Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.330/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_330/2009

Urteil vom 2. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Haag.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Müller,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Oktober 2009 des Bezirksgerichts Zürich,
Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ befindet sich seit dem 17. Juli 2009 in Untersuchungshaft, nachdem
bei ihm mehrere Hundert Gramm Kokaingemisch (Reinheitsgrad 25-32%) sowie rund
Fr. 8'500.-- Bargeld gefunden worden waren. Nebst dem dringenden Tatverdacht
des qualifizierten Drogenhandels hielt der Haftrichter in seiner Verfügung vom
17. Juli 2009 auch Kollusionsgefahr für gegeben.
Am 12. Oktober 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat eine
Verlängerung der bis 17. Oktober 2009 bewilligten Untersuchungshaft um drei
Monate. Der amtliche Verteidiger von X.________ verlangte, der Antrag auf
Haftverlängerung sei abzuweisen und der Angeschuldigte auf freien Fuss zu
setzen. Es lägen keine besonderen Haftgründe vor.
Mit Verfügung vom 14. Oktober 2009 ordnete der Haftrichter am Bezirksgericht
Zürich die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis zum 17. Januar 2010 an. Er
bejahte sowohl den dringenden Tatverdacht als auch die Kollusionsgefahr und
bezeichnete die Haftverlängerung um drei Monate angesichts der Schwere des
vorgeworfenen Delikts und der zu erwartenden mindestens einjährigen
Freiheitsstrafe als verhältnismässig.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 16. November 2009 beantragt X.________ im
Wesentlichen, die Verfügung des Haftrichters vom 14. Oktober 2009 sei
aufzuheben und er sei mit sofortiger Wirkung aus der Untersuchungshaft zu
entlassen.
Der Haftrichter verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft hält am Bestehen von Kollusionsgefahr fest und macht zudem
Fluchtgefahr geltend. Mit Eingabe vom 30. November 2009 hält der
Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest. Er macht zudem geltend, die Angaben
der Staatsanwaltschaft zu den zu befragenden Personen seien nicht ausreichend.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen
Entscheide in Strafsachen. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den angefochtenen
Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m.
Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am
Verfahren teil und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des
angefochtenen Entscheids. Er ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde
berechtigt. Das Bundesgericht kann nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der
Beschwerde in der Sache selbst entscheiden. Der Antrag auf Haftentlassung ist
somit zulässig (vgl. BGE 133 I 270 E. 1.1 S. 272 f. mit Hinweisen). Da auch die
übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde
einzutreten.

2.
Die Untersuchungshaft schränkt die persönliche Freiheit des Beschwerdeführers
ein (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 31 BV, Art. 5 EMRK). Eine Einschränkung dieses
Grundrechts ist zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im
öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist; zudem darf sie den
Kerngehalt des Grundrechts nicht beeinträchtigen (Art. 36 BV). Im vorliegenden
Fall steht ein Freiheitsentzug und damit eine schwerwiegende Einschränkung der
persönlichen Freiheit in Frage. Es bedarf deshalb sowohl nach Art. 36 Abs. 1
Satz 2 BV als auch nach Art. 31 Abs. 1 BV einer Grundlage im Gesetz selbst.

2.1 Im Hinblick auf die Schwere der Einschränkung prüft das Bundesgericht die
Auslegung und Anwendung der kantonalen Rechtsgrundlage frei. Soweit reine
Sachverhaltsfeststellungen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen
sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE
135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis).

2.2 Nach § 58 Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4.
Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321) darf Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der
Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und
ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss,
er werde Spuren und Beweismittel beseitigen, Dritte zu falschen Aussagen zu
verleiten versuchen oder die Abklärung des Sachverhalts auf andere Weise
gefährden (Kollusionsgefahr). Der Beschwerdeführer bestreitet sowohl den
dringenden Tatverdacht wie auch das Vorliegen von Kollusionsgefahr. Die von der
Staatsanwaltschaft behauptete Fluchtgefahr ist im vorliegenden Urteil nicht zu
beurteilen, da der Haftrichter diesen besonderen Haftgrund nicht prüfte und
somit kein anfechtbarer Entscheid zu dieser Frage vorliegt.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es gebe keine Hinweise, dass er mit dem bei
ihm gefundenen Kokain gehandelt habe. Die Untersuchungsbehörden hätten denn
auch keine Hinweise auf Drogenabnehmer genannt. Soweit er damit den dringenden
Tatverdacht bestreiten will, sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:
Im Gegensatz zum erkennenden Sachrichter hat das Bundesgericht bei der
Überprüfung des allgemeinen Haftgrunds des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse
vorzunehmen. Macht ein Inhaftierter geltend, er befinde sich ohne ausreichenden
Tatverdacht in strafprozessualer Haft, ist vielmehr zu prüfen, ob aufgrund der
bisherigen Untersuchungsergebnisse genügend konkrete Anhaltspunkte für eine
Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers an dieser Tat vorliegen,
die Justizbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit
vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt dabei der
Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen
könnte (vgl. BGE 116 Ia 143 E. 3c S. 146). Das Beschleunigungsgebot in
Haftsachen lässt dabei nur wenig Raum für ausgedehnte Beweismassnahmen. Zur
Frage des dringenden Tatverdachts hat der Haftrichter weder ein eigentliches
Beweisverfahren durchzuführen, noch dem erkennenden Strafrichter vorzugreifen.
Vorbehalten bleibt allenfalls die Abnahme eines liquiden Alibibeweises (vgl.
BGE 124 I 208 E. 3 S. 210 mit Hinweisen).
Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer bei seiner Verhaftung eine grössere
Menge Kokain und einen erheblichen Bargeldbetrag auf sich trug. Während er für
das Bargeld ein Darlehen von seinem Bruder behauptet, liegt keine überzeugende
Erklärung für einen legalen Besitz und Verwendungszweck des Kokains vor. Dass
auf der Verpackung des Kokains keine verwertbaren Fingerabdrücke des
Beschwerdeführers gefunden wurden, spricht nicht gegen seine Absicht, mit den
Drogen Handel zu treiben. Unter diesen Umständen ist die Bejahung des
dringenden Tatverdachts durch den Haftrichter in Bezug auf den Drogenhandel
nicht zu beanstanden.

4.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Kollusionsgefahr. Es gebe keine Hinweise
oder Beweise für die von der Staatsanwaltschaft vermuteten Drogenabnehmer.

4.1 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbraucht, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden. Die
theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren
könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft unter diesem Titel
zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von
Kollusionsgefahr sprechen (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23; 128 I 149 E. 2.1 S. 151;
je mit Hinweisen). Konkrete Anhaltspunkte für Kollusion können sich nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen
Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess (Aussageverhalten,
Kooperationsbereitschaft, Neigung zu Kollusion usw.), aus seinen persönlichen
Merkmalen (Leumund, allfällige Vorstrafen usw.), aus seiner Stellung und seinen
Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie aus den persönlichen
Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen (Art der beruflichen,
freundschaftlichen, familiären oder sozialen Kontakte). Bei der Frage, ob im
konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen
Kollusionsgefahr droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Einflussnahmen
bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten
sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen. Je weiter das Strafverfahren
vorangeschritten ist und je präziser der Sachverhalt bereits abgeklärt werden
konnte, desto höhere Anforderungen sind grundsätzlich an den Nachweis von
Kollusionsgefahr zu stellen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 und 3.2.2 S. 23 f.; Urteil
1P.90/2005 vom 23. Februar 2005 E. 3.3, in: Pra 2006 Nr. 1 S. 1; je mit
Hinweisen).

4.2 Der Haftrichter bejaht die Kollusionsgefahr mit dem Hinweis auf die
Auswertung der Telefongespräche des Beschwerdeführers. Erste Ergebnisse
deuteten auf Kontakte zu Personen hin, welche bei seiner Festnahme zugegen
waren und demnach bekannt seien. Mehr Aufschluss über das vom Angeschuldigten
gepflegte Kontaktnetz werde die in Auftrag gegebene rückwirkende
Teilnehmeridentifikation ergeben. Je nach den gesamten Ergebnissen seien
mögliche Drogenabnehmer zu befragen und gegebenenfalls mit dem Angeschuldigten
zu konfrontieren. Es sei offensichtlich, dass der Angeschuldigte angesichts der
in Aussicht stehenden Strafe ein grosses Interesse habe, in Frage kommende und
der Untersuchungsbehörde bis jetzt nicht bekannte Personen zu warnen bzw. zu
seinen Gunsten zu beeinflussen. Die Staatsanwaltschaft weist ergänzend
daraufhin, dass eine Person aus dem Umfeld des Beschuldigten am 24. November
2009 befragt werden sollte und die rogatorische Einvernahme von drei weiteren
Personen in Basel-Stadt und Bern bevorstehe.

4.3 Die von der Vorinstanz und der Staatsanwaltschaft angeführten Umstände sind
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers beim derzeitigen Stand der
Ermittlungen geeignet, das Bestehen von Kollusionsgefahr zu begründen. Die vom
Beschwerdeführer gegen die Auffassung des Haftrichters angeführten Argumente
sind nicht stichhaltig. Insbesondere erscheint es gerechtfertigt, die in
Aussicht gestellten Einvernahmen, die in den kantonalen Akten (ND 20 und 21)
konkret aufgeführt sind, durchzuführen. Die Einvernahmen der aufgeführten
Personen erscheinen geeignet, den Untersuchungsbehörden Aufschluss über
mögliche Drogenabnehmer zu verschaffen. Aufgrund der Ergebnisse der genannten
Befragungen wird dannzumal unter Beachtung des in Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5
Ziff. 4 EMRK verankerten Beschleunigungsgebots zu prüfen sein, ob die Haft
wegen Kollusionsgefahr fortgeführt werden darf (vgl. BGE 133 I 168 E. 4.1 S.
170 f., 270 E. 1.2.2 S. 274; 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f.; je mit Hinweisen).

5.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist. Der
Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann
dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

2.1 Es werden keine Gerichtkosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Rolf Müller wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt
und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr.
2'000.-- entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Haag