Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.56/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_56/2009

Urteil vom 25. Mai 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Raselli,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Blättler,

gegen

Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel
Buttliger,
Gerichtspräsidium Zofingen, Gerichtspräsident II, Peter Wullschleger, Untere
Grabenstrasse 30, Bahnhofplatz, 4800 Zofingen,

Gegenstand
Ausstand,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 30. Januar 2009 des Obergerichts des Kantons
Aargau, Inspektionskommission.
Sachverhalt:

A.
Y.________ erstatte Strafanzeige/Strafanträge gegen X.________ wegen
Beschimpfung (Art. 177 StGB) sowie wegen Verleumdung (Art. 174 Ziff. 2 StGB).
In der Folge reichte X.________ eine Privatstrafklage gegen Y.________ wegen
übler Nachrede (Art. 173 StGB) ein. Mit Urteil vom 6. November 2007 sprach das
Gerichtspräsidium Zofingen (unter dem Vorsitz von Gerichtspräsident II, Peter
Wullschleger) die Beklagte vom Vorwurf der üblen Nachrede frei, befand sie der
Beschimpfung (Art. 177 Abs. 1 StGB) schuldig und nahm von einer Strafe Umgang
(Art. 177 Abs. 2 StGB).
Mit Schreiben vom 14. Mai 2008 stellte X.________ im Hinblick auf die
Fortführung des gegen ihn weiterhin hängigen Verfahrens ein Ausstands- und
Ablehnungsbegehren gegen den Gerichtspräsidenten II des Bezirksgerichts
Zofingen, Peter Wullschleger.
Die Inspektionskommission des Obergerichts des Kantons Aargau, der das Ersuchen
zur Behandlung überwiesen worden war, wies das Ausstands- und
Ablehnungsbegehren am 30. Januar 2009 ab. Sie hielt zum einen dafür, dass die
Bewilligung eines Fristerstreckungsgesuches keine Teilnahme im Sinne von § 41
lit. c der Aargauer Strafprozessordnung (StPO) darstelle und keinen
Ausstandsgrund begründe. Zum andern, dass die Mitwirkung am Urteil vom 6.
November 2007 und die Strafbefreiung keinen Ablehnungsgrund bildeten.

B.
Gegen diesen Entscheid hat X.________ beim Bundesgericht am 5. März 2009
Beschwerde in Strafsachen erhoben. Er ersucht um Aufhebung des angefochtenen
Entscheides und um Gutheissung seines gegen Peter Wullschleger gerichteten
Ablehnungs- und Ausstandsbegehrens.
Peter Wullschleger und die Inspektionskommission des Obergerichts haben auf
eine Stellungnahme verzichtet. Die Beschwerdegegnerin Y.________ hat sich nicht
vernehmen lassen.

C.
Mit Verfügung vom 30. März 2009 ist das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden
Wirkung abgewiesen worden.
Erwägungen:

1.
Die gegen einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid über eine
Ausstandsfrage gerichtete Beschwerde in Strafsachen ist zulässig (Art. 78 und
92 BGG). Auf die Beschwerde kann eingetreten werden.

2.
Der Beschwerdeführer rügt zum einen eine willkürliche Anwendung der - über den
Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV hinausgehenden - Bestimmung von § 41 lit. c StPO.
Danach hat ein Untersuchungsrichter, Staatsanwalt, Richter oder Protokollführer
von Amtes wegen in den Ausstand zu treten, wenn er in der gleichen Sache in
einer andern amtlichen Stellung oder als Zeuge, Sachverständiger oder Anwalt am
Verfahren teilgenommen hat. Die Willkür erblickt der Beschwerdeführer im
Umstand, dass die Vorinstanz im vorliegenden Fall den Ausstandsgrund verneint
hat, obwohl Peter Wullschleger ein Fristerstreckungsgesuch der
Beschwerdegegnerin für das Stellen von Beweisanträgen gutgeheissen hatte.
Die Rüge erweist sich als unbegründet. Der Beizug der Kommentierung der
Strafprozessordnung von Beat Brühlmeier von 1980 lässt sich mit guten Gründen
halten, weil die Bestimmung von § 41 lit. c StPO seither keine wesentliche
Änderung erfahren hat. In Anbetracht des Umstandes, dass der Ausstand eines
Richters zu einer Abweichung von der regelgemässen Besetzung führt (vgl. BGE
114 Ia 50 E. 3d), lässt es sich vertreten, § 41 lit. c StPO einschränkend
auszulegen und lediglich auf Fälle anzuwenden, in denen die betroffene
Gerichtsperson im eigentlichen Sinne und mit einer gewissen Bedeutung in der
Sache tätig geworden ist und nicht bloss routinemässig eine formelle Verfügung
getroffen hat. Demnach hält die Verneinung eines Ausstandsgrundes vor dem
Willkürverbot gemäss Art. 9 BV stand.
3. Zum andern rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV.
Diese Verfassungsgarantie räumt einen Anspruch ein auf einen unparteiischen,
unbefangenen und unvoreingenommenen Richter und will jeglichen sachfremden
Einfluss auf die richterliche Entscheidfindung ausschliessen. Für eine
Ablehnung genügen tatsächliche Gegebenheiten, die bei objektiver Betrachtung
Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters erwecken. Dazu kann auch der
Umstand zählen, dass die Gerichtsperson in einem früheren Zeitpunkt in
amtlicher Funktion mit der konkreten Sache schon zu tun hatte (sog.
Vorbefassung).
Im Verfahren, welches zum Urteil vom 6. November 2007 führte, war darüber zu
befinden, ob sich die Beschwerdegegnerin eines strafbaren Verhaltens schuldig
gemacht hat. Das Gericht sprach die Beklagte unter dem Vorsitz von Peter
Wullschleger vom Vorwurf der üblen Nachrede frei, befand sie indes der
Beschimpfung für schuldig. Im Verfahren, das der vorliegenden Beschwerde
zugrunde liegt, steht in Frage, ob sich der Beschwerdeführer einer strafbaren
Handlung schuldig gemacht hat. Es weist damit einen andern Verfahrensgegenstand
auf. Demnach kann im Falle der Mitwirkung von Peter Wullschleger von einer
allenfalls verfassungswidrigen Vorbefassung von vornherein nicht die Rede sein
(vgl. BGE 115 Ia 34 E. 2c/aa S. 37).
Gleichwohl kann nicht übersehen werden, dass die beiden Verfahren in einem
gewissen Zusammenhang stehen. Im Urteil vom 6. November 2007 bildete ein
Schreiben des Beschwerdeführers vom 13. September 2005 den Grund, trotz des
Schuldspruchs gegenüber der Beschwerdegegnerin wegen Beschimpfung von einer
Strafe Umgang zu nehmen. Im Verfahren, das der vorliegenden Beschwerde zugrunde
liegt, steht in Frage, ob sich der Beschwerdeführer durch dieses Schreiben vom
13. September 2005 einer Straftat schuldig gemacht hat. Damit unterscheidet
sich der Blickwinkel, unter dem das besagte Schreiben beurteilt wird, in den
beiden Verfahren in grundsätzlicher Weise. Wie im angefochtenen Urteil zu Recht
dargelegt wird, lag der damaligen Strafbefreiung eine gewissermassen moralische
Qualifikation des Schreibens zugrunde. Diese schliesst eine unvoreingenommene
Beurteilung des Schreibens unter strafrechtlichen Aspekten nicht aus (vgl. BGE
115 Ia 34 E. 2c/bb S. 38 zur Konstellation, dass Mitangeschuldigte nicht im
gleichen Verfahren, indessen von demselben Richter beurteilt werden). Bei
dieser Sachlage erscheint das nunmehr in Frage stehende Verfahren offen und ist
ein Anschein der Voreingenommenheit bei objektiver Betrachtung zu verneinen.

4.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind
die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 BGG). Der Beschwerdegegnerin, die sich am Verfahren nicht beteiligt hat, ist
keine Parteienschädigung zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Gerichtspräsidium Zofingen,
Gerichtspräsident II, Peter Wullschleger, und dem Obergericht des Kantons
Aargau, Inspektionskommission, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Mai 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann