Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.365/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_365/2009

Urteil vom 22. März 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Lei,

gegen

Dr. René Schwarz, Gerichtspräsident,
Bezirksgericht Steckborn, Hauptstrasse 24,
8268 Mannenbach-Salenstein, Beschwerdegegner,

Bezirksgericht Steckborn, Hauptstrasse 24,
8268 Mannenbach-Salenstein.

Gegenstand
Ausstand,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 2. November 2009 des Obergerichts des
Kantons Thurgau.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau erhob am 25. Juni 2009 bei der
Bezirksgerichtlichen Kommission Steckborn Anklage gegen X.________ wegen
Rassendiskriminierung. Am 20. Juli 2009 stellte dieser ein Ablehnungsbegehren
gegen den Gerichtspräsidenten Dr. René Schwarz, welches von der
Bezirksgerichtlichen Kommission Steckborn am 1./7. Oktober 2009 abgewiesen
wurde.
X.________ erhob gegen diesen Beschluss Beschwerde ans Obergericht des Kantons
Thurgau mit dem Antrag, Bezirksgerichtspräsident Schwarz habe im Strafverfahren
gegen ihn in den Ausstand zu treten.
Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die Beschwerde am 2. November 2009 ab.

B.
Mit Beschwerde vom 11. Dezember 2009 beantragt X.________, diesen
obergerichtlichen Entscheid aufzuheben und festzustellen, dass
Bezirksgerichtspräsident Schwarz im Strafverfahren gegen ihn in den Ausstand zu
treten habe.
Das Obergericht beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf einzutreten sei. Bezirksgerichtspräsident Schwarz beantragt, die
Beschwerde abzuweisen. X.________ hält in seiner Replik an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es
handelt sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in
Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Angeklagter ist der
Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
weshalb auf die Beschwerde gegen die Mitwirkung des Beschwerdegegners am
Strafverfahren einzutreten ist. Dies gilt allerdings nur, soweit die
Beschwerdebegründung in der Beschwerdeschrift selbst enthalten ist (Art. 42
Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.1; 133 II 396 E. 3.2); der Verweis des
Beschwerdeführers auf frühere Rechtsschriften (Beschwerde S. 5) ist unzulässig.

2.
2.1 § 31 der Thurgauer Kantonsverfassung vom 16. März 1987 (KV) bestimmt, dass
Behördenmitglieder den Ausstand zu wahren haben, wenn sie in einer
Angelegenheit ein unmittelbares oder ein erhebliches mittelbares Interesse
haben. Nach § 32 der Thurgauer Strafprozessordnung vom 30. Juni 1970/5.
November 1991 (StPO) hat ein Richter u.a. dann in den Ausstand zu treten, wenn
zwischen ihm und dem Angeschuldigten ein besonderes Freundschafts- oder
Feindschaftsverhältnis besteht (Ziff. 5) oder wenn ihn andere Tatsachen als
befangen erscheinen lassen (Ziff. 6).

2.2 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person unabhängig
vom kantonalen Recht Anspruch darauf, dass ihre Strafsache von einem
unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen Richter beurteilt wird. Es
soll garantiert werden, dass keine sachfremden Umstände, welche ausserhalb des
Prozesses liegen, in sachwidriger Weise zugunsten oder zulasten einer Partei
auf das gerichtliche Urteil einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen
kor-rekten und fairen Prozess erforderlichen Offenheit des Verfahrens im
Einzelfall beitragen und damit ein gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie
des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung
Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen.
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen
und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten ergeben, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese können
namentlich in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters begründet
sein. Bei dessen Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer
Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in
objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die
bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit
erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich
befangen ist.
Der Anschein der Befangenheit kann durch unterschiedlichste Umstände und
Gegebenheiten erweckt werden. Dazu können nach der Rechtsprechung insbesondere
vor oder während eines Prozesses abgegebene Äusserungen eines Richters zählen,
die den Schluss zulassen, dass sich dieser bereits eine feste Meinung über den
Ausgang des Verfahrens gebildet hat (Zusammenfassung der Rechtsprechung in BGE
134 I 238 E. 2.1 mit Hinweisen).

2.3 Die hier in Frage kommenden kantonalrechtlichen Ausstandsgründe gemäss § 31
KV und § 32 Ziff. 5 und 6 StPO werden von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK vollumfänglich abgedeckt. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
geht die anwendbare kantonale Ausstandsregelung nicht über die verfassungs- und
konventionsrechtlichen Garantien hinaus. Der sinngemäss erhobenen Rüge, das
Obergericht habe § 31 KV verletzt und § 32 Ziff. 5 und 6 StPO willkürlich
angewandt, kommt daher keine selbstständige Bedeutung zu.

3.
3.1 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid erwogen, der Umstand, dass
die Bezirksgerichtliche Kommission Steckborn unter Mitwirkung des
Beschwerdegegners den Beschwerdeführer am 9. Januar/21. Mai 2003 wegen
mehrfachen Nötigungsversuchs zu einer Busse von Fr. 2'500.-- verurteilt habe,
lasse diesen nicht als befangen erscheinen. Ebenso wenig treffe dies auf den
Umstand zu, dass der Beschwerdeführer als Präsident der kantonalen Partei der
Schweizer Demokraten Thurgau mit Flugblättern und Inseraten die Wiederwahl des
Beschwerdegegners bekämpft habe. Damit habe er bloss von seinem demokratischen
Recht Gebrauch gemacht, es bestehe daher kein Grund, an der Versicherung des
Beschwerdegegners zu zweifeln, dass er sich nicht befangen fühle und die
Ausübung demokratischer Rechte richtig einzuschätzen wisse.

3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe die Berufung gegen seine
Verurteilung nicht aus Einsicht, sondern aus pekuniären Gründen zurückgezogen.
Er sei nach wie vor der Überzeugung, die Busse von Fr. 2'500.-- für das
Verteilen eines Flugblatts sei unverhältnismässig gewesen, und es sei ihm immer
noch unverständlich, dass er dafür verantwortlich gemacht worden sei, obwohl
das Flugblatt den Namen seiner Partei, nicht seinen eigenen, getragen habe. Der
Beschwerdegegner sei jahrelang mit Flugblättern am Wohnort, mit Leserbriefen
und Inseraten traktiert und zur Abwahl empfohlen worden; er habe nicht nur
diese Schmähungen hinnehmen, sondern insbesondere auch stets befürchten müssen,
nicht mehr wiedergewählt zu werden. Solche Angriffe müssten auch den lang- und
sanftmütigsten Richter innerlich aufwühlen; der Beschwerdegegner wäre ein
Heiliger, wenn ihn diese Angriffe und Schmähungen kalt gelassen hätten.

3.3 Dass der Beschwerdegegner an der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen
versuchter Nötigung mitgewirkt hat, bildet keinen Ausstandsgrund (BGE 114 Ia
278 E. 1; BGE 132 II 382 nicht publ. E. 3.4; 129 I 35 nicht publ. E. 4.4 ). Sie
wurde im Übrigen von ihm akzeptiert und ist längst in Rechtskraft erwachsen,
womit das Ausstandsbegehren von vornherein nicht mit dem angeblich überharten
Strafmass begründet werden kann. Geradezu rechtsmissbräuchlich erscheint das
Vorgehen des Beschwerdeführers, jahrelang öffentlich gegen den Beschwerdegegner
zu polemisieren und hinterher zu argumentieren, dieser sei nunmehr sicher gegen
ihn eingenommen und damit befangen. Ein solches Verhalten ist mit dem auch für
Private geltenden Gebot des Handelns nach Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV)
nicht vereinbar und kann schon deshalb keinen Rechtsschutz finden. Ganz
abgesehen davon liefert der Beschwerdeführer keinen einzigen konkreten Hinweis
darauf, dass sich der Beschwerdegegner durch seine Angriffe in irgendeiner
Weise hat beeindrucken lassen, und das ist auch nicht ersichtlich. Das
Obergericht konnte unter diesen Umständen ohne Verfassungsverletzung davon
ausgehen, der Beschwerdegegner sei, entsprechend seiner gewissenhaften
Erklärung, nicht befangen.

4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bezirksgericht Steckborn und dem
Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. März 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Störi