Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.281/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_281/2009

Urteil vom 19. Oktober 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Peter Stein,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.

Gegenstand
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 25. September 2009 des Bezirksgerichtes
Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat erhob am 28. Mai 2009 gegen (den am 8.
Dezember 2008 in Untersuchungshaft versetzten) X.________ Anklage wegen
Drohung, Sachbeschädigung und Widerhandlung gegen das Waffengesetz. Mit
Verfügung vom 24. August 2009 bewilligte der Haftrichter des Bezirksgerichtes
Zürich ein Begehren des Angeklagten um vorzeitigen Strafantritt. Anlässlich der
Hauptverhandlung vom 16. September 2009 ordnete das Bezirksgericht Zürich
Beweisergänzungen durch die Staatsanwaltschaft an. Ein Haftentlassungsgesuch
des Angeklagten vom 17. September 2009 wies der Haftrichter des
Bezirksgerichtes Zürich mit Verfügung vom 25. September 2009 ab.

B.
Gegen den haftrichterlichen Entscheid vom 25. September 2009 gelangte
X.________ mit Beschwerde vom 28. September 2009 an das Bundesgericht. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und seine Haftentlassung.
Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Vernehmlassung vom 6. Oktober 2009 die
Abweisung der Beschwerde, während der Haftrichter auf eine Stellungnahme
verzichtet hat. Der Beschwerdeführer replizierte am 14. Oktober 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen
Vorbemerkungen Anlass.

2.
Strafprozessuale Haft, auch in Form des vorzeitigen Strafvollzuges, setzt unter
anderem den dringenden Tatverdacht eines Vergehens oder Verbrechens voraus (§
51 Abs. 1 i.V.m. § 71a StPO/ZH). Zwar macht der Beschwerdeführer geltend, er
sei nur hinsichtlich des Vorwurfs der Sachbeschädigung geständig. Er bestreitet
jedoch den sich aus der Anklageschrift ergebenden weiteren dringenden
Tatverdacht der Drohung und der Widerhandlung gegen das Waffengesetz nicht in
substanziierter Weise. Er verkennt dabei, dass sich strafprozessuale
Verdachtsgründe (im Sinne von § 58 Abs. 1 StPO/ZH) auch aus polizeilichen
Einvernahmeprotokollen von mutmasslich geschädigten Personen ergeben können.
Die Annahme des dringenden Tatverdachtes eines Vergehens erweist sich
jedenfalls als verfassungskonform (vgl. BGE 124 I 208 E. 3 S. 210; 116 Ia 143
E. 3c S. 146; je mit Hinweisen).
Unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann (vgl. Art. 95
i.V.m. Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG), ist auch die Rüge der Verletzung der Pflicht
zur Motivierung haftrichterlicher Entscheide. Im angefochtenen Entscheid
verweist die Vorinstanz zur näheren Begründung des Tatverdachtes ausdrücklich
und in zulässiger Weise auf die Haftanordnungsverfügung vom 8. Dezember 2008.
Mit der Anklageschrift setzt sich der Beschwerdeführer nur kursorisch
auseinander, mit der haftrichterlichen Verfügung vom 8. Dezember 2008 überhaupt
nicht.

3.
Zur Hauptsache stellt sich der Beschwerdeführer auf folgenden Standpunkt:
Seit 8. Dezember 2008 habe er Untersuchungs- und Sicherheitshaft absolviert.
Zwar sei ihm ab 29. Juli 2009 der vorzeitige stationäre Massnahmenvollzug
bewilligt worden. Nach gut 14 Tagen Klinikaufenthalt sei er jedoch aus dem
Psychiatriezentrum Rheinau ausgeschlossen und in Sicherheitshaft rückversetzt
worden, da er sich nicht an die Hausregeln gehalten habe. Am 24. August 2009
habe das Bezirksgericht Zürich sein Gesuch um vorzeitigen Strafantritt
gutgeheissen. Am 16. September 2009 habe die Hauptverhandlung vor dem
Bezirksgericht stattgefunden, welches Beweisergänzungen angeordnet habe.
Angesichts des Zeitablaufes liege unterdessen Überhaft vor.
Die von der Staatsanwaltschaft beantragten 18 Monate Freiheitsstrafe seien
übermässig hoch. Ausserdem könne er, der Beschwerdeführer, damit rechnen, nach
zwei Dritteln der allfälligen Freiheitsstrafe bedingt aus dem Strafvollzug
entlassen zu werden. Zwar sei die Staatsanwaltschaft vom erkennenden
Strafgericht angehalten worden, die noch ausstehenden Beweisergänzungen
beförderlich durchzuführen; ob sich die Staatsanwaltschaft daran halten werde,
sei im jetzigen Zeitpunkt jedoch völlig offen.
Er bestreite nicht, dass das psychiatrische Gutachten bei ihm eine hohe
Rückfallsgefahr feststelle und eine stationäre Behandlung als indiziert
betrachte. Zutreffend sei auch, dass sich der Haftrichter bei der Prüfung der
Verhältnismässigkeit der Haftdauer im Zusammenhang mit drohenden stationären
Massnahmen an der Therapieprognose zu orientieren habe. Die Vorinstanz verkenne
jedoch, dass sich sein Gesundheitszustand in der Zwischenzeit wesentlich
verbessert habe, sodass entgegen der Auffassung der forensischen Gutachter
keine hohe Rückfallsgefahr mehr bestehe. Vor seinem Gefängnisaufenthalt habe er
neben Heroin und grossen Mengen Alkohol täglich 20 Tabletten eines
Benzodiazepins konsumiert. In der strafprozessualen Haft werde das Heroin durch
eine tägliche Methadongabe substituiert; zusätzlich erhalte er täglich eine
Tablette des Benzodiazepins. Ausserdem habe er sich mit seiner Familie versöhnt
und sei gewillt, nach der Haftentlassung wieder zu arbeiten.
Allerdings sei er "nicht mehr willens, eine stationäre Therapie auf sich zu
nehmen". Es liege hier kein Fall vor, bei dem eine stationäre Behandlung - auch
nur in einer Anfangsphase bzw. als stabilisierende Massnahme - angezeigt sei.
Er, der Beschwerdeführer, sei der festen Überzeugung, dass er künftig delikts-
und drogenfrei werde leben können. Für eine Massnahme sei er nicht geeignet,
und es fehle ihm jegliche Motivation dazu. Er werde "künftig jede Therapie
sabotieren". Die Weiterdauer der Haft sei im Lichte dieser Vorbringen
unverhältnismässig.

3.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene
Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich
abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden.
Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses
Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer
der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung
der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der
untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Richter darf die Haft nur so
lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer
rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der
freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170, 270 E. 3.4.2
S. 281; je mit Hinweisen). Nach der Praxis des Bundesgerichtes könnte nicht
ohne Weiteres von der Höhe einer separat ausgefällten (schuldadäquaten)
Freiheitsstrafe auf die voraussichtliche Dauer der gleichzeitig angeordneten
freiheitsentziehenden Massnahme geschlossen werden (vgl. BGE 126 I 172 E. 5d S.
178). In Fällen wie dem vorliegenden ist die Fortdauer der strafprozessualen
Haft verhältnismässig, wenn aufgrund der Aktenlage mit einer rechtskräftigen
Verurteilung zu einer freiheitsentziehenden Sanktion ernsthaft zu rechnen ist,
deren gesamter Vollzug deutlich länger dauern könnte als die bisherige
strafprozessuale Haft (BGE 126 I 172 E. 5e S. 178; Urteil 1B_165/2009 vom 30.
Juni 2009 E. 4.3).

3.2 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, dass die bisherige Haftdauer von
ca. 9 ½ Monaten noch nicht in grosse Nähe der Sanktion gerückt sei, die dem
mehrfach vorbestraften Angeklagten im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung
drohe. Die von der Staatsanwaltschaft beantragte Freiheitsstrafe von 18 Monaten
erscheine vertretbar. Die Strafobergrenze liege bei 4 ½ Jahren. Ausserdem
verlange die Anklagebehörde den Aufschub der Freiheitsstrafe zugunsten einer
stationären Massnahme (Behandlung von psychischen Erkrankungen und
Suchterkrankungen gemäss Art. 59 und Art. 60 StGB). Dieser Antrag stütze sich
auf das psychiatrisch-forensische Gutachten, welches von einer sehr hohen
Rückfallsgefahr und der Notwendigkeit eine stationären medizinischen Behandlung
ausgehe. Die Experten hielten dafür, dass eine geeignete längerfristige
Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung einen gewissen Erfolg nach sich ziehen und
das sehr hohe Rückfallsrisiko senken könnte. Angesichts des Vorlebens, der
Persönlichkeit und der gutachterlich festgestellten schweren Suchterkrankung
des Angeklagten sei mit hoher Wahrscheinlichkeit von der gerichtlichen
Anordnung einer entsprechenden freiheitsentziehenden Massnahme auszugehen. Dass
der Angeklagte den (mit Verfügung des Amtes für Justizvollzug des Kantons
Zürich vom 29. Juli 2009) bewilligten vorzeitigen Massnahmenvollzug abgebrochen
habe, ändere nichts daran, zumal die gerichtliche Anordnung einer stationären
Massnahme nicht zwingend von der Behandlungsbereitschaft des Angeklagten
abhänge.

3.3 Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, lässt die angefochtene
Verfügung nicht als verfassungswidrig erscheinen. Nach den vorliegenden Akten
muss er im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung mit einer
freiheitsentziehenden Sanktion rechnen, deren gesamter Vollzug die bisherige
strafprozessuale Haftdauer zeitlich klar übersteigen könnte. Auch im Hinblick
auf den allfälligen Vollzug einer Freiheitsstrafe läge hier noch keine Überhaft
vor. In Fällen wie dem vorliegenden bestünde kein Anlass, eine mögliche
bedingte Entlassung aus dem ordentlichen Strafvollzug nach rechtskräftiger
Verurteilung (vgl. Art. 86 Abs. 1 StGB) bereits auf die zulässige
strafprozessuale Haftdauer anzurechnen (vgl. Urteile des Bundesgerichtes 1B_250
/2009 vom 24. September 2009 E. 3.4; 1B_234/2008 vom 8. September 2008 E. 3;
1P.493/2006 vom 5. September 2006 E. 6.1, und die dort zitierte einschlägige
Praxis).

3.4 Die im Zusammenhang mit der Haftdauer ebenfalls noch beiläufig erhobene
Rüge der Verletzung der Begründungspflicht ist nicht ausreichend substanziiert.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
(unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung). Da die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt sind (und sich insbesondere die finanzielle
Bedürftigkeit des schon längere Zeit inhaftierten und amtlich verteidigten
Gesuchstellers aus den Akten ergibt), kann dem Begehren entsprochen werden
(Art. 64 Abs. 1-2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Fürsprecher Peter Stein, wird aus
der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Oktober 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster