Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.206/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_206/2009

Urteil vom 30. September 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiber Dold.

Parteien
X.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Robert Strub,

gegen

Staatsanwaltschaft See/Oberland, Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster.

Gegenstand
Strafverfahren; Akteneinsicht,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 25. Juni 2009
der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland führt gestützt auf eine Strafanzeige von
Y.A.________ eine Strafuntersuchung gegen Z.A.________ wegen Vernachlässigung
von Unterhaltspflichten (Art. 217 StGB). Die beiden Ehegatten A.________
befinden sich in einem Scheidungsverfahren. Am 14. April 2009 verfügte die
Staatsanwaltschaft, dem Vertreter der Geschädigten Y.A.________ würden nach
Eintritt der Rechtskraft der Verfügung die vollständigen Untersuchungsakten zur
Einsichtnahme zugestellt.
Mit Eingabe vom 4. Mai 2009 erhob die X.________ AG dagegen Rekurs bei der
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Sie beantragte im Wesentlichen, die
Verfügung der Staatsanwaltschaft sei dahingehend einzuschränken, dass von den
sich in den Untersuchungsakten befindenden Unterlagen der X.________ AG nur
jene an den Geschädigtenvertreter herauszugeben seien, welche Zahlungen
zugunsten und zulasten von Z.A.________ beträfen. Mit Entscheid vom 25. Juni
2009 wies die Oberstaatsanwaltschaft das Rechtsmittel ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 27. Juli 2009 beantragt
die X.________ AG, der Entscheid der Oberstaatsanwaltschaft sei aufzuheben. Die
Oberstaatsanwaltschaft sei anzuweisen, dass von den sich in den
Untersuchungsakten befindenden Unterlagen der X.________ AG nur jene an den
Geschädigtenvertreter herauszugeben seien, welche Zahlungen zugunsten und
zulasten von Z.A.________ beträfen. Befänden sich Zahlungen von und an Dritte
in diesen Unterlagen, so dürften diese dem Geschädigtenvertreter nicht bekannt
gegeben werden bzw. müssten in geeigneter Weise abgedeckt werden. Zudem sei die
Herausgabe der Unterlagen in jedem Fall bis zum Eintritt der Rechtskraft des
Urteils aufzuschieben.
Die Staatsanwaltschaft See/Oberland und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons
Zürich haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. Mit Präsidialverfügung vom 19.
August 2009 hat das Bundesgericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung
zuerkannt.

Erwägungen:

1.
1.1 Gegenstand der Beschwerde bildet ein Rekursentscheid über eine
prozessleitende Zwischenverfügung (betreffend Akteneinsicht) im Rahmen eines
hängigen Strafverfahrens. Die Verfügung betrifft unter anderem die
Beschwerdeführerin. Sie hat in diesem Strafverfahren jedoch nicht die Stellung
einer Partei, woraus folgt, dass der angefochtene Entscheid für sie die
Bedeutung eines Endentscheids hat (Art. 90 BGG; Urteil 1P.330/2004 vom 3.
Februar 2005 E. 1.1, in: Pra 2005 Nr. 70 S. 533). Die Beschwerdeführerin hat
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und hat ein rechtlich geschütztes
Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, weshalb sie zur
Beschwerde befugt ist (Art. 81 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in Strafsachen
ist unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen einzutreten.

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Soweit ein Beschwerdeführer die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen beanstandet und eine mangelhafte
Sachverhaltsfeststellung für den Ausgang des Verfahrens entscheidend ist, kann
er nur geltend machen, die Feststellungen seien offensichtlich unrichtig oder
beruhten auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 97 Abs. 1
und Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert
vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Vorbehalten bleibt die
Sachverhaltsberichtigung von Amtes wegen nach Art. 105 Abs. 2 BGG (BGE 135 III
127 E. 1.5 S. 129 f.; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.; Urteil des Bundesgerichts
1C_412/2008 vom 24. März 2009 E. 2.1; je mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin kritisiert die Feststellung der Vorinstanz, der
Tatverdacht gegen den Angeschuldigten habe sich konkretisiert und verdichtet.
Im Gegenteil habe der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Uster
mit Verfügung vom 15. Mai 2009 die Anklage nicht zugelassen. Die
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung erweise sich damit als willkürlich.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin sind insoweit zu präzisieren, als der
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Uster die Zulassung der
Anklage nicht verweigerte, sondern lediglich einstweilen nicht zuliess und zur
Ergänzung der Untersuchung an die Anklagebehörde zurückwies (vgl. dazu § 167
Ziff. 2 und 3 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 [StPO/
ZH; LS 321]). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern für das
Akteneinsichtsrecht der Geschädigten von Bedeutung sein sollte, ob sich der
bestehende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer weiter konkretisiert und
verdichtet hat (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdeführerin geht hierauf
nicht ein. Auf die Rüge ist deshalb nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass gemäss § 10 Abs. 3 StPO/ZH
dem Geschädigten nur insoweit Akteneinsicht gewährt werden dürfe, als dies zur
Durchsetzung seiner prozessualen Rechte notwendig sei. Vor diesem Hintergrund
verstosse der angefochtene Entscheid gegen das Legalitätsprinzip.
Die Beschwerdeführerin verkennt, dass das Legalitätsprinzip (Art. 5 Abs. 1 BV)
- abgesehen von seiner spezifischen Bedeutung im Strafrecht und im Abgaberecht
- kein verfassungsmässiges Individualrecht ist, sondern ein
Verfassungsgrundsatz, dessen Verletzung nicht selbstständig, sondern nur im
Zusammenhang mit insbesondere der Verletzung des Grundsatzes der
Gewaltentrennung, der Rechtsgleichheit, des Willkürverbots oder eines
speziellen Grundrechts gerügt werden kann (BGE 134 I 322 E. 2.1 S. 326 mit
Hinweis).

2.2 Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip, welches die
Beschwerdeführerin ebenfalls als verletzt rügt. Dieses ist in Art. 5 Abs. 2 BV
als allgemeiner Verfassungsgrundsatz verankert und kann bei der Anwendung
kantonalen Rechts ausserhalb des Schutzbereichs spezieller Grundrechte nur
unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots angerufen werden (BGE 134 I 153 E.
4 S. 156 ff. mit Hinweisen). Ob der angefochtene Entscheid auf einer
willkürlichen Rechtsanwendung beruht, ist im Folgenden zu prüfen.
2.3
2.3.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Oberstaatsanwaltschaft habe bei
der Anwendung von § 10 Abs. 3 StPO/ZH auf eine Ermessensausübung gänzlich
verzichtet. Dies sei willkürlich (Art. 9 BV). Die Beschwerdeführerin führt in
diesem Zusammenhang ihr Interesse an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse
sowie den Schutz von Bank- und Geschäftsdaten Dritter an. Das
Schädigungspotential sei riesig. Die Geschädigte habe immer in der Branche der
Beschwerdeführerin gearbeitet. Momentan sei sie zwar arbeitslos, doch die
Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Wiederaufnahme ihrer Arbeitstätigkeit
wieder in derselben Branche und damit bei einem Kornkurrenten arbeiten werde,
sei gross.
2.3.2 Die Vorinstanz führte aus, es gebe Anhaltspunkte, wonach der
Angeschuldigte und die Beschwerdeführerin immer noch enger verbunden seien, als
letztere vorgebe. Bei der Untersuchung des Tatbestands der Vernachlässigung von
Unterhaltspflichten sei unumgänglich, auch nach versteckten Einkommens- und
Vermögenswerten zu forschen. Das Geschäfts- und das Bankgeheimnis stünden der
Akteneinsicht nicht entgegen. Die Geschädigte sei womöglich besser als die
Staatsanwaltschaft in der Lage, in der Untersuchung zur Aufdeckung von
Scheingeschäften beizutragen. Die Akteneinsicht könnte nur dann verweigert
werden, wenn Anhaltspunkte für einen Missbrauch vorhanden seien, so etwa dann,
wenn der Einsicht Nehmende ein Konkurrent sei und Geschäftsgeheimnisse
auskundschaften wolle. Solche Anhaltspunkte seien nicht ersichtlich und würden
von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht.
2.3.3 Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als
der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt, was in der Beschwerde näher
darzulegen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 134 V 223 E. 2.2.1 S. 226 mit Hinweis).
Die Beschwerdeführerin trägt das Argument der wirtschaftlichen Konkurrenz
zwischen ihr selbst und der Geschädigten erstmals vor Bundesgericht vor, obwohl
sie dazu bereits im vorinstanzlichen Verfahren Anlass gehabt hätte. Nach dem
Gesagten ist deshalb die behauptete Tatsache der wirtschaftlichen Konkurrenz im
bundesgerichtlichen Verfahren nicht zu berücksichtigen.
2.3.4 Nach der ständigen Praxis des Bundesgerichts liegt Willkür in der
Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar
ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen
Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das
Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder
gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 134 II 124 E. 4.1 S. 133 mit
Hinweisen).
Wie aus Erwägung 2.3.2 hiervor ersichtlich ist, hat die Oberstaatsanwaltschaft
entgegen der Kritik der Beschwerdeführerin auf eine Ermessensausübung nicht
verzichtet. Die Oberstaatsanwaltschaft ist richtigerweise davon ausgegangen,
dass das Geschäfts- und das Bankgeheimnis der Akteneinsicht nicht in jedem Fall
entgegenstehen, sondern einer Interessenabwägung zugänglich sind (BGE 129 I 249
E. 3 S. 253 f.; 113 Ia 1 E. 4a S. 4 f.; Urteil 1P.330/2004 vom 3. Februar 2005
E. 3.2, in: Pra 2005 Nr. 70 S. 533; je mit Hinweisen). Neben dem privaten, aus
dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und dem kantonalen
Verfahrensrecht (§ 10 Abs. 3 StPO/ZH) fliessenden Recht auf Akteneinsicht ist
laut dem angefochtenen Entscheid auch das öffentliche Interesse an der
Sachverhaltsaufklärung zu berücksichtigen. So soll die Geschädigte aufgrund
ihrer persönlichen Beziehung zum Angeschuldigten womöglich besser als die
Staatsanwaltschaft selbst zur Aufdeckung von Scheingeschäften beitragen können.
Dass die Vorinstanz vor diesem Hintergrund ein umfassendes Akteneinsichtsrecht
der Geschädigten bejahte, erscheint nicht als willkürlich, zumal beim Verdacht
auf Scheingeschäfte gerade auch danach zu forschen ist, ob nicht Dritte mit dem
Angeschuldigten verbunden sind und Anteil an einer zu verdeckenden Transaktion
haben. Die wenig substanziierten Einwände der Beschwerdeführerin vermögen diese
Argumente nicht zu entkräften. Ihre Rüge erweist sich deshalb als unbegründet.

3.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die
Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat keinen
Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft See/Oberland
und der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. September 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Dold