Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.189/2009
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_189/2009

Urteil vom 30. Juli 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Reeb, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Parteien
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft,
Bahnhofplatz 3a, 4410 Liestal.

Gegenstand
Haftverlängerung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 24. Juni 2009
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Präsidentin der Abteilung Zivil- und Strafrecht.
Sachverhalt:

A.
Mit Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Landschaft vom 27. Mai 2009 wurde
X.________ des versuchten Diebstahls, des Hausfriedensbruchs und des Verstosses
gegen Einreisevorschriften schuldig erklärt und im Rahmen einer Gesamtstrafe
(unter Einbezug einer vollziehbar erklärten Restfreiheitsstrafe von 253 Tagen
gemäss Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 18. März 2008) zu einer
unbedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt. Der
Verurteilte erklärte dagegen die Appellation.

B.
Am 8. Juni 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft beim
Kantonsgericht Basel-Landschaft die Verlängerung der Sicherheitshaft. Mit
Eingabe vom 12. Juni 2009 beantragte der Verurteilte unter anderem seine
Haftentlassung. Mit Verfügung vom 24. Juni 2009 wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft, Präsidentin der Abteilung Zivil- und Strafrecht, das
Haftentlassungsgesuch ab und es verlängerte die Sicherheitshaft bis zur
Appellationsverhandlung, längstens bis 24. Dezember 2009.

C.
Gegen die kantonsgerichtliche Verfügung vom 24. Juni 2009 gelangte X.________
mit Beschwerde vom 2. Juli 2009 (Posteingang: 6. Juli 2009) an das
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die
unverzügliche Haftentlassung.

Das Kantonsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, während die
Staatsanwaltschaft auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtete. Der
Beschwerdeführer erhielt Gelegenheit zur Replik.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein strafprozessualer Entscheid betreffend Haftverlängerung.
Soweit der Beschwerdeführer Anträge stellt (betreffend Auslieferung nach
Deutschland bzw. Haftentschädigung), die sich nicht auf den Gegenstand des
angefochtenen Entscheides beziehen, kann darauf nicht eingetreten werden (vgl.
Art. 78 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 BGG).

2.
Strafprozessuale Haft darf nach basellandschaftlichem Strafverfahrensrecht nur
angeordnet bzw. aufrecht erhalten werden, wenn und solange die angeschuldigte
Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und konkrete
Anhaltspunkte für einen besonderen Haftgrund vorliegen, namentlich
Fortsetzungs- oder Fluchtgefahr (§ 77 Abs. 1 StPO/BL). Fortsetzungsgefahr ist
gegeben, wenn aufgrund konkreter Indizien ernsthaft zu befürchten ist, der
Verdächtige werde die Freiheit benutzen, um seine deliktische Tätigkeit
weiterzuführen, sofern diese eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben, Freiheit
oder Eigentum anderer Personen darstellt (§ 77 Abs. 1 lit. c StPO/BL).

2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der persönlichen Freiheit. Er
bestreite den Vorwurf des versuchten Diebstahls. Die erfolgte Verurteilung sei
geradezu "hanebüchen" und willkürlich. Auch der Haftgrund der
Fortsetzungsgefahr sei nicht erfüllt. Fünf einschlägige Vorstrafen reichten
dafür nicht aus.

2.2 Versuchter Diebstahl, insbesondere Einbruchdiebstahl, wird als Verbrechen
unter Strafe gestellt (Art. 139 i.V.m. Art. 186 und Art. 10 Abs. 2 StGB). Die
tatsächlichen und rechtlichen Gründe für den betreffenden erstinstanzlichen
Schuldspruch werden im Urteil des Strafgerichtspräsidiums Basel-Landschaft vom
27. Mai 2009 ausführlich und willkürfrei dargelegt. Die Vorbringen des
Beschwerdeführers lassen den betreffenden dringenden Tatverdacht nicht
dahinfallen. In welchen Punkten die Beweiswürdigung und rechtliche
Qualifikation der Sachrichterin geradezu unhaltbar seien, legt er nicht dar.
Auf appellatorische Kritik des Beschwerdeführers am erstinstanzlichen
Strafurteil ist nicht einzutreten. Entsprechende Vorbringen werden im hängigen
kantonalen Berufungsverfahren zu prüfen sein und beziehen sich (über das
Dargelegte hinaus) nicht auf den Gegenstand des angefochtenen
Haftprüfungsentscheides.

2.3 Nach der Praxis des Bundesgerichtes kann die Anordnung von Haft wegen
Fortsetzungsgefahr dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung dienen, indem
verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert
und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der Verhütung
weiterer Delikte ist nicht verfassungs- und grundrechtswidrig. Vielmehr
anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit,
Angeschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, somit
Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen).

2.4 Bei der Annahme, dass der Angeschuldigte weitere Verbrechen oder erhebliche
Vergehen begehen könnte, ist allerdings Zurückhaltung geboten. Da Präventivhaft
einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht der persönlichen Freiheit
darstellt, muss sie auf einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen, im
öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. Die Aufrechterhaltung
von strafprozessualer Haft wegen Fortsetzungsgefahr ist verhältnismässig, wenn
einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu
befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein hypothetische
Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass
nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine
Präventivhaft zu begründen. Schliesslich gilt auch bei der Präventivhaft - wie
bei den übrigen Haftarten - dass sie nur als "ultima ratio" angeordnet oder
aufrecht erhalten werden darf. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden
kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer
Stelle eine dieser Ersatzmassnahmen verfügt werden (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73
mit Hinweisen).

2.5 Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit (Art.
10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen der Ablehnung eines Haftentlassungsgesuches
erhoben werden, prüft das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des
Eingriffes die Auslegung und Anwendung des kantonalen Prozessrechtes frei.
Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu
beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art.
105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.).

2.6 Dem Beschwerdeführer wird eine erhebliche Anzahl einschlägiger Vorstrafen
(wegen mehrfachen Diebstahls, Hausfriedensbruchs, Verweisungsbruchs bzw.
Missachtung von Einreisesperren) zur Last gelegt. Die Vorinstanz verweist
diesbezüglich auf die Erwägungen des Urteils des Strafgerichtspräsidiums
Basel-Landschaft vom 27. Mai 2009. Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich
erneut (unter anderem) wegen versuchten Einbruchdiebstahls und
Hausfriedensbruchs verurteilt. Seine letzte rechtskräftige Verurteilung (durch
das Strafgericht Basel-Landschaft) erfolgte am 18. März 2008, seine letzte
bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug am 12. November 2008. Die zu
befürchtenden neuen Vermögensdelikte sind schwerer Natur. Das Strafgericht
sieht es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer am 21. Februar 2009 -
ausgerüstet mit einem sogenannten Fensterbohrer - erneut in ein Privathaus (in
Augst/BL) einzubrechen versucht habe, in der Absicht, dort Wertsachen zu
stehlen. Von Anwohnern dabei ertappt, sei der Beschwerdeführer geflüchtet,
worauf er gewaltsam habe festgenommen werden müssen. Bei dieser Sachlage
bestehen ausreichend konkrete Anhaltspunkte für die Annahme von
Fortsetzungsgefahr. Es kann offenbleiben, ob darüber hinaus auch noch der
separate Haftgrund der Fluchtgefahr erfüllt wäre. Wirksame Ersatzmassnahmen für
Haft sind hier nicht ersichtlich, zumal dem Beschwerdeführer vom
erstinstanzlichen Gericht vorgeworfen wird, dass ihn weder die Wirkung von
vollzogenen Freiheitsstrafen noch die Auferlegung von Einreisesperren bisher
davon abhalten konnte, weiter einschlägig zu delinquieren.

3.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, bei der strafprozessualen Haft
handle es sich faktisch um eine "vorgezogene vollständige Strafverbüssung". Die
bisherige Haftdauer verletze insofern die Unschuldsvermutung und sei
unverhältnismässig.

3.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene
Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich
abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden.
Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses
Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer
der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung
der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der
untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Richter darf die Haft nur so
lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer
rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der
freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170, 270 E. 3.4.2
S. 281, je mit Hinweisen). Im Weiteren kann eine Haft die zulässige Dauer auch
dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird.
Die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, ist
aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu beurteilen (BGE 133
I 168 E. 4.1 S. 170 f., 270 E. 3.4.2 S. 281; 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f., je mit
Hinweisen).

3.2 Wie sich aus den Akten ergibt, wurde der Beschwerdeführer am 21. Februar
2009 verhaftet und in strafprozessuale Haft versetzt. Am 27. Mai 2009 wurde er
erstinstanzlich verurteilt. Es droht ihm (bei einer Bestätigung des Urteils im
Appellationsverfahren) ein Strafvollzug von 11 Monaten Dauer. Der Vorinstanz
ist darin beizupflichten, dass das von der Sachrichterin (im Rahmen der zu
berechnenden Gesamtstrafe) festgelegte Strafmass (bei einer vollziehbaren
Reststrafe von mehr als acht Monaten) nicht willkürlich hoch erscheint. Auf
darüber hinausgehende appellatorische Kritik am erstinstanzlichen Strafurteil
ist nicht einzutreten. Nach dem Gesagten ist die bisherige Haftdauer von ca. 5
Monaten noch nicht in grosse Nähe des im Falle einer rechtskräftigen
Verurteilung zu erwartenden Strafvollzuges gerückt. Prozessuale Versäumnisse
der kantonalen Justizbehörden werden in der Beschwerde nicht substanziiert
dargelegt und sind auch aus den Akten nicht ersichtlich. Von einer
"Verschleppung des erstinstanzlichen Verfahrens" kann keine Rede sein, zumal
das Strafurteil bereits drei Monate nach dem mutmasslichen Deliktsdatum
erfolgte. Der Termin der Appellationsverhandlung ist nach Darstellung des
Beschwerdeführers auf den 4. August 2009 angesetzt worden. Auch insofern
erscheint die bisherige Haftdauer verhältnismässig.

4.
Die Rüge des Beschwerdeführers, die Sicherheitshaft sei ohne gesetzmässige
Haftprüfung fortgesetzt worden, erweist sich ebenfalls als unbegründet. Wie den
Akten zu entnehmen ist, erfolgten die letzten Haftverlängerungen (vor dem
angefochtenen Entscheid vom 24. Juni 2009) am 27. Mai bzw. 22. Juni 2009 (je
mit Wirkung bis 24. Juni 2009). Soweit er sinngemäss eine Verletzung des
Begründungsgebotes bzw. des Verbotes der Rechtsverweigerung rügt, ist die
Beschwerde offensichtlich unbegründet. Im angefochtenen Entscheid werden die
Haftgründe und die Argumente gegen das Vorliegen einer Überhaft ausreichend
dargelegt. Dass die Vorinstanz erwog, das Haftprüfungsverfahren diene nicht der
appellatorischen Prüfung des erstinstanzlichen Strafurteils, begründet weder
eine Rechtsverweigerung, noch eine Gehörsverletzung.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten wird.
Der Beschwerdeführer beantragt die unentgeltliche Prozessführung. Da die
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt erscheinen (und insbesondere die
Bedürftigkeit des im Strafverfahren amtlich verteidigten Gesuchstellers aus den
Akten ersichtlich wird), ist dem Begehren zu entsprechen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
Eine Parteientschädigung ist gemäss dem Ausgang des Verfahrens nicht
zuzusprechen (Art. 68 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Prozessführung bewilligt. Es
werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigung zugesprochen.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Präsidentin der Abteilung Zivil- und
Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 30. Juli 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Aemisegger Forster