass der Ehemann die Klage zurückziehe und
die Verhandlung vom 8. Mai 1998 abgesetzt werde (Ziff. 4), und regelten
schliesslich die Tragung der Gerichts- und Parteikosten. Die Unterschriften
unter dieser Vereinbarung wurden notariell beglaubigt. Mit Schreiben vom 16.
April 1998 ersuchte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers das zuständige
Gerichtspräsidium, die Verhandlung abzusetzen und zufolge vergleichsweiser
Erledigung des Verfahrens einen Abschreibungsbeschluss zu erlassen. Daraufhin
genehmigte das Gerichtspräsidium am 27. April 1998 die Vereinbarung vom 14.
April 1998 und schrieb das Verfahren als durch Vergleich erledigt ab. Für drei
oder vier Monate bezahlte die Beschwerdegegnerin in der Folge den Betrag von
Fr. 3'000.--. Ab Herbst 1998 lebte der Beschwerdeführer wieder in der ehelichen
Liegenschaft und bezahlte der Beschwerdegegnerin monatlich durchschnittlich Fr.
1'000.-- bis Fr. 1'500.--. Im März/April 2001 zog der Beschwerdeführer wieder
aus, was abermals zu einem Eheschutzverfahren führte.

C.
Der Beschwerdeführer erhob am 2. Mai 2001 Betreibung und verlangte gestützt auf
die Vereinbarung vom 14. April 1998 Fr. 99'000.-- nebst Zins und Kosten für
ausstehende Unterhaltsbeiträge, worauf die Beschwerdegegnerin Rechtsvorschlag
erhob. Dem Versuch, Rechtsöffnung zu erlangen, war kein Erfolg beschieden
(Urteil des Bundesgerichts 5P.74/2002 vom 13. März 2002). Am 12. Oktober 2005
reichte der Beschwerdeführer beim Bezirksgericht Kulm Teilklage ein und
verlangte Fr. 150'000.-- nebst Zins aus Ziff. 1 der Vereinbarung vom 14. April
1998, die eine vom Ehescheidungsverfahren unabhängige Leibrente im Sinne von
Art. 516 OR darstelle. Während das Bezirksgericht Kulm die Klage guthiess, wies
sie das Obergericht des Kantons Aargau am 2. April 2009 ab. Zwar erscheine der
Anspruch des Beschwerdeführers nach dem Wortlaut der Vereinbarung ausgewiesen.
Nachdem der Beschwerdeführer wieder in die eheliche Liegenschaft eingezogen
sei, habe er aber der Beschwerdegegnerin erhebliche Beträge für Unterkunft,
Wäschebesorgung etc. bezahlt, ohne seine jetzt behauptete höhere Forderung zur
Verrechnung zu bringen. Aus diesem nachträglichen Verhalten schloss das
Obergericht, beide Parteien seien davon ausgegangen, die Zahlungspflicht
bestehe nur während der Dauer des Getrenntlebens.

D.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht
im Wesentlichen die Gutheissung seiner Klage. Die Beschwerdegegnerin schliesst
auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde, während das Obergericht auf
Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, die Vorinstanz habe diverse
zivilprozessuale Bestimmungen willkürlich angewendet und dadurch seine
verfassungsmässigen Rechte (Art. 9 BV) verletzt.

1.1 Die Vorinstanz halte zunächst fest, die Appellation der Beschwerdegegnerin
genüge § 323 Abs. 2 lit. a des Zivilrechtspflegegesetzes vom 18. Dezember 1984
(Zivilprozessordnung; ZPO/AG; SAR 221.100) nicht. Danach muss die Appellation
nicht nur genaue Angaben darüber enthalten, welche Punkte des Entscheides
angefochten sind, sondern auch, welche Abänderungen beantragt werden. Die
Vorinstanz "rette" die Appellation mit dem Hinweis, aus der
Appellationsbegründung in Verbindung mit den vorinstanzlichen Akten ergebe
sich, dass die Beschwerdegegnerin auch die Abweisung der Klage beantrage.
Andernorts werfe sie dem Bezirksgericht aber vor, die Verhandlungsmaxime (§ 75
Abs. 1 ZPO/AG) verletzt zu haben, indem es auf Tatsachen abstelle, welche sich
zwar aus den Akten ergäben, aber vom Beschwerdeführer im Behauptungsverfahren
nicht rechtzeitig vorgebracht worden seien. Die Vorinstanz wende bezüglich der
Verhandlungsmaxime unterschiedliche Massstäbe an und verfalle dadurch in
Willkür.
Der Beschwerdeführer verkennt, dass die von den Parteien gestellten
Rechtsbegehren (wie alle Prozesshandlungen) grundsätzlich nach dem
Vertrauensprinzip auszulegen sind, wobei zur Auslegung die Begründung der
Rechtsschrift herangezogen werden kann (vgl. VOGEL/SPÜHLER, Grundriss des
schweizerischen Zivilprozessrechts, 8. Aufl. 2006, 7. Kapitel Rz. 8 S. 189). Es
ist daher nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die gesamten Umstände bei
Auslegung der Rechtsbegehren mit einbezieht. Die Verhandlungsmaxime wird
dadurch nicht verletzt. Nur wenn die Vorinstanz Umstände berücksichtigt hätte,
welche sich zwar aus den Akten ergeben, vor Bezirksgericht aber nicht
prozesskonform behauptet worden wären, käme eine Verletzung der
Verhandlungsmaxime, beziehungsweise die vom Beschwerdeführer gerügte
Ungleichhandlung der Parteien in Betracht. Entsprechendes zeigt der
Beschwerdeführer aber nicht auf, so dass seine Rüge der Verletzung
verfassungsmässiger Rechte diesbezüglich nicht hinreichend begründet ist (Art.
106 Abs. 2 BGG).

1.2 Auch soweit der Beschwerdeführer verlangt, es habe bei der Beweiswürdigung
des Bezirksgerichts zu bleiben, da sich die Beschwerdegegnerin in der
Appellation nicht hinreichend mit dessen Entscheid auseinandergesetzt habe, ist
der Beschwerde kein Erfolg beschieden. Die Beschwerdegegnerin hatte, wie die
Vorinstanz festhält, zusammenfassend vorgebracht, die Umstände im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses und das nachträgliche Verhalten des Beschwerdeführers
sprächen ganz klar gegen die Auffassung des Bezirksgerichts. Die Vorinstanz
hielt zu Recht fest, die Beschwerdegegnerin habe die Erwägung des
Bezirksgerichts, der Wortlaut und die Systematik der Vereinbarung sprächen für
die Sicht des Beschwerdeführers, nicht angefochten. Wie die Formulierung
"zusammenfassend" bereits erkennen lässt, hat die Beschwerdegegnerin
demgegenüber bezüglich des nachträglichen Verhaltens des Beschwerdeführers im
einzelnen dargelegt, inwiefern dieses der Sichtweise des Bezirksgerichts
widerspreche. Daher ist mit Blick auf die kantonalrechtlichen
Begründungsanforderungen an die Appellation nicht zu beanstanden, dass die
Vorinstanz den Entscheid des Bezirksgerichts insoweit überprüfte. Von Willkür
bei der Anwendung kantonalen Prozessrechts kann keine Rede sein.

2.
Der Beschwerdeführer hält die Annahme der Vorinstanz, der Wille der Parteien
sei nicht auf den Abschluss eines Leibrenten-, sondern lediglich eines
Unterhaltsvertrags für die Dauer des Getrenntlebens gerichtet gewesen, für
willkürlich.

2.1 Willkür liegt nicht schon dann vor, wenn eine andere als die vom kantonalen
Gericht gewählte Lösung ebenfalls vertretbar oder gar vorzuziehen wäre.
Willkürlich ist ein Entscheid vielmehr erst, wenn er offensichtlich unhaltbar
ist, insbesondere mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht,
eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 132 III 209 E.
2.1 S. 211 mit Hinweisen). Geht es um Beweiswürdigung, ist überdies zu
beachten, dass dem Sachgericht darin nach ständiger Rechtsprechung ein weiter
Ermessensspielraum zukommt (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht
greift nur ein, wenn das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht hat,
namentlich zu völlig unhaltbaren Schlüssen gelangt ist (BGE 101 Ia 298 E. 5 S.
306; 98 Ia 140 E. 3a S. 142, mit Hinweisen) oder erhebliche Beweise übersehen
oder willkürlich nicht berücksichtigt hat (BGE 118 Ia 28 E. 1b S. 30; 112 Ia
369 E. 3 S. 371). Dabei rechtfertigt sich die Aufhebung eines Entscheides nur,
wenn er nicht nur in einzelnen Punkten der Begründung, sondern auch im Ergebnis
willkürlich ist (BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133).

2.2 Fest steht, dass das Eheschutzverfahren, mit welchem der Beschwerdeführer
einen monatlichen Unterhalt von Fr. 4'000.-- verlangt hatte, gemäss Antrag
seines Vertreters mit Blick auf die getroffene und vom Gericht genehmigte
Vereinbarung abgeschrieben wurde. Fest steht weiter, dass der Beschwerdeführer
für die Zeit, in der er wieder in der ehelichen Liegenschaft wohnte, monatlich
rund Fr. 1'000.-- bis Fr. 1'500.-- als Beteiligung an den Wohnkosten an die
Beschwerdegegnerin bezahlte. Wenn die Vorinstanz daraus schliesst, dem
Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass ihm in diesem Zeitpunkt kein
Unterhalt, beziehungsweise keine Leibrente zustand, da er sonst seinen höheren
Anspruch zur Verrechnung gebracht hätte, verfiel sie damit nicht in Willkür.
Diesbezüglich kommt der Frage, ob in der Rückkehr des Beschwerdeführers eine
Wiederaufnahme des Zusammenlebens im Sinne von Art. 179 Abs. 2 ZGB zu erblicken
ist und ob die Vorinstanz diese Bestimmung bundesrechtskonform angewendet hat,
keine Bedeutung zu. Für den tatsächlichen Willen ist massgeblich, ob neben der
Beschwerdegegnerin auch der Beschwerdeführer selbst davon ausging, die
Voraussetzungen für den Erhalt der monatlichen Zahlungen von Fr. 3'000.-- seien
nicht mehr gegeben. Dies dokumentierte er durch sein nachträgliches Verhalten.
Der Rüge der Verletzung von Art. 179 Abs. 2 ZGB oder der Frage, ob die
Beschwerdegegnerin die geschuldeten Beträge wirklich bis zum Wiedereinzug
bezahlt hat, kommt daher keine Bedeutung zu. Auch spielt entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers keine Rolle, ob die Beschwerdegegnerin im
kantonalen Verfahren explizit behauptet hat, die Vereinbarung vom 14. April
2008 sei unter einer konkludent geschlossenen Bedingung zustandegekommen. Es
genügt, dass die Beschwerdegegnerin behauptete, die vereinbarte Zahlungspflicht
sei mit der Rückkehr des Beschwerdeführers in die eheliche Liegenschaft
dahingefallen, und die Vorinstanz aus dem Verhalten des Beschwerdeführers ohne
Willkür schliessen durfte, er selbst habe die Vereinbarung ebenfalls so
verstanden. Damit konnte die Vorinstanz die Forderung des Beschwerdeführers
trotz des Wortlauts und der Systematik der Vereinbarung bundesrechtskonform
abweisen, da Art. 18 OR explizit den Vorrang des übereinstimmenden
Parteiwillens vor dem Wortlaut der Vereinbarung statuiert.

2.3 An diesem Ergebnis ändert nichts, dass der Vertreter der Beschwerdegegnerin
vom Beschwerdeführer eine Bestätigung verlangt hatte, die Unterhaltspflicht
entfalle rückwirkend ab Oktober 1998, und dass der Beschwerdeführer diese
Bestätigung verweigerte. Zwar könnte dies als Indiz für ein Fortbestehen der
Zahlungspflicht gewertet werden. Indem die Vorinstanz diesem Indiz sowie dem
Wortlaut und der Systematik der Vereinbarung weniger Gewicht zubilligt als dem
Verhalten des Beschwerdeführers, der monatlich der Beschwerdegegnerin Geld
zukommen liess, ohne sich auf die nun eingeklagten Ansprüche zu berufen,
verstiess sie nicht gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV).

2.4 Da die Vorinstanz willkürfrei davon ausgehen durfte, es sei tatsächlich
keine Leibrente vereinbart, fällt die vom Beschwerdeführer gerügte Verletzung
von Art. 516 OR ausser Betracht. Auch kann offen bleiben, ob die getroffene
Vereinbarung im Lichte der Bestimmungen des Eherechts überhaupt zulässig wäre.
Jedenfalls kann der Beschwerdeführer daraus bezüglich der geltend gemachten
Ansprüche nichts zu seinen Gunsten ableiten.

3.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Bescherdeführer kosten- und
entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Der Bescherdeführer hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 6'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. August 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Luczak