Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.304/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_304/2009

Urteil vom 6. November 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,

gegen

Strafgericht Basel-Stadt, Haftrichter, Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel,
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen das Urteil vom 10. September 2009 des
Appellationsgerichtspräsidenten des Kantons
Basel-Stadt.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt eine Strafuntersuchung gegen
A.________. Sie wirft ihm vor, an der Tötung des Lebenspartners seiner
Schwester am 17. Mai 2009 in Basel beteiligt gewesen zu sein.
Gleichentags wurde A.________ festgenommen. Am 19. Mai 2009 ordnete der
Haftrichter Basel-Stadt die Untersuchungshaft an für die Dauer von vier Wochen,
d.h. bis zum 16. Juni 2009. Der Haftrichter bejahte den dringenden Tatverdacht
und Kollusionsgefahr. In der Folge verlängerte er die Haft erstmals bis zum 11.
August 2009; dann erneut bis zum 6. Oktober 2009.
Gegen die letztere Haftverlängerung erhob A.________ Beschwerde beim
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. Mit Entscheid vom 10. September
2009 wies dessen Präsident die Beschwerde ab. Der Appellationsgerichtspräsident
bejahte den dringenden Tatverdacht (S. 3 ff. E. 3) und Kollusionsgefahr (S. 5
f. E. 4). Die Dauer der Haft erachtete er als verhältnismässig (S. 6 f. E. 5).
Er auferlegte A.________ die Kosten des Beschwerdeverfahrens im Betrag von Fr.
400.--. Das Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Verteidigung wies er ab,
da er die Beschwerde als aussichtslos beurteilte (S. 7 E. 6).

B.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des
Appellationsgerichtspräsidenten sei aufzuheben und der Beschwerdeführer sofort
aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei der Kostenentscheid des
Appellationsgerichtspräsidenten aufzuheben und dem Beschwerdeführer auch für
das vorinstanzliche Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Verteidigung mit dem
Unterzeichnenden als Advokaten zu bewilligen.

C.
Der Haftrichter hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Der Appellationsgerichtspräsident hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen.
Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Verzicht auf Vernehmlassung die
Abweisung der Beschwerde.

D.
A.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach
Art. 80 BGG zulässig.
Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
Am 5. Oktober 2009 hat der Haftrichter die Untersuchungshaft bis zum 1.
Dezember 2009 verlängert. Der Beschwerdeführer befindet sich somit nach wie vor
in Haft und hat deshalb ein aktuelles Interesse an der Behandlung der
Beschwerde.
Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die
Beschwerde einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer beruft sich sinngemäss auf sein Recht auf persönliche
Freiheit nach Art. 10 Abs. 2 BV.

2.2 Bei Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der
persönlichen Freiheit wegen der Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erhoben
werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die
Auslegung und Anwendung des entsprechenden kantonalen Rechtes frei. Soweit
jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu
beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art.
105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.; mit Hinweis).

2.3 Gemäss § 96 StPO/BS darf gegen die angeschuldigte Person Untersuchungshaft
angeordnet werden, wenn sie eines Verbrechens oder Vergehens (...) dringend
verdächtigt ist und überdies konkrete Umstände vorliegen, die befürchten
lassen, sie werde die Freiheit benützen unter anderem zur Vereitelung der
Untersuchung, insbesondere durch Beeinflussung von Personen oder Verwischung
von Spuren (Kollusionsgefahr).

2.4 Der Beschwerdeführer macht (Beschwerde S. 5-9) geltend, es fehle am
dringenden Tatverdacht.
2.4.1 Nach der Rechtsprechung ist es bei der Prüfung des dringenden
Tatverdachts nicht Sache des Bundesgerichts, dem Sachrichter vorgreifend eine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Umstände
vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob genügend konkrete Anhaltspunkte für
eine Straftat und eine Beteiligung des Beschwerdeführers daran vorliegen, die
Untersuchungsbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit
vertretbaren Gründen bejahen durften (BGE 116 Ia 143 E. 3c).
2.4.2 Das Opfer wies am Kopf einen tödlichen Durchschuss auf; ausserdem eine
grosse Quetsch-Risswunde.
Der Beschwerdeführer stritt bei seiner ersten Befragung jede Beteiligung am
Tötungsdelikt ab.
In der Haftrichterverhandlung vom 19. Mai 2009 gab er dann zu, dem Opfer,
nachdem dieses wegzurennen versucht habe, mit seinem - des Beschwerdeführers -
Bruder, B.________ und C.________ nachgestellt zu haben. C.________ habe als
Einziger auf das Opfer eingeschlagen, auch als dieses bereits am Boden gelegen
sei. Er - der Beschwerdeführer - habe dazwischentreten wollen, um C.________
daran zu hindern, weiter auf das Opfer einzuschlagen. In diesem Moment habe er
einen Schuss gehört, den C.________ aus seiner Waffe abgegeben habe.
Der Beschwerdeführer gibt demnach zu, bei der Tat unmittelbar anwesend gewesen
zu sein. Es belasten ihn zudem Aussagen Dritter. So gab der Zeuge D.________
an, der Beschwerdeführer habe auf das bereits am Boden liegende Opfer
eingetreten. Die Waffe habe C.________ getragen. B.________ sagte ebenfalls
aus, der Beschwerdeführer sei am Einschlagen auf das Opfer beteiligt gewesen.
C.________ gab an, er habe die Schusswaffe, mit der das Opfer getötet wurde, im
Auftrag des Beschwerdeführers an seinem Wohnort besorgt. Im Auto auf der Fahrt
von Bern nach Basel habe unter allen Beteiligten Einigkeit bestanden, dass man
das Opfer "richtig zusammenschlagen" wolle. Der Beschwerdeführer habe ihn -
C.________ - angewiesen, in die Luft oder jemandem ins Knie zu schiessen,
"falls in Basel etwas passiert".
An der Kleidung unter anderem des Beschwerdeführers wurden sodann Blutspuren
festgestellt. Wie die Untersuchung ergeben hat, stammen sie vom Opfer.
Beim Beschwerdeführer wäre für die Tatbeteiligung ausserdem ein Motiv
erkennbar, da seine Schwester offenbar - auch am 17. Mai 2009 - unter
häuslicher Gewalt durch ihren Lebenspartner litt. Dies stellt ein Indiz dafür
dar, dass es sich beim Vorgehen gegen das Opfer um eine Racheaktion gehandelt
hat.
Angesichts dieser belastenden Gesichtspunkte besteht offensichtlich der
dringende Verdacht, dass der Beschwerdeführer an der Tat beteiligt war. Welche
Rolle er dabei im Einzelnen gespielt hat und worauf sein Vorsatz gerichtet war,
wird im Strafverfahren zu klären sein. Im Haftprüfungsverfahren ist keine
umfassende Beweiswürdigung vorzunehmen. Es genügt, dass erhebliche
Anhaltspunkte für die Beteiligung des Beschwerdeführers an der Tat gegeben
sind.
Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt unbegründet.

2.5 Der Beschwerdeführer wendet (Beschwerde S. 9-11) ein, es bestehe keine
Kollusionsgefahr.
2.5.1 Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr
soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbrauchen würde,
die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhaltes zu vereiteln oder zu
gefährden. Die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit
kolludieren könnte, genügt indessen nicht, um die Fortsetzung der Haft unter
diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die
Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen. Das Vorliegen des Haftgrundes ist
nach Massgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen (BGE 132 I 21
E. 3.2 mit Hinweisen).
Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung namentlich ergeben aus dem bisherigen
Verhalten des Angeschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen
Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des
untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm
und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine
massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist
auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw.
Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des
Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE 132 I 21 E. 3.2.1 mit Hinwei-sen).
2.5.2 Im vorliegenden Fall ist nach wie vor unklar, welche Tatbeiträge die
Beschuldigten genau geleistet haben. Die Aussagen dazu sind in wesentlichen
Punkten widersprüchlich. Der Beschwerdeführer gibt, wie dargelegt, insbesondere
an, er habe lediglich dazwischentreten wollen, als C.________ auf das Opfer
eingeschlagen habe. Andere Aussagen gehen demgegenüber dahin, alle
Beschuldigten hätten gemeinsam auf das Opfer eingeschlagen. Die Frage, wer
genau welchen Tatbeitrag geleistet hat, wird für die sachrichterliche Würdigung
von entscheidender Bedeutung sein. Es geht um eine Tötung und damit um ein sehr
schweres Delikt. Entsprechend besteht an der Klärung der Sache ein erhöhtes
öffentliches Interesse. Im Falle eines Schuldspruchs muss der Beschwerdeführer
mit einer empfindlichen Strafe rechnen. Es geht für ihn also um viel.
Entsprechend hoch ist der Anreiz für Kollusionshandlungen. Wie sich aus dem
angefochtenen Entscheid ergibt, musste der Beschwerdeführer im Rahmen der
Kontrolle der von ihm in Haft verfassten Briefe zahlreiche Male ermahnt werden,
nicht über das Verfahren zu schreiben. Trotzdem enthielten seine Briefe immer
wieder Aussagen zum Verfahren, insbesondere zu seiner behaupteten Unschuld.
Dies deutet darauf hin, dass er die Adressaten der Briefe zu beeinflussen
suchte. Der Beschwerdeführer ist überdies vorbestraft unter anderem wegen
Vergehens gegen das Waffengesetz und Raufhandels. Dies zeigt, dass er
gegebenenfalls bereit ist, eine Waffe bei sich zu haben und gegen Dritte Gewalt
anzuwenden.
Berücksichtigt man dies gesamthaft, besteht nicht nur die theoretische
Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Haftentlassung auf die sich in
Freiheit befindenden Zeugen einwirken könnte, um sie zu einer für ihn günstigen
Aussage zu veranlassen. Vielmehr bestehen hierfür konkrete Anhaltspunkte. Wenn
die Vorinstanz Kollusionsgefahr bejaht hat, ist das daher nicht zu beanstanden.
Die Beschwerde ist auch insoweit unbegründet.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer richtet sich (Beschwerde S. 10) gegen den
vorinstanzlichen Kostenentscheid. Er macht geltend, es könne nicht gesagt
werden, die Beschwerde an die Vorinstanz sei aussichtslos gewesen. Jedenfalls
begründe die Vorinstanz die angebliche Aussichtslosigkeit nicht hinreichend.

3.2 Der Beschwerdeführer sagt nicht, welche Rechtsnorm die Vorinstanz insoweit
verletzt haben soll. Ob auf die Beschwerde im vorliegenden Punkt eingetreten
werden kann, kann offen bleiben, da sie ohnehin unbehelflich wäre.
Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie den dringenden Tatverdacht
und Kollusionsgefahr bejaht und die Dauer der Haft als verhältnismässig
beurteilt hat. Wenn sie die bei ihr erhobene Beschwerde als aussichtslos
erachtet hat, ist das im Lichte ihrer Erwägungen nicht zu beanstanden. Es
verletzt auch kein Bundesrecht, wenn die Vorinstanz dazu keine längeren
Ausführungen gemacht hat. Der Beschwerdeführer wusste aufgrund der Darlegungen
der Vorinstanz, weshalb diese die unentgeltliche Verteidigung ablehnte. Was
unter Aussichtslosigkeit im Rechtssinne zu verstehen ist (dazu BGE 129 I 129 E.
2.3.1 S. 135 f.), war seinem Anwalt bekannt. Der Beschwerdeführer war daher in
der Lage, den angefochtenen Entscheid auch im Kostenpunkt sachgerecht
anzufechten.

4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann.
Da sie aussichtslos war, kann das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit bald einem halben Jahr in Haft und hat
offenbar Schulden. Es rechtfertigt sich daher, auf die Erhebung von Kosten zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strafgericht Basel-Stadt,
Haftrichter, sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Appellationsgerichtspräsidenten des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. November 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri