Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.211/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_211/2009

Urteil vom 10. Dezember 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Störi.

Parteien
1. A.________,
2. B.________,
3. C.________,
Beschwerdeführer, alle drei vertreten durch
D.________,

gegen

Statthalteramt des Bezirkes Horgen, Seestrasse 124, Postfach, 8810 Horgen.

Gegenstand
Akteneinsichtsverweigerung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 30. Juni 2009
des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich,
4. Abteilung, Einzelrichter.
Sachverhalt:

A.
Mit Strafverfügungen vom 29. Mai 2009 büsste das Statthalteramt des Bezirkes
Horgen A.________, B.________ und C.________ wegen Störung der öffentlichen
Sicherheit durch Abbrennen von Feuerwerk ohne Bewilligung im Sinne von Art. 12
Abs. 2 und Art. 60 der Polizeiverordnung der Gemeinde Horgen, in Anwendung von
Art. 61 der Polizeiverordnung und § 334 der Strafprozessordnung des Kantons
Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO), mit je 800.-- Franken. Ausserdem auferlegte es
ihnen Verfahrenskosten von je 1'238.-- Franken.
Am 9. Juni 2009 erhoben A.________, B.________ und C.________ Einsprachen gegen
die Strafbefehle und verlangten deren gerichtliche Beurteilung. Mit gleicher
Eingabe beschwerten sie sich zudem darüber, dass ihnen die Akteneinsicht
verweigert worden sei.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2009 teilte das Statthalteramt dem Vertreter von
A.________, B.________ und C.________, D.________, mit, sie gewähre gestützt
auf § 17 StPO vorerst keine Akteneinsicht. Diese Verfügung erfolgte ohne
Rechtsmittelbelehrung.
Mit Eingaben vom 19. und vom 21. Juni 2009 erhoben A.________, B.________ und
C.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gegen die
Verweigerung von Akteneinsicht.
Am 22. Juni 2009 teilten A.________, B.________ und C.________ dem
Statthalteramt mit, dass sie gegen seine Verfügung vom 16. Juni 2009 beim
Verwaltungsgericht Beschwerde erhoben hätten und ersuchten es, die
zwischenzeitlich an sie ergangenen Vorladungen aufgrund der aufschiebenden
Wirkung der Verwaltungsgerichtsbeschwerden zu sistieren.
Mit Verfügung vom 25. Juni 2009 lehnte es das Statthalteramt ab, die
Vorladungen zu sistieren und wies A.________, B.________ und C.________
daraufhin, dass gegen die Verweigerung von Akteneinsicht durch das
Statthalteramt gemäss § 402 Ziff. 10 StPO der Rekurs an die
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich zur Verfügung stehe. Diesem
Rechtsmittel komme aufschiebende Wirkung nur zu, wenn die Rekursinstanz dies
anordne.
Am 28. Juni 2009 zogen A.________, B.________ und C.________ die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zurück mit der Begründung, sie hätten es wegen
der unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung versäumt, zunächst an die
Sicherheitsdirektion zu rekurrieren.
Mit Verfügung vom 30. Juni 2009 schrieb der Einzelrichter des
Verwaltungsgerichts das Verfahren als durch Rückzug der Beschwerde erledigt ab.
Er setzte die Gerichtsgebühr auf 560.-- Franken fest und auferlegte sie
A.________, B.________ und C.________ "unter subsidiärer Haftung füreinander zu
je einem Drittel". In der Rechtsmittelbelehrung verwies er auf die Beschwerde
in Strafsachen ans Bundesgericht.

B.
Mit Beschwerde "in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten oder Strafsachen"
beantragen A.________, B.________ und C.________ im Wesentlichen, diese
Verfügung des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, soweit ihnen Kosten auferlegt
worden seien. Ausserdem ersuchen sie um unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Das Statthalteramt beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Das Verwaltungsgericht
verzichtet auf Vernehmlassung. A.________, B.________ und C.________ halten in
ihrer Stellungnahme zur Vernehmlassung des Statthalteramtes an der Beschwerde
fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Abschreibungsbeschluss ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86
Abs. 1 lit. d BGG) und schliesst das Verfahren ab (Art. 90 BGG). Strittig ist
einzig, ob das Verwaltungsgericht nach § 13 i.V.m. § 70 des Zürcher
Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 (VRG) befugt war, den
Beschwerdeführern die Kosten des Abschreibungsbeschlusses aufzuerlegen, nachdem
diese ihre irrtümlich beim sachlich unzuständigen Verwaltungsgericht
eingereichte Beschwerde zurückgezogen hatten. Es handelt sich mithin um eine
öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinn von Art. 82 lit. a BGG, auch wenn
dem Streit die Frage des Akteneinsichtsrechts in einem Strafverfahren zu Grunde
liegt. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit
gegeben. Ein Ausschlussgrund nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Die
Beschwerdeführer rügen Willkür im Sinn von Art. 9 BV und damit eine Verletzung
von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Sie sind befugt, sich
gegen die ihnen auferlegten Verfahrenskosten zu wehren (Art. 89 Abs. 1 BGG). Im
Verfahren der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten herrscht
kein Anwaltszwang (Art. 40 Abs. 1 BGG), weshalb es den Beschwerdeführern frei
steht, sich durch eine nicht über das Anwaltspatent verfügende Person vertreten
zu lassen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen
Anlass, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.
2.1 Das Verwaltungsgericht war, wie sich aus seinem Entscheid ergibt, für die
Behandlung der Beschwerde sachlich unzuständig. Es wäre nach § 5 Abs. 1 und 2
i.V.m. § 70 VRG verpflichtet gewesen, die Sache von Amtes wegen an die
zuständige Behörde weiterzuleiten. Zu einer Weiterleitung kam es indessen
nicht. Die Beschwerdeführer zogen ihre Beschwerde unverzüglich zurück, nachdem
ihnen vom Statthalteramt das zutreffende Rechtsmittel nachträglich mitgeteilt
worden war. Das Verwaltungsgericht schrieb das Verfahren daraufhin als durch
Rückzug erledigt ab, was jedenfalls nicht willkürlich ist, und zwar unabhängig
davon, ob die Beschwerdeführer gleichzeitig einen entsprechenden Rekurs bei der
Sicherheitsdirektion erhoben und ob dem Verwaltungsgericht dies bekannt war
oder nicht.

2.2 Im zürcherischen Verwaltungsgerichtsverfahren gilt für die Verteilung der
Gerichtskosten grundsätzlich das Unterliegerprinzip (§ 13 Abs. 1 und 2 i.V.m. §
70 VRG). Nach der Praxis gilt, wer ein Rechtsmittel zurückzieht, als
unterliegende Partei, wobei bei der Kostenverlegung auch
Billigkeitsüberlegungen zum Zuge kommen (Kölz/Bosshard/Röhl, Kommentar zum VRG,
2. A. Zürich 1999, N. 16 zu § 13).

2.3 Das Statthalteramt hat seine Verfügungen vom 4. und vom 16. Juni 2009
entgegen seiner in § 188 des Zürcher Gerichtsverfassungsgesetzes vom 13. Juni
1976 (GVG) verankerten Verpflichtung nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung
versehen und damit eine wichtige Verfahrensregel verletzt. Aus einer fehlenden
Rechtsmittelbelehrung darf der betroffenen Partei nach Treu und Glauben
grundsätzlich kein Nachteil entstehen, es sei denn, dass zulässige Rechtsmittel
ergäbe sich ohne Weiteres aus dem Gesetz (BGE 129 I 151 nicht publ. E. 2; 122
IV 344 E. 4 f.). Für die Beschwerdeführer, die wie ihr Vertreter
augenscheinlich alles juristische Laien sind, war die Wahl des richtigen
Rechtsmittels keineswegs offenkundig, dass sie gegen die
Akteneinsichtsverweigerung in einem Strafverfahren an eine Verwaltungsbehörde
rekurrieren müssten, lag für sie jedenfalls nicht auf der Hand. Unter diesen
Umständen erscheint es krass unbillig und damit willkürlich, dass das
Verwaltungsgericht ihnen die Abschreibungsgebühren auferlegte, zumal sie die
Beschwerde unverzüglich zurückzogen, als sie vom Statthalteramt nachträglich
auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht worden waren. Die Rüge ist begründet.

3.
Damit ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, soweit den Beschwerdeführern
Kosten auferlegt wurden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu
erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Damit wird das Gesuch der Beschwerdeführer um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. Einen Anspruch auf eine
Parteientschädigung haben sie nicht, da sie nicht anwaltlich vertreten waren.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Dispositiv-Ziff. 2 und 3 der
angefochtenen Verfügung vom 30. Juni 2009 aufgehoben.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, dem Statthalteramt des Bezirkes
Horgen und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung,
Einzelrichter, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Dezember 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Störi