Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.374/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_374/2009

Urteil vom 5. Januar 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Bussien,

gegen

Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland,
Hermann Götz-Strasse 24, Postfach, 8401 Winterthur.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 18. Dezember 2009 des Bezirksgerichtes
Winterthur, Haftrichterin.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt eine Strafuntersuchung gegen
X.________ wegen häuslicher Gewalt bzw. Drohung und Nötigung. Er wurde am 4.
November 2009 polizeilich verhaftet und am 6. November 2009 in
Untersuchungshaft versetzt. Am 17. Dezember 2009 stellte der Inhaftierte
letztmals ein Haftentlassungsgesuch, welches die Haftrichterin des
Bezirksgerichtes Winterthur mit Verfügung vom 18. Dezember 2009 abwies.

B.
Gegen den haftrichterlichen Entscheid vom 18. Dezember 2009 gelangte X.________
gleichentags mit Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt im
Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und seine
Haftentlassung.

Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Vernehmlassung vom 23. (Posteingang: 29.)
Dezember 2009 sinngemäss die Abweisung der Beschwerde, während die
Haftrichterin auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet hat. Der
Beschwerdeführer replizierte am 30. Dezember 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt.

2.
Untersuchungshaft kann nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur angeordnet bzw.
fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtig ist und ausserdem konkrete Anhaltspunkte für einen
besonderen Haftgrund (namentlich Kollusionsgefahr) vorliegen (§ 58 Abs. 1 StPO/
ZH). Kollusionsgefahr ist gegeben, wenn aufgrund bestimmter Anhaltspunkte
ernsthaft zu befürchten ist, der Angeschuldigte werde Spuren oder Beweismittel
beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu verleiten suchen oder die Abklärung
des Sachverhaltes auf andere Weise gefährden (§ 58 Abs. 1 Ziff. 2 StPO/ZH).

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht von Vergehen
(Drohung, Nötigung) nicht. Er wendet sich jedoch gegen die Annahme von
Kollusionsgefahr.

3.1 Kollusion bedeutet nach der bundesgerichtlichen Praxis insbesondere, dass
sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder
Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen
Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren und Beweismittel beseitigt. Die
strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der
Angeschuldigte die Freiheit oder einen Urlaub dazu missbrauchen würde, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu gefährden.
Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren
könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die
Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen
vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen.
Das Vorliegen des Haftgrundes ist nach Massgabe der Umstände des jeweiligen
Einzelfalles zu prüfen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23 mit Hinweisen).

Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtes namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des
Angeschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner
Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie
aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen.
Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des
Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der
von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der
untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE
132 I 21 E. 3.2.1 S. 23 f. mit Hinweisen). Je weiter das Strafverfahren
vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden
konnte, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis von Verdunkelungsgefahr
zu stellen (BGE 132 I 21 E. 3.2.2 S. 24 mit Hinweisen). Der Haftrichter hat
auch zu prüfen, ob einem gewissen Kollusionsrisiko schon mit geeigneten
Ersatzmassnahmen für Haft ausreichend begegnet werden könnte (vgl. BGE 133 I 27
E. 3.2 S. 30, 270 E. 3.3.1 S. 279 f.).

3.2 Der Beschwerdeführer räumt ein, dass seine Schwester (anlässlich ihrer
polizeilichen Einvernahme vom 2. November 2009 bzw. ihrer Zeugen- und
Konfrontationseinvernahme am 3. Dezember 2009) Folgendes zu Protokoll gegeben
hat: Er habe sie am Telefon verbal mit dem Tode bedroht. Er werde nicht
aufhören, bis sie "beide unter der Erde sind". Von der Polizei lasse er sich
nicht aufhalten, und es sei ihm egal, wenn er deswegen 20 oder 30 Jahre ins
Gefängnis müsse. Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe schon "in einem
bestimmten Ton" mit seiner Schwester geredet, erinnere sich aber nicht mehr,
was er genau gesagt habe.

Gemäss dem Amtsbericht der Kantonspolizei Zürich vom 13. November 2009 habe
sich der Beschwerdeführer während der polizeilichen Befragung vom 4. November
2009 ungebührlich verhalten. Er habe den einvernehmenden und protokollierenden
Beamten angeschrien und beleidigt bzw. die Befragung mehrfach gestört. Der
Beschwerdeführer habe mit drohendem Unterton geäussert, dass er beabsichtige,
die Kontrolle über den betreffenden Polizeibeamten zu erlangen, so wie er sie
(nach eigener Darstellung) schon über seine Schwester ausübe. Der
einvernehmende Beamte habe bei diesem Verhalten des Beschwerdeführers einen
Moment lang Angst verspürt und ernsthafte körperliche und psychische Nachteile
befürchtet.

Im Gutachten vom 14. Dezember 2009 der Klinik für Forensische Psychiatrie des
Psychiatriezentrums Rheinau wird beim Beschwerdeführer eine akzentuierte
Persönlichkeit mit narzisstischen Zügen festgestellt. Daraus resultierten
prognoserelevante Persönlichkeitsdefizite wie erhöhte Kränkbarkeit, eine
niedrige Frustrationstoleranz, eine leichte Impulsivität und reduzierte
Empathiefähigkeit. Seine Veränderungsbereitschaft gegenüber diesen
Verhaltensmustern erscheine gering; seine Fähigkeit, sich in bestehende
Strukturen einzuordnen (und damit seine Veränderungsmöglichkeit) sei reduziert.
Es bestehe die Gefahr von "spontaner Verhaltensdekompensation", indem der
Beschwerdeführer nach Kränkungs- oder Frustrationserlebnissen versucht sein
könnte, sein Selbstbild mit drohendem und einschüchterndem Verhalten wieder
herzustellen. Was Kontakte zu seiner Schwester betrifft, unterliege es einer
gewissen Zufälligkeit, in welchen Situationen wieder mit einer spontanen,
vermutlich kränkungs- bzw. provokationsverstärkten überschiessenden und sozial
unverträglichen Handlung zu rechnen sei. Beim Angeschuldigten zeige sich eine
Grunddisposition für psychische Gewaltbereitschaft in Situationen, die seiner
Ansicht nach seinen Ruf schädigen könnten.

Die Staatsanwaltschaft weist sodann auf die Art der untersuchten Delikte, die
Bedeutung der kollusionsgefährdeten Beweisaussagen sowie auf die enge
persönliche Beziehung zwischen der Zeugin bzw. mutmasslichen Geschädigten und
dem Beschwerdeführer hin und legt dar, dass er anlässlich eines
Gefängnisbesuches seines Vaters am 23. November 2009 "manipulativ" auf eine
Kontaktaufnahme des Vaters mit der Schwester gedrängt habe.

3.3 Aus dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers während der hängigen
Strafuntersuchung, seinen psychiatrisch festgestellten besonderen
Persönlichkeitsmerkmalen und der oben dargelegten verdunkelungsgefährdeten
Konstellation ergeben sich im vorliegenden Stadium des Strafverfahrens
insgesamt ausreichend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer erheblichen
Kollusionsgefahr.

Daran vermögen auch die Einwände nichts zu ändern, der befragende Polizeibeamte
habe ihn, den Beschwerdeführer, ungebührlich behandelt, seine geschiedene
Ehefrau habe anlässlich einer polizeilichen Befragung in Abrede gestellt,
während der Ehe von ihm geschlagen worden zu sein, laut psychiatrischem
Gutachten bestehe bei ihm nur eine sehr geringe Ausführungsgefahr für schwere
Gewalthandlungen, und dass seine Schwester sich von ihrer Familie sozial und
emotional distanziere, sei Ausdruck einer psychischen Erkrankung. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers fällt aufgrund seiner Konfrontation mit der
Zeugin (anlässlich der Einvernahme vom 3. Dezember 2009) nicht jegliche Abrede-
und Beeinflussungsgefahr zum Vornherein dahin. Seine Ansicht, die Aussagen der
Zeugin seien unabänderlich, erscheint sachlich nicht begründet. Zwar macht er
geltend, das Gespräch zwischen ihm und seinem Vater anlässlich dessen
Gefängnisbesuches am 23. November 2009 werde von der Staatsanwaltschaft zu
Unrecht als Kollusionsversuch interpretiert. Er räumt aber ein, dass er die
Weisung der Untersuchungsbehörde, es dürfe beim Besuchsgespräch nicht über den
Untersuchungsgegenstand gesprochen werden, nicht eingehalten habe, weshalb
weitere Besuche von Familienangehörigen vorderhand untersagt worden seien. Er
habe seinen Vater damals lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass es diesem
nicht verboten sei, bei der Anzeigeerstatterin "vorbeizugehen".

3.4 Die Annahme von Verdunkelungsgefahr hält vor der Verfassung stand. Es kann
offen bleiben, ob darüber hinaus noch weitere besondere Haftgründe erfüllt
wären.

3.5 Als grundrechtskonform erweist sich auch die Einschätzung der
Haftrichterin, der dargelegten erheblichen Kollusionsgsgefahr lasse sich im
aktuellen Verfahrensstadium mit blossen Ersatzmassnahmen für Haft nicht
ausreichend begegnen (vgl. BGE 133 I 27 E. 3.2 S. 30, 270 E. 3.3.1 S. 279 f.).
Es kann diesbezüglich auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen
werden (vgl. angefochtener Entscheid, S. 3 E. 3d, mit Hinweis auf das bereits
erwähnte psychiatrische Gutachten vom 14. Dezember 2009).

4.
Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt erscheinen,
ist das Ersuchen (des amtlich verteidigten und schon längere Zeit inhaftierten
Angeschuldigten) zu bewilligen (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. René Bussien,
wird für das Verfahren vor Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/
Unterland und dem Bezirksgericht Winterthur, Haftrichterin, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 5. Januar 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster