Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.243/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_243/2009

Urteil vom 14. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Raselli,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Parteien
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Martin Neese,

gegen

Iris Studer-Milz, Obergerichtspräsidentin,
Obergericht des Kantons Zug, Aabachstrasse 3,
Postfach 760, 6301 Zug,
Erhard Lanz, Oberrichter, Obergericht des Kantons Zug, Aabachstrasse 3,
Postfach 760, 6301 Zug,
Urs Falk, Ersatzoberrichter, Obergericht
des Kantons Zug, Aabachstrasse 3, Postfach 760,
6301 Zug.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 2. September 2009 des Obergerichts des
Kantons Zug,
Strafrechtliche Abteilung.
Sachverhalt:

A.
Das Strafgericht des Kantons Zug verurteilte Rechtsanwalt A.________ am 18.
Dezember 2006 wegen qualifizierter Geldwäscherei zu neun Monaten Gefängnis und
zu einer Busse von Fr. 20'000.--. Es erachtete A.________ schuldig im
Zusammenhang mit einem Check über 1 Million DEM und einem weitern Check über 2
Millionen DEM. In Bezug auf einen dritten Check über rund 1,2 Millionen DEM
sprach es ihn vom Vorwurf der qualifizierten Geldwäscherei frei.
Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zug am
29. Oktober 2008 den erstinstanzlichen Schuldspruch. Überdies hob es den
erstinstanzlichen Freispruch auf und sprach A.________ auch in diesem Punkte
der qualifizierten Geldwäscherei schuldig. Es verurteilte diesen zu einer
Freiheitsstrafe von 10 Monaten und zu einer unbedingten Geldstrafe von 60
Tagessätzen zu Fr. 400.--.
A.________ focht dieses Urteil beim Bundesgericht an. Mit Urteil vom 10. Juni
2009 wurde die Beschwerde teilweise gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an das Obergericht zurückgewiesen.
Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts bejahte eine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Obergericht den Beschuldigten nicht
darauf aufmerksam gemacht hatte, dass es den Freispruch des Strafgerichts
überprüfe, möglicherweise zu einem weitern Schuldspruch gelange und daher
allenfalls eine höhere Strafe ausspreche (Urteil 1B_999/2008 vom 10. Juni
2009).

B.
Im Hinblick auf die Wiederaufnahme des Verfahrens setzte das Obergericht die
Hauptverhandlung auf den 15. September 2009 an. Am 17. August 2009 ersuchte
A.________ um den Ausstand von Obergerichtspräsidentin Iris Studer-Milz,
Oberrichter Erhard Lanz sowie Ersatzrichter Urs Falk, welche das nunmehr
aufgehobene Urteil vom 29. Oktober 2008 gefällt hatten. Er verlangte für den
neu zu treffenden Entscheid des Obergerichts eine neue Besetzung.
Mit Beschluss vom 2. September 2009 wies die strafrechtliche Abteilung des
Obergerichts das Ausstandsbegehren ab.

C.
Gegen diesen Beschluss hat A.________ beim Bundesgericht am 7. September 2009
Beschwerde in Strafsachen erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides, die Gutheissung des Ausstandsgesuches hinsichtlich der drei
genannten Justizpersonen und die Anweisung, die Strafrechtliche Abteilung des
Obergerichts für die Beurteilung seiner Strafsache mit andern Oberrichtern zu
besetzen. Er rügt eine Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK.
Die abgelehnten Justizpersonen haben die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. In seiner Replik nimmt
der Beschwerdeführer Bezug auf die eingegangenen Stellungnahmen und hält an
seinen Anträgen fest. Oberrichter Lanz äusserte sich erneut. In der Folge sind
keine weitern Stellungnahmen mehr eingegangen.
Mit Verfügung vom 9. September 2009 ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung
bzw. um Erlass vorsorglicher Massnahmen abgewiesen worden.

Erwägungen:

1.
Die Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die
Beschwerde in Strafsachen kann eingetreten werden.

2.
Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf,
dass ihre Sache von einem unbefangenen, unvoreingenommenen und unparteiischen
Richter beurteilt wird. Es soll garantiert werden, dass keine sachfremden
Umstände, welche ausserhalb des Prozesses liegen, in sachwidriger Weise
zugunsten oder zulasten einer Partei auf das gerichtliche Urteil einwirken.
Art. 30 Abs. 1 BV soll zu der für einen korrekten und fairen Prozess
erforderlichen Offenheit des Verfahrens im Einzelfall beitragen und damit ein
gerechtes Urteil ermöglichen. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters
wird verletzt, wenn bei objektiver Betrachtung Gegebenheiten vorliegen, die den
Anschein der Befangenheit oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen
vermögen. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei
abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss in objektiver
Weise begründet erscheinen. Der Ausstand im Einzelfall steht in einem gewissen
Spannungsverhältnis zum Anspruch auf den gesetzlichen Richter und muss daher
die Ausnahme bleiben (BGE 134 I 238 E. 2.1 S. 240; 131 I 113 E. 3.4 S. 116; 114
Ia 50 E. 3 S. 53 ff. mit Hinweisen).
Voreingenommenheit und Befangenheit in diesem Sinne werden nach der
Rechtsprechung angenommen, wenn sich im Einzelfall anhand aller tatsächlichen
und verfahrensrechtlichen Umstände Gegebenheiten ergeben, die geeignet sind,
Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Solche können in
einem bestimmten Verhalten des Richters oder in äusseren Gegebenheiten
allenfalls funktioneller oder organisatorischer Natur begründet sein. Eine
gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in das Gericht
kann bei den Parteien namentlich dann entstehen, wenn einzelne Gerichtspersonen
in einem früheren Verfahren mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst
waren. In solchen als sogenannte Vorbefassung bezeichneten Fällen stellt sich
die Frage, ob sich der Richter durch seine Mitwirkung an früheren
Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, die
ihn nicht mehr als unvoreingenommen und dementsprechend das Verfahren als nicht
mehr offen erscheinen lassen. Wegen der früheren Mitwirkung kann allenfalls
"Betriebsblindheit" in dem Sinne befürchtet werden, dass der Richter im
späteren Verfahren seine Erwartungen in seine Fragen projiziert, die Antworten
auf diese Fragen im Sinne seiner Erwartungen interpretiert und vor allem Fragen
nicht sieht, die der unbefangene Richter sehen und stellen würde (BGE 131 I 113
E. 3.4 S. 116; 114 Ia 50 E. 3d S. 57 ff. mit Hinweisen).
Ob eine unzulässige, den Verfahrensausgang vorwegnehmende Vorbefassung eines
Richters vorliegt, kann nicht generell gesagt werden. Es ist in jedem
Einzelfall vor dem Hintergrund der spezifischen Konstellation anhand aller
tatsächlichen und verfahrensrechtlichen Umstände zu untersuchen, ob die konkret
zu entscheidende Rechtsfrage trotz Vorbefassung als noch offen erscheint (BGE
131 I 113 E. 3.4 S. 116; 114 Ia 50 E. 3d S. 57 ff. mit Hinweisen).

3.
Das Bundesgericht hat das Urteil des Obergerichts vom 29. Oktober 2008
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückgewiesen. Es
stellt sich unter dem Gesichtswinkel von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1
EMRK die Frage, ob die am aufgehobenen Urteil beteiligten Justizpersonen die
Strafsache erneut beurteilen dürfen.

3.1 Die Rückweisung der Sache an die schon vorher befassten Richter stellt eine
spezifische Form der Vorbefassung dar (vgl. BGE 131 I 113 E. 3.6 S. 120; 114 a
50 E.3d S. 58). Sie wird im Allgemeinen ohne Weiteres als verfassungsrechtlich
zulässig erachtet. Es wird angenommen und erwartet, dass das erneut befasste
Gericht den neuen Entscheid, allenfalls unter Beachtung der oberinstanzlichen
Erwägungen, unbefangen trifft und die erforderliche Offenheit des Verfahrens
gewährleistet ist. Dementsprechend sind Verfassungsverletzungen verneint worden
(vgl. BGE 113 Ia 407 E. b S. 410; 116 Ia 28 E. 2a S. 30; Urteil 1C_205/ 2009
vom 9. Juli 2009; vgl. Regina Kiener, Richterliche Unabhängigkeit, 2001, S.
172).
Diese Rechtsprechung schliesst es indes nicht aus, dass gestützt auf die
konkreten Umstände in der Rückweisung an dieselben Richter eine Gefahr erblickt
wird, das Verfahren sei nicht mehr offen und die Justizpersonen erweckten den
Anschein der Voreingenommenheit. Im Urteil BGE 116 Ia 28 bejahte das
Bundesgericht die Befangenheit der Richter. Ausschlaggebend hierfür war, dass
das unterinstanzliche Gericht in antizipierter Beweiswürdigung zum Schluss
gekommen war, ein bestimmtes Zeugnis vermöge an der gerichtlichen Überzeugung
der Schuld nichts zu ändern, dass einer solchen Überzeugung in einem
Indizienprozess besondere Bedeutung zukommt und dass die Richter aus dieser
Situation heraus sich selber als voreingenommen betrachteten. Bei dieser
Sachlage war zu befürchten, diese könnten eine ergänzende Zeugenbefragung nicht
mehr unvoreingenommen würdigen. Eine vergleichbare Situation führte im Urteil
1P.591/2005 vom 2. November 2005 E. 3 zu einer Bejahung der Befangenheit der
abgelehnten Richter. Ein Richter, der eine feste Auffassung zum Ausdruck
brachte und aus dieser Haltung weitere Beweiserhebungen von vornherein für
überflüssig hielt, ist im Urteil 1P.434/1995 vom 10. Oktober 1995 als
voreingenommen betrachtet worden. Schliesslich erblickte das Bundesgericht im
Urteil 1B_270/2007 vom 21. Juli 2009 in dem vom Wissen der Richter getragenen
Umstand, dass der Beschuldigte nicht hinreichend verteidigt war, ein objektiv
begründetes Indiz, das Gericht sei auch bei hinreichender Verteidigung nicht
mehr offen und genüge daher den verfassungsmässigen Anforderungen nicht mehr.

3.2 Der vorliegende Fall ist mit den eben genannten Konstellationen nicht
vergleichbar. Es liegen keine Umstände vor, die - wie antizipierte
Beweiswürdigungen - bei objektiver Sicht eine konkrete Voreingenommenheit der
abgelehnten Richter hinsichtlich des relevanten Sachverhalts befürchten
liessen. Dem Urteil der strafrechtlichen Abteilung vom 10. Juni 2009 kann
entnommen werden, dass die Überprüfung durch das Obergericht hinsichtlich des
Punktes, in dem das Strafgericht den Beschwerdeführer freisprach, in Anbetracht
von kantonaler Strafprozessordnung und Praxis vor der Verfassung standhielt. Es
kann demnach nicht gesagt werden, die "Aufhebung eines Freispruchs aus eigenem
Antrieb" bringe im Sinne einer "felsenfesten Überzeugung der Schuld" des
Beschwerdeführers Voreingenommenheit zum Ausdruck. Allein der Umstand, dass das
Obergericht den Beschwerdeführer nicht auf die drohende reformatio in pejus
hingewiesen hatte und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehörs verletzte,
lässt im Hinblick auf die Neubeurteilung keine Befangenheit befürchten. Es ist
nicht von Bedeutung, dass das Obergerichtsurteil wegen einer
Verfassungsverletzung und nicht "bloss" wegen einer Gesetzesverletzung
aufgehoben worden ist. Ferner kann das Vorgehen bei der Wiederaufnahme mit
Blick auf die Richtergarantie nicht beanstandet werden. Der Beschwerdeführer
erhielt vorerst Gelegenheit, zum Vorwurf der Anklageschrift hinsichtlich des
dritten Checks schriftlich Stellung zu nehmen. Das kann nicht als unsachgemäss
betrachtet werden. Die Anklageschrift lag schon weit zurück, und das
Prozessrecht erlaubte es ohne Weiteres, eine Berufungsverhandlung zu verlangen,
von welcher Möglichkeit der Beschwerdeführer denn auch Gebrauch machte.
Schliesslich ist nach der Rechtsprechung nicht ausschlaggebend, ob mit der
Aufhebung durch die obere Instanz eigentliche Leitlinien verbunden werden oder
ob, wie oftmals im Falle der Verletzung des rechtlichen Gehörs, davon abgesehen
und dem Gericht bei der Neubeurteilung ein weiter Spielraum eingeräumt wird
(Urteil 1C_205/2009 vom 2. Juli 2009; anderer Auffassung Kiener, a.a.O., S.
173).
Bei dieser Sachlage sind aus objektiver Sicht keine Anhaltspunkte ersichtlich,
welche die abgelehnten Justizpersonen im Hinblick auf die Neubeurteilung der
Strafsache als voreingenommen erscheinen lassen könnten. Es ist davon
auszugehen, dass der Beschwerdeführer seinen Standpunkt anlässlich der neuen
Berufungsverhandlung zum Ausdruck bringen kann, dass er tatsächlich gehört wird
und dass das Obergericht in der bisherigen Besetzung unter Berücksichtigung der
Berufungsverhandlung unvoreingenommen im Sinne der Rechtsprechung ein neues
Urteil fällt. Demnach kann nicht gesagt werden, dem Verfahren fehle die von
Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK geforderte Offenheit. Daran ändert
der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer aus seiner subjektiven Sicht die
Unbefangenheit der abgelehnten Besetzung in Frage zieht.
Demnach erweist sich die Rüge der Verletzung von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK als unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die
bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, Iris Studer-Milz, Erhard Lanz und Urs
Falk sowie dem Obergericht, Strafrechtliche Abteilung, und der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Steinmann