Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.268/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_268/2009

Urteil vom 13. Oktober 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Schaerz,

gegen

Staatsanwaltschaft See/Oberland,
Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.

Gegenstand
Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 22. September 2009 des Bezirksgerichts
Uster,
Einzelrichterin in Haftsachen.

Sachverhalt:

A.
X.________ befindet sich seit dem 26. März 2009 in Untersuchungshaft. Es werden
ihm verschiedene Delikte, unter anderem Erpressung, zur Last gelegt. Am 21.
September 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft See/Oberland die Verlängerung
der Untersuchungshaft. Mit Verfügung vom 22. September 2009 gab die
Haftrichterin des Bezirksgerichts Uster dem Antrag wegen Wiederholungsgefahr
statt.

B.
Am 27. September 2009 hat der amtliche Strafverteidiger von X.________ gegen
die Haftverlängerung beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen erhoben. Er
beantragt die Aufhebung der haftrichterlichen Verfügung und die sofortige
Entlassung seines Mandanten aus der Untersuchungshaft. Ferner ersucht er um
unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor Bundesgericht.

C.
Die Haftrichterin hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft See
/Oberland beantragt Beschwerdeabweisung resp. Abweisung des Antrags auf
Haftentlassung. Der Beschwerdeführer hat repliziert.

Erwägungen:

1.
1.1 Der amtliche Strafverteidiger rügt eine Verletzung der strafprozessualen
Verteidigungsrechte. Er macht geltend, vor Erlass der Haftverfügung vom 22.
September 2009 habe er resp. sein Mandant in Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und
Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 5 Ziff. 4, Art. 6 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 3 lit. b
EMRK sowie § 61 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919
(StPO; LS 321) keine Gelegenheit gehabt, sich zum Haftantrag der Staatsanwältin
zu äussern und Einsicht in die Akten zu nehmen.

1.2 Das Haftprüfungsverfahren richtet sich nach den Minimalgarantien von Art.
31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK. Zu diesen Minimalansprüchen gehört das
(durch Art. 31 Abs. 4 i.V.m. Art. 29 Abs. 2 BV geschützte) Recht des
Inhaftierten, sich vor einem strafprozessualen Haftfortsetzungsentscheid zu
Anträgen der Untersuchungs- oder Anklagebehörde vernehmen zu lassen. Das
kantonale Recht kann darüber hinausgehen (BGE 134 I 159 E. 2.1.1 S. 161).
Nach Zürcher Strafprozessrecht gibt der Haftrichter dem Angeschuldigten und
seinem Verteidiger Gelegenheit, sich zu den Vorbringen der Untersuchungsbehörde
zu äussern. Er gewährt ihnen Einsicht in die vom Untersuchungsbeamten
unterbreiteten Akten. Der Angeschuldigte ist auf sein Verlangen persönlich
anzuhören (§ 61 Abs. 1 StPO/ZH). Diese Vorschrift beinhaltet somit drei
Teilgehalte: das Recht auf schriftliche Stellungnahme, das Recht auf
Akteneinsicht und das Recht auf persönliche Anhörung (vgl. ANDREAS DONATSCH,
in: Donatsch/Schmid (Hrsg.), Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons
Zürich, 1996, N. 7 zu § 61). § 61 StPO/ZH ist nicht nur im Verfahren der
erstmaligen Haftanordnung, sondern auch im Haftprüfungsverfahren anwendbar (§
65 Abs. 2 StPO/ZH).

Der Angeschuldigte kann auf die Rechte aus § 61 StPO/ZH verzichten (vgl.
DONATSCH, a.a.O., N. 9 zu § 61 StPO). Jedoch bedeutet der Verzicht auf einen
Teilgehalt von § 61 StPO/ZH, etwa der Verzicht auf persönliche Anhörung vor dem
Haftrichter, nicht notwendigerweise auch ein Verzicht auf Einsicht in die
Haftakten und auf schriftliche Stellungnahme zum Haftantrag der
Staatsanwaltschaft.

1.3 Der amtliche Strafverteidiger schildert den Verfahrensablauf wie folgt:
X.________ habe, ohne mit ihm vorher Rücksprache gehalten zu haben, am 21.
September 2009 auf mündliche Anhörung vor der Haftrichterin zum gleichentags
ergangenen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Fortsetzung der Untersuchungshaft
verzichtet. Die Staatsanwaltschaft habe dies der Haftrichterin ebenfalls
gleichentags mitgeteilt.

Am 22. September 2009 sei seine Anwaltskanzlei vom juristischen Sekretär der
Haftrichterin angefragt worden, ob X.________ noch eine Stellungnahme zum
Antrag auf Haftfortsetzung einreichen wolle. Er, der Strafverteidiger, sei an
diesem Tag aber beruflich abwesend gewesen, weshalb er die Anfrage nicht habe
beantworten können. Dieser Umstand sei dem juristischen Sekretär mitgeteilt
worden. Dennoch habe die Haftrichterin die Fortsetzung der Untersuchungshaft
noch am gleichen Tag bewilligt. Am 23. September 2009 habe er als amtlicher
Strafverteidiger von der Haftverfügung Kenntnis erhalten.

Noch am gleichen Tag habe er die Haftrichterin darauf aufmerksam gemacht, dass
durch die Nichtgewährung der Möglichkeit zur schriftlichen Stellungnahme der
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden sei. Die Haftrichterin habe
eingewendet, sie sei verpflichtet gewesen, innerhalb zweier Tage nach Eingang
des Haftverlängerungsantrags zu entscheiden, und habe ihn, den
Strafverteidiger, auf den Rechtsmittelweg verwiesen.

Diese Sachverhaltsdarstellung wird weder von der Staatsanwaltschaft noch von
der Haftrichterin in Frage gestellt und stimmt mit den gerichtlichen
Aktennotizen überein.

1.4 Dem Gesagten zufolge verzichtete X.________ auf persönliche Anhörung vor
dem Haftrichter. Dieser Verzicht beinhaltete aber nicht auch den Verzicht auf
schriftliche Stellungnahme durch den amtlichen Strafverteidiger. Ein solcher
Verzicht liesse sich aus der Formulierung des Verzichts auf Seite 3 des
Haftantrags ("Ich verzichte ausdrücklich auf eine Anhörung durch den
Haftrichter") jedenfalls nicht ableiten. Die Haftrichterin hätte den Entscheid
über die Anordnung der Untersuchungshaft demzufolge nicht treffen dürfen, ohne
dem Strafverteidiger vorgängig die Gelegenheit eingeräumt zu haben, sich zum
Haftantrag der Staatsanwaltschaft schriftlich zu äussern. Im Übrigen hätte
selbst die Zweitagesfrist zur Fällung des haftrichterlichen Entscheids gemäss §
62 Abs. 2 i.V.m. § 65 Abs. 2 StPO/ZH der Einhaltung des Gehörsanspruchs nicht
entgegengestanden, da der Strafverteidiger des Beschwerdeführers am 23.
September 2009, somit noch vor Ablauf zweier Tage seit dem am 21. September
2009 erstellten Haftverlängerungsantrag, erreichbar gewesen war. Aufgrund der
unterlassenen Einräumung des Rechts auf schriftliche Stellungnahme hat die
Haftrichterin die Rechte des Angeschuldigten aus § 61 Abs. 1 StPO/ZH resp.
dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 31 Abs. 3 und Art. 29 Abs. 2 BV)
verletzt. Die Beschwerde erweist sich als begründet.

2.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, die angefochtene Verfügung aufzuheben
und die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Gesuch
um sofortige Haftentlassung ist abzuweisen. Ausgangsgemäss werden keine
Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Zürich hat den
Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu
entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche
Prozessführung wird gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Verfügung vom 22. September 2009 der
Einzelrichterin in Haftsachen des Bezirksgerichts Uster aufgehoben und die
Sache zu neuem Entscheid an die Einzelrichterin in Haftsachen zurückgewiesen.

2.
Das Haftentlassungsgesuch wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft See/Oberland
und dem Bezirksgericht Uster, Einzelrichterin in Haftsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 13. Oktober 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder