Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.359/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_359/2009

Urteil vom 2. März 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Dold.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter
Dietsche,

gegen

Untersuchungsrichteramt des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510
Frauenfeld,
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8, 8510 Frauenfeld.

Gegenstand
Beschlagnahme,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 27. Oktober 2009 der Anklagekammer des
Kantons Thurgau.
Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 22. und 24. Juni 2009 ordnete das Untersuchungsrichteramt
des Kantons Thurgau gegenüber den Banken UBS AG und Wegelin & CO. die Sperrung
der Konten von X.________ an. Ein Gesuch um Aufhebung der Kontosperren wies das
Untersuchungsrichteramt mit Verfügung vom 30. Juni 2009 ab. Eine hiergegen
gerichtete Beschwerde wurde von der Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau mit
Entscheid vom 14. August 2009 ebenfalls abgewiesen. X.________ gelangte in der
Folge mit Beschwerde an die Anklagekammer des Kantons Thurgau. Mit Entscheid
vom 27. Oktober 2009 wies die Anklagekammer das Rechtsmittel ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 9. Dezember 2009
beantragt X.________ im Wesentlichen, der Beschwerdeentscheid vom 27. Oktober
2009 sowie die Sperre ihrer Konten bei der UBS AG und bei Wegelin & CO. seien
aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme die Abweisung der
Beschwerde. Die Anklagekammer schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit
darauf einzutreten sei. Das Untersuchungsrichteramt verzichtete auf eine
Vernehmlassung. Die Beschwerdeführerin, die mit unaufgefordertem Schreiben vom
18. Dezember 2009 ihre Beschwerde ergänzte, hält in ihrer Replik vom 12.
Februar 2010 im Wesentlichen an ihren Anträgen und Rechtsauffassungen fest.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen
(Art. 78 Abs. 1 BGG). Mit dem vorliegend angefochtenen Entscheid wird die
Anordnung einer Beschlagnahme (Kontensperre) in einem laufenden Strafverfahren
aufrecht erhalten. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten
Zwischenentscheid über eine Zwangsmassnahme, die einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a
BGG; BGE 128 I 129 E. 1 S. 131; Urteil 6B_218/2007 vom 23. August 2007 E. 2.4,
in: sic! 1/2008 S. 59; je mit Hinweisen). Dagegen ist die Beschwerde in
Strafsachen gegeben.

1.2 Die Beschlagnahme zur Sicherung einer allfälligen Einziehung ist eine
vorsorgliche Massnahme (BGE 126 I 97 E. 1c S. 102; Urteil 6B_218/2007 vom 23.
August 2007 E. 2.5, in: sic! 1/2008 S. 59). Mit der Beschwerde gegen Entscheide
über vorsorgliche Massnahmen kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
gerügt werden (Art. 98 BGG). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von
Grundrechten sodann nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde
vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Soweit sich die
Beschwerdeführerin auf eine Verletzung von Art. 70 StGB und von kantonalem
Strafprozessrecht beruft, ohne zumindest sinngemäss eine willkürliche
Rechtsanwendung zu rügen, ist deshalb auf die Beschwerde nicht einzutreten.

1.3 Die Beschwerdeführerin rügt erstmals vor Bundesgericht eine Verletzung des
Beschleunigungsgebots durch das kantonale Untersuchungsrichteramt. Sie
kritisiert, es seien während des bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahrens keine
Untersuchungshandlungen vorgenommen worden. Zur Begründung führt sie
verschiedene Tatsachen und Beweismittel an, welche erst nach dem angefochtenen
Entscheid entstanden sind und deren Geltendmachung deshalb nicht als von diesem
veranlasst bezeichnet werden können (Art. 99 Abs. 1 BGG; Urteil 1C_436/2009 vom
3. Februar 2010 E. 1.2). Darauf ist nicht einzutreten. Soweit in der Beschwerde
dem Untersuchungsrichteramt in Bezug auf die Zeit vor dem bundesgerichtlichen
Verfahren Untätigkeit vorgeworfen wird, verstösst das Zuwarten mit der
Geltendmachung der Rüge gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (BGE 133 III
638 E. 2 S. 640 mit Hinweisen). Auch insoweit ist auf das Vorbringen nicht
einzutreten.

1.4 Als Novum im eben beschriebenen Sinne erweist sich auch das Urteil des
Landgerichts Karlsruhe vom 3. Dezember 2009. Die von der Beschwerdeführerin
eingereichte Kurzbeschreibung dieses Urteils sowie die diesbezügliche
Zeitungsmeldung sind deshalb nicht zu berücksichtigen. Dasselbe gilt für die
mit der Stellungnahme vom 12. Februar 2010 offerierten Beweismittel.

1.5 Die Beschwerdeführerin schildert den Sachverhalt aus eigener Sicht, ohne
dabei Rügen gegenüber der Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zu erheben
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Es besteht insofern kein Anlass, vom Sachverhalt
abzuweichen, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör durch die Vorinstanz (Art. 29 Abs. 2 BV). Das ihr vorgeworfene Delikt der
Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) sei in Bezug auf die Tathandlung nicht
hinreichend begründet worden. Auch sei der Kausalzusammenhang zwischen den
kriminellen Machenschaften ihres früheren Ehemannes und den in Frage stehenden
Vermögenswerten nicht dargelegt worden. Die Beschwerdeführerin macht in diesem
Zusammenhang eine willkürliche Anwendung von Art. 70 StGB und von §§ 117 ff.
i.V.m. § 72 des Gesetzes des Kantons Thurgau vom 30. Juni 1970 über die
Strafrechtspflege (RB 312.1) geltend (Art. 9 BV). Auch die untreue Handlung,
auf welche im angefochtenen Entscheid alternativ als Vortat der Geldwäscherei
abgestellt werde, erscheine nicht hinreichend begründet.

2.2 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus
folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es
nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite
des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die
höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).

2.3 Die Vorinstanz legt dar, aus den Erwägungen der Staatsanwaltschaft sei
ersichtlich, dass der geschiedene Ehemann der Beschwerdeführerin wegen Betrugs
und weiterer Vermögensdelikte vom Landgericht Mannheim im Jahr 2001 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von 11 ½ Jahren verurteilt worden sei. Es dürfte deshalb
unbestritten sein, dass er von den deliktisch erlangten Vermögenswerten
profitiert habe. Seine Gläubiger bzw. die Gläubiger seiner konkursiten Firmen
hätten versucht, in der Schweiz liegende Vermögenswerte zur Konkursmasse zu
ziehen. Am 30. April 2001 hätten die Beschwerdeführerin und der
Insolvenzverwalter eine Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung
geschlossen, worin sich die Beschwerdeführerin gegen Bezahlung von rund 10 Mio.
D-Mark verpflichtet habe, ihr sämtliches Vermögen dem Insolvenzverwalter zu
übertragen. Dies sei mit der Begründung erfolgt, dass Bestandteile des von der
Beschwerdeführerin zu übertragenden Vermögens möglicherweise nicht aufgrund von
Straftaten erlangt worden seien. Die Staatsanwaltschaft habe darauf
hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 2004 verschiedentlich
versucht habe, die Rechtswirksamkeit der Vereinbarung in Frage zu stellen.
Aus diesen Ausführungen ergebe sich durch Umkehrschluss, dass Vermögenswerte
der Beschwerdeführerin, welche sie nachher auf ihre Kinder übertragen habe,
mindestens möglicherweise aus verbrecherischen Handlungen stammten. Dies
genüge, um von einem dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Vortat auszugehen.
Ausserdem weise die Staatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass das Vorgehen
der Beschwerdeführerin, den Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft in St.
Moritz für sich zu behalten, einen Verdacht auf eine strafrechtlich relevante
Untreuhandlung begründe, sodass eine zusätzliche Vortat vorliege.
Es bestehe zudem der dringende Verdacht, dass Handlungen vorgenommen worden
seien, welche geeignet sind, die Ermittlung der Herkunft, die Auffindung oder
die Einziehung von Vermögenswerten zu vereiteln. Wohl stelle allein die
Geldüberweisung von einem inländischen auf ein anderes inländisches Bankkonto
keine Geldwäschereihandlung dar, sofern für beide Konten eine wirtschaftliche
Berechtigung für die gleiche Person ausgewiesen sei. Jedoch werde im
Beschwerdeentscheid hinreichend darauf hingewiesen, dass noch andere Handlungen
vorgenommen worden seien, um die Herkunft des Geldes zu verschleiern. Es werde
Sache der Strafuntersuchung sein, diese Sachverhalte abzuklären.

2.4 Aus diesen Ausführungen wird nicht ersichtlich, inwiefern der gemäss
vorinstanzlichem Entscheid geforderte dringende Tatverdacht bestehen soll. Der
Tatbestand der Geldwäscherei setzt als Vortat ein Verbrechen voraus. Die
Beschwerdeführerin weist diesbezüglich zu Recht darauf hin, dass die
Anklagekammer nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen
genügenden Weise aufgezeigt hat, dass die fraglichen Vermögenswerte aus einem
Verbrechen stammen. Mit dem blossen Verweis auf die erwähnte Vereinbarung
zwischen der Beschwerdeführerin und dem deutschen Insolvenzverwalter kommt die
Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nicht nach. Weiter geht aus dem Entscheid
nicht hervor, inwiefern eine strafrechtlich relevante "Untreuhandlung" im Sinne
einer Vortat zur Geldwäscherei gegeben sein sollte. Soweit mit dem Begriff der
Tatbestand der Veruntreuung (Art. 138 StGB) gemeint ist, wäre etwa zu
begründen, inwiefern von einer anvertrauten Sache bzw. von einem anvertrauten
Vermögenswert auszugehen ist. Sollte ein anderer Tatbestand, beispielsweise die
ungetreue Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB), gemeint sein, wären dessen
Voraussetzungen darzulegen. Ungenügend begründet ist auch der hinreichende
Verdacht hinsichtlich der von Art. 305bis StGB geforderten Tathandlung. Der
Hinweis, es werde im Entscheid der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass
noch andere Handlungen vorgenommen wurden, um die Herkunft des Geldes zu
verschleiern, genügt den verfassungsmässigen Begründungsanforderungen nicht,
zumal nicht klar ist, auf welche Ausführungen der Staatsanwaltschaft sich die
Vorinstanz bezieht.

3.
Die Rüge der Verletzung der Begründungspflicht erweist sich nach dem Gesagten
als begründet. Die Beschwerde ist deshalb gutzuheissen, soweit darauf
einzutreten ist, und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es erübrigt sich damit, auf
die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen.
Diesem Ausgang entsprechend sind im bundesgerichtlichen Verfahren keine Kosten
zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Thurgau hat der obsiegenden,
anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin eine dem Aufwand entsprechende
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss
der Anklagekammer des Kantons Thurgau vom 27. Oktober 2009 wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird zur neuen Beurteilung an die Anklagekammer
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Thurgau hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Untersuchungsrichteramt, der
Staatsanwaltschaft sowie der Anklagekammer des Kantons Thurgau schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 2. März 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Dold