Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.227/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_227/2009

Urteil vom 10. September 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiberin Schoder.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rolf Zwahlen,

gegen

Y.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Philippe Haener,
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel.

Gegenstand
Strafverfahren; Zeugenbefragung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 28. Juli 2009 des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt.
Sachverhalt:

A.
X.________ sowie ihr Ehemann wurden am Abend des 26. Januar 2008 in Basel
Zeugen eines von Y.________ begangenen Gewaltverbrechens. Am 19. Juni 2008
verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt (Dreiergericht) den Straftäter wegen
schwerer und einfacher Körperverletzung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe
unbedingt. Gegen das Urteil des Strafdreiergerichts appellierte Y.________ an
das Appellationsgericht Basel-Stadt.
Mit Schreiben vom 13. Juli 2009 lud das Appellationsgericht Basel-Stadt
X.________ vor, am 14. Oktober 2009 vor dem Appellationsgericht als Zeugin zu
erscheinen. Gleichzeitig stellte das Appellationsgericht in Aussicht, dass die
Befragung zuerst ohne Konfrontation mit dem Angeklagten durchgeführt werde.
Am 27. Juli 2009 ersuchte X.________ das Appellationsgericht, in Anerkennung
ihres auf § 47 der Strafprozessordnung vom 8. Januar 1997 des Kantons
Basel-Stadt (SG 257.100) gestützten Zeugnisverweigerungsrechts die Ladung als
Zeugin abzunehmen. Laut dieser Vorschrift können Zeuginnen und Zeugen das
Zeugnis verweigern, wenn sie durch ihre Aussage nach glaubwürdiger Angabe sich
oder in § 45 genannte Angehörige der ernstlichen Gefahr eines schweren
Nachteils aussetzen würden. Als Grund ihres Gesuchs gab X.________ an, dass sie
sich vor Repressalien des gewalttätigen Angeklagten fürchte.
Mit Verfügung vom 28. Juli 2009 lehnte die Statthalterin des
Appellationsgerichts das Gesuch um Verzicht auf Ladung der Zeugin ab und
ordnete an, dass die Zeugeneinvernahme ohne direkte Konfrontation mit dem
Appellanten erfolge. Die Statthalterin begründete den Entscheid damit, der
schwere Nachteil, welcher der Zeugin drohen soll, sei bloss theoretischer
Natur. Der Appellant habe bisher in keiner Weise Drohungen ausgesprochen oder
der Zeugin durch Dritte zukommen lassen. Zudem sei die Zeugin bei einer
Befragung in der indirekten Konfrontation nicht weniger schutzlos als im
gegenwärtigen Zeitpunkt, in dem ihr Name und ihre Adresse den Parteien bereits
bekannt sei.

B.
X.________ hat gegen die Verfügung der Statthalterin beim Bundesgericht
Beschwerde in Strafsachen erhoben. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung
sei aufzuheben, und es sei das Appellationsgericht anzuweisen, auf die
Befragung der Beschwerdeführerin als Zeu-gin zu verzichten. Ferner sei der
angefochtenen Verfügung die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

C.
Die Statthalterin des Appellationsgerichts und der zuständige Staatsanwalt der
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt schliessen auf Beschwerdeabweisung und
Nichtgewährung der aufschiebenden Beschwerdewirkung. Y.________
(Beschwerdegegner) lässt sich ohne Antragstellung in der Sache vernehmen und
ersucht um unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren vor Bundesgericht.

Erwägungen:

1.
Bei der angefochtenen Verfügung, mit der das Gesuch um Verzicht auf die
Zeugenvorladung abgelehnt wird, handelt es sich um einen selbständig eröffneten
strafprozessualen Zwischenentscheid. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen
nur zulässig, wenn der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden
Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Ein nicht wieder
gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG muss in
strafrechtlichen Angelegenheiten nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
rechtlicher Natur sein, was voraussetzt, dass er durch einen späteren günstigen
Entscheid nicht oder nicht mehr vollständig behoben werden kann (BGE 133 III
629 E. 2.3.1 S. 632 mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall hat die Ablehnung des Gesuchs um Verzicht auf
Zeugenvorladung keine einschneidenden Folgen für die Beschwerdeführerin. Das
Appellationsgericht führt an der Appellationsverhandlung die Zeugeneinvernahme
durch (vgl. dazu § 180 f. StPO/BS betreffend das Verfahren vor dem
Appellationsgericht). Die Beschwerdeführerin kann sich folglich auf das ihr von
§ 47 StPO/BS eingeräumte Zeugnisverweigerungsrecht noch vor dem
Appellationsgericht berufen. Der entsprechende Zwischenentscheid der
Statthalterin kann daher für die Beschwerdeführerin keinen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken. Die
Zulässigkeitsvoraussetzungen der Beschwerde sind demnach nicht gegeben.

2.
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Ausgangsgemäss hat
die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der
Beschwerdegegner hat lediglich mitgeteilt, dass er die Beschwerdeführerin nie
bedroht habe. In der Sache hat er keinen Antrag gestellt. Unter diesen
Umständen ist von der Zusprechung einer Parteientschädigung abzusehen. Über das
Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege braucht nicht
entschieden zu werden.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um aufschiebende Beschwerdewirkung ist
gegenstandslos, da das Bundesgericht sein Urteil vor der auf den 14. Oktober
2009 angesetzten Hauptverhandlung vor dem Appellationsgericht fällt und
eröffnet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft sowie dem
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Féraud Schoder