Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.337/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_337/2009

Urteil vom 9. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Reto Gasser,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen das Urteil vom 26. Oktober 2009
des Haftgerichts des Kantons Solothurn.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt ein Strafverfahren gegen den
deutschen Staatsangehörigen X.________ wegen des Verdachts des gewerbsmässigen
Betrugs, der qualifizierten Geldwäscherei und der Urkundenfälschung.
Am 12. Oktober 2008 begab sich X.________ von Deutschland nach Solothurn und
stellte sich den Strafverfolgungsbehörden. Gleichentags wurde er in
Untersuchungshaft versetzt. Diese wurde seither mehrmals verlängert.
Am 21. Oktober 2009 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Richteramt
Olten-Gösgen. Gleichzeitig beantragte sie beim Haftgericht des Kantons
Solothurn die Anordnung von Sicherheitshaft.
Mit Urteil vom 26. Oktober 2009 ordnete die Richterin des Haftgerichts
Sicherheitshaft an. Sie bejahte Fluchtgefahr.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil der
Haftrichterin sei aufzuheben; er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

C.
Die Haftrichterin beantragt unter Hinweis auf die Erwägungen in ihrem Urteil
die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen. Sie beantragt ebenfalls die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

D.
X.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung (Art. 47quinquies Abs. 4
der Strafprozessordnung vom 7. Juni 1970 des Kantons Solothurn [StPO; BGS
321.1]). Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig.
Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind - unter dem folgenden Vorbehalt (E.
2) - ebenfalls erfüllt.

2.
Der Beschwerdeführer rügt einleitend (Beschwerde S. 2 Ziff. 3), die Vorinstanz
habe den Sachverhalt im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG offensichtlich unrichtig
festgestellt. Er begründet dies in der Folge jedoch nicht hinreichend (zu den
entsprechenden Begründungsanforderungen BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.).
Insoweit kann auf die Beschwerde daher nicht eingetreten werden.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze
sein Recht auf persönliche Freiheit.
Bei Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen
Freiheit (Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Anordnung von Sicherheitshaft
erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des
Eingriffes die Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes
frei (BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis).

3.2 Gemäss § 43 Abs. 2 StPO ist Sicherheitshaft gegen eine Person zulässig,
wenn diese einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Tat dringend verdächtig und
zudem unter anderem Fluchtgefahr gegeben ist (lit. a).
Der dringende Tatverdacht war bereits vor Vorinstanz unbestritten. Der
Beschwerdeführer macht geltend, es bestehe keine Fluchtgefahr.

3.3 Der Beschwerdeführer gibt an, bei einer Haftentlassung nach Deutschland
zurückkehren und bei seiner Mutter und seinem Stiefvater wohnen zu wollen.
Nach dem Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 6 des Europäischen
Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe; SR 0.353.1) ist die
Auslieferung eines Deutschen aus Deutschland an einen andern Staat nach Art. 16
Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht
zulässig. Gemäss Art. 6 Ziff. 2 EAUe ist die Bundesrepublik Deutschland aber
verpflichtet, die Strafsache ihren eigenen Behörden zu unterbreiten.
Voraussetzung dafür ist ein förmliches Rechtshilfegesuch der schweizerischen
Behörden.
Die bundesgerichtliche Rechtsprechung lehnt die Auffassung ab, wonach die
blosse Fluchtgefahr die Untersuchungshaft nicht zu rechtfertigen vermag, wenn
als Ziel der Flucht nur oder vor allem ein Land in Betracht fällt, das
nötigenfalls die Auslieferung bewilligen oder selbst die Beurteilung der Sache
übernehmen würde. Dem Staat, welchem die Strafhoheit zusteht, ist es nicht
zuzumuten, auf die Sicherung der Person des Angeschuldigten zu verzichten und
bei dessen Flucht den langwierigen Weg des Auslieferungsbegehrens oder eines
Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung zu beschreiten. Ob in einem
bestimmten Fall Fluchtgefahr besteht, ist demnach grundsätzlich in Bezug auf
das in der Schweiz geführte Strafverfahren (und allenfalls Vollzugsverfahren)
zu überprüfen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f. mit Hinweisen).

3.4 Die vom Beschwerdeführer selbst angegebene Absicht, sich bei einer
Haftentlassung nach Deutschland begeben zu wollen, genügt im Lichte der
Rechtsprechung für die Annahme von Fluchtgefahr, obwohl die Bundesrepublik
Deutschland gegebenenfalls selbst ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer
durchführen müsste (vgl. BGE 123 I 31 E. 3d S. 37).
Es besteht jedenfalls keine hinreichende Gewähr, dass der Beschwerdeführer,
einmal in Deutschland, in die Schweiz zurückkehren würde, um hier an der
Gerichtsverhandlung teilzunehmen und sich dem allfälligen Vollzug einer
Freiheitsstrafe zu stellen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer gewerbsmässigen Betrug mit
einem Deliktsbetrag von knapp 10 Millionen Franken, qualifizierte Geldwäscherei
und mehrfache Urkundenfälschung vor. Aufgrund dieser schwerwiegenden Vorwürfe
muss er mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe rechnen. Dies stellte für ihn
einen Grund dar, in Deutschland zu bleiben.
Der Beschwerdeführer hat in der Schweiz überdies weder Familienangehörige noch
Freunde. Ebenso wenig hat er hier eine Arbeitsstelle. Auch insoweit hätte er
demnach keinen Anlass, in die Schweiz zurückzukehren.
Vor seiner Verhaftung lebte er in Deutschland - teilweise offenbar auch in den
Niederlanden - in instabilen Verhältnissen. Er hatte psychische Probleme, die
zu Einweisungen in Kliniken führten, und zudem ein erhebliches Alkoholproblem.
Konsumierte er - was mangels beruflicher Perspektiven und damit eines
geregelten Tagesablaufs zu befürchten ist - nach einer Haftentlassung erneut
übermässig Alkohol, würde sich die Aussicht darauf, dass er in der Schweiz zur
Gerichtsverhandlung erscheint und eine allfällige Freiheitsstrafe antritt,
zusätzlich verringern; dies umso mehr, wenn zum Alkoholkonsum wieder psychische
Probleme hinzuträten.
Zwar ist der Beschwerdeführer am 12. Oktober 2008 aus Deutschland in die
Schweiz gereist und hat er sich den solothurnischen Behörden gestellt. Damals
war er sich der Bedeutung des gegen ihn geführten Verfahrens jedoch offenbar
noch nicht bewusst und rechnete er mit keiner längeren Haft (vgl. Urteil der
Haftrichterin vom 9. April 2009, Beschwerdebeilage 8, S. 7 f.).
Unter diesen Umständen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz
Fluchtgefahr bejaht hat.

3.5 Die Vorinstanz hat in früheren Urteilen die Fluchtgefahr nicht allein damit
begründet, der Beschwerdeführer habe in Deutschland keinen festen Wohnsitz. Sie
hat ihre Urteile vielmehr auf weitere Gründe gestützt. Daher widerspricht es
Treu und Glauben (Art. 9 BV) nicht, wenn sie im angefochtenen Entscheid
Fluchtgefahr weiterhin bejaht, obschon der Beschwerdeführer inzwischen am
Wohnort seiner Mutter amtlich angemeldet ist. Die Staatsanwaltschaft legt das
(Vernehmlassung S. 3 Ziff. 4) zutreffend dar.

3.6 Dass Ersatzmassnahmen anstelle der Sicherheitshaft ausreichten, macht der
Beschwerdeführer nicht geltend und ist nicht ersichtlich.

4.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit ca. 14 Monaten in Haft. Diese Haftdauer
ist noch nicht in grosse zeitliche Nähe der bei einer Verurteilung zu
erwartenden Freiheitsstrafe gerückt. Die Haft ist damit nach wie vor
verhältnismässig.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers kann angenommen werden. Da die Haft
einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich
zur Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nach Art. 64 BGG wird deshalb bewilligt. Es werden keine Kosten
erhoben und dem Vertreter des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung
ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Reto Gasser, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Haftgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 9. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri