Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.60/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_60/2009

Urteil vom 1. April 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Pfau,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 6. März 2009 des Obergerichts des Kantons
Zürich, Anklagekammer.
Sachverhalt:

A.
Mit Anklageschrift vom 17. November 2008 wirft die Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich X.________ versuchte vorsätzliche Tötung vor. Er soll am 5.
September 2007, um circa 21.54 Uhr, im Restaurant Y.________ in Zürich ein
Hackbeil ergriffen und dieses dem Mitangeklagten A.________ mit den Worten
"schneid ihn" bzw. "schlag ihn" übergeben haben, nachdem sich dieser und
B.________ im Verlaufe einer verbalen Auseinandersetzung gegenseitig zu stossen
begonnen hatten. A.________ habe daraufhin das Hackbeil erhoben und mehrere
Male bewusst und gewollt von oben herab in Richtung des Kopfes von B.________
geschlagen, was auch der Angeklagte gewollt, zumindest aber in Kauf genommen
habe, da er A.________ weiterhin angefeurt habe. B.________ habe eine
Schnittverletzung und einen Bruch der Elle (Abtrennung) im Ellenbogenbereich
davongetragen, da er einmal am linken Arm getroffen worden sei, den er
schützend über seinen Kopf gehalten habe. Der Angeklagte habe im Rahmen seiner
Tatbeteiligung zumindest in Kauf genommen, dass der Geschädigte tödliche
Kopfverletzungen hätte erleiden können.
Mit Verfügung vom 24. November 2008 ordnete die Präsidentin der Anklagekammer
die Sicherheitshaft des Angeklagten an. Ferner forderte sie den Angeklagten
auf, seine Rechte nach § 198 und § 198a der Strafprozessordnung des Kantons
Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO; LS 321) wahrzunehmen. Nach Einsicht in die
Eingabe des Angeklagten vom 23. Januar 2009 liess die Anklagekammer des
Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 2. Februar 2009 die Anklage
zu und überwies den Angeklagten dem Geschworenengericht des Kantons Zürich zur
Beurteilung.
Am 2. Februar 2009 ersuchte der Angeklagte persönlich bei der
Staatsanwaltschaft IV um Entlassung aus der Sicherheitshaft. Die Stellungnahme
des amtlichen Verteidigers, womit am Haftentlassungsgesuch festgehalten wurde,
ging am 4. März 2009 bei der Anklagekammer ein. Mit Verfügung vom 6. März 2009
wies der Stellvertreter der Präsidentin der Anklagekammer das
Haftentlassungsgesuch wegen Kollusionsgefahr ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung der
Haftverfügung der Anklagekammer und seine unverzügliche Entlassung aus der
Sicherheitshaft. Eventualiter sei das Verfahren zur Prüfung von
Ersatzmassnahmen und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Ferner ersucht der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege im
bundesgerichtlichen Verfahren.

C.
Die zuständige Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft IV verzichtet unter
Verweis auf ihren Antrag auf Fortsetzung der Sicherheitshaft vom 20. Februar
2009 auf eine ausführliche Vernehmlassung. Die Präsidentin der Anklagekammer
verzichtet ebenfalls auf Stellungnahme. Der Beschwerdeführer hat nicht
repliziert.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 ff. BGG)
sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist -
unter dem Vorbehalt rechtsgenüglich begründeter Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE
133 II 249 E. 1.4.2 S. 254) - somit einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet als erstes den dringenden Tatverdacht der
versuchten vorsätzlichen Tötung. Er habe wesentliche Elemente der Anklage
bestritten. Dennoch habe die Anklagekammer die Anklage zugelassen und sei auf
seine Einwände nicht eingegangen. Selbst für den Fall, dass das
Geschworenengericht ihn als schuldig erachten sollte, könnte ihm einzig eine
einfache Körperverletzung zur Last gelegt werden. Da er seit dem 7. September
2007 inhaftiert sei, drohe die Gefahr der Überhaft.

2.2 Gemäss § 58 Abs. 1 Ziff. 1 StPO ist die Anordnung und Fortdauer der
Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn der Angeschuldigte eines
Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und aufgrund bestimmter
Anhaltspunkte Kollusionsgefahr ernsthaft zu befürchten ist. Die
Untersuchungshaft ist durch mildere Massnahmen zu ersetzen, sofern sich der
Haftzweck auch auf diese Weise erreichen lässt (§ 58 Abs. 4 i.V.m. § 72 f.
StPO). Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Anordnung und
Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft zulässig (§ 67 Abs. 2 Satz 1 StPO).

2.3 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse
vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich ohne ausreichenden
Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist allein zu prüfen, ob genügend
Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschwerdeführer eine Straftat begangen
hat und die kantonalen Behörden somit das Bestehen eines dringenden
Tatverdachts mit vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE 116 Ia 143 E. 3c S.
146).

2.4 Gemäss Anklageschrift vom 17. November 2008 wird dem Beschwerdeführer
versuchte vorsätzliche Tötung zur Last gelegt. Aufgrund der Aktenlage ist nicht
von vornherein auszuschliessen, dass das in der Sache zuständige
Geschworenengericht den Antrag der Staatsanwaltschaft übernehmen könnte. Was
der Beschwerdeführer dagegen vorbringt (Gewaltbereitschaft seitens des Opfers,
Verständigungsschwierigkeiten unter den Beteiligten, Begehung einer einfachen
Körperverletzung), reicht jedenfalls nicht aus, den auf die Aussagen des
Geschädigten sowie auf diverse Zeugenaussagen gestützten Tatverdacht (vgl. den
Antrag der Staatsanwältin auf Fortsetzung der Sicherheitshaft vom 20. Februar
2009) in Frage zu stellen. Die abschliessende Würdigung der ärztlichen
Gutachten und die strafrechtliche Würdigung des dem Beschwerdeführer zur Last
gelegten Verhaltens sind nicht im Haftprüfungsverfahren vorzunehmen, sondern
dem Sachgericht zu überlassen. Die Einwände des Beschwerdeführers, die
Anklagekammer sei auf seine Vorbringen nicht näher eingegangen und es drohe bei
einem Schuldspruch wegen einfacher Körperverletzung die Gefahr der Überhaft,
zielen deshalb ebenfalls ins Leere.

3.
3.1 Des Weitern bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen von
Kollusionsgefahr. Er ist sodann der Auffassung, dass mit einer Pass- und
Schriftensperre sowie einer Kontaktsperre oder mit einer Meldepflicht einer
allfälligen Kollusionsgefahr wirksam begegnet werden könnte.

3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Verhältnismässigkeit der
Einschränkung der persönlichen Freiheit durch strafprozessuale Haft (Art. 10
Abs. 2, Art. 31 Abs. 1 BV, Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK) genügt die theoretische
Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um
die Fortsetzung der strafprozessualen Haft zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr
konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 132 I
21 E. 3.2 S. 23). Dazu gehören namentlich das bisherige Verhalten des
Angeschuldigten im Strafprozess, seine persönlichen Merkmale, seine Stellung
und seine Tatbeiträge im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie seine
Beziehungen zu den ihn belastenden Personen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 S. 23).

3.3 In der Haftverfügung wird die Kollusionsgefahr folgendermassen begründet:
Der Beschwerdeführer (Angeklagte) sei weitgehend ungeständig. Er werde sich
zusammen mit dem Mitangeklagten A.________ vor dem Geschworenengericht
verantworten müssen. Dieses Verfahren werde nach dem Unmittelbarkeitsprinzip
durchgeführt. Die im Untersuchungsverfahren einvernommenen Zeugen und
Auskunftspersonen müssten nochmals befragt werden. Vor diesem Hintergrund sei
zu befürchten, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung versucht
sein könnte, auf die bereits einvernommenen Personen, insbesondere die
Belastungszeugen, einzuwirken.

3.4 Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was eine Kollusionsgefahr
ausschliessen könnte. Selbst wenn der Mitangeklagte A.________ "faktisch
gleichlautende Aussagen" gemacht haben sollte, wie der Beschwerdeführer
behauptet, so ist eine Beeinflussung keineswegs auszuschliessen, sei dies mit
Blick auf einen eventuellen Widerruf bereits erfolgter Aussagen, sei dies mit
Blick auf den unmittelbaren Prozess vor dem Geschworenengericht, bei dem eine
nochmalige Einvernahme bevorsteht.
Bezüglich der weiteren Zeugen beschränkt sich der Beschwerdeführer auf die
blosse Behauptung, es liege aus seiner Sicht keine Kollusionsgefahr vor. In
diesem Punkt ist die Beschwerde rechtsungenüglich begründet (vgl. E. 1
hiervor). Auch ist nicht ersichtlich, inwiefern die beantragten
Ersatzmassnahmen (Pass- und Schriftensperre, Kontaktsperre, Meldepflicht) in
diesem Zusammenhang von Bedeutung sein könnten.
In Anbetracht der Verfassungsmässigkeit der Fortdauer der Haft wegen
Kollusionsgefahr kann, gleich wie in der angefochtenen Haftverfügung, offen
bleiben, ob zusätzlich der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben wäre (vgl. dazu
aber das in der Sache bereits ergangene Urteil des Bundesgerichts 1B_96/2008
vom 6. Mai 2008 E. 4).

4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist demnach
abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege ist ebenfalls abzuweisen, da der Beschwerdeführer es nicht
begründet hat und im Übrigen die gestellten Rechtsbegehren aussichtlos sind
(vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Dem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens
entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von CHF 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV und dem
Obergericht des Kantons Zürich, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. April 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder