Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.201/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_201/2009

Urteil vom 26. August 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Reeb, Raselli, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Härri.

Parteien
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Walter A. Stöckli,

gegen

Staatsanwaltschaft I des Kantons Uri, Tellsgasse 3, Postfach 933, 6460 Altdorf.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 16. Juni 2009
des Obergerichts des Kantons Uri,
Strafrechtliche Abteilung, Präsidium.
Sachverhalt:

A.
X.________ wurde 1956 geboren und stammt aus Serbien.

Am 2. Mai 2007 verurteilte sie das Landgericht Uri wegen Mordes an ihrer schwer
behinderten Stieftochter sowie weiterer Delikte zu 11 Jahren Freiheitsstrafe
und Fr. 210.-- Busse. Vom Vorwurf, X.________ habe auch ihren Ehemann ermordet,
sprach sie das Landgericht frei.

Auf Berufung sowohl von X.________ als auch der Staatsanwaltschaft hin sprach
das Obergericht des Kantons Uri am 19./26. Mai 2009 X.________ vom Vorwurf des
Mordes an der Stieftochter frei. Es erkannte X.________ dagegen schuldig der
vorsätzlichen Tötung des Ehemannes. Deswegen und wegen weiterer Delikte
auferlegte es X.________ eine Freiheitsstrafe von 9 Jahren und eine Busse von
Fr. 210.--. Die Begründung des obergerichtlichen Urteils liegt noch nicht vor.

B.
Am 28. Mai 2009 ordnete die stellvertretende Vorsitzende der strafrechtlichen
Abteilung des Obergerichts, Oberrichterin A. Frei-Föhn, die Verhaftung von
X.________ zwecks Sicherung des Strafvollzugs wegen Fluchtgefahr an.

Am 2. Juni 2009 nahm die stellvertretende Vorsitzende der strafrechtlichen
Abteilung X.________ in Abwesenheit des amtlichen Verteidigers ein.
Gleichentags erliess die stellvertretende Vorsitzende die Haftverfügung. Danach
wurde X.________ in Sicherheitshaft versetzt.

Am 8. Juni 2009 ersuchte X.________ um Haftentlassung. Sie ergänzte ihr
Begehren am 10. Juni 2009. Im Wesentlichen bestritt sie - unter Verweis auf den
Umstand, dass sie bisher in Freiheit gewesen war - die Fluchtgefahr. Weiter
ersuchte sie um Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie um Einsicht in
die Haftakten.

Mit Entscheid vom 16. Juni 2009 wies das Präsidium der strafrechtlichen
Abteilung des Obergerichts, Oberrichterin E. Imholz-Rölli, das Gesuch um
Zustellung der Akten ab. Die Oberrichterin erachtete in Anbetracht des
Beschleunigungsgebots und einer antizipierten Beweiswürdigung eine mündliche
Verhandlung als nicht erforderlich. In der Sache bejahte die Oberrichterin
Fluchtgefahr und ordnete die Fortdauer der Sicherheitshaft an.

C.
Gegen diesen Entscheid vom 16. Juni 2009 hat X.________ beim Bundesgericht am
17. Juli 2009 Beschwerde in Strafsachen erhoben. Sie stellt den Antrag, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben, eventualiter sei die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter ersucht sie um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege. Sie rügt als Verletzung von Art. 5 Ziff. 3
EMRK, dass sie keinem Haftrichter vorgeführt worden sei. Zur Hauptsache
bestreitet sie die Fluchtgefahr.

Das Präsidium der strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts hat auf eine
Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen
lassen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG ist gegeben. Der Antrag um
Aufhebung des angefochtenen Entscheides und um Haftentlassung ist zulässig
(vgl. BGE 132 I 21 E. 1 S. 22). Die Prozessvoraussetzungen geben zu keinen
weitern Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde kann - vorbehältlich der
nachfolgenden Einschränkungen - eingetreten werden.

2.
Im Verfahren vor der Vorinstanz hat der Anwalt der Beschwerdeführerin mehrmals
vergeblich um Akteneinsicht bzw. um Zusendung der Akten ersucht. Das
Akteneinsichtsrecht nach Art. 29 Abs. 2 BV gilt grundsätzlich
voraussetzungslos. Es ist nicht Sache der Behörde, darüber zu befinden, ob eine
Prozesspartei die Einsicht benötige. Im vorliegenden Fall gilt es zu bedenken,
dass der Rechtsvertreter gemäss den Erwägungen im angefochtenen Entscheid
sämtliche Eingaben umgehend in Kopie erhalten hat und ihm die Einsichtnahme im
Gericht offeriert worden ist. Damit setzt sich die Beschwerdeführerin in der
vorliegenden Beschwerde nicht näher auseinander. Der blosse Umstand, dass Akten
dem Rechtsvertreter nicht zugestellt werden, bewirkt für sich keine Verletzung
des rechtlichen Gehörs. Soweit in diesem Punkt auf die Beschwerde überhaupt
eingetreten werden kann, ist sie demnach abzuweisen.

3.
Weiter rügt die Beschwerdeführerin in formeller Hinsicht als Verletzung von
Art. 5 Ziff. 3 EMRK, dass sie nicht mündlich angehört worden ist.
Art. 5 Ziff. 3 EMRK verlangt, dass jede in strafprozessualer Haft gehaltene
Person unverzüglich einem Richter oder einem andern gesetzlich zur Ausübung
richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten vorgeführt wird. In gleicher
Weise räumt Art. 31 Abs. 3 BV jeder Person, die in Untersuchungshaft genommen
wird, einen Anspruch darauf ein, unverzüglich einem Richter vorgeführt zu
werden. Im Gegensatz zu solchen Fällen der Anordnung von strafprozessualer Haft
schreiben Art. 5 Ziff. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV für die Verlängerung der
Haft oder für die Prüfung eines Entlassungsgesuchs keine Vorführung vor den
Richter bzw. keine mündliche Anhörung und keine Haftprüfungsverhandlung vor
(vgl. BGE 126 I 172 E. 3b S. 175; 125 I 113 E. 2a S. 115; je mit Hinweisen).
Die unterschiedliche Verfahrensausgestaltung hängt damit zusammen, dass eine
erstmalige Haftanordnung den Betroffenen aus seinen gewohnten Lebensumständen
herausreisst und daher eine persönliche Anhörung erfordert.
Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdeführerin am 2. Juni 2009 von der
stellvertretenden Vorsitzenden der strafrechtlichen Abteilung befragt und
angehört (vgl. Art. 114 der Strafprozessordnung vom 29. April 1980 des Kantons
Uri; StPO). Damit ist dem erwähnten Anspruch nach Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art.
31 Abs. 3 BV im Hinblick auf die Haftverfügung vom 2. Juni 2009 genüge getan
worden. In Bezug auf die Fortsetzung des Verfahrens mit dem
Haftentlassungsgesuch vom 8. Juni 2009, der weitern Stellungnahme vom 10. Juni
2009 und dem Erlass des angefochtenen Entscheides vom 16. Juni 2009 bestand
nach Art. 5 Ziff. 4 EMRK und Art. 31 Abs. 4 BV, wie dargetan, kein
grundrechtlicher Anspruch auf eine persönliche Anhörung. Die Beschwerdeführerin
legt nicht dar, dass eine persönliche Anhörung nach kantonalem Verfahrensrecht
hätte vorgenommen werden müssen. Überdies vermag sie nicht zu belegen, dass in
entsprechender und vergleichbarer Situation praxisgemäss stets eine mündliche
Verhandlung und Anhörung stattfinde und sie deshalb rechtsungleich behandelt
worden sei. Schliesslich rügt sie vor Bundesgericht nicht, dass die Befragung
am 2. Juni 2009 ohne Anwesenheit ihres amtlichen Rechtsvertreters stattgefunden
hat und sie in Bezug auf die Frage der Fluchtgefahr nicht sachdienlich befragt
worden ist. Damit erweist sich die Beschwerde in diesem Punkte als unbegründet.

4.
4.1 Art. 107 StPO sieht die Möglichkeit von strafprozessualer Haft vor, wenn
ein dringender Verdacht der Begehung eines Verbrechens oder schweren Vergehens
besteht und soweit bestimmte Anhaltspunkte für Flucht-, Verdunkelungs- oder
Fortsetzungsgefahr bestehen. Anstelle der Haft können gemäss Art. 115 Abs. 1
StPO eine Sicherheitsleistung oder freiheitsbeschränkende Massnahmen (Pass- und
Schriftensperre, Aufenthaltsbeschränkung) angeordnet werden. Die Auslegung und
Anwendung von solchen Bestimmungen des massgeblichen kantonalen
Strafprozessrechts prüft das Bundesgericht bei Beschwerden, die sich auf Art.
10 Abs. 2 oder Art. 31 BV berufen, in Anbetracht der Schwere des
Grundrechtseingriffs mit freier Kognition. Soweit jedoch reine
Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind,
greift das Bundesgericht nach Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2
BGG nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung beruhen (BGE 135
I 71 E. 2.5 S. 73).
Die Beschwerdeführerin stellt die Möglichkeit der Anordnung von Sicherheitshaft
im Sinne der Strafprozessordnung für sich nicht in Frage. Sie legt trotz ihrer
Rüge der willkürlichen Sachverhaltsermittlung nicht dar, inwiefern die
Vorinstanz den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt haben soll.
Sie beanstandet nicht die eigentlichen Sachverhaltsfeststellungen, sondern
vielmehr die Folgerungen, die aus einzelnen Aussagen und Gegebenheiten gezogen
worden sind. Dies betrifft die materielle Frage der Fluchtgefahr. Zur
Hauptsache bestreitet die Beschwerdeführerin denn auch das Vorliegen von
Fluchtgefahr und erachtet die Fortführung der bisherigen Meldepflicht zur
Sicherung eines allfälligen Strafvollzuges als ausreichend.

4.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte,
wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch
Flucht entziehen würde. Hierfür sind die gesamten konkreten Verhältnisse in
Betracht zu ziehen. Es müssen konkret Gründe dargetan werden, die eine Flucht
nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die
Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet
werden, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Es
müssen die gesamten Lebensverhältnisse, familiäre Bindungen, die berufliche und
finanzielle Situation und Kontakte zum Ausland mitberücksichtigt werden. Selbst
bei einer befürchteten Ausreise in ein Land, das den Angeschuldigten
grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte,
ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE 125 I 60 E. 3a S.
62; 123 I 31 E. 3d S. 36; 117 Ia 69 E. 4a S. 70; 107 Ia 3 E. 5 S. 6; je mit
Hinweisen).

Untersuchungshaft darf nur als "ultima ratio" angeordnet werden. Wo sie durch
mildere Ersatzmassnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder
Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine dieser Massnahmen verfügt werden
(BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen).
4.3
4.3.1 Gegen die Beschwerdeführerin wird seit dem 10. August 2000 und somit seit
rund 9 Jahren eine Strafuntersuchung geführt. Am 20. Mai 2002 wurde sie
festgenommen und in der Folge im Kanton Uri in Untersuchungshaft versetzt. Am
31. Oktober 2002 wurde sie aus der Haft entlassen. Dabei wurden ihr die
Ausweisschriften abgenommen. Zudem wurde ihr zur Pflicht gemacht, sich
regelmässig bei der Polizei zu melden. Dieser Meldepflicht kam sie stets nach.
Der blosse Umstand, dass sie anlässlich einer Vorsprache bei der Polizei im Mai
2009 einmal die Unterschrift verweigerte, ist unerheblich. Entscheidend ist,
dass sie auf dem Polizeiposten erschien und damit ihre Anwesenheit bekundete.
Auch nach diesem Vorfall erfüllte sie ihre Meldepflicht und begab sich am 2.
Juni 2009 erneut auf den Polizeiposten, wo sie in der Folge verhaftet wurde.
Trotz des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin schon im Laufe der
Strafuntersuchung und hernach aufgrund der Verurteilung durch das Landgericht
vom Mai 2007 mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe rechnen musste, reichten
die Ersatzmassnahmen aus, sie von einer Flucht in ihre Heimat abzuhalten. Es
bestehen keine Hinweise darauf, dass sie während dieser Zeit irgendwelche
Anstalten zu einer Flucht unternommen hätte oder dass sie Fluchtgedanken oder
-pläne geäussert hätte. Diese Umstände können als Indiz dafür betrachtet
werden, dass unter den gegebenen Umständen keine konkrete Fluchtgefahr besteht
und die Beschwerdeführerin auch in naher Zukunft und allenfalls bis zur
Rechtskraft des obergerichtlichen Urteils keine Flucht unternehmen wird.
4.3.2 Es ist zu prüfen, inwiefern sich die Situation mit dem Urteil des
Obergerichts verändert hat. Mit einem Rechtsmittelentscheid steigt im
Allgemeinen für den Verurteilten die Gefahr, dass er mit einer entsprechenden
Freiheitsstrafe tatsächlich rechnen muss. Im vorliegenden Fall sind allerdings
die Besonderheiten des Strafverfahrens zu berücksichtigen. Es handelt sich um
einen heiklen Indizienprozess. Das Landgericht erkannte die Beschwerdeführerin
schuldig des Mordes an der Stieftochter, sprach sie dagegen frei vom Vorwurf
der Tötung des Ehemannes. Das Obergericht kam zum umgekehrten Schluss: Es
erkannte die Beschwerdeführerin schuldig der Tötung des Ehemannes und sprach
sie frei vom Vorwurf des Mordes an der Stieftochter. Das obergerichtliche
Urteil stellt also keine Bestätigung des landgerichtlichen Urteils dar. Es ist
nach den Darlegungen in der vorliegenden Beschwerde davon auszugehen, dass
gegen das obergerichtliche Urteil Beschwerde in Strafsachen erhoben wird und
sich somit die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts mit der Sache zu
befassen haben wird. Deren Urteil darf hier in keiner Weise präjudiziert
werden. Aus der Sicht der Beschwerdeführerin ist aber anzunehmen, dass sie sich
angesichts der "widersprüchlichen" kantonalen Urteile Chancen ausrechnen wird,
vor der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zu obsiegen und in der
Folge vom Vorwurf der Tötung sowohl des Ehemannes als auch der Stieftochter
freigesprochen zu werden. Dies spricht gegen Fluchtgefahr.
4.3.3 Die Auffassung der Vorinstanz, es bestünden finanzielle Anreize zur
Flucht, vermag in Anbetracht der konkreten Verhältnisse sodann kaum zu
überzeugen. Die Beschwerdeführerin hat in der Schweiz sechs Kinder (geb. 1982,
1984, 1990, 1991, 1994 und 1995). Sie wird in Anbetracht des Alters der Kinder
zunehmend damit rechnen können, von diesen hier finanziell unterstützt zu
werden. Ausserdem hat sie in der Schweiz, soweit sozialversicherungsrechtliche
Leistungen nicht ausreichen sollten, gegebenenfalls Anspruch auf Sozialhilfe.
In der Vergangenheit hat die Beschwerdeführerin denn auch in der Schweiz schon
mehrfach erhebliche Leistungen der Sozialhilfe bezogen. Es kann nicht
angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat in den Genuss
besserer finanzieller Bedingungen kommen könnte. Überdies kann ohne neue
Konfrontation nicht auf die Jahre zurückliegende Aussage der Beschwerdeführerin
vom Mai 2002 abgestellt werden, "sie müsse nach Jugoslawien gehen, weil sie mit
dem Geld, welches sie in der Schweiz bekomme, gar nicht leben könne."
4.3.4 Der Erklärung der Beschwerdeführerin anlässlich der Verhandlung vor dem
Landgericht im März 2007, "sie pflege sehr gute Kontakte zu Bekannten und
Verwandten in ihrem Heimatland", kommt für sich allein, ohne weitere
Präzisierung, im Hinblick auf die Frage der Fluchtgefahr und ohne Betrachtung
der sozialen und familiären Verhältnisse in der Schweiz, nur ein sehr
beschränkter Aussagewert zu. Zwar hat die Beschwerdeführerin in Serbien zwei
Söhne aus erster Ehe (geb. 1974 und 1976) und einen Bruder. In der Schweiz hat
sie jedoch - wie dargelegt - sechs Kinder. Diese sind deutlich jünger als die
Söhne in Serbien. Die jüngsten in der Schweiz lebenden Kinder sind erst 14 und
15 Jahre alt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung hat man zu jüngeren,
namentlich noch nicht erwachsenen Kindern eine engere Beziehung als zu älteren.
Das Landgericht legt in seinem Urteil (S. 92) denn auch dar, die
Beschwerdeführerin pflege insbesondere zu zwei in der Schweiz lebenden Kindern
einen recht engen Kontakt. Auch dies stellt ein Indiz gegen Fluchtgefahr dar.
4.3.5 Würdigt man diese Umstände gesamthaft, sind keine hinreichenden
Anhaltspunkte ersichtlich, die, soweit die sichernden Ersatzmassnahmen
beibehalten und allenfalls erweitert werden, eine Flucht nicht nur als möglich,
sondern als wahrscheinlich erscheinen liessen. Damit lässt sich im Lichte der
dargelegten Rechtsprechung (E. 4.2) die Annahme von Fluchtgefahr unter den
konkreten Gegebenheiten nicht halten und erscheint die Anordnung bzw.
Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft als unverhältnismässig und damit
verfassungswidrig. Das Regime der Ersatzmassnahmen hat sich seit der
Haftentlassung der Beschwerdeführerin am 31. Oktober 2002 bis zu ihrer
neuerlichen Verhaftung während mehr als 6 ½ Jahren bewährt, was unter den
dargelegten Umständen zur Annahme berechtigt, dass dies auch in Zukunft der
Fall sein wird. Sicherheitshaft als "ultima ratio" scheidet daher aus.

Die Beschwerde erweist sich demnach als begründet.

4.4 Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben. Das Verfahren ist dem Präsidium
der Strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts zurückzuweisen, um die
Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Sicherheitshaft anzuordnen und neu
über die Anordnung sichernder Massnahmen zu befinden. Dabei wird es nicht nur
um die Weiterführung der Schriftensperre und der Meldepflicht gehen. Anlässlich
ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft am 31. Oktober 2002 erklärte sich
die Beschwerdeführerin schriftlich bereit, die ihr monatlich von der
Ausgleichskasse überwiesene Witwenrente als Sicherheit einzugeben, mit dem
Wissen, dass diese bei ihrem unberechtigten Verlassen der Schweiz als Kaution
zurückbehalten werde. Die zuständige Verhörrichterin verfügte in der Folge, die
auf das Bankkonto der Beschwerdeführerin überwiesene Rente gelte jeden Monat
als gesperrt; die monatliche Freigabe dürfe nur auf Anweisung der
Verhörrichterin erfolgen; verlasse die Beschwerdeführerin die Schweiz, dienten
alle eingehenden Renten als Kaution (act. 2.3.101). Die Vorinstanz wird zu
prüfen haben, ob diese Ersatzmassnahme erneut zu verfügen sei.

Die Vorinstanz wird sodann die Kosten- und Entschädigungsfolgen im kantonalen
Verfahren neu zu regeln haben (vgl. Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG).

5.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen, der angefochtene
Entscheid aufzuheben und das Verfahren zu neuem Entscheid im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Beschwerdeführerin obsiegt zur Hauptsache. Kosten werden keine erhoben
(Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton hat der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und
2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Entscheid des Präsidiums der
strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts des Kantons Uri vom 16. Juni 2009
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an das
Präsidium der strafrechtlichen Abteilung des Obergerichts des Kantons Uri
zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Uri hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin sowie der Staatsanwaltschaft l und
dem Obergericht des Kantons Uri, Strafrechtliche Abteilung, Präsidium,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Féraud Härri