Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.316/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_316/2009

Urteil vom 8. März 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern, Beschwerdeführerin,

gegen

weitere Beteiligte:
1. X.________, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Markus Raess,
2. Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. Bruno Steiner.

Gegenstand
Rechtsverzögerung im Entsiegelungsverfahren,

Beschwerde gegen das Bundesstrafgericht,
I. Beschwerdekammer.
Sachverhalt:

A.
Die Bundesanwaltschaft (BA) führte zwischen Oktober 2004 und August 2009 ein
gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren gegen X.________ und weitere
Beschuldigte wegen des Verdachtes des gewerbsmässigen Anlagebetruges und
weiterer Delikte. Am 5. März 2007 dehnte die BA das Strafverfahren auf
Y.________ (die Ehefrau des Hauptbeschuldigten) aus, welche der Geldwäscherei
verdächtigt wird. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erfolgten zwischen dem 6.
und 8. März 2007 Hausdurchsuchungen in zwei Liegenschaften. Auf Einsprachen der
von den Zwangsmassnahmen betroffenen Beschuldigten hin wurden die
beschlagnahmten umfangreichen Dokumente und elektronischen Daten versiegelt.

B.
Am 8. Mai 2007 stellte die BA beim Bundesstrafgericht das Gesuch um
Entsiegelung von beschlagnahmten Dokumenten und elektronischen Datenträgern und
um deren Freigabe zur Durchsuchung.

C.
Anlässlich der Entsiegelungsverhandlung vom 3. März 2008 unterzog der
zuständige Referent der I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes die
beschlagnahmten Schriftdokumente einer Sichtung und Triage.

D.
Nach erfolgtem Rückzug der betreffenden Einsprache entschied der Präsident der
I. Beschwerdekammer mit rechtskräftiger Verfügung vom 24. April 2008, dass die
BA berechtigt sei, den Inhalt des elektronischen Datenträgers HD Lacie 150 GB
(Aufschrift "Trading Archive") zu durchsuchen.

E.
Am 5. September 2008 entschied das Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer,
über die verbleibenden Gegenstände des Entsiegelungs- und Durchsuchungsgesuches
vom 8. Mai 2007.

F.
Eine von der BA gegen den Entsiegelungsentscheid vom Am 5. September 2008
erhobene Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 27. Januar 2009
teilweise gut. Die I. Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes wurde
angewiesen, die Triage (und nötigenfalls die Löschung) der fraglichen
elektronischen Dateien vorzunehmen und danach einen neuen Entscheid zu fällen
über die Zulässigkeit und den Umfang der Durchsuchung der sichergestellten
Daten und über die Kosten des Entsiegelungsverfahrens (Verfahren 1B_274/2008).

G.
Am 27. August 2009 eröffnete das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt (auf
Antrag der BA) eine Voruntersuchung gegen die Beschuldigten.

H.
Mit Eingabe vom 2. November 2009 erhebt die BA Rechtsverweigerungsbeschwerde
beim Bundesgericht. Sie beantragt, die I. Beschwerdekammer des
Bundesstrafgerichtes sei anzuweisen, innert einer vom Bundesgericht
anzusetzenden Frist die Triage (und nötigenfalls die Löschung) der noch
versiegelten elektronischen Daten vorzunehmen, den abschliessenden Entscheid
über die Zulässigkeit und den Umfang der Durchsuchung der sichergestellten
Daten zu fällen und über die Kosten des Entsiegelungsverfahrens zu entscheiden.
Die Beschwerdekammer liess sich am 18. November 2009 vernehmen. Die BA
replizierte am 7. Dezember 2009. Am 29. Januar 2010 ersuchte die
Beschwerdekammer das Bundesgericht um Retournierung der Akten. Am 15. Februar
2010 erliess die Beschwerdekammer einen Entsiegelungs-Teilentscheid und
retournierte dem Bundesgericht die Akten. Am 24. Februar 2010 reichte die BA
weitere Unterlagen ein.

Erwägungen:

1.
Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren
Entscheids kann Beschwerde geführt werden (Art. 94 BGG). Die BA ist
beschwerdelegitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 i.V.m. Art. 79 BGG; s.
auch Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 7 und Abs. 2 BGG).

2.
Die BA macht Folgendes geltend: Nach Eingang des bundesgerichtlichen Urteils
1B_274/2008 vom 27. Januar 2009 habe sie sich am 25. Februar 2009 bei der I.
Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichtes (BK) erkundigt, wann mit dem Fortgang
des Entsiegelungsverfahrens gerechnet werden könne. Die BK habe das Verfahren
unmittelbar darauf wieder aufgenommen und den Parteien am 27. Februar 2009
mitgeteilt, wie sie das Verfahren fortzusetzen gedachte. Gleichzeitig seien die
Parteien aufgefordert worden, sich zum weiteren Vorgehen zu äussern. Sie, die
BA, habe am 10. März 2009 im zustimmenden Sinne Stellung genommen und konkrete
Vorschläge unterbreitet. Am 13. Mai und 4. Juni 2009 habe sie sich nach dem
Stand des Verfahrens erkundigt, von der BK jedoch "offiziell" keine Antwort
erhalten. Auf eine weitere Anfrage der BA vom 24. Juni 2009 habe die BK
reagiert, indem sie mit Verfügung vom 26. Juni 2009 die Bundeskriminalpolizei
(BKP) beauftragt habe, die Infrastruktur zur Durchsuchung der elektronischen
Daten sowie weitere Unterstützungsleistungen zur Verfügung zu stellen. Am 27.
August 2009 sei die Voruntersuchung eröffnet worden. Am 2. September 2009 habe
sich die BA bei der BK danach erkundigt, was unterdessen in der
Entsiegelungsangelegenheit effektiv getan worden sei und wann mit dem ersten
der in Aussicht gestellten Endentscheide gerechnet werden könne. Diese Anfrage
sei "offiziell" nicht beantwortet worden. Das Stillschweigen bzw. die
Untätigkeit der BK behinderten das Verfahren und verstiessen gegen das
Beschleunigungsgebot in Strafsachen.

3.
Die BK legt in ihrer Stellungnahme Folgendes dar: Im Nachgang des
bundesgerichtlichen Urteils vom 27. Januar 2009 habe sie die Informatiker des
Bundesstrafgerichtes beauftragt, die Daten zu sichten und der BK Vorschläge zum
weiteren Vorgehen zu unterbreiten. Am 26. Februar 2009 sei der BK der
entsprechende interne Bericht vorgelegt worden. Mit Verfügung vom 27. Februar
2009 habe sie den Parteien mitgeteilt, wie sie das Verfahren fortzusetzen
gedachte. Angesichts der Vernehmlassungen der Parteien, der bundesgerichtlichen
Vorgaben und von "technischen Bedenken" seitens der Informatikspezialisten der
BKP habe sich die BK gezwungen gesehen, ihr ursprünglich geplantes Vorgehen zu
modizifieren. Das entsprechende Triageverfahren sei den Parteien am 26. Juni
2009 bekannt gegeben worden. Einige Tage zuvor habe die BK der BA auch noch
informell (per E-Mail) mitgeteilt, dass sie, die BK, auf Informationen der BKP
warte. Bis zum 4. September 2009 habe die BKP (zusammen mit den Informatikern
des Bundesstrafgerichtes) die erforderliche Infrastruktur für die BK aufgebaut,
technische Vorbereitungen getroffen und der BK die nötigen Instruktionen
erteilt. Der betreffende Zeitbedarf sei nicht zuletzt auf den enormen Umfang
der zu sichtenden Daten zurückzuführen. Von diversen PCs, Mailservern, Laptops
und externen Festplatten seien Daten (in komprimierter Form) von insgesamt 684
Gigabyte (mit mehr als 1,4 Mio. Dateien) gespiegelt worden. Ein weitere
technische Komplizierung ergebe sich daraus, dass ein Teil der Dateien (primär
gewisse Mail-Archivdaten) nicht in komprimierter Form (mit der zur Verfügung
stehenden Spezialsoftware "Encase") durchsucht werden könne. Bis zum 17.
November 2009 sei die Triagierung der über 40'000 Textverarbeitungsdokumente
sowie von tausenden E-Mail-Dateien erfolgt. Die Sichtung der restlichen Daten
werde die BK so rasch wie möglich durchführen.

4.
Wie sich aus den vorgelegten Akten ergibt, hat die BK der BA am 12. Juni 2009
per elektronische Mitteilung (informell) mitgeteilt, dass die BK "immer noch"
auf einen Bescheid der Informatikabteilung der BKP warte, aber davon ausgehe,
dass in der darauffolgenden Woche die entsprechende Orientierung an die
Parteien erfolgen könne. Am 26. Juni 2009 erliess die BK eine detaillierte
Verfügung, in der die BKP beauftragt wurde, die Infrastruktur zur Durchsuchung
der elektronischen Daten sowie weitere Unterstützungsleistungen zur Verfügung
zu stellen. Die BK ordnete für die Triage (unter Beizug von Spezialisten der
BKP) ein aufwändiges technisches Vorgehen an, welches insbesondere dem
gebotenen Geheimnisschutz Rechnung tragen soll. Die BK stellte in Aussicht,
dass die von der beantragten Entsiegelung betroffenen Beschuldigten nach der
ersten Sichtung voraussichtlich zu weiteren sachdienlichen Angaben anzuhalten
seien und die BK (nach erfolgter Triage) allenfalls etappenweise über die
Herausgabe bzw. Löschung der Dateien entscheiden werde. Am 8. September 2009
orientierte die BK die BA in einer weiteren E-Mail über den Stand des
Verfahrens. Insbesondere wies die BK darauf hin, dass sie von der BKP am 4.
September 2009 die notwendige technische Infrastruktur (samt Instruktionen)
erhalten und mit der Triage begonnen habe; aufgrund der grossen Datenmengen sei
es schwierig, zuverlässige Angaben darüber zu machen, wann genau mit welchen
Entscheiden gerechnet werden könne.
Nach den vorliegenden Akten hat die BK zwischen 4. September und 17. November
2009 die (mehr als 40'000) Textverarbeitungsdokumente sowie tausende
E-Mail-Dateien gesichtet und triagiert. Die in ihrer Verfügung vom 26. Juni
2009 noch als Möglichkeit in Aussicht gestellte Etappierung auf einzelne
Laufwerke beurteilte die BK als unzweckmässig. In ihrem Teilentscheid vom 15.
Februar 2010 entschied die BK wie folgt über das Entsiegelungsbegehren: Bei den
41'446 durchsuchten Textverarbeitungsdokumenten (Dateitypen .doc, .pdf, .wpd,
.rtf und .txt) habe die BK die geheimnisgeschützten Dokumente ausgeschieden.
Das Gleiche sei beim Grossteil der insgesamt 99'441 Maildateien erfolgt
(nämlich bei den Dateitypen .ost, .dbx, .idx, .mbx, .eml und .msg). Bei den
acht Maildateien des Typs .pst und einer Datei des Typs .nsf handle es sich
hingegen um komprimierte Mailarchive mit einer Vielzahl einzelner E-Mails,
welche mit der zur Verfügung stehenden Spezialsoftware "Encase" nicht
eingesehen werden könnten. Der betreffende Entsiegelungsentscheid werde erst in
einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Analoges gelte für die Archivdateien des
Typs .zip, deren Durchsuchung aus technischen Gründen nur eingeschränkt bzw.
"unter Inkaufnahme erheblicher Geschwindigkeitseinbussen" möglich sei. Weder
die 277'554 Bilddateien (Dateitypen .art, .bmp, .gif, .jpg, .png, .wmf und
.tif), noch die elektronisch gespeicherten FAX-Dateien (Dateityp .xls) oder die
restlichen Dateitypen enthielten geheimnisgeschützte Inhalte. Kopien der nicht
unter Geheimnisschutz stehenden Dateien würden zu Strafverfolgungszwecken an
die BA ausgehändigt. Der Entsiegelungsentscheid betreffend die Dateitypen .pst,
.nsf und .zip erfolge in einem späteren Zeitpunkt.
Bei dieser Sachlage kann der BK keine Rechtsverzögerung vorgeworfen werden. Der
sehr grosse Umfang der Daten, deren Siegelung verlangt wurde, die Notwendigkeit
des Beizuges von externen Informatik-Spezialisten sowie die gebotene
Gewährleistung des Geheimnisschutzes und der Verfahrensrechte der Parteien
haben im vorliegenden Fall einen aussergewöhnlich hohen technischen,
administrativen und prozessualen Aufwand nach sich gezogen. Wie von der BK in
Aussicht gestellt, wird über die restlichen Gegenstände des
Entsiegelungsgesuches (Dateitypen .pst, .nsf und .zip) mit der gebotenen
Dringlichkeit zu entscheiden sein.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Gerichtskosten sind nicht zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird der Bundesanwaltschaft, den privaten Verfahrensbeteiligten
und dem Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. März 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster