Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.345/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_345/2009

Urteil vom 8. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Gerber.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 18. November 2009 des Obergerichts des
Kantons Aargau,
Präsidium der Beschwerdekammer.
Sachverhalt:

A.
Das Bezirksamt Baden führt gegen X.________ eine Strafuntersuchung wegen
mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung und mehrfachen
unberechtigten Verwendens eines Fahrrads.
X.________ befindet sich seit dem 11. September 2009 in Untersuchungshaft. Am
22. September 2009 ordnete das Präsidium der Beschwerdekammer des Obergerichts
des Kantons Aargau die Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum Eingang der
Anklage beim Gericht bzw. zumindest bis zum Vorliegen einer
Gerichtsstandserklärung an.

B.
Mit Eingabe vom 12. November 2009 stellte X.________ einen
Haftentlassungsantrag. Das Präsidium der Beschwerdekammer gab dessen
Verteidiger Gelegenheit, sich zum Schlussbericht des Bezirksamts Baden vom 12.
November 2009 zu äussern. Mit Verfügung vom 18. November 2009 wies es das
Haftentlassungsgesuch ab.

C.
Am 13. November 2009 hat die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau Anklage
gegen X.________ wegen mehrfachen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung,
Hausfriedensbruch und der unberechtigten Verwendung eines Fahrrads erhoben. Die
Anklage umfasst auch einen in der Nacht vom 16./17. Juni 2009 begangenen
Einbruchsdiebstahl in eine Autogarage in Kloten. X.________ befand sich
deswegen vom 17. Juni bis 27. Juli 2009 im Kanton Zürich in Untersuchungshaft.

D.
Mit Verfügung vom 18. November 2009 setzte der Präsident des Bezirksgerichts
Baden, 3. Abteilung, die Hauptverhandlung auf den 12. Januar 2010 an. Er
ordnete die vorgesehenen Beweiserhebungen an, setzte den Parteien Frist für
ergänzende Beweisanträge und bestimmte, dass X.________ bis zur
Hauptverhandlung in Haft bleibe.

E.
Gegen die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs hat X.________ am 23.
November 2009 Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er
beantragt, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben und er sei aus der Haft zu
entlassen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung.

F.
Das Präsidium der Beschwerdekammer beantragt Abweisung der Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
In seiner Replik vom 2. Dezember 2009 hielt der Beschwerdeführer an seinen
Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Da alle Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die Beschwerde in
Strafsachen einzutreten (Art. 78 ff. BGG).
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist allerdings nur die Abweisung des
Haftentlassungsgesuchs. Die vom Beschwerdeführer gerügten Mängel des
Untersuchungsverfahrens sind daher nur insoweit zu prüfen, als sie sich auf die
Rechtmässigkeit der Haft auswirken könnten.

2.
Nach § 67 Abs. 1 und 2 der Aargauer Strafprozessordnung vom 11. November 1958
(StPO/AG) darf gegen den Beschuldigten ein Haftbefehl erlassen werden, wenn er
einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Handlung dringend verdächtig und ausserdem
Flucht- oder Kollusionsgefahr besteht oder die Freiheit des Beschuldigten mit
Gefahr für andere verbunden ist, insbesondere, wenn eine Fortsetzung der
strafbaren Tätigkeit zu befürchten ist.
Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art. 10
Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuchs erhoben
werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die
Auslegung und Anwendung des kantonalen Prozessrechtes frei. Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverlet-zung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE
132 I 21 E. 3.2.3 S. 24 mit Hinweisen).

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beteiligung am Einbruchsdiebstahl in Kloten wie
auch die Entwendung des Fahrrads gestanden; dagegen bestreitet er, die ihm zur
Last gelegten Diebstähle aus geparkten Autos (unter Einschlagen der
Autoscheiben) begangen zu haben. Insoweit bestehe auch kein dringender
Tatverdacht.

3.1 Die Untersuchungsbehörden stützen den dringenden Tatverdacht vor allem auf
die Umstände der Anhaltung des Beschwerdeführers.
Im Zeitraum vom 12. März bis 12. Juni 2009 sowie ab Ende Juli bis zum 8.
September 2009 wurden in Killwangen und Spreitenbach bei insgesamt 35
Personenwagen die Seitenfenster eingeschlagen und aus dem Fahrzeuginnern
diverses Deliktsgut entwendet. Bei einigen Fahrzeugaufbrüchen konnte der Täter
beobachtet werden; dieser war stets mit einem Fahrrad unterwegs. Am 11.
September 2009 um 21.20 wurde der Beschwerdeführer in Spreitenbach, in der Nähe
eines öffentlichen Parkplatzes, von einer zivilen Fahndungskontrolle
angehalten. Er war mit einem Herrenfahrrad unterwegs und trug einen
Glasbruchhammer und Latexhandschuhe bei sich. Die Strafverfolgungsbehörden
gehen davon aus, dass er auf der Suche nach einem geeigeten Tatobjekt war.
Weiter sei auffällig, dass die Serie von Autoaufbrüchen unterbrochen wurde, als
sich der Beschwerdeführer vom 17. Juni bis 27. Juli 2009 im Kanton Zürich in
Untersuchungshaft befand. Auch seit seiner Verhaftung sei es in Killwangen und
Spreitenbach nicht mehr zu Autoaufbrüchen gekommen.
Das Präsidium der Beschwerdekammer ging davon aus, dass sich die Indizien für
die Täterschaft des Beschwerdeführers im Laufe der Untersuchung konkretisiert
hätten, indem er von zwei Tatzeugen eines Personenwagenaufbruchs vom 8.
September 2009 mindestens teilweise identifiziert worden sei.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt, dass er bisher noch nie mit den Belastungszeugen
konfrontiert worden sei und Gelegenheit erhalten habe, ihnen Fragen zu stellen.
Dies verletze Art. 6 Abs. 3 lit d EMRK und führe dazu, dass die Zeugenaussagen
nicht zur Begründung des dringenden Tatverdachts herangezogen werden dürften.
Insgesamt sei die Untersuchung völlig ungenügend geführt worden. Der
Beschwerdeführer sei nur einmal, anlässlich der Hafteinvernahme, beim
Untersuchungsrichter gewesen; anschliessend sei er nur noch vom ermittelnden
Polizisten, ohne Beistand seines Verteidigers, befragt worden; dies verletze
seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Auch die Fotokonfrontationen sei ohne
Teilnahme des Verteidigers durchgeführt worden; zumindest in einem Fall sei das
Ergebnis manipuliert worden, indem dem Beschwerdeführer Personen in einem ganz
anderen Alter gegenübergestellt worden seien.
Der Beschwerdeführer wirft den Untersuchungsbehörden vor, eine vorgefasste
Meinung gegen ihn zu haben. Die Verteidigung habe immer wieder vorgebracht,
dass der wirkliche Täter das Polizeiaufgebot auf den Parkplätzen bemerkt, den
Glashammer niedergelegt und sich aus dem Staub gemacht haben könnte, während
der unbedarfte Beschwerdeführer den Sack mit dem Hammer aufgenommen habe, mit
dem Velo weitergefahren und in die polizeiliche Fahndung getappt sei. Die
Latexhandschuhe habe er zwecks Reparatur des Fahrrads von einer Kollegin
erhalten.
Keiner der Zeugen habe den Beschwerdeführer als Täter identifizieren können.
Nur der Zeuge Walti habe behauptet, den Beschwerdeführer, ein Fahrrad stossend,
vom Parkplatz in Killwangen kommend gesehen zu haben. Ansonsten seien die
Täterbeschreibungen äusserst vage; Videoaufnahmen zeigten nur eine südländische
Person mit dunkler Jacke.
Die Tatsache, dass seit der Verhaftung des Beschwerdeführers keine
Autoaufbrüche mehr stattgefunden haben, sei kein genügender Beweis. Vielmehr
sei davon auszugehen, dass der wahre Täter aufgrund des relativ grossen
Polizeiaufgebots auf den Parkplätzen in Spreitenbach und Killwangen das Weite
gesucht und seine Diebstähle anderswo fortgesetzt habe.

3.3 Der Ansicht des Beschwerdeführers, der Haftrichter dürfe bei der Prüfung
des Tatverdachts belastende Aussagen von Gewährspersonen erst nach erfolgter
Konfrontation mit dem Angeschuldigten Rechnung tragen, kann grundsätzlich nicht
gefolgt werden. Weder die Bundesverfassung noch die EMRK kennen eine solche
Vorschrift. Zwar darf der Strafrichter (im Falle einer strafrechtlichen Anklage
vor Gericht) für einen etwaigen Schuldspruch grundsätzlich nur auf belastende
Aussagen von Personen abstellen, die mit dem Angeklagten konfrontiert wurden
(Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK; vgl. auch Art. 29 Abs. 1-2 i.V.m. Art. 32 Abs. 2
BV). Daraus folgt jedoch kein grundrechtlicher Anspruch darauf, dass bereits im
frühen Stadium des Ermittlungs- und Untersuchungsverfahrens alle
Konfrontationen erfolgt sein müssten bzw. dass es dem Haftrichter bei der
Prüfung der Haftgründe sonst verwehrt wäre, vorläufige Untersuchungsergebnisse
bereits sachgerecht und mit der gebotenen Umsicht mitzuberücksichtigen (Urteil
1B_182/2007 vom 20. September 2007 E. 4.4).
Im vorliegenden Fall ist anscheinend vorgesehen, den Beschwerdeführer erst in
der Hauptverhandlung mit den Belastungszeugen zu konfrontieren und ihm und der
Verteidigung zu diesem Zeitpunkt Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. Diese
Vorgehensweise erlaubt es, das Untersuchungsverfahren schneller abzuschliessen
und die Haftdauer zu vermindern. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer
legt nicht dar, inwiefern dies dem Aargauer Strafprozessrecht widerspricht. Er
weist auch nicht nach, dass er bzw. sein Verteidiger im Untersuchungsverfahren
die Konfrontation mit den Belastungszeugen verlangt oder andere Beweisanträge
gestellt habe, und diese abgewiesen worden seien.

3.4 Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse
vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich ohne ausreichenden
Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu prüfen, ob aufgrund der
bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für eine
Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers an dieser Tat vorliegen,
die Justizbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit
vertretbaren Gründen bejahen durften.
Dies ist vorliegend zu bejahen. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer zur
Abendzeit auf einem Fahrrad mit Glashammer und Latexhandschuhen in der Nähe der
öffentlichen Parkplätze angehalten wurde, auf denen bereits zuvor
Aufbruchdiebstähle begangen worden waren, ist ein gewichtiges Indiz für seine
Täterschaft, zumal der Beschwerdeführer keine überzeugende Erklärung dafür hat,
weshalb er den Glashammer mit sich führte.
Die Tatsache, dass die Autoaufbruchserie in Spreitenbach und Killwangen seither
aufgehört hat (und auch während der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers in
Zürich unterbrochen wurde), ist ein weiteres Indiz für die Täterschaft des
Beschwerdeführers. Dieses ist zwar für sich allein nicht ausschlaggebend,
verstärkt jedoch den bestehenden Verdacht gegen den Beschwerdeführer.
Schliesslich hat der Zeuge Walti den Beschwerdeführer als denjenigen
identifiziert, der am 8. September 2009 gegen 17.30 Uhr mit einem Fahrrad an
ihm vorbei gegangen sei, vom Parkplatz der Schreinerei kommend, wo kurz zuvor
ein Auto aufgebrochen worden war. Dies beweist zumindest, dass der
Beschwerdeführer zur Tatzeit am Tatort war, was er zuvor bestritten hatte.
Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im Anklagezeitraum unstreitig einen
Einbruchsdiebstahl begangen hat. Die Tatsache, dass er diesbezüglich geständig
ist (nicht aber hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Autoaufbruchdiebstähle)
lässt sich ohne Weiteres damit erklären, dass er (zusammen mit drei weiteren
Beschuldigten) wenige Stunden nach dem Einbruch angehalten wurde, im Besitz des
gestohlenen Tresors und der Einbruchswerkzeuge.

3.5 Insgesamt ist daher der dringende Tatverdacht auch im Hinblick auf die
Autoaufbrüche zu bejahen.

4.
Das Bestehen von Fortsetzungsgefahr wird vom Beschwerdeführer nicht
substantiiert bestritten. Diese ist auch ohne Weiteres zu bejahen, nachdem der
Beschwerdeführer dringend verdächtigt wird, unmittelbar nach seiner Entlassung
aus der Untersuchungshaft in Zürich weitere Aufbruchdiebstähle begangen zu
haben.
Auch die übrigen Rügen erscheinen unbegründet. Die angefochtene Verfügung ist
knapp, aber ausreichend begründet. Auch die Gesamtdauer der bisherigen Haft
erscheint nicht übermässig lang und rückt nicht in grosse zeitliche Nähe zur
konkret zu erwartenden Freiheitsstrafe.
5. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen.
Dem Beschwerdeführer ist die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu
gewähren (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler, Zürich, wird als amtlicher Vertreter des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 1'500.--
ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsantwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Präsidium der Beschwerdekammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Gerber