Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.228/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_228/2009

Urteil vom 31. August 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Gewaltdelikte, Molkenstrasse 15/17,
Postfach,
8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 31. Juli 2009
des Bezirksgerichtes Zürich, Haftrichterin.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen
X.________ wegen Gefährdung des Lebens, Drohung, Körperverletzung und
Widerhandlungen gegen das Waffengesetz. Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen,
er habe am 1. April 2009 im Verlauf einer heftigen verbalen Auseinandersetzung
vor einem Restaurant in Zürich aus zwei bis drei Metern Entfernung vier Schüsse
aus einer Pistole (Marke Beretta, Kaliber 9mm) in Richtung seines Kontrahenten
abgegeben. Die Projektile seien in unmittelbarer Nähe neben diesem auf den
Boden geprallt. Etwas später habe der Angeschuldigte dem Geschädigten die Faust
ins Gesicht geschlagen.

B.
Am 13. Mai 2009 wurde der Angeschuldigte in Untersuchungshaft versetzt. Sein
Haftentlassungsgesuch vom 30. Juli 2009 wies die Haftrichterin des
Bezirksgerichtes Zürich mit Verfügung vom 31. Juli 2009 ab. Gleichzeitig
erstreckte sie die Haftfrist bis zum 13. November 2009.

C.
Gegen die haftrichterliche Verfügung vom 31. Juli 2009 gelangte X.________ mit
Beschwerde vom 14. August 2009 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und seine sofortige Haftentlassung. Die
Beschwerde wurde (mit zwei separaten Eingaben vom 15. August 2009) ergänzt.

Die Staatsanwaltschaft liess sich am 18. August 2009 vernehmen, während die
Haftrichterin auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet hat. Der
Beschwerdeführer replizierte am 25. August 2009.

Erwägungen:

1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen
Vorbemerkungen Anlass.

2.
Untersuchungshaft kann nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur angeordnet bzw.
fortgesetzt werden, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtig ist und ausserdem konkrete Anhaltspunkte für einen
besonderen Haftgrund, namentlich Fluchtgefahr, vorliegen (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1
StPO/ZH).

3.
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht eines Verbrechens
oder Vergehens nicht. Er habe im Wesentlichen ein "vollumfängliches Geständnis"
abgelegt. Er wendet sich jedoch gegen die Annahme von Fluchtgefahr.

3.1 Was die drohende Strafe betrifft, liege eine Verurteilung wegen
Lebensgefährdung zwar "durchaus im Bereiche des Möglichen". Mit einer
Freiheitsstrafe "von vier oder gar fünf Jahren" habe er jedoch nicht zu
rechnen. Er sei freiwillig in die Schweiz zurückgekehrt und habe umgehend ein
Geständnis abgelegt. Sein Lebensmittelpunkt liege in der Schweiz, wo auch die
Mehrheit seiner kurdischen Verwandten lebe. Er sei anerkannter Flüchtling, und
seine Familie sei in der Türkei massiv verfolgt worden. Seine Verlobte sei in
der Schweiz geboren und aufgewachsen. Er neige nicht zu "unkontrollierten
Impulsdurchbrüchen". Die untersuchten Straftaten seien Reaktionen auf eine
massive Provokation seitens des Geschädigten. Er, der Beschwerdeführer, leide
ausserdem an einer Prostataerkrankung, weswegen er schon zweimal operiert
worden sei. Ein dritter medizinischer Eingriff dränge sich auf. In der Türkei
wäre seiner Ansicht nach eine ausreichende Behandlung nicht möglich, was
zusätzlich gegen eine Fluchtneigung spreche. Die Annahme von Fluchtgefahr
verstosse gegen Art. 10 Abs. 2 BV.

3.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte,
wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch
Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für
Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den
Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden
Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in
Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70; je
mit Hinweisen). So ist es zulässig, die familiären und sozialen Bindungen des
Häftlings, dessen berufliche Situation und Schulden sowie Kontakte ins Ausland
und Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein
Land, das den Angeschuldigten grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw.
stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht
ausgeschlossen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Strafprozessuale Haft darf nur
als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch
mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer
abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme angeordnet werden
(BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73, E. 2.16 S. 78 f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279; je mit
Hinweisen).

3.3 Bei Haftbeschwerden prüft das Bundesgericht (im Hinblick auf die Schwere
des Eingriffes in das Grundrecht der persönlichen Freiheit) die Auslegung und
Anwendung des kantonalen Prozessrechtes frei. Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE
135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis).

3.4 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, dass dem Beschwerdeführer im Falle
einer Verurteilung wegen Lebensgefährdung und weiteren Delikten eine
empfindliche Freiheitsstrafe drohe. Zwei Tage nach der untersuchten Straftat
sei er in die Türkei gereist, wo er sich anschliessend (bis zu seiner Rückkehr
und Verhaftung) einige Wochen aufgehalten habe. Er pflege sehr enge Bindungen
in seine Heimat. Nach eigenen Aussagen sei er seit 2006 sechs bis sieben Mal
für jeweils eine bis vier Wochen in die Türkei gereist, etwa um seine dort
lebende kranke Mutter zu besuchen. Weitere Verwandte (zwei Stiefschwestern,
eine Tante und ein Onkel) wohnten ebenfalls dort. Sodann habe er eingeräumt, in
den Jahren 2006-2007 an Geschäften seines Schwagers in der Türkei beteiligt
gewesen zu sein und daraus Einkommen erzielt zu haben. Der Beschwerdeführer
habe weder Kinder, noch eine Arbeitsstelle in der Schweiz. Seine Verlobte sei
ebenfalls Türkin. Eine medizinische Behandlung seiner gesundheitlichen Probleme
wäre nach Ansicht der Haftrichterin auch in der Türkei möglich. Der von ihm
befürchtete Einzug zum Militärdienst in der türkischen Armee erscheine wenig
wahrscheinlich.

3.5 Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, lässt die Annahme von
Fluchtgefahr nicht als verfassungswidrig erscheinen. Dies gilt namentlich für
seine Darstellung, zwar sei er zwei Tage nach dem untersuchten Vorfall für
mehrere Wochen Ferien in die Türkei gereist, diese habe er aber schon lange
zuvor gebucht, und sein Anwalt, den er von Istanbul aus konsultiert habe, habe
ihm geraten, sich der schweizerischen Justiz zu stellen, was er wenig später
auch getan habe. Bei Würdigung sämtlicher Umstände bestehen im vorliegenden
Fall ausreichend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme von Fluchtgefahr. Als
verfassungskonform erweist sich auch die Ansicht der Haftrichterin, mit blossen
Ersatzmassnahmen für Haft lasse sich der dargelegten Fluchtgefahr im aktuellen
Verfahrensstadium nicht ausreichend begegnen (vgl. BGE 135 I 71 E. 2.16 S. 78
f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279). Dabei durfte sie (sinngemäss)
mitberücksichtigen, dass eine Pass- und Schriftensperre den Beschwerdeführer an
einer möglichen Flucht kaum wirksam zu hindern vermöchte und eine
Kautionsleistung (angesichts seiner von ihm dargelegten prekären finanziellen
Situation) nicht in Betracht fiele.

4.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die Fortdauer der Haft als
unverhältnismässig. Er könne im Falle einer Verurteilung mit einer "zumindest
teilweise bedingten Freiheitsstrafe" rechnen. In seinen ergänzenden Eingaben
vom 15. August 2009 macht er geltend, es sei zudem der Verschlechterung seines
Gesundheitszustandes Rechnung zu tragen.

4.1 Der Beschwerdeführer befindet sich seit ca. dreieinhalb Monaten in
Untersuchungshaft. Die Haftdauer ist noch nicht in grosse Nähe der
Freiheitsstrafe gerückt, die dem Beschwerdeführer im Falle einer Verurteilung
wegen Lebensgefährdung und weiteren Delikten droht (vgl. BGE 133 I 168 E. 4.1
S. 170, 270 E. 3.4.2 S. 281; je mit Hinweisen). Der blosse Umstand, dass ein
allfälliger bedingter bzw. teilbedingter Strafvollzug hier nicht zum Vornherein
ausgeschlossen erscheint, lässt die Fortdauer der Haft nicht als
unverhältnismässig erscheinen (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f.; 125 I 60
E. 3d S. 64; 124 I 208 E. 6 S. 215; je mit Hinweisen; Urteile 1B_12/2007 vom
26. Februar 2007 E. 3.4; 1B_6/2007 vom 20. Februar 2007 E. 2.5). Ebenso wenig
sind Versäumnisse der Justizbehörden ersichtlich, die eine sofortige
Haftentlassung als geboten erscheinen liessen (vgl. BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170
f., 270 E. 3.4.2 S. 281; 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f.; je mit Hinweisen). Im
angefochtenen Entscheid wird erwogen, dass die Untersuchung praktisch
abgeschlossen sei und mit einer baldigen Anklageerhebung und gerichtlichen
Beurteilung gerechnet werden könne. Der Schlussvorhalt erfolgte am 30. Juli
2009.

4.2 In seinen ergänzenden Eingaben macht der Beschwerdeführer geltend, seine
Prostataerkrankung habe sich unterdessen verschlechtert. Er sei bereits zweimal
operiert worden, und ein weiterer medizinischer Eingriff erscheine nun
unaufschiebbar. Im Untersuchungsgefängnis sei eine optimale Pflege nicht
gewährleistet. Er ziehe eine Behandlung am Universitätsspital Zürich einer
solchen am Inselspital Bern vor. In einem ärztlichen Bericht des
Universitätsspitals Zürich werde die "Notwendigkeit einer sofortigen Operation"
bestätigt.

4.3 Die Frage des Zeitpunktes und der Modalitäten einer medizinischen
Behandlung, insbesondere eines allfälligen operativen Eingriffes, bildet nicht
Gegenstand des angefochtenen Entscheides. Es kann offen bleiben, ob auf die
entsprechenden Vorbringen überhaupt einzutreten ist (vgl. Art. 78 Abs. 1 i.V.m.
Art. 80 Abs. 1 BGG; Art. 99 BGG). Jedenfalls erscheint die Fortdauer der
Untersuchungshaft aufgrund der vorgelegten Akten auch unter diesem
Gesichtspunkt verhältnismässig. Aus den vom Beschwerdeführer eingereichten
Arztberichten geht nicht hervor, dass sich aus medizinischer Sicht eine
sofortige Haftentlassung bzw. eine medizinische Behandlung in einer offenen
(gegen Fluchtversuche ungesicherten) Klinik aufdrängen würde. Was den Zeitpunkt
und die Modalitäten einer medizinischen Behandlung bzw. eines allfälligen
operativen Eingriffes betrifft, stünde es dem Beschwerdeführer im Übrigen frei,
bei der untersuchungsleitenden Staatsanwaltschaft (oder nach allfälliger
Anklageerhebung bei der gerichtlichen Verfahrensleitung) entsprechende Gesuche
zu stellen.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (und
insbesondere die finanzielle Bedürftigkeit des Gesuchstellers ausreichend
glaubhaft gemacht wird), ist das Ersuchen zu bewilligen (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Dr. Bruno Steiner,
wird für das Verfahren vor Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichterin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 31. August 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Forster