Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2D.20/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
2D_20/2009

Urteil vom 28. August 2009
II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung

Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Wyssmann.

Parteien
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Finanzdepartement des Kantons Solothurn.

Gegenstand
Staats- und Bundessteuer 2004-2005 (Steuererlassgesuch),

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonalen Steuergerichts Solothurn
vom 1. Dezember 2008.

Sachverhalt:

A.
X.________ ersuchte am 30. Juni 2008 um Erlass der direkten Bundessteuer 2004
in der Höhe von Fr. 105.--, der Staatssteuer 2005 in der Höhe von Fr. 36'781.--
und der direkten Bundessteuer 2005 in der Höhe von Fr. 44'610.60. Mit Verfügung
vom 1. Juli 2008 teilte die Erlassabteilung des Finanzdepartements des Kantons
Solothurn dem Steuerpflichtigen mit, für Steuerforderungen, die bereits in
Betreibung gesetzt worden seien, könne nicht um Erlass ersucht werden. Auf das
Erlassgesuch werde nicht eingetreten.
Eine weitere Eingabe des Steuerpflichtigen vom 28. Juli 2008, worin dieser
erklärte, dass im Zeitpunkt der Veranlagung der fraglichen Steuern er sich im
Ausland aufgehalten habe und sein Treuhänder krank gewesen sei, wurde nach
Rücksprache mit dem Steuerpflichtigen als Rekurs und Beschwerde an das
Kantonale Steuergericht Solothurn weitergeleitet. Dieses wies mit Urteil vom 1.
Dezember 2008 Rekurs und Beschwerde ab.

B.
Gegen den Entscheid des Kantonalen Steuergerichts Solothurn vom 1. Dezember
2008 führt X.________ Beschwerde mit dem sinngemässen Begehren, dem
Steuererlassgesuch für die Steuern 2004 und 2005 sei stattzugeben und es seien
die fraglichen Steuern zu erlassen. Er beanstandet ausserdem, dass sein
ehemaliger Treuhänder als Richter am angefochtenen Entscheid mitgewirkt habe.
Das Steuergericht des Kantons Solothurn beantragt Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Das Finanzdepartement des Kantons Solothurn
liess sich nicht vernehmen.
Die Eidgenössische Erlasskommission für die direkte Bundessteuer beantragt, auf
die subsidiäre Verfassungsbeschwerde sei nicht einzutreten. Es sei
festzustellen, dass die Verfügung der Erlassabteilung des Finanzdepartements
des Kantons Solothurn hinsichtlich der direkten Bundessteuer 2005 nichtig sei,
und es sei das Erlassgesuch hinsichtlich dieser Steuer an die Eidgenössische
Erlasskommission zu überweisen.

Erwägungen:
I. Staatssteuer

1.
1.1 Gegen Entscheide über die Stundung oder den Erlass von Abgaben ist die
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen (Art. 83
lit. m BGG). In Betracht fällt einzig die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
(Art. 113 ff. BGG). Diese setzt voraus, dass der Beschwerdeführer durch den
angefochtenen Entscheid in rechtlich geschützten Interessen betroffen ist (Art.
115 lit. b BGG). Da die subsidiäre Verfassungsbeschwerde nur zur Geltendmachung
der Verletzung verfassungsmässiger Rechte offen steht (vgl. Art. 116 BGG), kann
der Entscheid, mit dem ein Steuererlass verweigert worden ist, im Wesentlichen
nur wegen Verletzung des verfassungsmässigen Verbots von Willkür (Art. 9 BV)
angefochten werden. Dieses verschafft indessen für sich allein kein rechtlich
geschütztes Interesse im Sinne von Art. 115 lit. b BGG (BGE 133 I 185 E. 6).
Zur Willkürbeschwerde ist daher nur legitimiert, wer sich auf eine gesetzliche
Norm berufen kann, die ihm im Bereich seiner betroffenen und angeblich
verletzten Interessen einen Rechtsanspruch einräumt.
Ein solcher Anspruch auf Steuererlass besteht im Kanton Solothurn nicht: Gemäss
§ 182 Abs. 1 des Gesetzes über die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons
Solothurn vom 1. Dezember 1985 (StG/SO, in der Fassung vom 30. Juni 1999)
können die geschuldeten Beträge ganz oder teilweise erlassen werden, wenn "der
Steuerpflichtige durch besondere Verhältnisse wie Naturereignisse, Todesfall,
Unglück, Krankheit, Arbeitslosigkeit, geschäftliche Rückschläge (...) in seiner
Zahlungsfähigkeit stark beeinträchtigt" ist oder die "Bezahlung der Steuer,
eines Zinses oder einer Busse zur grossen Härte würde". Das sind nur allgemeine
Umschreibungen, die auf das Ermessen der Behörde verweisen. Auch die
Steuerverordnung Nr. 11 vom 13. Mai 1986 über Zahlungserleichterungen, Erlass
und Abschreibungen enthält nur die "Allgemeinen Grundsätze", welche für die
Behörde wegleitend sein sollen, wie z.B. die Zukunftsaussichten oder die
Zumutbarkeit von Einschränkungen in der Lebenshaltung. Weder aus § 182 Abs. 1
StG/SO noch aus der Steuerverordnung Nr. 11 ergibt sich, unter welchen
Voraussetzungen dem Betroffenen der beantragte Vorteil zu gewähren ist (s. auch
BGE 112 Ia 93 E. 2c S. 94 f.). Ein justiziabler Anspruch auf Steuererlass
besteht im Kanton Solothurn daher nicht, wie das Bundesgericht wiederholt
erkannt hat (Urteil 2D_21/2009 vom 19. Juni 2009; 2D_24/2009 vom 9. April 2009;
2D_1/2009 vom 8. Januar 2009; 2D_106/2008 vom 13. Oktober 2008; je mit weiteren
Nachweisen). Das schliesst es aus, dass der Beschwerdeführer den Entscheid des
Kantonalen Steuergerichts wegen Willkür anficht.

1.2 Trotz fehlender Legitimation zur Geltendmachung der Verletzung des
Willkürverbots ist es zulässig, mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde die
Verletzung jener Parteirechte zu rügen, deren Missachtung auf eine formelle
Rechtsverweigerung hinausläuft. Das rechtlich geschützte Interesse ergibt sich
diesfalls aus der Berechtigung der Partei, am Verfahren teilzunehmen (so
genannte Star-Praxis, vgl. BGE 133 I 185 E. 6.2 S. 198; 114 Ia 307 E. 3c S. 312
f.). Eine solche Rüge erhebt der Beschwerdeführer. Er beanstandet, dass Richter
Bargetzi am angefochtenen Entscheid mitgewirkt habe, obschon dieser befangen
sei. Wie es sich damit verhält, ist im Folgenden zu prüfen.

2.
2.1 Nach Art. 30 Abs. 1 BV hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von
einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt
wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, welche
ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten
einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu
der für einen korrekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des
Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen.
Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei
objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der
Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE
134 I 238 E. 2.1 S. 240 mit Hinweisen; ferner BGE 135 I 14 E. 2 S. 15).
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, die geeignet
sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Bei dessen
Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen.
Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise
begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver
Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für
die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich befangen ist
(BGE 134 I 238 E. 2.1, mit Hinweisen). Eine gewisse Besorgnis der
Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht kann namentlich dann
objektiv begründet sein, wenn ein (nebenamtlicher) Richter in der Sache einer
Prozesspartei bereits in anderer Weise tätig geworden ist, beispielsweise als
Anwalt, Rechtsberater usw. (BGE 135 I 14 E. 4 S. 15 ff. mit Hinweisen).

2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, Richter Bargetzi habe am Entscheid über
das Erlassgesuch mitgewirkt, obschon er für die gleichen Steuerjahre die
Steuererklärungen für den Beschwerdeführer erstellt habe. Dabei soll es zu
Unstimmigkeiten gekommen sein. Auch in weiteren Belangen erachtet sich der
Beschwerdeführer durch seinen Treuhänder oder dessen Angestellte nicht richtig
behandelt. Die Vorinstanz nahm in ihrer Vernehmlassung zum Vorwurf keine
Stellung, bestritt ihn aber auch nicht. Unter diesen Gegebenheiten kann
objektiv nicht von einem unbelasteten Verhältnis zwischen Richter und
Beschwerdeführer ausgegangen werden und muss sich jener den Anschein der
Befangenheit vorwerfen lassen. Zwar wird die Besetzung des Steuergerichts
zweifellos öffentlich bekannt gegeben und ist grundsätzlich ein
Ablehnungsbegehren vorab zu erheben. Bei sieben ordentlichen Mitgliedern musste
der Beschwerdeführer aber nicht damit rechnen, dass eines der drei
Ersatzmitglieder für die Sitzung aufgeboten würde, und schon gar nicht sein
Treuhänder in der streitigen Steuersache (s. auch Isabelle Häner, in: Basler
Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, N. 2 zu Art. 36 BGG). Ein Ablehnungsbegehren
des Beschwerdeführers vor dem Entscheid konnte daher nicht verlangt werden.
Weil Richter Bargetzi am angefochtenen Entscheid mitwirkte, ist Art. 30 Abs. 1
BV verletzt und der angefochtene Entscheid hinsichtlich der Staatssteuer
aufzuheben.

II. Direkte Bundessteuer

3.
3.1 Hinsichtlich der direkten Bundessteuer ist die Verfassungsbeschwerde gegen
den kantonalen Entscheid im gleichen Umfang zulässig wie hinsichtlich der
Staatssteuer.

3.2 Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung des Eidgenössischen Finanzdepartements
(EFD) vom 19. Dezember 1994 über die Behandlung von Erlassgesuchen für die
direkte Bundessteuer (Steuererlassverordnung; SR 642.121) entscheidet die
Eidgenössische Erlasskommission für die direkte Bundessteuer über Eingaben, mit
denen um Erlass der direkten Bundessteuer im Umfang von mindestens Fr. 5'000.--
pro Jahr ersucht wird. Über Gesuche, mit denen um Erlass der direkten
Bundessteuer von weniger als Fr. 5'000.-- pro Jahr ersucht wird, entscheidet
die kantonale Erlassbehörde (Art. 4 Abs. 2 Steuererlassverordnung).
Daraus erhellt, dass hinsichtlich des Gesuchs um Erlass der direkten
Bundessteuer 2005 in der Höhe von Fr. 44'610.60 das kantonale Finanzdepartement
(Erlassabteilung) zum Entscheid über das Erlassgesuch nicht zuständig war. Das
angefochtene Urteil und die zugrundeliegende Departementsverfügung sind wegen
offensichtlicher Kompetenzüberschreitung nichtig und daher aufzuheben. Es ist
Sache des Departements, das Erlassgesuch hinsichtlich der direkten Bundessteuer
2005 zuständigkeitshalber an die Eidgenössische Erlasskommission für die
direkte Bundessteuer zu überweisen.

3.3 Zu entscheiden ist hinsichtlich des Gesuchs um Erlass der direkten
Bundessteuer 2004 in der Höhe von Fr. 105.--. In Bezug auf diese Steuer ist die
Beschwerde wegen Befangenheit des Gerichts (Art. 30 Abs. 1 BV) ebenfalls
begründet und der angefochtene Entscheid aufzuheben.

4.
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Kanton Solothurn kostenpflichtig (Art. 65
und 66 Abs. 1 BGG). Entschädigungspflichtige private Kosten sind dem
Beschwerdeführer nicht entstanden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Steuergerichts des
Kantons Solothurn vom 1. Dezember 2008 und in Bezug auf die direkte
Bundessteuer 2005 auch die Verfügung der Erlassabteilung des Finanzdepartements
des Kantons Solothurn vom 1. Juli 2008 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Kanton Solothurn auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Steuergericht Solothurn und der
Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. August 2009
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Merkli Wyssmann