Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.356/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_356/2009

Urteil vom 21. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Bernhard Rüdy,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich.

Gegenstand
Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. November 2009 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ befindet sich seit dem 31. August 2009 in Untersuchungshaft. Es wird
ihm vorgeworfen, am Samstag, 29. August 2009, um circa 03.00 Uhr, vor der
Z.________-Bar am Limmatquai ... in 8001 Zürich, dem Geschädigten Y.________ im
Anschluss an einen verbalen Streit mit einem Messer eine insgesamt 20 cm lange
und über eine Strecke von rund 4 cm eine circa 0,5 mm tiefe Schnittwunde am
Hals zugefügt zu haben. Der Tatverdacht stützt sich insbesondere auf die
Aussagen des Geschädigten sowie diverser Zeugen.
Mit Verfügung vom 27. November 2009 verlängerte der Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich die Untersuchungshaft bis zum 27. Februar 2010 wegen
Kollusionsgefahr.

B.
X.________ hat gegen die haftrichterliche Verfügung vom 27. November 2009 beim
Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen erhoben. Er beantragt die Aufhebung der
angefochtenen Verfügung und seine sofortige Entlassung aus der
Untersuchungshaft.

C.
Der Haftrichter und der zuständige Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet, letzterer unter Verweis auf
den Haftverlängerungsantrag und die angefochtene Verfügung. Zu diesen Eingaben
äusserte sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Dezember 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen (Art. 78 ff. BGG) sind erfüllt und geben zu
keinen weiteren Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist somit einzutreten.

2.
Wegen der formellen Natur des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2
BV) ist die diesbezügliche Rüge vorab zu behandeln. Der Beschwerdeführer
beanstandet, der Haftrichter habe seine gegen die Annahme von Kollusionsgefahr
vorgebrachten Argumente nicht berücksichtigt und nicht ausreichend begründet,
weshalb von Kollusionsgefahr auszugehen sei.

3.
Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die
Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch
tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus
folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es
nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich
auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr
kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die
Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite
des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die
höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und
auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit zahlreichen
Hinweisen).

4.
Der Haftrichter begründete das Vorliegen von Kollusionsgefahr damit, dass dem
Beschwerdeführer die Wahl zwischen dem Ober- und dem Geschworenengericht
zustehe und es somit zu einem Verfahren vor letzterem kommen könne. Im
Verfahren vor dem Geschworenengericht gelte das Unmittelbarkeitsprinzip,
weshalb gemäss Lehre und Rechtsprechung Kollusionsgefahr ausnahmsweise auch
nach Beendigung der Untersuchung vorliegen könne.
In seiner Eingabe vom 26. November 2009 an das Bezirksgericht Zürich führte der
Beschwerdeführer aus, er habe den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen
ausdrücklich bestätigt. Dies betreffe insbesondere auch jene Punkte, zu denen
er keine eigene sichere Erinnerung habe. Da er die Zeugenaussagen anerkenne,
sei unerklärlich, inwiefern er Zeugen beeinflussen sollte oder könnte. Er wehre
sich lediglich gegen den Vorwurf, vorsätzlich gehandelt zu haben. Zum inneren
Willen des Angeschuldigten könnten sich die Zeugen nicht äussern.
Diese Argumente wurden vom Haftrichter völlig ausgeblendet. Wie der
Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu
Recht hervorhebt, ist allein der Verweis auf die Möglichkeit, dass es zu einem
Verfahren vor dem Geschworenengericht kommen könnte, nicht ausreichend, um
Kollusionsgefahr zu bejahen (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_322/2008 vom 9.
Januar 2009 E. 4.3.1). Der Haftrichter muss begründen, aufgrund welcher
weiteren Sachumstände er im konkreten Fall Kollusionsgefahr als gegeben
erachtet. Da er im vorliegenden Verfahren die gegen die Bejahung von
Kollusionsgefahr vorgetragenen Argumente des Beschwerdeführers ausser Acht
liess und nicht darlegte, weshalb er trotz Abschluss der Zeugeneinvernahmen von
Kollusionsgefahr ausgeht, sondern lediglich auf die abstrakte Möglichkeit der
Beurteilung durch das Geschworenengericht hinwies, hat er die aus dem
Gehörsanspruch fliessende Begründungspflicht verletzt.

5.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben
und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Hingegen
rechtfertigt es allein eine Gehörsverletzung nicht, den Beschwerdeführer aus
der Haft zu entlassen. Das Gesuch um sofortige Haftentlassung ist demnach
abzuweisen. Ausgangsgemäss werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 1
und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung vom 27. November 2009 des
Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich aufgehoben und die Sache zu neuem
Entscheid an den Haftrichter zurückgewiesen.

2.
Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 21. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder