Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.287/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_287/2009

Urteil vom 30. März 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Eusebio, Einzelrichter
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

1. Andreas Zuber, Bezirksstatthalter, Bezirksamt
Kreuzlingen, Hauptstrasse 5, Postfach 1052,
8280 Kreuzlingen,
2. Stefan Haffter, Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft
des Kantons Thurgau, Staubeggstrasse 8,
8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafanzeige, Ausstandsbegehren;
formelle Rechtsverweigerung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 7. September 2009 der Anklagekammer des
Kantons Thurgau, Präsident.
Sachverhalt:

A.
X.________ steht in einem Nachbarschaftsstreit mit Y.________.
Am 17. März 2009 erhob die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, vertreten
durch Staatsanwalt Stefan Haffter, Anklage bei der Bezirksgerichtlichen
Kommission Kreuzlingen gegen X.________ wegen einfacher Körperverletzung. Sie
wirft ihm vor, am 14. September 2006 mehrmals mit der Faust auf Y.________
eingeschlagen und diesen verletzt zu haben. X.________ ist im Strafverfahren
durch einen Anwalt vertreten.
Mit von ihm selber verfasster Eingabe vom 15. Juni 2009 an die Anklagekammer
des Kantons Thurgau erhob X.________ verschiedene Vorwürfe gegen den in dieser
Sache als Untersuchungsrichter amtenden Bezirksstatthalter Andreas Zuber und
Staatsanwalt Haffter. X.________ bezeichnete die Eingabe als "Strafanzeige".
Der Präsident der Anklagekammer behandelte die Eingabe von X.________ als
Ausstandsbegehren und wies es ab.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des
Präsidenten der Anklagekammer sei aufzuheben; der "ursprünglich eingereichte
Strafantrag" vom 15. Juni 2009 sei unverzüglich an die zuständige
Behördenstelle weiterzuleiten zwecks Bearbeitung.
X.________ bringt vor, seine Eingabe vom 15. Juni 2009 stelle eine Strafanzeige
dar. Indem sie der Präsident der Anklagekammer als Ausstandsbegehren behandelt
habe, habe dieser seine verfassungsmässigen Rechte verletzt.

C.
Der Präsident der Anklagekammer hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Er hält dafür, das
Vorbringen des Beschwerdeführers widerspreche Treu und Glauben.
Staatsanwalt Haffter hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Bezirksstatthalter Zuber hat zur Beschwerde Stellung genommen mit dem Antrag,
diese sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne.

D.
X.________ hat eine Replik eingereicht. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1.
1.1 Es braucht nicht näher untersucht zu werden, inwieweit die
Sachurteilsvoraussetzungen im Einzelnen erfüllt sind. Auf die Beschwerde kann
jedenfalls aus folgendem Grund nicht eingetreten werden.
1.2
1.2.1 Am 18. Juni 2009 schrieb der Präsident der Anklagekammer dem
Beschwerdeführer, in materieller Hinsicht entsprächen die Ausführungen in der
Eingabe vom 15. Juni 2009 einem Ausstandsbegehren. Er ersuchte den
Beschwerdeführer, ihm bis zum 24. Juni 2009 mitzuteilen, ob die Eingabe vom 15.
Juni 2009 als Ausstandsbegehren oder Strafanzeige entgegenzunehmen sei. Das
Schreiben des Präsidenten der Anklagekammer wurde dem Beschwerdeführer am 19.
Juni 2009 zugestellt. Dieser äusserte sich in der Folge nicht.
Mit Verfügung vom 2. Juli 2009 stellte der Präsident der Anklagekammer die
Eingabe des Beschwerdeführers vom 15. Juni 2009 Bezirksstatthalter Zuber und
Staatsanwalt Haffter zu, um "zum Ausstandsbegehren" Stellung zu nehmen. Im
Rubrum dieser Verfügung steht fett die Überschrift "Ausstandsverfahren" und in
den Erwägungen legt der Präsident der Anklagekammer dar, die Eingabe vom 15.
Juni 2009 sei als Ausstandsbegehren zu behandeln. Diese Verfügung wurde dem
Beschwerdeführer mitgeteilt.
Mit Vernehmlassung vom 3. Juli 2009 beantragte Staatsanwalt Haffter dem
Präsidenten der Anklagekammer die Abweisung des Ausstandsbegehrens. Er vertrat
die Ansicht, die Vorwürfe des Beschwerdeführers reichten nicht aus, um eine
Voreingenommenheit anzunehmen.
Mit Vernehmlassung vom 7. Juli 2009 beantragte auch Bezirksstatthalter Zuber
dem Präsidenten der Anklagekammer die Abweisung des Ausstandsbegehrens (soweit
darauf eingetreten werden könne). Der Bezirksstatthalter führte aus, es sei
kein Ausstandsgrund gegeben. Das Ausstandsbegehren sei überdies verspätet.
Am 13. Juli 2009 stellte der Präsident der Anklagekammer dem Beschwerdeführer
die Vernehmlassungen von Staatsanwalt Haffter und Bezirksstatthalter Zuber vom
3. bzw. 7. Juli 2009 zu und setzte ihm eine Frist zur Stellungnahme bis zum 24.
Juli 2009 an. Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer am 14. Juli 2009
zugestellt. Der Beschwerdeführer äusserte sich in der Folge wiederum nicht.
1.2.2 Der Beschwerdeführer wusste demnach spätestens seit Anfang Juli 2009,
dass der Präsident der Anklagekammer seine Eingabe vom 15. Juni 2009 als
Ausstandsbegehren behandeln werde. Der Beschwerdeführer erhielt sodann
ausdrücklich Gelegenheit, sich dazu zu äussern. Dies hat er nicht getan. Dieses
Stillschweigen ist ihm als Zustimmung zum Vorgehen des Präsidenten der
Anklagekammer auszulegen ("qui tacet consentire videtur si loqui debuisset ac
potuisset"). Die Parteien sind im Verfahren zu einem Verhalten nach Treu und
Glauben verpflichtet (BGE 130 III 66 E. 4.3 S. 75; 127 III 178 E. 2a S. 179 mit
Hinweisen). Nach diesem Grundsatz wäre der Beschwerdeführer verpflichtet
gewesen, dem Präsidenten der Anklagekammer spätestens, nachdem ihm dieser Frist
zur Einreichung einer Stellungnahme zu den Vernehmlassungen des
Bezirksstatthalters und des Staatsanwalts angesetzt hatte, mitzuteilen, dass
seine Eingabe vom 15. Juni 2009 nicht als Ausstandsbegehren, sondern als
Strafanzeige zu behandeln sei. Es widerspricht Treu und Glauben, wenn der
Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren die Behandlung seiner Eingabe als
Ausstandsbegehren stillschweigend hinnimmt, um der kantonalen Behörde vor
Bundesgericht dann vorzuwerfen, diese Behandlung sei rechtswidrig (vgl. BGE 119
II 386 E. 1a S. 388 mit Hinweisen). Ein derartiges Verhalten verdient keinen
Rechtsschutz.
Auf die Beschwerde wird deshalb - mit einzelrichterlichem Entscheid - nicht
eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. c BGG).

2.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt der Einzelrichter:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Anklagekammer des Kantons Thurgau,
Präsident, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. März 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:

Eusebio Härri