Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.273/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_273/2009

Urteil vom 20. August 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Leemann.

Parteien
X.________ SA,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwälte Prof. Dr. Andreas Furrer und Dr. Andreas Glarner,

gegen

X.________ Ltd.,
Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Gaudenz F. Domenig.

Gegenstand
Kündigung eines Franchisevertrags; Feststellungsbegehren; Zuständigkeit,

Beschwerde gegen den Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 24.
April 2009.
Sachverhalt:

A.
A.a X.________ SA (Beschwerdeführerin) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in
Genf.
X.________ Ltd. (Beschwerdegegnerin) ist eine Gesellschaft englischen Rechts
mit Sitz in Fulham, London.
A.b Die Parteien haben am 28. April 2004 ein "Franchise Agreement" und ein
diesem angehängtes "Supply Agreement" abgeschlossen. Gemäss diesen
Vereinbarungen wird die Beschwerdeführerin als Franchisenehmerin in der
Schweiz, Liechtenstein, Italien, Monaco, Österreich und der Slowakei tätig und
die Beschwerdegegnerin beliefert sie mit den für diese Tätigkeit benötigten
Produkten.

B.
Dieses Vertragsverhältnis wurde von der Beschwerdegegnerin am 9. April 2008
gekündigt. Die Beschwerdeführerin akzeptierte diese Kündigung nicht und klagte
beim Handelsgericht des Kantons Zürich gegen die Beschwerdegegnerin mit dem
Rechtsbegehren, es "sei festzustellen, dass die Kündigung des Franchise and
Supply Agreements ungültig ist und das Vertragsverhältnis somit fortgeführt
wird"; eventualiter sei die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, der
Beschwerdeführerin Fr. 400'000.-- zu bezahlen (Ziffer 1 des Rechtsbegehrens).
Darüber hinaus wirft die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin verschiedene
Vertragsverletzungen (u.a. fehlende Unterstützung im Rechnungs- und
Bestellwesen, fehlende Unterstützung im Vertrieb, Verweigerung der
Zusammenarbeit) vor, wofür sie Schadenersatz im Betrag von Fr. 2.5 Mio.
verlangt (Ziffer 2 des Rechtsbegehrens).
Das Handelsgericht des Kantons Zürich erwog, dass es für alle Rechtsbegehren
der Beschwerdeführerin an einem Gerichtsstand im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 des
Lugano-Übereinkommens vom 16. September 1988 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und
Handelssachen (LugÜ; SR 0.275.11) in Zürich fehle, weshalb es mit Beschluss vom
24. April 2009 mangels Zuständigkeit auf die Klage nicht eintrat.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt die Beschwerdeführerin dem
Bundesgericht, es sei der Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom
24. April 2009 aufzuheben und die Zuständigkeit des Handelsgerichts
festzustellen. Eventualiter sei der Beschluss des Handelsgerichts aufzuheben
und die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten sei. Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

D.
Mit Verfügung vom 23. Juni 2009 erteilte das Bundesgericht der Beschwerde
aufschiebende Wirkung.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Gutheissung der Unzuständigkeitseinrede der Beschwerdegegnerin hat
die Vorinstanz, ein Fachgericht für handelsrechtliche Streitigkeiten, als
einzige kantonale Instanz (Art. 75 Abs. 2 lit. b BGG) einen Endentscheid
gefällt (Art. 90 BGG). Hiergegen ist in der vorliegenden zivilrechtlichen
Vermögensstreitigkeit (Art. 72 Abs. 1 BGG) mit einem Fr. 30'000.--
übersteigenden Streitwert (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG) die Beschwerde in
Zivilsachen gegeben.

1.2 Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdeschrift in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Soweit eine
Verletzung von Bundesrecht oder Völkerrecht geltend gemacht wird, wendet das
Bundesgericht das Recht zwar von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
überprüft aber grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die
rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist nicht gehalten,
wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE
133 II 249 E. 1.4.1 S. 254; 133 III 545 E. 2.2 S. 550).

2.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 LugÜ.

2.1 Sie bringt vor, für die Bestimmung des nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ
massgeblichen Anknüpfungspunktes sei die streitbefangene Primärpflicht
massgebend. Demgegenüber habe es der EuGH in ständiger Rechtsprechung
abgelehnt, an die vertragscharakteristische Leistung anzuknüpfen. Mit dem
zentralen Argument, es sei für das Begehren auf Feststellung, dass die sich aus
dem Vertragsverhältnis ergebenden Pflichten der beklagten Partei weiterhin
wirksam sind, auf den vertraglichen Anspruch abzustellen, auf den es der
klagenden Partei hauptsächlich ankommt, nämlich die in Newtown (Wales) zu
erfüllende Warenlieferung der Franchisegeberin, knüpfe die Vorinstanz
fälschlicherweise an die vertragscharakteristische Leistung an. Diese
Anknüpfung sei unzutreffend, weil nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ die streitbefangene
Primärpflicht der entscheidende Anknüpfungspunkt sei.
Streitbefangene Primärpflicht, so die Beschwerdeführerin weiter, sei die
Weiterführung des Franchise Agreements. Auch bei einem Feststellungsbegehren
richte sich die Anknüpfung der Zuständigkeit nach der verletzten vertraglichen
Pflicht. Die von der Vorinstanz erwähnte Diskussion in der Lehre über den
Erfüllungsort bei Feststellungsklagen sei nur dann relevant, wenn sich aus dem
Feststellungsbegehren keine vertragliche Pflicht ableiten lasse. Diese
Unsicherheit bestehe aber im vorliegenden Fall nicht; die Beschwerdegegnerin
solle gerade verpflichtet werden, ihre vertraglichen Pflichten aus dem
Franchise Agreement zu erfüllen. In der Folge äussert sich die
Beschwerdeführerin zu den vertraglichen Pflichten aus einem Franchise Agreement
im Allgemeinen und dem zu beurteilenden Vertrag im Besonderen. Dabei handle es
sich um einen klassischen Franchisevertrag, welcher der Beschwerdegegnerin als
Franchisegeberin verschiedene vertragliche Pflichten auferlege. Es gehe im
vorinstanzlichen Verfahren im Kern um den Antrag der Beschwerdeführerin, diese
vertraglichen Verpflichtungen weiterzuführen.
Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit sei nicht die
Lieferverpflichtung, sondern das Franchise Agreement. Die Verpflichtungen der
Beschwerdegegnerin aus dem Franchise Agreement, das sich begriffsnotwendig auf
ein im Vertrag definiertes Vertragsgebiet beziehe, könnten nur im
Vertragsgebiet erfüllt werden. Zudem müsse und könne die Beschwerdeführerin
ihre Verpflichtung, im Vertragsgebiet eine bestimmte Anzahl von Läden zu
betreiben, nur im Vertragsgebiet erfüllen, das gemäss Ziff. 2 des Franchise
Agreement die Schweiz, Liechtenstein, Italien, Monaco, Österreich und die
Slowakei erfasse. Massgebend für die Bestimmung des Erfüllungsorts innerhalb
dieser Ländergruppe sei die Frage, wo die Hauptverwaltung des Franchisenehmers
angesiedelt sei. Die Beschwerdeführerin habe ihren "tatsächlichen Sitz" in
Zürich, das gesamte Bestell- und Abrechnungswesen erfolge über Zürich und auch
das Marketing werde zentral über den Hauptsitz in Zürich geführt, was deutlich
für einen Erfüllungsort in der Schweiz spreche. Dass der Vertrag in Zürich
erfüllt werde, entspreche im Übrigen dem Verständnis der Parteien. So sei in
allen Katalogen der Beschwerdegegnerin bis Frühjahr 2008 die Zürcher Adresse
als Hauptsitz der Beschwerdeführerin aufgeführt worden, die Beschwerdegegnerin
habe ihre Tageskorrespondenz sowie die Rechnungen für alle Läden im
Vertragsgebiet an diese Adresse gesandt, die Kasse und das Kasseninternetsystem
würden von Zürich aus gewartet und gehostet, das Lagerhaus der
Beschwerdeführerin sei in Zürich, die Betriebsfahrzeuge dort angemeldet und das
gesamte operative Geschäft befinde sich in Zürich. Schliesslich sei auch der
für einen beschränkten Zeitraum beschäftigte Geschäftsführer in Zürich
angestellt gewesen und die wenigen Besuche der Beschwerdegegnerin bei der
Beschwerdeführerin hätten in den Geschäftsräumen in Zürich stattgefunden. Im
Übrigen sei auch das Franchise Agreement an diesem Ort unterzeichnet worden.
Aus all diesen Gründen, die von der Vorinstanz nicht gewürdigt worden seien,
ergebe sich eine internationale Zuständigkeit in der Schweiz und eine örtliche
Zuständigkeit in Zürich.

2.2 Wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Streitgegenstand
bilden, ermöglicht Art. 5 Ziff. 1 LugÜ dem Kläger, alternativ zum allgemeinen
Wohnsitzgerichtsstand (Art. 2 LugÜ), den Beklagten vor dem Gericht des Ortes zu
verklagen, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre.
Zur Bestimmung des Erfüllungsorts ist nicht jede beliebige vertragliche
Verpflichtung massgebend, sondern nur jene, die dem vertraglichen Anspruch
entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt. Macht er Ansprüche auf
Schadenersatz geltend oder beantragt er die Auflösung des Vertrags aus
Verschulden der anderen Partei, so ist auf die vertragliche Verpflichtung
abzustellen, deren Nichterfüllung zur Begründung dieser Ansprüche behauptet
wird (BGE 4A_115/2009 vom 11. Juni 2009 E. 3.1; BGE 124 III 188 E. 4a S. 189 f.
mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Massgebend ist demnach immer
die strittige Primärpflicht und nicht etwa die aus der Kündigung, Wandelung,
Schadenersatzforderung wegen Nicht- oder Schlechterfüllung, Rückabwicklung des
Vertrags etc. hervorgehende Sekundärpflicht (BGE 4A_115/2009 vom 11. Juni 2009
E. 3.2 mit Hinweisen).
Dies verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie vorträgt, im Falle einer
Klagehäufung dürfe das für einen Anspruch zuständige Gericht auch über die
anderen Ansprüche entscheiden, die in verschiedenen Staaten zu erfüllen sind.
Die Vorinstanz hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH vielmehr
zutreffend erwogen, dass das für einen Anspruch zuständige Gericht
grundsätzlich nicht auch über die anderen Ansprüche entscheiden darf, selbst
wenn sich die verschiedenen Ansprüche aus demselben Vertrag ergeben.
Das Bundesgericht hat zudem eine Ausdehnung des Gerichtsstands des
Erfüllungsorts im Sinne der Annahme einer Zuständigkeit am Ort der Erfüllung
einer als solcher nicht umstrittenen, beliebigen vertraglichen Hauptleistung
nach Wahl des Klägers in einem neueren Entscheid abgelehnt (BGE 4A_115/2009 vom
11. Juni 2009 E. 3.4). Die Beschwerdeführerin legt jedoch nicht dar, welche
umstrittene Verpflichtung in Zürich zu erfüllen gewesen wäre, sondern
beschränkt sich vielmehr darauf, die verschiedenen Verpflichtungen aus dem
Franchise und dem Supply Agreement aufzulisten und vorzubringen,
streitbefangene Primärpflicht sei die Weiterführung des Franchisesystems als
Ganzes. Damit lässt sie ausser Acht, dass es nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ auf den
Erfüllungsort nicht irgendeiner, sondern der umstrittenen Verpflichtung ankommt
(BGE 4A_115/2009 vom 11. Juni 2009 E. 3.4). Es lässt sich den Ausführungen der
Beschwerdeführerin aber nicht entnehmen, auf welche konkrete vertragliche
Pflicht sich ihr Feststellungsbegehren stützt, deren Erfüllungsort in Zürich
liegen würde. Auch aus den verschiedenen von ihr vorgebrachten tatsächlichen
Bezugspunkten zu Zürich ("tatsächlicher Sitz", Bestell- und Abrechnungswesen,
Marketing, Kasse, Lagerhaus, Betriebsfahrzeuge, Ort der Vertragsunterzeichnung
etc.) lässt sich kein Erfüllungsort für eine vertragliche Pflicht ableiten.
Ebenso wenig hat die Beschwerdeführerin aufgezeigt, dass die von ihr behauptete
Unwirksamkeit der Kündigung darauf beruhe, dass sie eine bestimmte
Vertragspflicht entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin gar nicht
verletzt habe. Im Übrigen untersteht die in der Klageschrift im Zusammenhang
mit der Kündigung erwähnte umstrittene Zahlungsverpflichtung der
Beschwerdeführerin englischem Recht, das von einer Bringschuld ausgeht
(ALEXANDER R. MARKUS, Tendenzen beim materiellrechtlichen Vertragserfüllungsort
im internationalen Zivilverfahrensrecht, 2009, S. 35; YVES DONZALLAZ, La
Convention de Lugano, Bd. III, 1998, Rz. 4684), weshalb auch diese
Verpflichtung nicht in Zürich, sondern in London zu erfüllen wäre. Die Rüge,
die Vorinstanz habe den Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen (iura
novit curia) verletzt, indem sie weder selbst Abklärungen zum englischen Recht
getroffen noch die Beschwerdeführerin zu einer entsprechenden Stellungnahme
eingeladen habe, stösst ins Leere.

2.3 Zusammenfassend ist ein Erfüllungsort in Zürich nach Art. 5 Ziff. 1 LugÜ
für die Feststellungsklage der Beschwerdeführerin nicht gegeben. Auf das
eventualiter erhobene Forderungsbegehren über Fr. 400'000.-- (Ziffer 1 des
Rechtsbegehrens) sowie das zusätzlich geltend gemachte Schadenersatzbegehren
über Fr. 2.5 Mio. (Ziffer 2 des Rechtsbegehrens), für welche die Vorinstanz
einen Gerichtsstand ebenfalls verneint hat, geht die Beschwerdeführerin vor
Bundesgericht nicht ein. Die Vorinstanz hat weder "fundamentale Grundsätze von
Art. 1 LugÜ" noch Art. 5 Ziff. 1 LugÜ verletzt, wenn sie auf die Klage mangels
Zuständigkeit nicht eingetreten ist.

3.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird die
Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art.
68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 20'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 22'000.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. August 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Leemann