Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.257/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_257/2009

Urteil vom 3. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Martin Häuselmann,

gegen

Gerichtskreis VIII Bern-Laupen, Strafabteilung, Gerichtspräsident 13,
Hodlerstrasse 7, 3011 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ablehnung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 15. Juli 2009
des Obergerichts des Kantons Bern, Anklagekammer.

Sachverhalt:

A.
Beim Gerichtspräsidenten 13 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen (im Folgenden:
Gerichtspräsident) ist ein Strafverfahren gegen X.________ wegen
Steuerhinterziehung hängig.

An der Hauptverhandlung vom 25. März 2009 bestritt X.________ die bernische
Gerichtsbarkeit. Der Gerichtspräsident brach darauf die Verhandlung ab und
überweis die Akten der Generalprokuratur des Kantons Bern zum Entscheid.

Mit Beschluss vom 27. März 2009 bejahte der Stellvertretende Generalprokurator
die Gerichtsbarkeit des Kantons Bern.

Dagegen erhob X.________ Beschwerde beim Bundesstrafgericht. Mit Entscheid vom
17. April 2009 trat dieses darauf nicht ein. Es liess offen, ob der Entscheid
des Stellvertretenden Generalprokurators beim Bundesstrafgericht angefochten
werden könne, da der Beschwerdeführer die örtliche Zuständigkeit der Berner
Behörden jedenfalls zu spät bestritten habe.

Gegen den Beschluss des Stellvertretenden Generalprokurators führte X.________
auch Beschwerde in Strafsachen beim Bundesgericht.

Dazu reichte der Gerichtspräsident beim Bundesgericht am 13. Mai 2009 eine
Vernehmlassung ein mit dem Antrag, die Beschwerde und das Gesuch um
aufschiebende Wirkung seien abzuweisen. Der Gerichtspräsident äusserte sich zum
Gesuch um aufschiebende Wirkung unter anderem wie folgt:
"Tatsache ist, dass es um die Festlegung von Steuern aus den Jahren 1989-1994
geht. Von Gesetzes wegen tritt die Verjährung spätestens 15 Jahre nach Ablauf
der jeweiligen Steuerperiode ein. Klar ist damit, dass sich der
Beschwerdeführer mit seinem Vorgehen in die Verjährung 'retten' will."
Das Bundesgericht trat in der Folge mit Urteil vom 18. Juni 2009 auf die
Beschwerde in Strafsachen nicht ein (1B_107/2009).

B.
Am 5. Juni 2009 stellte X.________ gegen den Gerichtspräsidenten ein
Ablehnungsgesuch. Er machte geltend, mit der dargelegten Äusserung in der
Vernehmlassung vom 13. Mai 2009 erwecke der Gerichtspräsident den Anschein der
Befangenheit.
Mit Verfügung vom 8. Juni 2009 leitete der Gerichtspräsident die Akten an die
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern zum Entscheid weiter. Dabei
bestritt er jede Befangenheit, räumte aber ein, der Wortlaut in seiner
Vernehmlassung an das Bundesgericht müsse als "ungünstig" bezeichnet werden.
Damit habe ein gewisser Ärger über den Verfahrensablauf zum Ausdruck gebracht
werden sollen.

Mit Beschluss vom 15. Juli 2009 wies die Anklagekammer das Ablehnungsgesuch ab.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss der
Anklagekammer sei aufzuheben und das Ablehnungsgesuch gutzuheissen.

D.
Die Anklagekammer hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Der Gerichtspräsident hat Gegenbemerkungen eingereicht, ohne einen förmlichen
Antrag zu stellen.

X.________ hat dazu Stellung genommen. Er hält an seinem Antrag fest.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Beschluss ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.

Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist daher
nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig.

Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur
Beschwerde befugt.

Beim angefochtenen Beschluss handelt es sich um einen selbstständig eröffneten
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren. Dagegen ist die Beschwerde gemäss
Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Beschluss verletze Art. 30 Abs.
1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

2.2 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch
darauf, dass ihre Strafsache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und
unparteiischen Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine
sachfremden Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger
Weise zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil
einwirken. Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess
erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein
gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters
wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den
Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen
vermögen.
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen
und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten ergeben, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Diese können
namentlich in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters begründet
sein. Bei dessen Beurteilung ist nicht auf das subjektive Empfinden einer
Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in
objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die
bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit
erwecken. Für die Ablehnung wird nicht verlangt, dass der Richter tatsächlich
befangen ist.

Der Anschein der Befangenheit kann durch unterschiedlichste Umstände und
Gegebenheiten erweckt werden. Dazu können nach der Rechtsprechung insbesondere
während eines Prozesses abgegebene Äusserungen eines Richters zählen, die den
Schluss zulassen, dass sich dieser bereits eine feste Meinung über den Ausgang
des Verfahrens gebildet hat (BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240 mit Hinweisen).

2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, der Gerichtspräsident erwecke mit der
Äusserung, der Beschwerdeführer wolle sich mit seinem Vorgehen in die
Verjährung "retten", den Anschein der Befangenheit. Dasselbe gelte für die
Äusserung des Gerichtspräsidenten, damit habe er einen gewissen Ärger über den
Verfahrensablauf zum Ausdruck gebracht.

Steht der Eintritt der Verjährung unmittelbar bzw. kurze Zeit bevor, dürfte es
allgemeiner Erfahrung entsprechen, dass beim Ergreifen prozessualer
Rechtsbehelfe wie dem Einlegen eines Rechtsmittels oder dem Erheben von
(Unzuständigkeits-)Einreden, die geeignet sind, den materiellen Entscheid
hinauszuzögern, die Überlegung, dass der Anspruch verjähren könnte, oft
mitspielt. Indessen ist - unter Vorbehalt offenbaren Rechtsmissbrauchs -
taktisch motiviertes Prozessieren nichts Unzulässiges. Dem Beschuldigten - wie
vorliegend - zu unterstellen, sich mit seinen prozessualen Vorkehren in die
Verjährung "retten" zu wollen, d.h. damit ausschliesslich oder doch in erster
Linie auf den Eintritt der Verjährung zu spekulieren, mag zwar insoweit heikel
sein, als eine solche Vermutung in der Regel nicht beweisbar ist. Immerhin war
das Bundesstrafgericht, an welches sich der Beschwerdeführer zunächst gewandt
hatte, auf dessen Beschwerde wegen rechtsmissbräuchlichen Zuwartens nicht
eingetreten. Wie dem auch sei, äusserte sich in der sinngemässen Vermutung, auf
den Eintritt der Verjährung spekulierend zu prozessieren, weder eine
Voreingenommenheit des Gerichtspräsidenten in Bezug auf die materielle
Rechtslage, noch kommt darin eine moralische Abwertung des Beschwerdeführers
zum Ausdruck. Die beanstandete Äusserung ist daher nicht geeignet, den
Gerichtspräsidenten, sei es mit Blick auf die Beurteilung der materiellen
Frage, sei es mit Blick auf die Person des Beschwerdeführers, als
voreingenommen bzw. befangen erscheinen zu lassen.

Nichts anderes gilt für den Umstand, dass der Gerichtspräsident mit der
erwähnten Äusserung nach eigenem Bekunden einen gewissen Ärger über den
Verfahrensablauf zum Ausdruck gebracht hat. Aufgabe des Richters ist es, ein
Verfahren innert angemessener Zeit mit einer materiellen Entscheidung zum
Abschluss zu bringen. Es ist nur natürlich, dass der Richter, der seine
entsprechenden Bemühungen durchkreuzt wähnt, enttäuscht ist und sich darüber
ärgert. Auch wenn es opportun wäre, den Ärger für sich zu behalten, so lässt
allein dessen Bekunden den Richter nicht als in der Sache voreingenommen
erscheinen.

2.4 Einen weiteren Befangenheitsgrund erblickt der Beschwerdeführer im Umstand,
dass der Gerichtspräsident gesagt habe, das Verfahren allein gestützt auf das
Gutachten und die Bemerkungen des Staatsanwalts zu beurteilen. Dazu erwog die
Vorinstanz, der Gerichtspräsident habe nicht ausgeführt, er werde das Verfahren
ausschliesslich aufgrund des Gutachtens und der Bemerkungen des Staatsanwalts
entscheiden. Vielmehr habe er im Rahmen der Vernehmlassung vom 13. Mai 2009 zum
Gesuch um aufschiebende Wirkung unter anderem darauf hingewiesen, dass im Fall
der vom Beschwerdeführer angekündigten Aussageverweigerung bei einer
Fortsetzung des Verfahrens diesem kein Nachteil drohe, da dessen Stellungnahme
in anderen Beweismitteln hinreichend zum Ausdruck komme (angefochtener
Beschluss E. 7.3).

Massgebend ist der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt (Art. 105 Abs.
1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer
Rechtsverletzung (Art. 97 Abs. 1 BGG). Letzteres macht der Beschwerdeführer
nicht hinreichend substanziiert geltend (zu den Begründungsanforderungen
insoweit BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.). Ausgehend vom von der Vorinstanz
festgestellten Sachverhalt ist unerfindlich, was daran geeignet sein sollte,
den Gerichtspräsidenten als befangen erscheinen zu lassen.

3.
Die Beschwerde ist damit abzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art.
66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri