Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 4A.177/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
4A_177/2009

Urteil vom 14. August 2009
I. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Gerichtsschreiber Luczak.

1. Parteien
A.________,

2. B.________,

3. C.________,
Beschwerdeführer,
alle drei vertreten durch Rechtsanwalt Benno Mattarel,

gegen

1. D.________,

2. E.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Fürsprecher Andreas Bandi.

Gegenstand
Wandelung eines Kaufvertrags,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht,
1. Kammer,
vom 23. Februar 2009.
Sachverhalt:

A.
D.________ und E.________ (Beschwerdegegner) einerseits sowie A.________ und
der inzwischen verstorbene F.________ (Verkäuferschaft) andererseits schlossen
im August 1999 eine Vereinbarung, gemäss welcher die Verkäuferschaft sämtliche
sich in ihrem Besitz befindlichen Aktien der X.________ AG (Aktiengesellschaft)
zum Kaufpreis von insgesamt Fr. 600'000.-- den Beschwerdegegnern zu übertragen
hatte, welche mit Bezug auf Fr. 400'000.-- vorleistungspflichtig waren. In der
Vereinbarung ist festgehalten, die Beschwerdegegner seien nach Übertragung der
Aktienzertifikate einzige Aktionäre der Aktiengesellschaft. Bei Abwicklung des
Vertrages gerieten die Beteiligten in Streit. Die Beschwerdegegner bemängelten
die Vertragserfüllung durch die Verkäuferschaft. Sie gelangten an das
Bezirksgericht Brugg und verlangten die Aufhebung des Vertrages zunächst
zufolge Wandelung, im Rechtsmittelverfahren dann gestützt auf Art. 97 ff. OR.
Subsidiär beriefen sie sich zur Auflösung des Vertrages auf Täuschung
beziehungsweise Irrtum und verlangten die bereits geleisteten Fr. 400'000.--
zurück. Die Verkäuferschaft forderte widerklageweise im Wesentlichen die
Zahlung des Restkaufpreises von Fr. 200'000.--. Gegenseitig wurden zusätzlich
je Fr. 50'000.-- Konventionalstrafe geltend gemacht.

B.
Im Verlauf des Verfahrens vor Bezirksgericht verstarb F.________, worauf das
Verfahren gegen A.________, B.________ und C.________ (Beschwerdeführer)
weitergeführt wurde. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 6. März
2007 ab und hiess die Widerklage bis auf eine Zinskorrektur gut. Bezüglich der
Klage kam das Obergericht des Kantons Aargau zum selben Ergebnis. Es war
allerdings der Auffassung, die Verkäuferschaft habe ihre Leistung nicht
vollständig erbracht, da die Beschwerdegegner wegen fehlender
Abtretungserklärungen auf bestimmten Aktienzertifikaten nicht wie im Vertrag
vorgesehen zu alleinigen Aktionären der Aktiengesellschaft geworden seien.
Daher verpflichtete es die Beschwerdegegner zur Leistung der Kaufpreisrestanz
von Fr. 200'000.-- Zug um Zug gegen Beibringung der Abtretungserklärungen oder
Indossamente bezüglich der Aktienzertifikate Nr. 2, 12 und 13.

C.
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragen die Beschwerdeführer dem Bundesgericht
im Wesentlichen, die Beschwerdegegner unter solidarischer Haftung zur Bezahlung
von Fr. 200'000.-- nebst Zins zu verpflichten. Die Beschwerdegegner schliessen
auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde, während das Obergericht auf
Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführer machen im Wesentlichen geltend, mit Bezug auf die
angeblich mangelhaft indossierten Aktienzertifikate wende die Vorinstanz zu
Unrecht die gesetzlichen Voraussetzungen an die Übertragung von Ordrepapieren
bzw. Namenaktien an. Dies, weil die Vorinstanz - wie auch schon das
Bezirksgericht - die aktenkundige von den Beschwerdeführern vorgetragene und
bewiesene Tatsache übersehen habe, dass die Aktiengesellschaft bereits am 29.
Februar 2000 von Amtes wegen aufgelöst und als Folge der am 15. November 2004
erfolgten Konkurseröffnung am 20. Juni 2005 von Amtes wegen gelöscht worden
sei. Sie verweisen dazu auf die Klageantwortbeilage Nr. 57 (recte wohl Nr. 53),
einen Handelsregisterauszug der Aktiengesellschaft vom 5. November 2000, sowie
auf die Duplikbeilagen 1 und 2 (Konkurseröffnungsurteil vom 16. November 2004
und Handelsregisterauszug vom 3. November 2000). Zusätzlich berufen sie sich
auf Ziff. 3.10 des erstinstanzlichen Urteils, die wie folgt lautet: "Mit
Gerichtsbeschluss vom 5. September 2006 wurde die Einholung des Protokolls der
Generalversammlung vom 20. August 1999 der (gelöschten) X.________ AG (mit Sitz
in Welschenrohr) beim Handelsregisteramt des Kantons Solothurn angeordnet."

1.1 Die Beschwerdeführer halten die Nichtberücksichtigung dieser Beweismittel
für willkürlich. Spätestens mit der Löschung der Aktiengesellschaft im
Handelsregister hätten die Namenaktien ihren Charakter als eigentliche
Wertpapiere verloren. Bestehe die Aktiengesellschaft nicht mehr, würden die
Aktien effektiv wertlos und verlören ihren typischen Wertpapiercharakter, weil
es kein Recht, d.h. bei Namenaktien keine Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte
gegenüber der Aktiengesellschaft, mehr gebe, das aus dem Papier geltend gemacht
werden könne. Bei Namenaktien nicht mehr existierender Gesellschaften genüge
die einfache Übertragung des Papiers als Vollzug des Grundgeschäfts. Dies sei
allgemein bekannt und werde namentlich bei antiken Aktientiteln so gehandhabt.
Daher sei die von der Vorinstanz an die Bezahlung des Restkaufpreises geknüpfte
Bedingung aufzuheben. Der Restkaufpreis nebst Zins sei bedingungslos
geschuldet.

1.2 Die Beschwerdeführer rügen, wenn der Auffassung der Vorinstanz gefolgt
würde, könnten sie den Restkaufpreis von Fr. 200'000.-- nicht einverlangen,
sofern auch nur eine Abtretungserklärung nicht beigebracht werden könne. Der
Minderwert, der durch die nicht korrekt übertragenen Aktien entstanden sei,
belaufe sich aber höchstens auf Fr. 27'615.-- beziehungsweise Fr. 12'550.--, da
heute nur noch die Abtretungserklärung betreffend ein Zertifikat über 5 Aktien
fehle. Werde wegen Fehlens eines einzigen Aktienzertifikats die gesamte
Restkaufpreisforderung nicht bezahlt, liefe das auf eine unzulässige
Teilwandelung beziehungsweise unverhältnismässige Kaufpreisminderung hinaus.

2.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des
Sachverhaltes kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich"
(BGE 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252).

2.1 Wer sich auf eine Ausnahme von der Bindung des Bundesgerichts an die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz beruft und den Sachverhalt gestützt
darauf berichtigt oder ergänzt wissen will, hat mit Aktenhinweisen darzulegen,
dass er entsprechende rechtsrelevante Tatsachen und taugliche Beweismittel
bereits bei den Vorinstanzen genannt hat (Botschaft zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 4339 Ziff. 4.1.4.3; vgl. auch BGE 115 II 484 E. 2a
S. 485 f.). Neue Vorbringen sind nur zulässig, soweit erst der angefochtene
Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was wiederum näher darzulegen
ist (BGE 134 V 223 E. 2.2.1 S. 226; 133 III 393 E. 3 S. 395).

2.2 Aus den von den Beschwerdeführern bezeichneten Aktenstellen und einer
Klammerbemerkung an der angeführten Stelle des erstinstanzlichen Entscheides
geht in der Tat hervor, dass die Aktiengesellschaft von Amtes wegen als
aufgelöst erklärt und schliesslich gelöscht wurde. Soweit die Beschwerdeführer
jedoch behaupten, es handle sich um eine vorgetragene und bewiesene Tatsache,
welche sowohl das Obergericht wie auch schon das Bezirksgericht übersehen
hätten, unterlassen sie es, aktenmässig zu belegen, dass sie sich
prozesskonform darauf berufen haben, zufolge der Löschung der
Aktiengesellschaft erübrige sich eine wertpapierrechtliche Übertragung der
Aktien. Entsprechende Hinweise wären aber notwendig, da die Vorinstanz keine
diesbezüglichen Vorbringen erwähnt und im Appellationsverfahren, wie die
Vorinstanz ausdrücklich festhält, nur die von den Parteien vorgebrachten
rechtlichen oder tatsächlichen Beanstandungen geprüft werden. Nach Darstellung
der Beschwerdeführer selbst hat schon die erste Instanz die angebliche Relevanz
der Löschung der Gesellschaft übersehen. Die Beschwerdeführer hätten daher
allen Anlass gehabt, den erstinstanzlichen Entscheid in der Appellationsantwort
diesbezüglich zu beanstanden und mit Blick auf die Löschung der Gesellschaft
die Abweisung der Appellation zu beantragen. Dass sie dies getan hätten, zeigen
sie nicht auf. Es ist aber nicht Sache des Bundesgerichts, ohne Hinweise der
Parteien nach allfälligen Unvollständigkeiten in der Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz zu forschen (BGE 133 IV 286 E. 6.2 S. 288), so dass es dabei
sein Bewenden hat. Haben die Beschwerdeführer die Löschung der
Aktiengesellschaft vor der Vorinstanz nicht prozesskonform zum Prozessthema
gemacht, fehlt es diesbezüglich an der Erschöpfung des Instanzenzuges (BGE 134
III 524 E. 1.3 S. 527 mit Hinweisen) und sind die Beschwerdeführer mit ihren
Vorbringen nicht zu hören.

2.3 Auch abgesehen von der Ausschöpfung des Instanzenzuges, erweisen sich die
Vorbringen der Beschwerdeführer als unzulässig. Im Rahmen der Rechtsanwendung
von Amtes wegen ist es zwar zulässig, seinen Anspruch erstmals vor
Bundesgericht rechtlich anders zu begründen, jedoch nur, soweit die dafür
erforderlichen Tatsachen im angefochtenen Urteil festgestellt sind (BGE 133 III
545 E. 2.2 S. 550; 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254; vgl. auch BGE 130 III 28 E. 4.4
S. 34 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführer behaupten, die Löschung der
Aktiengesellschaft habe einen Einfluss auf den Wertpapiercharakter der
Aktienzertifikate, so dass sich eine Abtretungserklärung erübrige. Wie es sich
damit verhält, kann offen bleiben (vgl. zu den Folgen der Löschung Urteil
4C.336/2000 vom 12. März 2002 E. 5, nicht publ. in BGE 128 III 370; WOLFGANG
ERNST, Haftung und Gefahrtragung beim Aktienkauf, in: Tradition mit Weitsicht,
Festschrift für Eugen Bucher zum 80. Geburtstag, 2009, S. 89 ff., S. 122), denn
die Löschung zeitigt Auswirkungen auf das gesamte Vertragsverhältnis. Gemäss
Vertrag hätten die Beschwerdegegner Alleinaktionäre der Aktiengesellschaft
werden sollen, womit offensichtlich die bestehende aktive Gesellschaft gemeint
war. Daher stellt sich die Frage, ob der Zweck der Vereinbarung nach der
Löschung der Gesellschaft in diesem Punkt überhaupt noch erreicht werden kann
(vgl. ERNST, a.a.O., S. 117; zit. Urteil 4C.336/2000 E. 5), und falls nicht,
wer dafür die Verantwortung trägt (vgl. ERNST, a.a.O., S. 126). Auch wäre
abzuklären, ob die Beschwerdegegner an einer Abtretungserklärung überhaupt noch
ein schützenswertes Interesse haben. Da vor der Vorinstanz die Löschung der
Gesellschaft nicht thematisiert wurde, fehlen hinreichende
Sachverhaltsfeststellungen, und bestand für die Beschwerdegegner kein Anlass,
diesbezüglich weitere Behauptungen aufzustellen. Diese Möglichkeit würde ihnen
abgeschnitten, wenn das Bundesgericht über die Folgen der Löschung für die
Vertragserfüllung zu befinden hätte. Daher ist es den Beschwerdeführern
verwehrt, sich erstmals vor Bundesgericht auf die Löschung der Gesellschaft zu
berufen, um die Gutheissung der Widerklage im beantragten Umfang zu erwirken.

2.4 Soweit die Beschwerdeführer rügen, die Verpflichtung zur Leistung Zug um
Zug führe faktisch zu einer ungerechtfertigten Minderung des Kaufpreises,
verkennen sie, dass die Vorinstanz davon ausging, die Abtretungserklärungen
könnten noch beigebracht und der Vertrag erfüllt werden. Die Beschwerdeführer
zeigen nicht auf, dass sie sich im kantonalen Verfahren zur Frage, welche
Ansprüche zwischen den Parteien bestehen, falls eine korrekte Vertragserfüllung
ausser Betracht fällt, prozesskonform geäussert haben. Daher ist auch vor
Bundesgericht nicht darauf einzugehen.

3.
Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten insgesamt nicht einzutreten. Dem
Ausgang des Verfahrens entsprechend werden die Beschwerdeführer kosten- und
entschädigungspflichtig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden unter solidarischer Haftbarkeit den
Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführer haben die Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren unter solidarischer Haftbarkeit mit insgesamt Fr. 6'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. August 2009
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:

Klett Luczak