Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.249/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_249/2009

Urteil vom 15. September 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Pfäffli.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Braun,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach 2251, 8026 Zürich.

Gegenstand
Fortsetzung Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen die Verfügungen vom 29. August und 2. September 2009 des
Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter.
Sachverhalt:

A.
Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich verfügte am 29. August 2009 unter
Hinweis auf den Antrag der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 25.
August 2009 die Fortsetzung der Untersuchungshaft gegen X.________ bis zum 5.
Oktober 2009.

B.
Mit Schreiben vom 1. September 2009 ersuchte der Verteidiger von X.________ den
Haftrichter um Aufhebung der Verfügung vom 29. August 2009, da ihm der Antrag
der Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 25. August 2009 nicht zur
Stellungnahme zugestellt worden sei. Der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich
wies mit Verfügung vom 2. September 2009 den Antrag auf Aufhebung der
Haftrichterverfügung vom 29. August 2009 und neuer Fristansetzung ab. Zur
Begründung führte er zusammenfassend aus, dass dem Verteidiger zufolge eines
Kanzleiversehens die Verfügung vom 26. August 2009 tatsächlich nicht per Fax
zugestellt worden sei (der Fax ging fälschlicherweise ans Gefängnis Meilen) und
demnach bis Fristablauf am 28. August 2009 seitens des Verteidigers auch keine
Stellungnahme habe eingereicht werden können. Der Entscheid des Haftrichters
vom 29. August 2009 sei daher ohne Stellungnahme des Verteidigers aufgrund der
Akten getroffen worden, was grundsätzlich einen Verfahrensmangel darstelle. Der
Entscheid sei deswegen jedoch nicht nichtig; dem Angeschuldigten stehe ja ein
Rechtsmittel gegen jenen Entscheid offen.

C.
X.________ führt gegen die Verfügungen des Haftrichters des Bezirksgerichts
Zürich vom 29. August 2009 und 2. September 2009 mit Eingabe vom 8. September
2009 Beschwerde in Strafsachen. Er ersucht um Aufhebung der angefochtenen
Verfügungen.
Das Bundesgericht verzichtet auf die Einholung von Vernehmlassungen.
Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei
verletzt worden, weil er den Antrag der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich vom 25. August 2009 auf Verlängerung der Untersuchungshaft und die
Verfügung vom 26. August 2009 betreffend Fristansetzung zur Abgabe einer
Stellungnahme nicht erhalten habe.

1.1 Aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt sich der Anspruch der Verfahrenspartei, in
alle für den Entscheid wesentlichen Akten Einsicht zu nehmen und sich dazu zu
äussern (BGE 129 I 85 E. 4.1 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK verleiht
der Anspruch auf ein faires Verfahren den Parteien das Recht, von sämtlichen
dem Gericht eingereichten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis zu erhalten
und zu diesen Stellung zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese neue
erhebliche Gesichtspunkte enthalten. Es obliege den Parteien, zu entscheiden,
ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen anbringen oder nicht (BGE 133 I 100 E. 4.3
S.102).

1.2 Im vorliegenden Fall ist dem Beschwerdeführer der Antrag der
Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich vom 25. August 2009 sowie die
Verfügung vom 26. August 2009 betreffend Fristansetzung zur Abgabe einer
Stellungnahme aufgrund eines Kanzleiversehens nicht zugestellt worden. Der
Beschwerdeführer hatte somit keine Gelegenheit, vor dem Entscheid des
Haftrichters zur beantragten Fortsetzung der Haft Stellung zu nehmen. Dadurch
hat der Haftrichter mit seiner Verfügung vom 29. August 2009 Art. 29 Abs. 2 und
Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt. Die Verfügung des Haftrichters vom 29. August
2009 ist daher aufzuheben und die Sache zum neuen Entscheid an diesen
zurückzuweisen.

1.3 Mit der Aufhebung der Verfügung des Haftrichters vom 29. August 2009 wird
die gegen die Verfügung vom 2. September 2009 gerichtete Beschwerde
gegenstandslos.

2.
Der Beschwerdeführer obsiegt zur Hauptsache. Kosten werden keine erhoben (Art.
66 Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird - soweit sie sich gegen die Verfügung des Haftrichters des
Bezirksgerichts Zürich vom 29. August 2009 richtet - gutgeheissen, die
Verfügung des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 29. August 2009
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an diesen zurückzuweisen.
Die Beschwerde wird - soweit sie sich gegen die Verfügung des Haftrichters des
Bezirksgerichts Zürich vom 2. September 2009 richtet - als gegenstandslos
geworden abgeschrieben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Zürich hat den Verteidiger des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt
Markus Braun, für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu
entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich, Gewaltdelikte und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 15. September 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Pfäffli