Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.25/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_25/2009

Urteil vom 30. April 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
X.________,
Y.________, vertreten durch Fürsprecher X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Renate Schnell-Binggeli, Oberrichterin, Obergericht
des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern,
Stephan Stucki, Oberrichter, Obergericht des
Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern,
Andreas Weber, Oberrichter, Obergericht des
Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern,
Peter Ziehlmann, Oberrichter, Obergericht des
Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, Postfach 7475, 3001 Bern.

Gegenstand
Ablehnungsersuchen,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 5. Dezember 2008 des Obergerichts des
Kantons Bern.
Sachverhalt:

A.
X.________ und Y.________ erhoben am 21. Juli 2007 eine erste und am 4. Juli
2007 eine zweite Strafanzeige. Die Strafanzeigen richteten sich gegen
A.________, B.________ und C.________ und enthielten Vorwürfe der Verleumdung,
der üblen Nachrede, der falschen Anschuldigung, der Beschimpfung und des
falschen Alarms.
Mit Beschluss des Untersuchungsrichters 1 des Untersuchungsrichteramtes III
Bern-Mittelland und des Prokurators 1 der Staatsanwaltschaft III
Bern-Mittelland vom 17./25. Oktober 2007 wurde auf beide Anzeigen nicht
eingetreten.

B.
Gegen das Nichteintreten auf die Strafanzeigen reichten X.________ und
Y.________ bei der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern Rekurs ein.
In ihrer ergänzenden Replik vom 22. August 2008 brachten X.________ und
Y.________ vor, die Anklagekammer und namentlich Oberrichterin Schnell und die
Oberrichter Weber, Zihlmann und Stucki seien ihnen gegenüber befangen und
hätten zwei oder drei Ausstandsgründe gesetzt. Sie besässen keine andere Wahl,
als den Spruchkörper ab sofort abzulehnen und beim Obergericht den Ausstand zu
verlangen. Sie stellten in Aussicht, in den nächsten 14 Tagen ein schriftliches
Ausstandsgesuch direkt beim Obergericht einzureichen, sofern nichts
Aussergewöhnliches dazwischentrete.
Mit Beschluss vom 2. September 2008 wies die Anklagekammer den Rekurs ab. In
Bezug auf die Ausstandsfrage hielt sie fest, die Rekurrenten hätten bloss und
in zeitlicher Hinsicht erst noch recht unbestimmt ein Ablehnungsgesuch in
Aussicht gestellt. Es bestehe kein Anlass, ein solches abzuwarten, und für eine
Selbstablehnung sei kein Grund ersichtlich (E. 4 S. 20).

C.
Am 8. September 2008 verlangten X.________ und Y.________ beim Obergericht des
Kantons Bern den Ausstand der Anklagekammer als Spruchkörper und der ihr
angehörenden Gerichtspersonen, nämlich der Oberrichterin Schnell und der
Oberrichter Stucki, Weber und Zihlmann.
Das Obergericht trat auf das Ausstandsbegehren mit Entscheid vom 5. Dezember
2008 nicht ein (Ziff.1). Es führte zum einen aus, dass sich Ausstandsbegehren
nicht gegen eine Gerichtsinstanz oder Kammer, sondern immer nur gegen
Gerichtspersonen richten könnten. Zum andern wies es darauf hin, dass die
Beschwerdeführer mit ihrer Eingabe vom 22. August 2008 noch kein
Ausstandsgesuch gestellt hatten, dieses dann am 8. September 2008 und somit in
einem Moment erhoben, als die Anklagekammer ihren Beschluss vom 2. September
2008 bereits getroffen hatte. Das Obergericht auferlegte die Kosten den
Gesuchstellern, weil das Ersuchen - für diese erkennbar - mutwillig gewesen sei
(Ziff. 2). Parteikosten wurden keine zugesprochen (Ziff. 3).

D.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde von X.________ und
Y.________ vom 2. Februar 2009. Diese beantragen die Aufhebung des
angefochtenen Obergerichtsentscheides. Sie machen im Wesentlichen eine formelle
Rechtsverweigerung sowie Verletzungen des rechtlichen Gehörs und des gerechten
Verfahrens sowie des Willkürverbotes geltend. Auf die Begründung im Einzelnen
ist in den Erwägungen einzugehen.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet. Die Beschwerdeführer haben
sich zu diesem Verzicht geäussert. Die abgelehnten Mitglieder der Anklagekammer
haben sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Zulässig ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG. Deren
Behandlung obliegt der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung, womit das gegen
Gerichtsschreiber D.________ von der Strafrechtlichen Abteilung gerichtete
Ausstandsbegehren gegenstandslos ist.

2.
Anfechtungsgegenstand bildet einzig der Entscheid des Obergerichts über das
Ausstandsbegehren der Beschwerdeführer. Da das Obergericht auf dieses nicht
eingetreten ist, steht bloss in Frage, ob dieses Nichteintreten eine formelle
Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV darstellt. Bei dieser
Sachlage und angesichts des Umstandes, dass der Beschluss der Anklagekammer
nicht angefochten worden ist - weder beim Obergericht noch beim Bundesgericht
-, ist nicht zu prüfen, wie es sich unter dem Gesichtswinkel der Garantien von
Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK mit der materiellen Ausstandsfrage im
Verfahren vor der Anklagekammer verhält; es braucht auch nicht beurteilt zu
werden, ob die Anklagekammer vor dem Hintergrund eines fairen Verfahrens auf
die (zeitlich unbestimmte) Ankündigung eines Ausstandsersuchens vom 22. August
2008 hin materiell entscheiden durfte oder mit dem Entscheid noch hätte
zuwarten müssen.
In Bezug auf die Frage der formellen Rechtsverweigerung sind die
Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Soweit sie
sich auf das Verfahren vor der Anklagekammer beziehen, ist auf die Beschwerde
nicht einzutreten.

3.
Das Obergericht ist, wie dargetan, auf das Ausstandsersuchen der
Beschwerdeführer nicht eingetreten. Es ist zu prüfen, ob sein Entscheid vor dem
Verbot der formellen Rechtsverweigerung standhält. Eine solche liegt vor, wenn
eine Behörde ein ordnungsgemäss eingereichtes Begehren nicht prüft und darauf
nicht eintritt.
Das Obergericht hat ausgeführt, dass die Beschwerdeführer ihr Ersuchen am 8.
September 2008 einreichten und dass zu diesem Zeitpunkt der Entscheid der
Anklagekammer vom 2. September 2008 bereits ergangen war. Es durfte ohne
Verletzung des Willkürverbotes annehmen, dass die an die Anklagekammer
gerichtete Ankündigung vom 22. August 2008 gegenüber dem Obergericht noch kein
förmliches Ausstandsgesuch darstellte und das eigentliche Begehren erst am 8.
September 2008 eingereicht worden ist. Bei dieser Sachlage erscheint es nicht
willkürlich, dass das Obergericht in Anbetracht des Anklagekammerbeschlusses
auf das Begehren der Beschwerdeführer nicht eingetreten ist. Daran vermögen
deren Ausführungen nichts zu ändern. Im Vorgehen des Obergerichts kann darüber
hinaus weder eine Verletzung des Anspruchs auf ein gerechtes Verfahren noch
eine Missachtung des rechtlichen Gehörs erblickt werden. Daran vermag auch die
Berufung auf Art. 35 Abs. 2 BV und Art. 27 Abs. 2 KV/BE nichts zu ändern.
Demnach erweist sich die Beschwerde in diesem Punkte als unbegründet.

4.
Das Obergericht hat den Beschwerdeführern unter Hinweis auf Art. 37 Abs. 2 des
bernischen Strafverfahrens (StrV; Gesetzessammlung 321.1) die Verfahrenskosten
auferlegt. Danach werden die Kosten eines Ausstandsverfahrens im Falle der
Abweisung der Partei auferlegt, wenn diese mutwillig oder grobfahrlässig
gehandelt hat. Die Beschwerdeführer rügen in dieser Hinsicht eine Verletzung
des Willkürverbots.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer im Zeitpunkt ihres
Begehrens am 8. September 2008 noch nicht Kenntnis vom Beschluss der
Anklagekammer vom 2. September 2008 hatten (Eingangsstempel im Exemplar der
Beschwerdeführer vom 19. September). Insoweit lässt sich die Kostenauflage
nicht auf Art. 37 Abs. 3 StrV abstützen. Das Obergericht legt nicht dar, worin
im Verhalten der Beschwerdeführer Mutwilligkeit oder Grobfahrlässigkeit zu
erblicken sei. Die Kostenauflage nach Art. 37 Abs. 2 StrV lässt sich nicht
damit begründen, dass die Beschwerdeführer gegenüber der Anklagekammer vorerst
ein Ausstandsbegehren lediglich ankündeten und dieses erst hernach förmlich
beim Obergericht einreichten. Mangels materieller Behandlung des
Ausstandsbegehrens kann nicht gesagt werden, die Beschwerdeführer hätten ihr
Gesuch aus unzulänglichen Gründen und damit mutwillig oder grobfahrlässig
erhoben.
Bei dieser Sachlage hält die Kostenauflage vor Art. 9 BV nicht stand. In Bezug
auf Dispositiv-Ziffer 2 erweist sich die Beschwerde als begründet.
Die Beschwerdeführer legen nicht dar, weshalb die Verweigerung von Parteikosten
gemäss Dispositiv-Ziffer 3 des angefochtenen Entscheides gegen die Verfassung
verstossen sollte. Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

5.
Demnach ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und Dispositiv-Ziffer 2 des
angefochtenen Entscheides aufzuheben. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen,
soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist den Beschwertdeführern eine reduzierte
Gerichtsgebühr aufzuerlegen und ist ihnen eine reduzierte Parteientschädigung
zuzusprechen (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und Dispositiv-Ziffer 2 des
Entscheides des Obergerichts des Kantons Bern vom 5. Dezember 2008 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Der Kanton Bern hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, Oberrichterin Schnell-Binggeli und
den Oberrichtern Stucki, Weber und Zihlmann sowie dem Obergericht des Kantons
Bern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. April 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann