Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.357/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_357/2009

Urteil vom 21. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Reto Gantner,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.

Gegenstand
Gesuch um Vollzug der Untersuchungshaft in einer Strafanstalt,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Oktober 2009 der Präsidentin des
Strafgerichts Basel-Landschaft.
Sachverhalt:

A.
Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Basel-Landschaft führen gegen
X.________ ein Strafverfahren wegen Gefährdung des Lebens, einfacher
Körperverletzung, Tätlichkeiten etc.. Nach der Anklageschrift der
Staatsanwaltschaft vom 1. September 2009 soll er insbesondere am 1. März 2009,
um ca. 23:30 Uhr, auf dem Wasserturmplatz in Basel, Y.________ geschlagen und
auf lebensgefährliche Weise gewürgt haben. X.________ wurde kurz nach der Tat
von der Polizei aufgegriffen und am 2. März 2009 in Untersuchungshaft genommen.
Mit Eingabe vom 24. September 2009 an das Präsidium des Strafgerichts
beantragte X.________, es sei ihm gemäss § 89 Abs. 1 StPO der Vollzug der
Untersuchungshaft in einer Strafvollzugsanstalt zu genehmigen. Er sei in die
Strafanstalt Wauwilermoos zu überstellen. Die Staatsanwaltschaft beantragte in
ihrer Vernehmlassung, X.________ sei vorerst Gelegenheit zu geben, sich zu
einer Verlegung in den Massnahmevollzug zu äussern. Falls er sich dazu bereit
erkläre, sei dies zu bewilligen. Falls nicht, sei seinem Antrag auf Verlegung
in eine Strafanstalt stattzugeben. Zur Begründung führte sie an, nach der
Anklageerhebung würde einer Verlegung in den (vorzeitigen) Normalvollzug nichts
mehr im Wege stehen. Da sie an der Hauptverhandlung mit hoher
Wahrscheinlichkeit eine Massnahme beantragen werde, sei es sinnvoll, X.________
bereits jetzt in eine Massnahmevollzugsanstalt zu überweisen, da er so die
Gelegenheit hätte, die Zeit bis zur Hauptverhandlung für eine Therapie zu
nutzen. X.________ lehnte in seiner Stellungsnahme die Verlegung in eine
Massnahmevollzugsanstalt ab und hielt an seinem Antrag fest.
Am 30. September 2009 wies die Präsidentin des Strafgerichts das Gesuch von
X.________ um Vollzug der Untersuchungshaft in einer Strafvollzugsanstalt ab.
Sie erwog, aufgrund des psychiatrischen Gutachtens müsse in Bezug auf
Gewaltdelikte von einer hohen Rückfallgefahr ausgegangen werden, welcher nur in
einem Untersuchungsgefängnis, nicht aber in einer Strafvollzugsanstalt genügend
Rechnung getragen werden könne.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen und subsidiärer Verfassungsbeschwerde beantragt
X.________, diese Verfügung der Strafgerichtspräsidentin abzuweisen und sein
Gesuch zu bewilligen, die Untersuchungshaft in einer Strafvollzugsanstalt zu
vollziehen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
-verbeiständung.

C.
Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung. Die Präsidentin des
Strafgerichts beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG ist gegeben. Der Anträge
auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Bewilligung des Vollzugs der
Untersuchungshaft in einer Strafanstalt sind zulässig, da das Bundesgericht
befugt ist, in der Sache selbst zu entscheiden oder sie an die Vorinstanz
zurückzuweisen (Art. 107 Abs. 2 BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten
werden kann. Für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt kein Raum.

2.
Der Beschwerdeführer anerkennt die Rechtmässigkeit der gegen ihn bis zur auf
den 17. und 18. März 2010 angesetzten Hauptverhandlung angeordneten
Untersuchungshaft. Er wendet sich einzig dagegen, sie weiterhin im
Untersuchungsgefängnis und nicht in einer Strafanstalt im weniger
einschneidenden Normalvollzug verbüssen zu müssen.

2.1 Nach § 89 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom
3. Juni 1999 (StPO) kann die Untersuchungshaft auf Antrag der verhafteten
Person in einer geeigneten Straf- oder Massnahmeanstalt vollzogen werden. Dem
Antrag ist stattzugeben, wenn nicht wichtige Interessen der Untersuchung
entgegenstehen. Vor der Verlegung in eine Massnahmevollzugsanstalt ist das
Einverständnis der Staatsanwaltschaft und des Präsidiums des in der Hauptsache
zuständigen Gerichts einzuholen. Aus dem vom Beschwerdeführer angerufenen
Grundrecht der persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV), den den
Freiheitsentzug regelnden verfassungsmässigen Garantien von Art. 31 BV sowie
dem für die Einschränkung von Grundrechten allgemein geltenden
Verhältnismässigkeitsgrundsatz (Art. 36 Abs. 3 BV) ergibt sich, dass die
strafprozessuale "Kann-Vorschrift" dahingehend auszulegen ist, dass der
Verhaftete einen Anspruch darauf hat, dass die Untersuchungshaft in der mildest
möglichen Form vollzogen wird, die den Untersuchungszweck erfüllt.

2.2 Dem Beschwerdeführer wird zur Hauptsache vorgeworfen, während eines
Hafturlaubs einen Menschen auf lebensgefährliche Weise (Würgen) angegriffen zu
haben. Nach dem forensisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. Z.________ vom 30.
Juni 2009 liegt beim Beschwerdeführer eine eher schwer ausgeprägte dissoziale
und emotional instabile Persönlichkeitsstörung vor. Zudem habe der
Beschwerdeführer deliktfördernde Einstellungen und Ansichten; insbesondere
halte er Gewalt nach wie vor als geeignetes Mittel zur Konfliktlösung. Nach der
Einschätzung des Gutachters sind ohne Therapie weitere Gewaltdelikte mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die festgestellten psychischen Störungen seien
in einer Massnahmenvollzugseinrichtung erfolgversprechend therapierbar. Eine
ambulante Behandlung genüge nicht, um das Rückfallrisiko zu senken. Zurzeit sei
der Beschwerdeführer allerdings nicht therapiewillig.

2.3 Aufgrund dieses Gutachtens und der Vorgeschichte des einschlägig
vorbestraften Beschwerdeführers, der sich offenbar aus der gewaltbereiten
Hooliganszene nicht richtig lösen kann oder will, steht für den Fall einer
Verurteilung sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch die
Strafgerichtspräsidentin eine stationäre Massnahme im Vordergrund. Diese
Einschätzung ist nachvollziehbar. Dementsprechend liegt in seinem Fall die
geeignete Vollzugserleichterung, auf die er nach dem
Verhältnismässigkeitsgrundsatz Anspruch hat, im vorzeitigen Massnahmeantritt,
nicht im vorzeitigen Strafantritt. Im Strafvollzug ohne therapeutische
Betreuung stünde zu befürchten, dass er bei einem weiteren "Ausraster" Dritte
gefährden und sein eigenes Fortkommen weiter belasten würde. Solches zu
verhindern liegt, entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, durchaus im
Interesse der Untersuchung im Sinn von § 89 Abs. 1 StPO bzw. der gegen ihn
verhängten Zwangsmassnahme. Nachdem der Beschwerdeführer das Angebot der
Staatsanwaltschaft abgelehnt hat, den Rest der Untersuchungshaft in einer
geeigneten Massnahmevollzugsanstalt zu verbüssen, konnte die
Strafgerichtspräsidentin daher sein Gesuch um vorzeitigen Strafantritt ohne
Bundesrechtsverletzung ablehnen. Die Rüge ist unbegründet.

3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der
Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat indessen ein
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches
gutzuheissen ist, da seine Bedürftigkeit ausgewiesen erscheint und die
Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Advokat Reto Gantner wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Anwalt eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Bundesgerichtskasse
entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Basel-Landschaft und der Präsidentin des Strafgerichts Basel-Landschaft
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Störi