Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.2/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_2/2009

Verfügung vom 10. Februar 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Raselli, Einzelrichter,
Gerichtsschreiber Dold.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. René Müller,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 23. Dezember 2008 des Bezirksgerichts
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
X.________ befindet sich seit dem 16. Dezember 2008 in Haft. Er wird
verdächtigt, seiner ehemaligen Freundin A.________ eine einfache
Körperverletzung zugefügt und sie mit dem Tod bedroht zu haben. Ein
Haftentlassungsgesuch des Verdächtigten lehnte der Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom 23. Dezember 2008 ab. Die Fortsetzung
der Untersuchungshaft wurde mit dringendem Tatverdacht und Kollusionsgefahr im
Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4.
Mai 1919 (StPO/ZH; LS 321) begründet.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 5. Januar 2009
beantragte X.________, die Verfügung des Haftrichters sei aufzuheben und er
selbst sei aus der Haft zu entlassen. Mit Vernehmlassung vom 12. Januar 2009
schloss die Staatsanwaltschaft auf Abweisung der Beschwerde. Sie führte aus,
neben dringendem Verdacht auf einfache Körperverletzung und Drohung sei auch
ein solcher auf versuchte Nötigung zu bejahen, denn der Angeschuldigte habe der
Geschädigten mit Selbstmord gedroht, sollte sie Anzeige erstatten. Zudem sei er
ihrer Aufforderung zum Verlassen ihrer Wohnung nicht nachgekommen. Damit sei
auch der dringende Verdacht des Hausfriedensbruchs gegeben. Schliesslich
bestehe neben Kollusionsgefahr auch Ausführungsgefahr bezüglich der
Todesdrohung.

C.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 teilt der Beschwerdeführer mit, er sei am 22.
Januar 2009 aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Es sei davon
auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft damit die Beschwerde anerkannt habe,
und es seien ihr deshalb die Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Der Haftrichter verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft
bestreitet mit Schreiben vom 4. Februar 2009, dass eine Anerkennung vorliege.
Erst nachdem ein psychiatrischer Gutachter am 21. Januar 2009 die
Haftentlassung als vertretbar bezeichnet hatte und die Geschädigte am 22.
Januar 2009 einvernommen worden war, habe der Kollusions- und der
Ausführungsgefahr mit Ersatzmassnahmen begegnet werden können. Die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens seien demnach vom Beschwerdeführer zu tragen.

Erwägungen:

1.
Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist legitimiert, wer
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat, durch die angefochtene Verfügung besonders berührt ist
und über ein aktuelles schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder
Änderung verfügt (Art. 89 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.3 S. 252 f. mit
Hinweisen). Fällt das aktuelle Interesse im Verlaufe des Verfahrens dahin, wird
die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei Beschwerdeeinreichung, ist
auf die Eingabe nicht einzutreten. Vom Erfordernis des aktuellen praktischen
Interesses wird allerdings dann abgesehen, wenn sich die aufgeworfene Frage
jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnte, an
ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes
öffentliches Interesse besteht und eine rechtzeitige verfassungsgerichtliche
Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre (BGE 131 II 670 E. 1.2 S. 674
mit Hinweisen).
An diesen Voraussetzungen fehlt es bei der Mehrzahl der Beschwerden, mit denen
die Verfassungs- und Konventionswidrigkeit der Anordnung oder Erstreckung einer
inzwischen dahingefallenen Untersuchungshaft gerügt wird. Die damit
aufgeworfenen Fragen können sich in der Regel nicht mehr unter gleichen oder
ähnlichen Umständen stellen, da die Zulässigkeit der Untersuchungshaft von den
konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt. Zudem können sie im Normalfall
nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs (Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1
BGG) durch Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht rechtzeitig einer
verfassungsgerichtlichen Überprüfung zugeführt werden. Das Bundesgericht ist
demnach auch nur ganz ausnahmsweise auf Beschwerden eingetreten, bei welchen
das aktuelle praktische Interesse an der Haftprüfung dahingefallen war (BGE 125
I 394 E. 4b S. 397 f. mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall stehen der dringende Tatverdacht, die Kollusions- und die
Ausführungsgefahr in Frage. Der Beschwerdeführer wurde aus der Haft entlassen,
womit das aktuelle Interesse an seiner Haftbeschwerde nachträglich dahinfiel.
Eine Ausnahme, wonach vom Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses
abzusehen wäre, besteht nicht. Das vorliegende Verfahren ist deshalb
abzuschreiben (vgl. Art. 32 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Erklärt das Bundesgericht einen Rechtsstreit als erledigt, entscheidet es
mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor
Eintritt des Erledigungsgrundes (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP).
Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster
Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (BGE 125 V 373 E.
2a S. 374 f.; Urteil 2C_201/2008 vom 14. Juli 2008 E. 2.3; je mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit (Art. 10
Abs. 2 i.V.m. Art. 31 BV, Art. 5 EMRK). Eine Einschränkung dieses Grundrechts
ist zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen
Interesse liegt und verhältnismässig ist; zudem darf sie den Kerngehalt des
Grundrechts nicht beeinträchtigen (Art. 36 BV). Die Untersuchungshaft darf nach
Zürcher Strafprozessrecht nur angeordnet bzw. fortgesetzt werden, wenn der
Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtigt wird und
ausserdem ein besonderer Haftgrund vorliegt (§ 58 Abs. 1 StPO/ZH).
Im Folgenden ist summarisch zu prüfen, ob im Zeitpunkt des Entscheids des
Haftrichters diese Voraussetzungen gegeben waren.

2.2 Gemäss dem angefochtenen Entscheid und dem Antrag der Staatsanwaltschaft
auf Fortsetzung der Untersuchungshaft vom 19. Dezember 2008 soll der
Beschwerdeführer dringend der Drohung verdächtigt sein (Art. 180 StGB). Er habe
die Geschädigte mit dem Tode bedroht, indem er zu ihr gesagt habe: "Ich komme
heute Nacht vorbei und knalle dich ab!" Der Beschwerdeführer bestreitet dies.
Dem angefochtenen Entscheid und der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft vom
12. Januar 2009 ist zu entnehmen, dass sich dieser Vorwurf einerseits auf die
Aussagen der Geschädigten und anderseits auf jene des Beschwerdeführers stützen
lässt. Die Geschädigte belaste den Beschwerdeführer konkret und detailliert.
Der Beschwerdeführer habe ausgesagt, dass er sich selbst umbringen bzw.
erschiessen werde, sollte sie zur Polizei gehen. Damit habe er immerhin
dargetan, dass das Erschiessen ein Thema gewesen sei.
Diese Beurteilung der Glaubhaftigkeit der sich gegenüberstehenden Aussagen des
Beschwerdeführers und der Geschädigten sind nicht zu beanstanden. Der
Haftrichter verletzte kein Verfassungsrecht, wenn er den dringenden Tatverdacht
der Drohung bejahte. Bei der Drohung handelt es sich um ein Vergehen (Art. 180
i.V.m. Art. 10 Abs. 3 StGB). Damit ist der allgemeine Haftgrund von § 58 Abs. 1
StPO/ZH gegeben. Es erübrigt sich somit, auf die Frage des Verdachts auf
weitere Delikte einzugehen.

2.3 Nach Ansicht des Haftrichters bestand Kollusionsgefahr, weil der
Angeschuldigte, auf freien Fuss gesetzt, hätte versucht sein können, durch
Gewalt oder Drohung auf die Geschädigte Einfluss zu nehmen. Der Angeschuldigte
hätte möglicherweise versucht, sie zu falschen Aussagen bzw. zur Rücknahme der
Vorwürfe zu verleiten und auf diese Weise die Untersuchung zu seinen Gunsten zu
beeinflussen.
Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst, oder dass er Spuren
und Beweismittel beseitigt. Für die Annahme von Kollusionsgefahr bedarf es
konkreter Indizien (BGE 132 I 21 E. 3.2 S. 23; 128 I 149 E. 2.1 S. 151; je mit
Hinweisen).
Worauf die konkrete Befürchtung gründete, dass der Beschwerdeführer kolludieren
könnte, wird im angefochtenen Entscheid nicht hinreichend dargelegt. Mit
Verfügung vom 16. Dezember 2008 auferlegte die Stadtpolizei Zürich dem
Beschwerdeführer ein Rayonverbot und ein Kontaktverbot nach § 3 Abs. 2 lit. b
und c des Gewaltschutzgesetzes des Kantons Zürich vom 19. Juni 2006 (GSG; LS
351). Mit Verfügung vom 2. Januar 2009 verlängerte der Haftrichter des
Bezirksgerichts Zürich diese Schutzmassnahmen bis zum 30. März 2009. Es ist
nicht ersichtlich und wird im angefochtenen Entscheid nicht begründet, weshalb
mit einem Rayonverbot und einem Kontaktverbot nach Gewaltschutzgesetz bzw. als
Ersatzanordnung gemäss § 72 StPO/ZH einer allfälligen Kollusionsgefahr nicht
hätte begegnet werden können.

2.4 In ihrer Vernehmlassung vom 12. Januar 2009 führt die Staatsanwaltschaft
aus, der Angeschuldigte habe eingestanden, unter psychischen Problemen zu
leiden, die mit den Auseinandersetzungen mit der Geschädigten zusammenhingen.
Nach seinen eigenen Angaben sei er deshalb seit vergangenem Sommer in
Behandlung. Er habe anerkannt, dass sich die Situation zugespitzt habe. Es sei
deshalb ein Gefährlichkeitsgutachten in Auftrag gegeben worden. Bis zu dessen
Fertigstellung bestehe Ausführungsgefahr bezüglich der Todesdrohungen.
Die Staatsanwaltschaft machte nicht geltend, der Beschwerdeführer habe bereits
zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt (vgl. § 58 Abs. 1 Ziff. 3
StPO/ZH). Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich ihre Ausführungen auf den
Haftgrund der qualifizierten Wiederholungsgefahr ohne Vortaterfordernis von §
58 Abs. 1 Ziff. 4 StPO/ZH beziehen. Dieser Haftgrund verfolgt den Zweck,
Verbrechen und Vergehen zu verhüten; die Haft ist somit überwiegend
Präventivhaft. Da die Präventivhaft einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht
der persönlichen Freiheit darstellt, ist sie nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung nur verhältnismässig, wenn einerseits die Prognose sehr
ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte schwer sind (BGE 133 I
270 E. 2.2 S. 276 mit Hinweisen).
Aus dem Protokoll der Einvernahme vom 8. Januar 2009, auf das sich die
Staatsanwaltschaft bezieht, geht hervor, dass der Beschwerdeführer seit diesem
Sommer psychologische Betreuung in Anspruch nimmt, weil seine Familie unter der
Situation leide. Daraus eine sehr ungünstige Prognose hinsichtlich der Tötung
der Geschädigten herzuleiten, hält vor der Verfassung nicht stand. Die
zitierten Aussagen weisen darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer des
gespannten Verhältnisses zu seiner ehemaligen Freundin und der Auswirkungen auf
sein Umfeld bewusst ist und von sich aus Schritte unternommen hat, um die
Situation zu entspannen.

3.
Es ist demnach anzunehmen, dass die Beschwerde erfolgreich gewesen wäre. Diesem
Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens entsprechend sind keine
Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Es ist gerechtfertigt, in
Anwendung von Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG dem Beschwerdeführer zulasten des
Kantons Zürich für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung zuzusprechen.

Demnach verfügt der Einzelrichter:

1.
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden vom Geschäftsverzeichnis
abgeschrieben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

4.
Diese Verfügung wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft lV des
Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 10. Februar 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:

Raselli Dold