Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 1D.1/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1

{T 0/2}
1D_1/2009

Urteil vom 15. Juni 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Dold.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Gemeinde Suhr, Tramstrasse 14, Postfach 128,
5034 Suhr.

Gegenstand
Ablehnung des Einbürgerungsgesuches,

Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss
vom 6. November 2008 des Grossen Rats
des Kantons Aargau, Kommission für Justiz.
Sachverhalt:

A.
Am 7. August 2006 stellte X.________ in der Gemeinde Suhr ein Gesuch um
Einbürgerung. Mit Beschluss vom 30. November 2006 sicherte ihm die
Gemeindeversammlung das Gemeindebürgerrecht zu. Am 14. Mai 2007 erteilte ihm
das Bundesamt für Migration gemäss Art. 13 des Bundesgesetzes vom 29. September
1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR 141.0) die
Bewilligung zur Einbürgerung im Kanton Aargau. Diese kam jedoch in der Folge
nicht zu Stande, da die Kommission für Justiz des Grossen Rats des Kantons
Aargau das Einbürgerungsgesuch mit Beschluss vom 6. November 2008 ablehnte. Am
2. Dezember 2008 genehmigte der Grosse Rat den Beschluss der Kommission,
welcher X.________ mit Schreiben vom 4. Dezember 2008 eröffnet wurde. Die
Kommission für Justiz führte als Begründung an, die vorliegenden Informationen
wiesen darauf hin, dass es zu häuslicher Gewalt gekommen sei. Insbesondere der
Aufenthalt seiner Ehefrau im Frauenhaus, aber auch seine teilweise Verweigerung
der Mitwirkung hätten zu diskutieren gegeben.

B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 7. Januar 2009
beantragt X.________ im Wesentlichen und sinngemäss, der Beschluss der
Kommission für Justiz sei aufzuheben und die Angelegenheit sei zur Gutheissung
seines Einbürgerungsgesuchs an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem listet er
eine Anzahl "Beschwerdegegner" auf und stellt den Antrag, diese seien
solidarisch zu verpflichten, ihm den Betrag von Fr. 100'000.-- zu bezahlen.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2009 reicht der Gemeinderat von Suhr eine
Vernehmlassung ein, ohne diese mit einem Antrag zu verbinden. Die Kommission
für Justiz des Grossen Rats des Kantons Aargau beantragt in ihrer
Vernehmlassung vom 3. Februar 2009, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit
darauf eingetreten werden könne. Der Beschwerdeführer äussert sich mit
Schreiben vom 22. und 29. April 2009 und stellt zusätzliche Anträge.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinne von Art.
82 BGG ist gemäss Art. 83 lit. b BGG gegen Entscheide über die ordentliche
Einbürgerung ausgeschlossen. Eine andere ordentliche Beschwerde fällt nicht in
Betracht. Damit ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gemäss Art. 113 ff.
BGG im Grundsatz gegeben. Der angefochtene Entscheid der Kommission für Justiz
kann mit keinem kantonalen Rechtsmittel angefochten werden und ist daher
kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Auch insoweit erweist
sich die Beschwerde als zulässig.

1.2 Mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde kann nach Art. 116 BGG die
Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden. Zur Beschwerde ist
gemäss Art. 115 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren
teilgenommen (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung
oder Änderung des angefochtenen Entscheides hat (lit. b). Zu prüfen ist
insbesondere, zu welchen Rügen der Beschwerdeführer gemäss Art. 115 lit. b BGG
legitimiert ist.
Das nach Art. 115 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse kann
durch kantonales oder eidgenössisches Gesetzesrecht oder aber unmittelbar durch
ein spezielles Grundrecht oder bundesverfassungsrechtliche Verfahrensgarantien
begründet sein (BGE 133 I 185 E. 4 S. 191 und E. 6.2 S. 198 f. mit Hinweis).
Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, dass ihm nach dem kantonalen
Bürgerrechtsgesetz ein Anspruch auf Einbürgerung zukomme. Er ist daher nicht
zur Rüge berechtigt, der angefochtene Entscheid verletze das Willkürverbot nach
Art. 9 BV (BGE 133 I 185 mit Hinweisen). Vom Ausschluss betroffen ist
gleichermassen die Rüge der Verletzung des allgemeinen Rechtsgleichheitsgebotes
nach Art. 8 Abs. 1 BV (BGE 129 I 113 E. 1.5 S. 118; Urteil 1D_6/2007 vom 25.
Januar 2008 E. 1.2; je mit Hinweisen).

1.3 In der Replik vom 22. April 2009 und ihrer Ergänzung vom 29. April 2009
stellt der Beschwerdeführer Anträge, die in der Beschwerdeschrift nicht
vorgebracht wurden. Er verlangt eine teilweise Rückerstattung der im
Einbürgerungsverfahren erhobenen Gebühren, stellt ein Feststellungsbegehren,
beantragt die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung und die
Einvernahme einer Anzahl namentlich aufgeführter Zeugen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Beschwerdeergänzung jedoch nach
Ablauf der Beschwerdefrist, auf dem Weg der Replik nur insoweit statthaft, als
die Ausführungen in der Vernehmlassung eines anderen Verfahrensbeteiligten dazu
Anlass geben (vgl. BGE 135 I 19 E. 2.2 S. 21 mit Hinweisen). Diese
Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, so dass auf die genannten Anträge
nicht einzutreten ist.
Die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung gemäss Art. 57 BGG, wie sie
der Beschwerdeführer (verspätet) beantragt, ist im Übrigen grundsätzlich dem
Ermessen des Abteilungspräsidenten anheim gestellt. Ein Anspruch darauf kann
sich ausnahmsweise aus Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK ergeben. Dies
ist insbesondere dann der Fall, wenn das Bundesgericht als einzige Instanz
entscheidet und Rechte im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK betroffen sind.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind jedoch weder zivilrechtliche
Ansprüche und Verpflichtungen noch eine gegen den Beschwerdeführer erhobene
strafrechtliche Anklage im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. E. 2 hiernach).
Der Antrag auf Durchführung einer Parteiverhandlung wäre somit auch bei
rechtzeitiger Geltendmachung abzuweisen gewesen.

1.4 Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ausschliesslich der Beschluss
der Kommission für Justiz vom 6. November 2008. Nicht einzutreten ist auf die
Anträge, der Beschwerdeführer sei durch die von ihm namentlich aufgeführten
"Beschwerdegegner" mit Fr. 100'000.-- zu entschädigen und die Vernehmlassung
der Kommission für Justiz sei teilweise aufzuheben. Auch fällt die
Entgegennahme des Antrags auf Entschädigung als Klage gemäss Art. 120 BGG
ausser Betracht, denn die Voraussetzungen dieses Rechtsmittels sind
offensichtlich nicht erfüllt.

1.5 Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Dies setzt voraus,
dass sich der Beschwerdeführer wenigstens kurz mit den Erwägungen des
angefochtenen Entscheids auseinandersetzt. Zwar wendet das Bundesgericht das
Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Das setzt aber
voraus, dass auf die Beschwerde überhaupt eingetreten werden kann, diese also
wenigstens die Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG erfüllt.
Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von Grundrechten
(einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür
bei der Sachverhaltsfeststellung) geltend gemacht wird. Dies prüft das
Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insoweit, als eine solche Rüge
in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).
Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste
Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche
Rechtssätze inwiefern durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt
worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und detailliert erhobene und,
soweit möglich, belegte Rügen (BGE 134 II 244 E. 2.1 und 2.2 S. 245 f. mit
Hinweisen).
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 7, Art. 8 Abs. 2, Art. 29
Abs. 2, Art. 37 ff. und Art. 191 BV ohne darzulegen, inwiefern der angefochtene
Entscheid gegen diese Bestimmungen verstösst. Darauf ist nicht einzutreten.
Dasselbe gilt für die vom Beschwerdeführer erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe,
welche zudem im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde keine zulässigen
Beschwerdegründe darstellen (vgl. Art. 116 BGG).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, dass der Kanton keine gerichtliche
Rechtsmittelinstanz vorgesehen habe und beruft sich auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

2.2 Die Rüge der Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK geht von vornherein fehl.
Diese Konventionsgarantie erstreckt sich auf zivilrechtliche Ansprüche und
Verpflichtungen sowie strafrechtliche Anklagen. Auf Einbürgerungsverfahren
gelangt sie nicht zur Anwendung (Urteile des Bundesgerichts 5A.23/2001 vom 11.
Februar 2002 E. 2b/bb mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 128 II 97; 5A.20/2003
vom 22. Januar 2004 E. 2.4.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 130 II 169;
CHRISTOPH GRABENWARTER, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, §
24 Rz. 13).
Weiter ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer aus einem anderen
verfassungsmässigen Recht (Art. 116 BGG) ein Anspruch auf Zugang zu einem
kantonalen Gericht erwächst.
Gemäss Art. 29a BV hat jede Person bei Rechtsstreitigkeiten Anspruch auf
Beurteilung durch eine richterliche Behörde (Satz 1). Bund und Kantone können
durch Gesetz die richterliche Beurteilung in Ausnahmefällen ausschliessen (Satz
2). Eine Ausnahmebestimmung im Sinne von Art. 29a Satz 2 BV ist Art. 86 Abs. 3
BGG, wonach die Kantone für Entscheide mit vorwiegend politischem Charakter
anstelle eines Gerichts eine andere Behörde als unmittelbare Vorinstanz des
Bundesgerichts einsetzen können. Art. 50 BüG verlangt indessen, dass die
Kantone Gerichtsbehörden einsetzen, die als letzte kantonale Instanzen
Beschwerden gegen ablehnende Entscheide über die ordentliche Einbürgerung
beurteilen. Durch den Erlass dieser Bestimmung brachte der Gesetzgeber zum
Ausdruck, dass Entscheide im Bereich der ordentlichen Einbürgerung keinen
vorwiegend politischen Charakter haben und deshalb vom Erfordernis einer
kantonalen gerichtlichen Instanz erfasst werden (Bericht der Staatspolitischen
Kommission des Ständerates vom 27. Oktober 2005 zur Änderung des
Bürgerrechtsgesetzes, BBl 2005 6953 Ziff. 3). In zeitlicher Hinsicht ist Art.
130 Abs. 3 BGG zu beachten. Gemäss dieser Bestimmung erlassen die Kantone
innert zwei Jahren nach Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes
Ausführungsbestimmungen über die Zuständigkeit, die Organisation und das
Verfahren der Vorinstanzen gemäss Art. 86 Abs. 2 und 3 sowie Art. 88 Abs. 2
BGG, einschliesslich der Bestimmungen, die zur Gewährleistung der
Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV erforderlich sind (siehe auch Art. 114 BGG).
Die Anpassungsfrist richtet sich auf den Zeitpunkt des Ergehens des
angefochtenen Entscheids (Urteil 2C_35/2009 vom 13. Februar 2009 E. 1). Sie ist
am 1. Januar 2009 abgelaufen. Ebenfalls am 1. Januar 2009 trat Art. 50 BüG in
Kraft. Der angefochtene Entscheid erging noch vor diesem Datum, weshalb sich
die angeführten bundesrechtlichen Vorgaben zur Rechtsweggarantie als nicht
verletzt erweisen.

3.
3.1 Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit
darauf eingetreten werden kann.

3.2 Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung.
Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über
die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der
Gerichtskosten, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind Begehren als aussichtslos
anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die
Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können.
Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel
verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde.
Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht
führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE
129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.; 133 III 614 E. 5 S. 616; je mit Hinweisen). Ob
eine Beschwerde aussichtsreich ist, erschliesst sich aus den Begehren und ihrer
Begründung durch den Beschwerdeführer (Urteil 6B_588/2007 vom 11. April 2008 E.
6.2, in: Pra 2008 Nr. 123 S. 766). Wie sich aus den vorangehenden Erwägungen
ergibt, sind vorliegend die Begehren offensichtlich unbegründet bzw. ist auf
sie schon gar nicht einzutreten. Infolge Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels
entfällt deshalb der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 Abs.
1 BGG. Der Beschwerdeführer trägt somit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Er hat zudem keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gemeinderat Suhr, dem Grossen Rat
des Kantons Aargau, Kommission für Justiz, und dem Departement Volkswirtschaft
und Inneres des Kantons Aargau, Justizabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 15. Juni 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Dold