Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.232/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_232/2009

Urteil vom 25. Februar 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb,
Gerichtsschreiber Forster.

1. Parteien
X.________,
2. Y.________ AG,
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwältin Martina Fausch,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung, Eigerstrasse 65, 3003 Bern.

Gegenstand
Entsiegelung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 19. Juni 2009
des Bundesstrafgerichtes, I. Beschwerdekammer.

Sachverhalt:

A.
Die Eidgenössische Steuerverwaltung (EStV) führt eine besondere
Steueruntersuchung unter anderem gegen X.________ und die Y.________ AG wegen
des Verdachts von schweren Steuerwiderhandlungen (in den Steuerperioden
2002-2006). Am 27. Januar 2009 erfolgten diverse Hausdurchsuchungen
insbesondere in Büroräumlichkeiten in Niederuzwil. Die dort beschlagnahmten
Papiere und elektronischen Datenträger wurden vorsorglich versiegelt.

B.
Die EStV forderte den Mitbeschuldigten Z.________ (Sohn von X.________) und die
B.________ AG als Benutzer der Büroräumlichkeiten zur Mitteilung auf, ob sie
gegen die Durchsuchung der beschlagnahmten Gegenstände Einsprache erheben
wollten. Z.________ liess mitteilen, dass weder er noch die B.________ AG
Mieter der Büroräumlichkeiten seien; ihm gehörten nur zwei beschlagnahmte
Bundesordner sowie der Computer, dessen elektronische Daten kopiert und
sichergestellt worden waren.

C.
Gestützt auf die Angaben von Z.________ wandte sich die EStV an X.________ und
die Y.________ AG. Mit Schreiben vom 16. Februar 2009 erhoben diese Einsprache
gegen die Durchsuchung der versiegelten Akten und Gegenstände gemäss
Beschlagnahmeprotokoll. Am 27. März 2009 stellte die EStV beim
Bundesstrafgericht das Gesuch um Entsiegelung und Durchsuchung von
beschlagnahmten Unterlagen. Mit Entscheid vom 19. Juni 2009 (BE.2009.8 und
BE.2009.9) hiess das Bundesstrafgericht, I. Beschwerdekammer, das Gesuch gut.

D.
Gegen den Entsiegelungsentscheid des Bundesstrafgerichtes gelangten X.________
und die Y.________ AG mit Beschwerde vom 24. August 2009 an das Bundesgericht.
Sie beantragen in der Hauptsache die Aufhebung des angefochtenen Entscheides
und die Verweigerung der Entsiegelung und Durchsuchung.

Das Bundesstrafgericht beantragt mit Stellungnahme vom 7. September 2009, auf
die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die EStV schliesst mit Vernehmlassung vom
11. September 2009 ebenfalls auf Nichteintreten; eventualiter sei die
Beschwerde abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Zu den nach Art. 79 BGG anfechtbaren Entscheiden gehören namentlich Verfügungen
betreffend die Entsiegelung und Durchsuchung von Dokumenten und elektronischen
Datenträgern zu Ermittlungs- und Beweiszwecken (BGE 132 IV 63 E. 4 S. 67 ff.;
131 I 52 E. 1.2.2 S. 54; 130 IV 154 E. 1.2 S. 158 f.; Urteil 1B_200/2007 vom
15. Januar 2008 E. 2.1 mit Hinweisen).

1.1 Zu prüfen ist zunächst, ob die Beschwerde angesichts des
Fristenstillstandes während den sogenannten Gerichtsferien (Art. 46 Abs. 1 BGG)
rechtzeitig (innert der Frist von Art. 100 Abs. 1 BGG) erhoben wurde.

1.2 Kein Fristenstillstand gilt (unter anderem) bei Verfahren betreffend
"andere vorsorgliche Massnahmen" (Art. 46 Abs. 2 BGG). In BGE 135 I 257 E.
1.1-1.5 S. 259-261 hat das Bundesgericht entschieden, dass insbesondere
strafprozessuale Beschlagnahmungen und Kontensperren als vorsorgliche
Massnahmen im Sinne von Art. 46 Abs. 2 BGG zu behandeln sind, bei denen keine
Gerichtsferien gelten.

1.3 Vorsorgliche Massnahmen sind einstweilige Verfügungen; sie regeln eine
Rechtsfrage nur vorläufig, bis darüber in einem späteren Hauptentscheid
definitiv entschieden wird (vgl. BGE 135 I 257 E. 1.4-1.5 S. 260 f. mit
Hinweisen). Das Siegelungsverfahren dient dem Schutz von Privat- und
Berufsgeheimnissen. Es bezweckt, dass der Inhaber beschlagnahmter Dokumente
bzw. Datenträger vor dem Hauptentscheid in der Strafsache nötigenfalls eine
gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob der von ihm geltend
gemachte Geheimnisschutz dem strafprozessualen Beizug der Dokumente bzw.
Dateien entgegensteht. Darüber ist vom Entsiegelungsrichter definitiv zu
entscheiden (vgl. BGE 132 IV 63 E. 4.1-4.6 S. 65-68). Zwar handelt es sich auch
bei Entsiegelungsentscheiden um strafprozessuale Zwischenverfügungen, deren
Rechtmässigkeit (im Interesse der Verfahrensbeschleunigung) auf dem
Beschwerdeweg möglichst zügig zu prüfen ist. Angesichts der streitigen
Geheimnisschutzinteressen, die vom Entsiegelungsrichter (im dargelegten Sinne)
abschliessend zu beurteilen sind, können Entscheide betreffend Entsiegelung und
Durchsuchung von Dokumenten bzw. elektronischen Datenträgern jedoch
grundsätzlich nicht als vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 46 Abs. 2 BGG
eingestuft werden. Sie unterliegen deshalb dem Fristenstillstand gemäss Art. 46
Abs. 1 BGG.

1.4 Nach dem Gesagten wurde die Beschwerde rechtzeitig erhoben.

1.5 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 79 ff. BGG geben zu keinen
Vorbemerkungen Anlass. Gerügt werden kann insbesondere die Verletzung von
Bundesrecht (Art. 95 BGG).

2.
Im angefochtenen Entscheid wird Folgendes erwogen: Laut Mietvertrag sei die
B.________ AG Mieterin der betroffenen Büroräumlichkeiten. Alleinaktionär und
einziger Verwaltungsrat der B.________ AG sei Z.________. Die Aussenklingel der
Liegenschaft sei dementsprechend mit "Z.________" angeschrieben, der
Briefkasten mit "Z.________/B.________ AG". Dass sie an der fraglichen Adresse
eine Filiale betreibe, sei auch aus der Korrespondenz bzw. dem Briefpapier der
B.________ AG ersichtlich. Weder diese Gesellschaft noch Z.________ hätten
Einsprache gegen die Durchsuchung der beschlagnahmten Akten und Gegenstände
erhoben. Auf separate Anfrage der EStV hin hätten die Beschwerdeführer erklärt,
es sei ihnen anhand des Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokolls nicht
möglich festzustellen, ob sie die Inhaber von versiegelten Papieren seien; sie
würden daher "vorsorglich" Einsprache gegen die Durchsuchung sämtlicher Akten
und Gegenstände erheben. X.________ habe geltend gemacht, dass er seinen
tatsächlichen Wohnsitz in Spanien habe und sich nur selten in der Schweiz
aufhalte. Nach eigener Darstellung hätten nicht die Beschwerdeführer die
tatsächliche Verfügungsgewalt über die sichergestellten Unterlagen innegehabt,
sondern Z.________ bzw. die B.________ AG. Mangels Einsprache durch die Inhaber
der betroffenen Unterlagen sei kein Entsiegelungs- und Durchsuchungshindernis
ersichtlich. Zwar machten die Beschwerdeführer geltend, das
Beschlagnahmeprotokoll sei zu wenig detailliert und es sei nicht klar, ob die
sichergestellten Dokumente überhaupt als Beweismittel tauglich seien. Diese
Einwände stünden einer Entsiegelung jedoch nicht entgegen. Die Aussonderung von
untersuchungsrelevanten Dokumenten bilde gerade das Ziel der Entsiegelung und
Durchsuchung. Nach erfolgter Durchsuchung werde die EStV (mittels
beschwerdefähiger Verfügung) noch zu entscheiden haben, welche konkreten
Papiere sie beschlagnahmen und zu den Akten nehmen wolle und welche Gegenstände
auszuscheiden bzw. an die berechtigten Inhaber zu retournieren seien.

3.
Die Beschwerdeführer machen Folgendes geltend: Zwar habe die B.________ AG am
19. Dezember 2000 den fraglichen Mietvertrag abgeschlossen. Dieser sei jedoch
per 31. Januar 2004 aufgelöst worden. Über eine Treuhänderin habe die
Y.________ AG die Liegenschaftsverwaltung am 12. Januar 2004 aufgefordert, neue
Mietverträge (mit der Y.________ AG als Mieterin) zu erstellen. Dass die am 27.
Januar 2009 durchsuchten Büros dennoch mit "Z.________" bzw. "Z.________/
B.________ AG" angeschrieben waren, sei offensichtlich auf ein Versäumnis der
Liegenschaftsverwaltung zurückzuführen. X.________ sei Eigentümer von 50% des
Aktienkapitals der Y.________ AG. Aus dem blossen Umstand, dass er seinen
tatsächlichen Wohnsitz in Spanien habe und nur selten in der Schweiz weile,
könne unmöglich geschlossen werden, dass er in den Büroräumlichkeiten nicht
Akten deponiert hätte, die in seinem Eigentum stünden. Er habe seine "gesamten
ihm gehörenden Geschäftsunterlagen die Schweiz betreffend" dort aufbewahrt. Der
angefochtene Entscheid verstosse gegen Art. 50 Abs. 3 VStrR.

4.
Art. 191 des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer vom 14. Dezember 1990
(DBG; SR 642.11) verweist für das besondere Untersuchungsverfahren wegen des
Verdachts von schweren Steuerwiderhandlungen auf die Bestimmungen von Art.
19-50 VStrR.

4.1 Papiere sind mit grösster Schonung der Privatgeheimnisse zu durchsuchen;
insbesondere sollen sie nur dann durchsucht werden, wenn anzunehmen ist, dass
sich Schriften darunter befinden, die für die Untersuchung von Bedeutung sind
(Art. 50 Abs. 1 VStrR). Bei der Durchsuchung sind das Amtsgeheimnis und die
Berufsgeheimnisse zu wahren (Art. 50 Abs. 2 VStrR). Dem Inhaber der Papiere ist
wenn immer möglich Gelegenheit zu geben, sich vor der Durchsuchung über ihren
Inhalt auszusprechen. Erhebt er gegen die Durchsuchung Einsprache, so werden
die Papiere versiegelt und verwahrt, und es entscheidet die Beschwerdekammer
des Bundesstrafgerichtes über die Zulässigkeit der Durchsuchung (Art. 50 Abs. 3
i.V.m Art. 25 Abs. 1 VStrR).

4.2 Nach dem Wortlaut von Art. 50 Abs. 3 VStrR und der einschlägigen Praxis des
Bundesgerichtes steht das Einspracherecht im Entsiegelungsverfahren nur dem
jeweiligen Inhaber der Papiere bzw. Dateien zu (BGE 127 II 151 E. 4c/aa S. 155;
116 Ib 106 E. 2a/aa S. 110; 111 Ib 50 E. 3b S. 51; Urteile 1S.13/2006 vom 27.
September 2006 E. 1.4.1; 1S.28/2005 vom 27. September 2005 E. 2.4.2-2.4.3;
1A.171/2001 vom 28. Februar 2002 E. 1.2). Dieser hat die Schriften (respektive
Datenträger) zu benennen, die seiner Ansicht nach der Versiegelung und
Geheimhaltung unterliegen, bzw. die Berufs-, Privat- oder Geschäftsgeheimnisse
glaubhaft zu machen, die dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung von
mutmasslichen Straftaten vorgehen sollen (BGE 132 IV 63 E. 4.5-4.6 S. 67 f.;
Urteile 1B_274/2008 vom 27. Januar 2009 E. 6.5; 1B_104/2008 vom 16. September
2008 E. 2.1; 1B_200/2007 vom 15. Januar 2008 E. 2.6; 1S.5/2005 vom 6. September
2005 E. 7.6; vgl. Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 6. Aufl., Zürich 2005, § 70 Rz. 21-22; Niklaus Schmid,
Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 734-736).

4.3 Zur Frage ihrer Einsprachelegitimation berufen sich die Beschwerdeführer
zwar auf angebliche Versäumnisse der Liegenschaftsverwaltung. Sie legen jedoch
nicht dar, weshalb sie als angebliche neue Mieter bzw. Benutzer der
Büroräumlichkeiten nicht selbst für die zutreffende Kennzeichnung ihres
Büroeinganges und Briefkastens verantwortlich gewesen wären. Sie versäumen es
auch, die angeblich ihnen gehörenden beschlagnahmten Akten bzw. "die Schweiz
betreffenden Geschäftsunterlagen" näher zu beschreiben. Darüber hinaus legen
die Beschwerdeführer auch keine konkreten schützenswerten Privat- oder
Geschäftsgeheimnisse dar, welche das öffentliche Interesse an der Untersuchung
von mutmasslichen schweren Steuerwiderhandlungen überwiegen würden. Die Ansicht
der Vorinstanz, im vorliegenden Fall bestehe kein Entsiegelungshindernis, hält
vor dem Bundesrecht stand. Es kann offen bleiben, ob die Beschwerdeführer ihre
Sachdarstellung auf unzulässige Noven stützen (vgl. Art. 99 BGG).

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen.

Die Gerichtskosten sind den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und
Abs. 5 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde wird mit dem vorliegenden
Entscheid in der Sache hinfällig.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, I.
Beschwerdekammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. Februar 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster