Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.85/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_85/2009

Urteil vom 8. April 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Inge Mokry,

gegen

Staatsanwaltschaft See/Oberland, Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.

Gegenstand
Haftentlassung, Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen die Präsidialverfügung vom 16. März 2009 des Obergerichts des
Kantons Zürich,
I. Strafkammer.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland bewilligte dem Angeklagten X.________ mit
Verfügung vom 10. März 2008 den vorzeitigen Massnahmenantritt. Am 7. Mai 2008
verurteilte ihn das Bezirksgericht Horgen wegen Freiheitsberaubung, Drohung,
mehrfacher Tätlichkeiten, mehrfachen Hausfriedensbruchs und mehrfachen
geringfügigen Diebstahls zu 15 Monaten Freiheitsstrafe, einer Busse von Fr.
500.-- und zu einer stationären therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 59
StGB (Behandlung von psychischen Störungen). Der Vollzug der Freiheitsstrafe
wurde zugunsten der stationären Massnahme aufgeschoben. Gleichentags verfügte
das Bezirksgericht die Fortdauer der strafprozessualen Haft bis zur Rechtskraft
des genannten Urteils.

B.
Mit Gesuch vom 22. Mai 2008 beantragte der Verurteilte die Bewilligung des
vorzeitigen Strafantritts. Das Bezirksgericht Horgen (Vorsitzender der III.
Abteilung als Einzelrichter) wies dieses Gesuch mit Verfügung vom 30. Mai 2008
ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 21. Juli 2008
ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 1B_173/2008).

C.
Mit Entscheid vom 22. Januar 2009 bestätigte das Obergericht des Kantons
Zürich, I. Strafkammer, im Berufungsverfahren das erstinstanzliche Urteil. Am
16. März 2009 wies der Präsident der I. Strafkammer des Obergerichtes des
Kantons Zürich ein Gesuch des Verurteilten vom 19. Februar 2009 um Entlassung
aus der strafprozessualen Haft ab. Gleichzeitig verfügte der
Strafkammerpräsident die Aufhebung des vorzeitigen Massnahmenvollzuges und die
Versetzung des Verurteilten in Sicherheitshaft.

D.
Gegen die Präsidialverfügung vom 16. März 2009 gelangte X.________ mit
Beschwerde vom 25. März 2009 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und seine Entlassung aus der Sicherheitshaft.

Die Staatsanwaltschaft und der kantonale Haftrichter haben am 27. bzw. 31. März
2009 auf Vernehmlassungen je ausdrücklich verzichtet.

Erwägungen:

1.
Bei der angefochtenen Verfügung handelt es sich um einen letztinstanzlichen
kantonalen Haftprüfungsentscheid, mit dem ein Gesuch des Beschwerdeführers um
Entlassung aus der strafprozessualen Haft abgewiesen und seine Versetzung aus
dem vorzeitigen Massnahmenvollzug in die Sicherheitshaft verfügt wurde. Die
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.

2.
Die Vorinstanz stützt ihren summarisch begründeten Haftentscheid auf § 22 Abs.
1 des Straf- und Justizvollzugsgesetzes des Kantons Zürich vom 19. Juni 2006
(StJVG/ZH [ONr. 331], in Kraft seit 1. Januar 2007). Als Gründe für die
Fortdauer der strafprozessualen Haft in Form von Sicherheitshaft werden "eine
erhebliche Gefährdung des Massnahmezweckes und eine erhebliche Gefährdung der
Öffentlichkeit" genannt. Da der Beschwerdeführer ein Gesuch um Entlassung aus
dem bisherigen vorzeitigen Massnahmenvollzug gestellt habe bzw. diesen
verweigere, sei der Freiheitsentzug in Form von Sicherheitshaft weiterzuführen.
Was die Verhältnismässigkeit der Haftdauer betrifft, habe der Beschwerdeführer
die zweitinstanzlich bestätigte 15-monatige Freiheitsstrafe zwar unterdessen
durch strafprozessuale Haft "verbüsst". Es sei jedoch auch im
Berufungsverfahren eine stationäre Massnahme (auf unbestimmte Dauer) im Sinne
von Art. 59 StGB angeordnet worden.

3.
Der Beschwerdeführer rügt unter anderem, es bestehe keine gesetzliche Grundlage
für die Fortdauer der Haft. Das StJVG/ZH sei auf strafprozessuale Haft nicht
anwendbar. Im angefochtenen Entscheid würden keine zulässigen Haftgründe
dargelegt. Dadurch werde neben der persönlichen Freiheit das rechtliches Gehör
des Beschwerdeführers verletzt.

4.
Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen
und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden (Art. 31 Abs. 1
BV; Art. 36 Abs. 1 BV). Aus Art. 29 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 Abs. 4 BV folgt
ausserdem ein verfassungsmässiger Anspruch des Inhaftierten darauf, dass der
Haftrichter die Ablehnung von Haftentlassungsgesuchen bzw. die Annahme von
strafprozessualen Haftgründen ausreichend begründet (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.1
S. 277, E. 3.5.1 S. 283 mit Hinweisen).

5.
Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10
Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches erhoben
werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die
Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechtes frei. Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl.
auch BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen).

6.
Ist ein Angeklagter verurteilt worden, so befindet nach Zürcher
Strafprozessrecht (bis zum Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils) der
Gerichtspräsident über die Anordnung oder Fortdauer von strafprozessualer
Sicherheitshaft (§ 69 StPO/ZH). Im Berufungsverfahren ist der Präsident des
Berufungsgerichtes dafür zuständig (§ 417 Abs. 2 i.V.m. § 69 Abs. 2 StPO/ZH).
Die Sicherheitshaft kann unter den Voraussetzungen von § 71a Abs. 3 StPO/ZH in
der Form des vorzeitigen Straf- oder Massnahmenantrittes bewilligt bzw.
fortgeführt werden. Über Gesuche um Entlassung aus der Sicherheitshaft bzw. aus
dem vorzeitigen Massnahmenvollzug entscheidet der Haftrichter gestützt auf die
Haftgründe von § 58 StPO/ZH und im Verfahren analog §§ 61-66 StPO/ZH (§ 67 Abs.
2 i.V.m. §§ 68 und 71a Abs. 2 StPO/ZH; vgl. Andreas Donatsch, in: Donatsch/
Schmid, Kommentar zu Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1996 ff., §
67 N. 19).

Das Straf- und Justizvollzugsgesetz des Kantons Zürich regelt (neben dem
kantonalen Übertretungsstrafrecht) den Vollzug rechtskräftiger strafrechtlicher
Sanktionen (§ 1 StJVG/ZH). Dem Gericht übertragene Vollzugsentscheide nach
einer Verurteilung fällt "die Instanz, deren Entscheid in Rechtskraft erwachsen
ist" (§ 17 Abs. 1 StJVG/ZH). Eine verurteilte Person kann vor der Einweisung in
eine geeignete Vollzugseinrichtung in Sicherheitshaft gesetzt werden, wenn eine
"vollstreckbare" freiheitsentziehende Massnahme aus folgenden Gründen sofort
vollzogen werden muss: Fluchtgefahr, erhebliche Gefährdung des Massnahmezweckes
oder erhebliche Gefährdung der Öffentlichkeit (§ 22 Abs. 1 StJVG/ZH).

7.
Unbestrittenermassen ist das Berufungsurteil des Obergerichtes vom 22. Januar
2009 nicht rechtskräftig und vollstreckbar (vgl. Art. 103 Abs. 2 lit. b BGG).
Gemäss Beschwerdeschrift sei das begründete Urteil der Verteidigung am 23. März
2009 zugestellt worden. Der Beschwerdeführer werde dagegen innert Frist beim
Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen erheben. Mangels eines vollstreckbaren
Urteils enthält das Zürcher Straf- und Justizvollzugsgesetz keine
Rechtsgrundlage für die Fortdauer von strafprozessualer Haft im Sinne von Art.
31 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 1 BV.

Der kantonale Haftrichter legt keine strafprozessualen Haftgründe im Sinne von
§ 58 StPO/ZH dar. Insbesondere wird nicht begründet, inwiefern im Falle des
Beschwerdeführers Fortsetzungs- (§ 58 Abs. 1 Ziff. 3-4 StPO/ZH), Ausführungs-
(§ 58 Abs. 2 StPO/ZH) oder Fluchtgefahr (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1 StPO/ZH) gegeben
wären. Auf Stellungnahmen zur Beschwerde haben sowohl der kantonale Haftrichter
als auch die Staatsanwaltschaft ausdrücklich verzichtet. Strafprozessuale
besondere Haftgründe ergeben sich im vorliegenden Fall auch nicht ohne Weiteres
aus den Akten. Damit verletzt der angefochtene Entscheid den Anspruch auf
rechtliches Gehör bzw. Begründung des Haftprüfungsentscheides (BGE 133 I 270 E.
3.1 S. 277, E. 3.5.1 S. 283 mit Hinweisen).

Zwar wird im angefochtenen Entscheid beiläufig noch erwogen, es werde "im Falle
eines Rechtsmittels des Angeklagten gegen das obergerichtliche Urteil vom 22.
Januar 2009 Sache des Bundesgerichtes sein, den Angeklagten allenfalls aus der
Sicherheitshaft zu entlassen, falls es über die aufschiebende Wirkung der
Beschwerde keine andere Anordnung" treffe. Bis zum Eintritt der Rechtskraft des
Berufungsurteils bleibt es jedoch die Aufgabe des kantonalen Haftrichters, auf
zulässige Haftentlassungsgesuche hin das Vorliegen von strafprozessualen
Haftgründen zu prüfen. Das Bundesgericht wird ausschliesslich als
Beschwerdeinstanz tätig (vgl. Art. 78 ff. BGG).

8.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Die Streitsache
ist an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Prüfung der Rechtmässigkeit der
Fortsetzung von strafprozessualer Haft im Sinne der kantonalen StPO.

Hingegen rechtfertigt sich im jetzigen Verfahrensstadium keine Haftentlassung
des Beschwerdeführers. Das Fehlen von strafprozessualen Haftgründen liegt für
das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz nicht auf der Hand. Ebenso wenig
erscheint (in Anbetracht der erst- und zweitinstanzlichen Verurteilung zu einer
freiheitsentziehenden Massnahme) die bisherige strafprozessuale Haftdauer zum
Vornherein übermässig (vgl. BGE 126 I 172 E. 5 S. 176-180). Zwar vertritt der
Beschwerdeführer die Ansicht, aus materiellstrafrechtlichen Gründen dürfe nach
faktischer "Verbüssung" der ausgefällten Freiheitsstrafe auch keine stationäre
freiheitsentziehende Massnahme mehr angeordnet werden; daher müsse er "nicht
mehr ernsthaft mit dem Vollzug einer freiheitsentziehenden Massnahme rechnen,
wenn er das Urteil des Obergerichtes anficht, was er auch tun" werde. In dieser
materiellstrafrechtlichen Frage ist dem angekündigten Beschwerdeverfahren bzw.
einem allfälligen Entscheid der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes
jedoch nicht vorzugreifen. Im Falle einer rechtsgenüglichen Bejahung von
strafprozessualen Haftgründen bzw. einer Abweisung des Haftentlassungsgesuches
wird der kantonale Haftrichter allerdings auch näher darzulegen haben,
inwiefern die Fortdauer der strafprozessualen Haft verhältnismässig erscheint.
Ein blosser Hinweis darauf, dass dem Beschwerdeführer eine stationäre Massnahme
auf unbestimmte Zeit drohe, würde dafür jedenfalls nicht ausreichen (BGE 126 I
172 E. 5e S. 178).

Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs.
4 BGG). Dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer ist eine angemessene
Parteientschädigung (reduziert und pauschal inkl. MWSt) zuzusprechen (Art. 68
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Verfügung vom 16. März 2009 des
Präsidenten der I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich wird
aufgehoben, und die Streitsache wird zur neuen Prüfung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich (Kasse des Obergerichtes) hat dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu entrichten.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft See/Oberland
und dem Obergericht des Kantons Zürich, l. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. April 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster